Ludwig Ganghofer
Die Martinsklause
Ludwig Ganghofer

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12

Fleißig hatte seit dem frühen Morgen im Walde beim Lokistein der Schlag der Beile geklungen. Neue Bäume lagen gefällt, und über dem Grundriß, den Eberwein gezogen, erhoben sich schon, vier Stämme hoch, mit doppelt gelegten Balken, die Mauern der Klause und des Kirchleins. Vor dem einen Zelte lag, mit dem weißen Holz in der Sonne schimmernd, das seiner Vollendung nähergerückte Kreuzbild; die grobe Arbeit des Meißels war getan, das sachtere Werk des Messers hatte begonnen.

Nun ruhten alle Hände, denn die Mittagsglocke hatte geläutet. Die Knechte hatten sich beim Feuer gelagert, und um den aus Stangen gefügten Tisch saßen Eberwein, Waldram und Schweizer; das Gebet war gesprochen, Wampo kam mit der dampfenden Schüssel. Eberwein furchte die Brauen, als er die Speise sah. »Bruder! Du bist meinem Wort entgegen nach Milch gegangen?«

»Nein, lieber Herr, die Milch ist zu mir gekommen!« Wampo schmunzelte. »Heut vor Tag, wie ich aufgestanden bin, um Feuer zu schüren, ist vor dem Zelt das Känndl gestanden, ein Roggenbrot daneben, süße Käslein und ein Butterwecken, säuberlich eingewickelt in grüne Blätter.«

»Weißt du, wer die Gabe gespendet hat?«

Wampo zwinkerte mit den Augen zu Schweiker hinüber, der rot wurde bis unter die Haarwurzeln. »Das war kein Menschenkind, sondern ein Engelein mit Himmelsbrot und mit köstlicher Milch aus dem gelobten Land, in dem auch Honig fließt. Der war aber nit dabei.«

»Widerlicher Schwätzer!« schalt Pater Waldram. »Halte deine Lippen geschlossen, wenn du sie nicht öffnen kannst, ohne Heiliges zu verletzen mit sündhafter Rede!«

Bruder Wampo wollte erwidern, doch Eberwein winkte ihm, zu schweigen.

Als das Mahl genommen und das Gebet gesprochen war, ging Schweiker mit der Axt zum Wald, und Wampo räumte den Tisch ab; auf dem Arm die hölzernen Geschirre tragend, schlich er verdrossen davon. Waldram wollte sich erheben; da sagte Eberwein: »Ich habe dir vor dem Ohr der Brüder nicht widersprochen. Jetzt, da wir allein sind, höre meine Mahnung: sei duldsamer, Waldram!«

»Willst du mir wehren, daß ich schweigen mache, was mein Ohr beleidigt?«

»Du solltest die Rede der dienenden Brüder nicht messen an deinem eigenen Gefühl. Irdische Sorge füllt ihren Tag, sie haben schwer zu schaffen vom Morgen bis in die Nacht. Hüte dich, durch Überstrenge die Unlust in ihnen zu wecken! Du kannst ihren Mut zu Boden drücken, doch ihren verzagenden Herzen nicht die Schwingen des Geistes leihen, die dich, wenn dir die Knie brechen, emportragen über den Staub, in den du niedersinkst.«

»Die Schwingen meines Geistes!« Waldram richtete sich auf. »Gebrechlich ist mein Leib, doch Gottes Wort hat Gewalt auf meiner Zunge. Wie ein Adler hebt sich mein Geist über allen Staub der Erde und strebt dem Himmel zu, seine Heimat suchend vor Gottes Thron. Ganz erkennst du meine Art, nicht verborgen ist dir mein Eifer im Dienst der Kirche. Und ich sage dir: übel dienest du unserer heiligen Sache, da du mich zwingst, das niedere Werk der Knechte zu teilen.«

Eberwein erhob sich, ruhig: »Ich zwinge dich nicht zur Arbeit am Bau der Klause. Bist du müde, so raste!«

»Ich will nicht rasten. Nur weiß ich mir besseres Werk als jenes, zu dem du dich berufen fühlst. Forme das tote Holz zu dem Bilde, dessen du bedarfst für deine Sinne! Baue, schichte die Mauer, prüfe ihren Halt, du scheinst die Stunde nicht erwarten zu können, die dir Ruhe bringt unter sicherem Dach. Ich will hinaus in die Wildnis dieser Täler, mit dem Kreuz in der Hand will ich schlagen an jede Tür, will in heiligem Zorn die Verstockten rufen, die nicht kommen wollen, um zu knien vor ihrem Gott. Ihre Herzen sollen zittern, und ich will sie lehren –«

»Zu fürchten, wo sie lieben sollen?« Tiefer Ernst lag auf Eberweins Zügen. »Nein, Waldram! Du sollst mir das Werk der Liebe nicht stören! Dort führt der Weg ins Tal. Vor diesen Weg strecke ich meine wehrende Hand, in die du bei der Ausfahrt aus dem Kloster die deine legtest zum Zeichen des Gehorsams.«

Waldram erbleichte und wandte sich wortlos ab. Eberwein faßte seine Hand. »Höre mich ruhig an! Ich hab es mit Kummer gewahrt, daß unsere Glocke verklang, ohne Widerhall zu finden. Aber ich will warten, um so geduldiger, da ich erfahren muß, daß Mißtrauen, Furcht und Widerstand uns begegnen. Das ist die Ursache der Hast, mit der ich den Bau unseres heiligen Hauses betreibe. Ich kenne das Volk der Berge. Bin ich doch selbst aus ihm hervorgewachsen! Ich rechne mit dem Fühlen und Denken dieser Menschen. Der Fremde erweckt ihre Scheu, unansehnlich ist ihnen der Obdachlose. Bevor ich ihre Herdstätten suche, will ich heimisch werden, will ihnen unser Kirchlein zeigen können und sagen: sehet, ich hause in eurer Mitte, euch allen ein Bruder, und das Dach, unter dem ich herberge, ist Gottes Dach, ist euer Schutz! Nicht für meine Sinne forme ich jenes heilige Bild, ich sehe Gott, wohin ich blicke. Aber das Auge dieser armen Menschen hat irdischen Blick. Ihnen will ich das heilige Bildnis zeigen können und sagen: schauet auf zu ihm, der aus Liebe zu den Menschen starb in Marter und Schmerz! Diese Menschen, die unter harter Faust geschmachtet, unter herzlosem Druck, in zähem Kampfe wider eine feindliche Natur? Meinst du nicht, sie werden das Wort der Liebe williger hören als einen Ruf, der sie zittern macht?«

Ein kaltes Lächeln glitt über Waldrams blassen Mund. »Ich gehorche. Was willst du mehr?«

Eberweins Brauen furchten sich. Aber rasch, wie ein gleitender Wolkenschatten, schwand dieses Zeichen des Unmuts von seiner Stirne. Herzlich klang seine Stimme: »Blick um dich her, Waldram! Still und freundlich grünt der Wald, und sonnig schauen die Berge auf uns nieder. Mahnt nicht der Wille des Himmels aus diesem Bild? Zerstörende Wetter tobten über dem Tal bei unserem Eintritt. Nun, da wir bauen an Gottes Haus, ist Frieden eingekehrt, und die Ruhe lächelt.«

»Zur Unzeit gedenkst du der Nacht, in der uns Gottes Zorn mit fallendem Feuer den Weg gewiesen. Zeichen geschehen. Du bist blind und taub. Denke an gestern! Grünte nicht still der Wald? Blickten nicht sonnig die Berge? Und dennoch ging es wie Donner durch die Lüfte, wie eine Verheißung des Tages, an welchem Gottes Augenwink die Lawinen stürzt, damit sie jeden Feuerherd begraben, an dem sich der Aberglaube und die Sünde wärmt.«

»Waldram! Erschrickst du nicht selbst vor den Bildern, die du beschwörst? Wie verträgt sich die Vernichtung, die du predigst, mit deinem Glauben an Gott? Ist Gott nicht der Schöpfer, der Unendliche in seiner Liebe? Auch ich hörte jene dunkle Stimme, die du ein Zeichen nennst. Ich deute sie anders. Nicht aus den Lüften kam sie. Aus der Erde. Und ich sollte zittern, weil Staub sich bewegt? Auf offener Straße treibt ihn jeder leichte Wind, tief unter der Erde bewegen ihn die finsteren Mächte, die dem Leben feindlich sind. Zerstörung ist ihr Wille. Doch ihr Schicksal ist es, Gott zu dienen, wenn sie Furcht in die Herzen schwacher Menschen jagen. Aus aller Furcht der Tiefe geht ein Schrei der Seelen zur Höhe, mit dürstender Sehnsucht müssen sie suchen nach Hilfe in aller Not, suchen nach einem ewig Festen über allem Stürzenden, nach einem ewig Bleibenden über allem Wandel.«

»Wie Honig fließt dir die Rede von den Lippen, und mit Blumen möchtest du den Weg bestreuen, den du gehst. Siehe zu, wohin er dich führen wird!«

»Zum Guten! Härter, als draußen auf ebenem Lande, dessen linde Scholle der Bauer pflügt, trägt sich das Leben in den Bergen. Da führt jeder Schritt vorüber an Gefahr und Verderben. Noch tiefer, als anderwärts, gräbt sich die Angst vor dem Ungewissen in die Seelen der Bergbauern. Um so zäher hängt auch an ihren Herzen der suchende Aberglaube, der irrende Wahn, die Furcht, jene dunklen Mächte zu erzürnen, welche morden und vernichten, wenn ihr Atem weht. Und da willst du ihnen Furcht bieten wider Furcht? Nein, Waldram! Wandle ihre Furcht zu hoffender Liebe! Das wird dir nicht gelingen mit einem zornigen Schlag an ihre Türen. Wir wollen geduldig warten, bis sie kommen und nach Hilfe rufen in ihrer Not. Dann wollen wir die Hände rühren, rastlos, wollen ihre Mühsal lindern, indem wir sie teilen. Und wenn sie fragen: wer hat euch das gelehrt? – dann, Waldram, ist die Zeit des Wortes gekommen, und wir wollen sagen: das lehrte uns der Eine über den Wolken, der die Liebe ist.«

»Hättest du vor der Ausfahrt so geredet im Konvent der Brüder – niemals hätten sie das heilige Werk in deine Hände gelegt!«

»Waldram!«

»Sie hätten einen Streiter berufen, dessen flammender Eifer nicht gerechnet hätte, nicht gewogen und bedacht, nur gekämpft wider Gottes Feinde, mit Freude und in der Sehnsucht, daß ihm der Himmel das Los der Heiligen bescheiden möchte, die rote Palme der Märtyrer!« Waldram hob die hageren Arme, und wie in Fieberröte brannten seine Wangen. »Laß kommen, o Herr, den seligen Tag, an dem ich meines Glaubens Treue besiegeln darf mit meinem Blut!«

Eberweins Augen suchten den Himmel »Und mich, o Herr, laß leben, daß ich deinem Werke diene!« Er wandte sich ab. Vor dem halb vollendeten Kreuzbild ließ er sich nieder und hob das Messer von der Erde. Kaum hatte er in das weiße Holz den ersten Schnitt getan, da fühlte er Waldrams Hand an seiner Schulter. Er blickte auf. »Du siehst, ich beginne die Arbeit!«

»Ich habe noch zu rechten mit dir. Den Mönch und Priester hast du gemahnt an seinen Gehorsam. Jetzt höre den Bruder deines Ordens, der gleiche Stimme mit dir hat im weltlichen Rat!«

Eberwein legte die Hand mit dem Messer in den Schoß. »Sprich!«

»Nicht als Knechte sind wir gekommen. Wir sind die Herren. Zwei Tage und zwei Nächte weilen wir in unserem Land. Wo bleibt der Richtmann, wo bleiben die Schöffen? Weshalb erscheinen sie nicht vor uns in Ehrfurcht und zu schuldigem Gruß? Als ein Knecht unseres Heiligen sitzt ein Spisar im Gaden. Weshalb säumt er, vor uns zu treten, um seines Amtes Bestallung zu empfangen?«

Fragend ruhte Eberweins Blick auf Waldram, als verstünde er die Erregung nicht, welche zitterte in diesen bleichen Zügen. »Richtmann und Schöffen? Nach ihnen verlang ich nicht. Es mag auch sein, daß sie noch nicht wissen um unsere Ankunft. Einer weiß, daß wir gekommen sind. Der Spisar des Gadens. Und hier will ich Herr sein, Waldram – Herr gegenüber diesem einzigen Manne meines Landes. Vor der Schwelle unserer Klause soll Herr Waze erscheinen, er vor uns. Und kommen wird er. Ich ließ ihm Botschaft sagen durch seine übermütige Tochter.«

»Seine Tochter!« Wie heiseres Lachen klangen die beiden Worte. »Sie! Andere Rede weißt du nicht? Und keinen besseren Boten fandest du als sie? Und nun hoffst du wohl, sie möchte auch Botschaft bringen von ihrem Vater? Und kommen? Zu dir?«

Leichte Röte glitt über Eberweins Wangen. »Waldram? Ich fasse deine Worte nicht.«

»Ich aber sehe die verräterische Glut auf deiner Stirne. Und alles versteh ich jetzt. Standest du nicht vor ihr wie versteint, jeden Reiz ihrer teuflischen Schönheit verschlingend, bezaubert von der Höllenglut ihres Blicks, umstrickt von den roten Schlangen ihres Haars! Alles versteh ich: dein Zögern, deine Langmut und dieses eine Wort, das immer von deinen Lippen schreit: Liebe, Liebe, Liebe.«

Eberwein war aufgesprungen. Sein ernster Blick haftete an Waldrams verzerrtem Gesicht. Dann wandte er sich wortlos ab, um seine Arbeit wieder zu beginnen.

»Du sollst mir Rede stehen!« keuchte Waldram, faßte Eberweins Arm und rüttelte ihn, daß das Messer der Hand entflog. Im Bogen schwirrte es durch die Luft und fuhr mit der Spitze in das Bildnis, an der Stelle des Herzens. Über Waldram fiel ein lähmender Schreck. Zitternd, mit verstörten Augen, starrte er die Klinge an. Dann brach ein dumpfes Schluchzen aus seiner Brust, er stürzte nieder, und mit beiden Armen das Bildnis umschlingend, schlug er die Stirne auf das Holz. Eberwein hob ihn empor. »Steh auf, Waldram! Noch ist dieses Holz kein heiliges Bild. Das fallende Messer konnte nicht verletzen, was erst entstehen soll. Mich nur hast du verwundet. Mag es dir Gott verzeihen. Ich kann es nicht in dieser Stunde, ich bin ein Mensch und fühle den Schmerz des Stiches.«

Ohne die Augen zu erheben, wankte Waldram in das Zelt.

Eberwein zog das Messer aus dem Holz und tilgte die Spur des Stiches mit raschem Schnitt. Er arbeitete. Nicht lange. Dann mußte er innehalten, weil seine Hand zitterte. Er legte den Arm aufs Knie und stützte das Haupt, als hätte tiefe Ermüdung ihn befallen. Aus dem Zelt klang Waldrams betende Stimme und das Klatschen der Geißel. Eberwein hörte nicht. Seine Augen blickten ins Leere.

Bruder Wampo kam herbeigeschlichen. »Herr!« Er wartete auf Antwort. »Ich möcht was fragen, Herr!«

Eberwein hob das Gesicht; er sah den Bruder an, als wär's ein Fremder, und fragte: »Was willst du?« Da hörte er aus dem Zelt die Stimme Waldrams. Immer lauter klang sie und wandelte sich zu jauchzendem Gesang, während klatschend die Schläge der Geißel fielen. Erschrocken sprang Eberwein auf und eilte ins Zelt. Waldram lag auf den Knien, mit entblößtem Rücken, auf dem die Striemen bluteten. Sein Haupt war in den Nacken gesunken, wie im Fieber glühte sein Gesicht, seine starr zur Höhe gerichteten Augen brannten, und während er mit zuckendem Armschwung die Geißel über die Schulter schlug, jauchzten seine Lippen: »Den Himmel teilt er und fährt herab. Er fährt auf dem Cherub und fliegt und rauscht auf den Flügeln des Windes daher. Es zittert vor ihm die Erde, und die Gründe der Berge beben –«

»Waldram!« stammelte Eberwein und versuchte die Geißel zu fassen.

»Es strahlet die Helle seines Lichtes, und sichtbar werden die Tiefen des Meeres, enthüllt die Gründe der Welt vor seinem Glanz. Sieh, aus der Höhe reicht er den Arm und zieht mich aus tiefem Gewässer und rettet mich –« In röchelndem Laut erstickte Waldrams Stimme. Schaum trat ihm vor die Lippen. Seine Hände, denen Eberwein die Geißel entrissen hatte, griffen in die Luft, stöhnend sank er zu Boden, und die Sinne schwanden ihm.

Bleich stand Bruder Wampo unter dem Eingang des Zeltes. »Wasser! Hole Wasser!« rief Eberwein und hob, während der Bruder verschwand, den Bewußtlosen auf das Moosbett.

Wampo kam und brachte Wasser. Scheu und zitternd reichte er die Schüssel. Mit nassem Tuche kühlte Eberwein die Stirne Waldrams und träufelte ihm Balsam auf die Striemen der Geißel. Ein Seufzer rang sich aus der Brust des Ohnmächtigen, und seine Glieder streckten sich. In der Schwäche kam der Schlummer über ihn. Und draußen, vom Waldsaum, klangen die krachenden Hiebe der Axt, welche Schweiker führte, und die langgezogenen Rufe, unter denen die Knechte die schweren Balken hoben.

Als Schweiker einmal innehielt in der Arbeit, um sich den perlenden Schweiß von der Stirne zu wischen, sah er, daß Bruder Wampo auf ihn zugesprungen kam, mit geschürzter Kutte, flink hinweghüpfend über das wirr auf der Erde liegende Astwerk.

»Was hast du?« fragte Schweiker, als der Bruder schnaufend vor ihm stand. »Und wie schaust du mich an? Hast du was angestellt? Hast du am End das Milchkänndl umgeworfen?«

»Wie du nur reden kannst!« stotterte Wampo, noch atemlos. »Alles zittert an mir. Denk nur, was geschehen ist!«

»So red doch! Was denn?«

»Pater Waldram ist ein Heiliger worden.«

Schweiker riß die blauen Augen auf, und vor Staunen fiel ihm das Beil aus den Händen.


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