Ludwig Ganghofer
Die Martinsklause
Ludwig Ganghofer

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9

Immer tiefer senkte sich das gießende Gewölk und hing über dem Tal wie eine weißgraue Decke; Schneefall mischte sich in den vom kalten Wind gepeitschten Regen, doch die Flocken schmolzen, ehe sie zur Erde fielen. In das Rauschen des Regens tönte das Brausen der geschwellten Bäche und das dumpfe Poltern des Gesteins, das in den Fluten trieb.

Mittag war vorüber, als Wicho, heimkehrend von seinem nächtlichen Weg, den Schapbacher Forst verließ und die Halden der Schönau erreichte; in Fäden rann das Wasser von ihm nieder. Oft mußte er durch braune Bäche waten, die das Feld überschwemmten. Kam der Knecht an einem Hag vorüber, so hörte er das Geschrei der Leute, die das Wasser zu stauen und abzuleiten suchten. In einem einzigen Gehöft nur herrschte Stille. Kopfschüttelnd blickte Wicho auf den Greis, der über den Trümmern der gestürzten Hütte aus morschen Bohlenstücken ein Dächlein schichtete zu seinem Unterschlupf. Der alte Gobl hatte spüren müssen, daß er noch lebte; es hatte ihm der üble Tag das Sitzen unter dem Apfelbaum verleidet; rings um den Baum stand eine gelbe Lache. Aus den Trümmern seiner Hütte, deren wüster Haufe sich gleich einer Insel über das angesammelte Wasser erhob, hatte Gobl einen Heusack hervorgezogen, hatte ihn zu oberst über die Trümmer gelegt und baute nun über diesem Lager das schützende Dach.

»Gobl? Was ist mit deinem Haus geschehen?« rief der Knecht. »Hat es der Bidem geworfen?«

Der Alte blickte über die Schulter, riß von dem zerfallenen Hausdach ein Stück der faulen Moosdecke los und warf es über die kleine Hütte.

»So red doch! Kann ich dir helfen?«

»Geh heim und hilf dir selber!« brummte der Greis. »Der heutige Tag bringt schieche Zeiten.« Er kroch in seinen Schlupf und streckte sich auf den Heusack. »Ich hätt gemeint, mich könnt der Tod nimmer jagen von meinem Fleckl. Jetzt hat mich ein lützel Näß vertrieben. Und schau, ich hab schon wieder ein Haus!«

Eine Weile noch stand der Knecht, dann ging er seiner Wege. »Der arme Schlucker!«

Als Wicho den Talwald erreichte, begann für ihn ein übles Wandern; die Ache war ausgetreten und hatte den Waldgrund in einen Sumpf verwandelt. Von den Gehöften im Untersteiner Forste scholl dem Knechte wirres Geschrei entgegen, und als er die Rodung betrat, sah er ein Häuflein Menschen, erregt durcheinanderkreischend, am überschwemmten Ufer der Ache stehen; er erkannte den Untersteiner mit Weib und Kindern, die Winklerbuben, den Kirngasser und Bärenlochner, den Grünsteiner und ein paar andere Bauern der Schönau. Einer der Winklerbuben kam auf ihn zugelaufen: »Da schau her! Die Wazemannsknecht sind weniger worden um einen. Der Bach hat ihn ausgespien wie ein Ferch den Brocken, der ihm nit geschmeckt hat.«

Schweigend betrachtete Wicho den angeschwemmten Leichnam, den das Wildwasser übel zugerichtet und halb der Kleider beraubt hatte. Die Leute dachten nicht anders, als daß der Knecht ertrunken wäre, und der Untersteiner schrie: »Am letzten Zinstag hat er mir die Faust ins Gesicht geschlagen. Jedes Jahr noch hat mir der Bach ein Trumm von meinem Feld gerissen, heut ist er mir lieb geworden, heut hat er mir die erste Guttat erwiesen!«

»So red doch nit so laut!« stotterte sein Weib und suchte den Bauer gegen den Hag zu ziehen.

Aus dem Lärm der anderen schrie der Grünsteiner: »Es müßt doch einer hinaufsteigen zu Wazemanns Haus und Botschaft tragen!«

»Da könnt sich einer schlechten Dank holen!« fiel Wicho hastig ein und verstummte, weil er hinter sich ein Lachen hörte.

Der Hanetzer, auf dem Heimweg von der Klause, war aus dem Wald getreten. »Wo ist der Richtmann? Da wär wieder ein Stück Arbeit für ihn.« Er stieß mit dem Schuh nach der Leiche.

Keiner erbarmte sich des Toten, und dennoch schalten sie über diese Roheit. Und was hätte der Richtmann mit dem Ertrunkenen zu schaffen?

»Ertrunken? So? Ich mein': der hat keinen Laut mehr getan, noch eh er Wasser hat schlucken müssen.«

Mit eisernem Griff umklammerte Wicho den Arm des Schwätzers.

»Ich soll den Schnabel halten, gelt?« lachte der Hanetzer. »Wenn ich schweigen könnt, hätt er mich zum Thing gerufen, der gute Richtmann! Jetzt soll ich auf einmal wortfest sein? Meintwegen, so lang ich nit reden muß!« Er ging seiner Wege.

Die Leute sahen sich mit scheuen Augen an. Einer um den andern schlich davon, und Wicho stand einsam bei der Leiche; er wollte den Toten wieder zurückschleudern in das Wasser, das ihn ausgeworfen; aber ein Grauen faßte ihn, und den Arm vor die Augen drückend wandte er sich ab.

Keuchenden Laufes erreichte er die Seelände und hörte die Beilschläge, die von der Hofreut des Fischers klangen. Der See war über die Ufer getreten und reichte bis zum Tor. Sigenot, Eigel, Kaganhart und der alte Senn schlugen neben dem Lugaus die Pfähle, um in doppelter Wand den Hag zu erhöhen; der Regen störte sie nicht bei der Arbeit. Unter dem vorspringenden Hausdach saß Hilmtrud und entblätterte die Buchenruten für das Flechtwerk.

Als Sigenot den Knecht erblickte, sprang er vom Lugaus nieder und riß das Hagtor auf. »Wie seid ihr hinaufgekommen?« fragte er leise.

»Nit gut, nit schlecht. Es war ein schiecher Weg durch Nacht und Schnee. Unter dem Eismann hat der Bidem eine Fragel aufgerissen, klafterbreit. Wir haben sie weit umgehen müssen. Deiner Schwester ist das Steigen hart geworden, aber der Ruedlieb hat sie gestützt in rechter Lieb, und allweil noch, in Not und Müh, hat sie ihm zugelacht.«

Sigenot atmete auf. »Wüßt ich nur auch die Mutter an sicherem Platz, so hätt ich keine Sorg mehr. Aber sie will ihren Herd nit verlassen,« sein Blick suchte das Kreuz, »will kein rechtes Vertrauen haben zu dem guten Helfer.« Er legte die Hand auf die Schulter des Knechtes. »Den heutigen Nachtweg will ich dir vergelten. Laß uns festhalten am guten Recht der Klosterleut! Und kehrt die Ruh wieder ein, so sollst du ein freier Mann sein, und ich selber bau dir das Haus, in dem du sitzen sollst am eigenen Herd.«

Die Augen des Knechtes leuchteten; doch er schüttelte den Kopf. »Ich bleib bei dir. Fortjagen wirst du mich nit.«

Sigenot lächelte. »Wir reden noch drüber. Jetzt geh in deine Kammer und laß dir die Ruh schmecken!«

»Ruh, Herr? Heut nimmer. Blut lauft um und das Wasser hat einen Schrei wider uns getan.« Flüsternd erzählte Wicho, was er im Untersteiner Forst gesehen und gehört hatte.

»Heut oder morgen, Blut will sein Recht haben. Die Red, die der Hanetzer getan, wird umgehen, bis ihr Hall hineinschreit in Wazemanns Fenster.« Ernst blickte Sigenot durch den grauen Regen empor zur Höhe der Falkenwand und faßte den Griff des Messers. »Schließ hinter mir das Tor, Wicho, ich hol die Richtmannsleut in meinen Hag!« Ohne Mantel, nur mit dem Messer bewaffnet, verließ er die Hofreut.

Als Wicho zum Lugaus kam, umdrängten ihn die Männer in Sorge. Er berichtete, was geschehen. Der alte Senn brummte ein paar Worte in seinen Bart, Kaganhart stand mit scheuen Augen, Eigel aber griff zur Arbeit und lachte wie ein junger Bursch, dem der Vater sagt: »Schaff, Bub, und bist du fertig, so geh zum Tanz!« Wicho faßte Sigenots Beil. Dumpf klangen im Rauschen des Regens die wuchtigen Schläge, mit denen die Männer die schweren Pfähle in den Grund trieben.

Nach einer Weile verließ Kaganhart den Lugaus und tat so, als müßte er seinem Weib bei der Arbeit helfen. Hilmtrud sah ihn verwundert an. Er griff nach einem Ast, und während er die Blätter abstreifte, flüsterte er: »Trudli! Da wird uns der Boden heiß. Auf leerem Feld wär bald ein besseres Weilen als unter dem Dach da!«

Sie gab keine Antwort; ihre funkelnden Augen glitten an ihm auf und nieder. Als er Wichos Botschaft wiederholte, sprang sie auf und ballte die Fäuste. »Recht so! Geht's endlich an ein Raiten! Lieber heut als morgen!«

»Aber Weib, Weib!« Er suchte sie niederzudrücken auf die Hausbank. »So nimm doch Verstand an!«

Sie schüttelte ihn von sich ab. »Bist du noch ein Mannsbild? Geh hinein zum Feuer, Büebli, und koch dir ein Mus! Ich such mir derweil einen Prügel für den da droben. Der soll ihm heißer machen, als mir gewesen, wie mein Haus in Glut gefallen ist!«

Seufzend kratzte sich Kaganhart hinter den Ohren und schlich zum Lugaus zurück. Unwillig griff er bei der Arbeit zu, und immer glitten seine furchtsamen Augen hinauf zum Falkenstein. –

Wie ein grauer Schleier hing der Regen um Wazemanns Haus. Im Burghof ließ sich kein Laut vernehmen; das Geflügel saß unter den Vorsprüngen der Stalldächer, die Hunde lagen in ihren Hütten, ein Pfau hatte sich in die Vorhalle geflüchtet und putzte die nassen Federn. Nur die Raubtiere trabten im Stangenkäfig auf und nieder, schüttelten die triefenden Felle und knurrten.

Rimiger, der mit Otloh aus der Falkenkammer trat, spähte nach den umnebelten Berghöhen. »Willst du mit? Ich steig zu Berg. Kann's nimmer mit ansehen, wie der Vater Fliegen fangt, statt daß er Faust macht und dreinschlagt.«

»Wider einen Heiligen, der geschlossene Türen aufblast und durch Mauern geht, ist ein übles Streiten.«

Rimiger lachte. »Ich mein', ich kenn den Heiligen, der die Vögel hat fliegen lassen.«

Erschrocken sah Otloh den Bruder an. »Rimiger?«

»Schweig! Ich will unter unserem Dach keinen Streit wecken, von dem ich nit weiß, welch ein End er nimmt. Ich steig zu Berg. So hab ich den Ärger los und muß den Vater nit sehen, wie er im Teig sitzt. Willst du mit?«

»Kennst du des Vaters Spruch nit: Naß Gejaid hat lützel Freud?«

»Droben muß Schnee liegen. Der treibt die guten Böck aus dem Gewänd. Ich mein', wir werfen ein paar.«

»Meinthalben, so geh ich mit.«

Eine Weile später verließen sie, um gegen den König Eismann aufzusteigen, durch die hintere Mauerpforte den Burghof, die Bogen und Federeisen in ledernen Scheiden verwahrt. Als der Knecht, der die Pforte geöffnet hatte, hinter ihnen die schwere Türe zuwarf, erschienen, wie von diesem Lärm gerufen, Henning und Eilbert in der Vorhalle.

»Ist er heimgekommen?« rief Henning über die Freitreppe hinunter.

Der Knecht schüttelte den Kopf und sagte, daß die Brüder zu Berg gestiegen wären. Henning nagte an seinem Schnurrbart und ballte die Fäuste. »Er hat zu viel gewagt und ist dem Fischer in die Händ gefallen.«

»Dann ist er Fischfutter worden!« lachte Eilbert.

»Da hilft kein Schweigen mehr, jetzt müssen wir es dem Vater sagen.«

Eilbert zuckte die Achseln. »Tu, was du willst! Ich verbrenn mir das Maul nit.« Gähnend trat er ins Haus.

Wie grauer Dunst füllte das Zwielicht des Regentages die Herrenstube. Überall lag Gerät umher, und auf dem Spanbett waren die Polster und Decken zerknüllt. Bei einem der Fenster saß Herr Waze mit aufgestütztem Arm, das blaurote Gesicht auf die Faust gedrückt. Neben dem Sessel stand eine zinnerne Kanne auf dem Boden, Mettropfen hingen an Wazes grauem Bart, und sein Gewand war übel anzusehen.

Henning trat auf ihn zu. »Vater!«

»Ruh will ich haben!« schrie Herr Waze und sprang auf; dabei stieß er die Kanne um, daß der Met über die Dielen rann. Zornig schleuderte er die leere Kanne von sich, durchmaß die Stube und warf sich auf das Spanbett. Eilbert, der hinter dem Ofen saß, lachte vor sich hin, und Henning stand unschlüssig. Nach einer Weile ging er zum Bett, packte den Vater am Arm und rief, als hätte er einen Tauben vor sich: »Hör oder nit! Aber sagen muß ich dir's: der Fischer hat uns einen Knecht geworfen.«

Da fuhr Herr Waze in die Höhe, als wäre Feuer auf seinem Lager. In wilder Freude schrie er: »Bub, das ist gute Botschaft! Jetzt hab ich einen, an dem ich meine Gall auslassen kann. Wart, Fischer! Ich will mir Sühn holen! Da kann sich auch kein Pfaff und kein Heiliger dagegen stellen. Das ist Recht und Gesetz, daß ich Buß verlang für meinen Knecht. Den Blutbann über das Fischerhaus! Red, Bub! Wie war's mit dem Knecht?« Seine Freude erhielt einen Dämpfer, als er hörte, was Henning zu sagen wußte. Aber seine Lebensgeister waren aufgerüttelt; das bekam Henning zu fühlen, über den die Schimpfworte niedergingen wie draußen über das Dach der Regen. »Hätt ich's am Morgen gehört, so hätt ich jetzt schon den Beweis in meiner Hand!« schrie Herr Waze. »Aber ich muß ihn haben, noch eh der Tag vergeht! Rimiger! Wo ist Rimiger? Her mit ihm!« Als er hörte, daß Rimiger mit Otloh zur Jagd gezogen wäre, schlug er in Zorn die Fäuste auf den Tisch. »Der einzige, auf den ich mich verlassen kann! Und lauft davon! Jahr aus und ein liegt mir das ganze Rudel an der Schüssel. Und brauch ich einen, so geht der Gauch seinen eigenen Weg.«

Weder Henning noch Eilbert, noch einer der drei anderen Brüder, die das Geschrei aus der Kammer gerufen hatte, wagte ein Wort zu erwidern. Herr Waze, dem der Atem ausgegangen, warf sich auf einen Stuhl. Mit heiseren Lauten sprach er vor sich hin: »Der Knecht ist weg und abgetan. Sonst wär er heimgekehrt. Wer hat ihn geworfen? Wer sonst als der Fischer? Den will ich haben! Aber ich muß den Rechtweg gehen. Ich spür eine Faust im Genick, die keiner sieht.« Schwer atmend schielte er nach dem Kreuz, das an der Mauer hing. Lange schwieg er. Endlich erhob er sich und riß einen Wildfänger von der Wand. »Henning!«

»Ja, Vater.«

»Nimm zwei Knecht und zieh gegen den Untersteiner Forst! Eilbert und Gerold: gegen die Grünsteiner Halden! Sindel mit Hartwig und einem Knecht: gegen die Schönau! Haltet Umfrag nach dem verlorenen Mann, und findet ihr einen, der wider den Fischer zu reden weiß, so schafft mir den Zeugen her in mein Haus! Beim Fischer halt ich selber Anfrag. Weiter!«

Die Brüder verließen die Stube. Sindel, der als letzter ging, hörte noch die Frage: »Wo ist Recka?«

»Ich weiß nit.«

Herr Waze ging auf Reckas Kammer zu und wollte eintreten; von innen war der Riegel vorgeschoben. »Mach auf!« schrie er und stieß mit dem Fuß an die Türe.

Recka öffnete. Mit einem Gesichte, fast so weiß wie das Gewand, das sie trug, stand sie auf der Schwelle und sah den Vater an.

»Was sperrst du dich ein vor mir?«

»Nit vor dir. Vor jedem. Ich will allein sein, wenn ich Heimgart halt mit meiner Mutter.«

Zornig lachte Herr Waze; sein Lachen erstickte, als er in Reckas Hand den zerbrochenen Beinreif sah, den er erkannte, obwohl er ihn nicht mehr gesehen hatte seit Frau Frideruns letzten Tagen. Er wich zurück, und Blässe rann über sein Gesicht. »Wie kommst du zu dem verwünschten Knochen?«

»Ich hab gekramt in meiner Mutter Geschmeid und hab wieder sinnen müssen, warum meine Mutter geweint hat, so oft ich das Bein in ihrer Hand gesehen.«

»Das ist kein Kram für dich, her damit!« keuchte Herr Waze.

Recka trat zurück. »Du bist mein Vater. Nimm, was ich hab von dir, und wär's das Leben! Doch was ich hab von meiner Mutter, das halt ich.« Sie legte die Hand mit dem Bein an ihre Brust.

Wazes Mund verzerrte sich, und funkelnden Blickes maß er die Tochter; doch er konnte ihre Augen nicht ertragen und wandte sich wortlos ab. Die Türe schloß sich, und er hörte den Riegel klirren, während er der Vorhalle zuschritt. Vor der Schwelle blieb er stehen und murmelte: »Ich sollt nit gehen heut. Ich hab das Fluchbein vor meinem Weg gesehen.« Da hörte er den Hufschlag seines Pferdes, das ein Knecht vor die Freitreppe führte. Er schüttelte sich und wischte mit der Hand über die Stirne. Der Wind peitschte ihm den Regen ins Gesicht, als er über die Stufen niederstieg.

Die Brüder hatten den Burghof schon verlassen. Als sie über den Reitweg hinunterschritten, hörten sie von der Seelände schreiende Stimmen und Rindergebrüll. »Sein Vieh ist von den Alben heimgekehrt,« lachte Henning, »zu guter Zeit für uns! Er soll für den Knecht ein Wehrgeld zahlen, das ihn den letzten Kuhschweif kostet.«

Unweit der Achenbrücke trennten sich die Brüder. Henning folgte mit den beiden Knechten dem Lauf des Wassers. –

Um die gleiche Zeit stand Sigenot in der Stube des Richtmanns, um ihn her das Gesinde, die beiden Mägde bleich, die vier Knechte mit ernsten Gesichtern. Sigenots Ruhe gab ihnen Hoffnung und Zuversicht; willig legten sie die Hände zum Treugelöbnis in seine Rechte. Rasch vollzog sich alle nötige Arbeit. Von den Vorräten, die sich im Hause fanden, wurden zwei Kraxen beladen. Die paar Stücklein Vieh, die in Heimweide standen, um den Bedarf an Milch für das Haus zu decken, wurden im Gehöft des Köppeleckers untergebracht und sollten nach Einbruch der Dunkelheit zum Fischerhaus getrieben werden. Der heimkehrenden Almenherde des Richtmanns war Sigenot auf dem Weg begegnet und hatte sie nach seinem Hag gewiesen. An Haus und Ställen wurden alle Türen vernagelt. Dann nahmen die Mägde die Kraxen auf, die Knechte verteilten unter sich, was sie im Haus an Waffen und Äxten gefunden. So verließen sie die Hofreut. Sigenot schloß von innen das Tor, legte die Sperrbalken ein und schwang sich auf den Hag. Ehe er niedersprang, glitten seine Augen über das stille Gehöft. »Der starke Herr soll dich schützen, du verlassener Herd, und soll dich wahren für deine Leut und meine gute Schwester!«

Unter strömendem Regen wanderten sie über die sumpfigen Äcker. Als sie am Hag des Köppeleckers vorüberkamen, huschte der Bauer aus dem Tor und flüsterte dem Fischer zu: »Such anderen Weg! Die Wazemannsleut gehen um in der Schönau. Ich hab sie beim Hag der Hanetzerbuben gesehen.«

Sigenot nahm den Weg mit seinen Leuten talwärts gegen die Ache. So vermied er die Begegnung mit Sindel und Hartwig, die in der Schönau nach dem Vermißten forschten; doch im Tal der Ache traf er mit Henning zusammen, dessen Knechte die mit einem Mantel bedeckte Leiche auf den Speerhölzern getragen brachten, bis über die Knöchel in dem gelben Wasser watend, das die Ache übers Ufer goß.

Als Sigenot die Kommenden gewahrte, hieß er die Mägde voranschreiten und flüsterte den Knechten zu: »Schweiget, wenn er uns anruft. Muß geredet sein, so red ich allein.«

Da klang schon die Stimme Hennings: »Zeit lassen, Fischer!«

Sigenot schritt weiter.

»Steh, Fischer! Oder hast du Angst in den Füßen?«

Sigenot verhielt den Schritt; auch die Knechte des Richtmanns blieben stehen, während die Mägde ihren Gang beschleunigten. Henning und die beiden Knechte mit ihrer stillen Last kamen näher.

»Was willst du von mir?« fragte Sigenot.

Henning riß den Mantel von der Leiche. »Kennst du den Mann?«

»Wohl, Henning! Es ist dein Knecht, den du auf einen Weg geschickt hast, für den dein eigener Mut nit gereicht hat.«

Henning lachte heiser. »Wie gut du weißt, welchen Weg der Knecht gegangen ist in seiner letzten Nacht! Vielleicht weißt du auch, wer meinen Knecht erschlagen hat.«

Sigenot schwieg.

»Bleibt dir die Red in der Gurgel stecken?«

Einen Schritt trat Sigenot näher. »Die Wahrheit will ich dir hehlen. Und lügen kann ich nit. Denk dir: ich hab's getan, so brauchst du nit weiterfragen.«

»Er hat gestanden,« schrie Henning seinen Knechten zu, »faßt ihn, mein Vater will es!«

Die Knechte ließen die Leiche in die Pfütze gleiten, um ihre Speere frei zu bekommen; als sie sahen, daß Sigenot einem seiner Leute die Axt entriß, blickten sie zögernd auf Henning.

»Es wird sich hart machen mit dem Fassen!« rief Sigenot, dessen Stimme das Rauschen der Ache hell übertönte. »Deine Helfer fürcht ich nit. Und du? Du zählst nit. Du hast nur Mut, wenn du den Pfeil werfen kannst aus dickem Busch oder den Stein lösen auf sicherem Gewänd.«

In Wut riß Henning das Messer vom Gürtel und schwang es zum Wurf; auf dem durchweichten Boden glitten ihm die Füße aus; er taumelte und fiel, kollerte über die Leiche, und ehe die erschrockenen Knechte ihn zu haschen vermochten, hatte er in dem über das Ufer getretenen Wasser den Grund verloren und verschwand mit gurgelndem Schrei in den Wirbeln der Ache. Während die Knechte kreischend und ratlos standen, hatte Sigenot schon die Axt von sich geschleudert, rannte durch das aufspritzende Wasser am Ufer hin, und als er in einem schäumenden Wirbel Hennings Arm auftauchen sah, sprang er in die Wellen. Den Treibenden am Genick fassend, schwang sich der Fischer, der auf dem Grund der Ache jeden Stein und jede Untiefe kannte, auf einen von den Wellen überspülten Block. Und ehe die schreienden Knechte noch zur Stelle waren, hatte Sigenot mit dem Geretteten schon das jenseitige Ufer gewonnen. Halb von Sinnen taumelte Henning zu Boden. Sigenot schüttelte das Wasser von sich und schöpfte Atem. Ein Lächeln huschte um seinen Mund. »Henning? Denkst du noch an das Wort, das du in jener Sturmnacht deiner Schwester zugerufen, weil sie in meinem Geleit den Heimweg gefunden hat? Jetzt nimm das Wort zurück: Schäm dich, Henning, bist Blut von Wazes Blut und mußt dir helfen lassen von einem, wie ich bin!« Er wandte sich ab und schritt unter den Bäumen am Ufer entlang.


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