Ludwig Ganghofer
Die Martinsklause
Ludwig Ganghofer

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2

Nur mit spärlichen Lichtern drang die Morgensonne in den dichten Urwald, durch welchen Eberwein und Eigel auf mühsamen Pfaden niederstiegen. Ein leichter Windhauch, feucht und kühl, wehte zwischen den Bäumen und erfrischte die heißen Stirnen der Wanderer. Kein Wort wurde gesprochen. Eigel mußte seine Aufmerksamkeit daran wenden, um unter den vielfach sich kreuzenden Wildsteigen, zwischen dem wirren Gerank und Unterwuchs den rechten Pfad zu halten. Und Eberwein war in Gedanken versunken. Was er gesehen und erfahren in diesen vergangenen Stunden, brauste ihm durch Herz und Seele wie ein Sturm. Ein schwerer Kampf stand ihm bevor, aber mit siegesfreudigem Mute sah er allem Kommenden entgegen.

Der Wald wurde lichter, und eine grüne Matte schimmerte durch die Bäume. »Da hauset der Gernreuter!« sagte der Kohlmann.

Eberwein erwachte aus seinem Sinnen: »Der Mann jenes unglücklichen Weibes? Führe mich zu ihm!« Sie erreichten den Waldsaum. Eine weite, sonnige Wiese lag vor ihnen und in der Mitte ein großer Hag, dessen dichtes Flechtwerk fast von doppelter Mannshöhe war und von dem verwitterten Moosdach der eingeschlossenen Hütte nur einen schmalen Saum noch gewahren ließ. »Ein Zaun wie eine Schanze!« meinte Eberwein.

»So hoch muß der Hag sein, daß im Winter, wenn der Schnee steigt, die Wölf nit drüber springen.«

Sie näherten sich und hörten das Grunzen eines Schweins und die lachenden Stimmlein zweier Kinder. Als sie die Ecke des Hags umschritten, erblickten sie zwei Knaben von vier und fünf Jahren, die sich nackt und unter lustigem Balgen im Gras umherkugelten; die Sonne hatte ihnen ein dunkles Braun auf die Haut gebrannt; und daß das Wasser auch noch zu anderen Zwecken als nur zum Trinken geschaffen wäre, dessen schienen sich die beiden Knirpse seit geraumer Zeit nicht mehr erinnert zu haben. Als sie die näherkommenden Schritte hörten, hoben sie erschrocken die Struwwelköpfe und starrten mit aufgerissenen Augen den Mönch an, der ihnen lächelnd entgegentrat, die Hand zum Gruß gestreckt. »Gott grüß euch, Kinderlein!« Bevor jedoch Eberwein diesen Gruß noch ausgesprochen hatte, erhob das jüngere der beiden Bübchen ein zeterndes Geschrei und flüchtete gegen den Hag; da hielt auch die bleiche Tapferkeit des älteren nicht länger stand, schreiend lief es hinter dem anderen her, in der blinden Angst überrannten sie sich und stürzten. Einen Augenblick sah man vier nackte Beinchen in der Luft, die Kinder rafften sich wieder auf, heulend und zeternd verschwanden sie im Hag und drückten hinter sich das Tor zu. Nun verstummte ihr Geschrei, und man hörte den hölzernen Riegel knarren.

Eberwein stand verlegen, während Eigel lachte; dann ging der Kohlmann auf das Tor zu und rüttelte an den Bohlen. »Bauer! Heia, Bauer!« rief er mit lauter Stimme, aber es ließ sich aus dem Gehöft keine Antwort hören. »Er wird mit dem Vieh auf der Weid sein. Und die Kinder machen nimmer auf.«

»Was mag sie nur so erschreckt haben?«

»Schau deinen Kittel an! Die Gespenster und ein Pfaff, die haben allbeid lange Kittel, und die Kinder machen keinen Unterschied.«

Eberwein lächelte. »Er wird manchmal auch den Großen schwer.« Einen Blick noch warf er über Tor und Hag. »Zwiefaches werd ich erkämpfen müssen: Furcht bei den Wölfen und Vertrauen bei meinen Lämmern.«

Sie folgten dem ausgetretenen Pfad, der über die Wiese hinunterführte zum Waldsaum. Eigel hatte das Gehölz schon betreten; da blieb Eberwein stehen und griff nach der Ledertasche, die an seinem Gürtel hing; er hatte sie am verwichenen Abend in Bruder Wampos Händen gesehen – da war sie gewiß nicht leer. Er öffnete die Tasche. Zuerst kam ein kleines in Schweinsleder gebundenes Buch zum Vorschein; dann folgte ein weißes Brot, ein Stück gebratenen Wildbrets und eine Handvoll roter Kirschen. Eberwein eilte zum Hag zurück, warf sich auf die Knie, und durch den schmalen Spalt zwischen Tor und Erde schob er Brot und Fleisch und Kirschen in das Gehöft. Der scheue Klang einer wispernden Kinderstimme ließ sich vernehmen: »Schau, Wasli, da schau hin!«

Lächelnd erhob sich Eberwein. »Für Kindersinn muß auch Gottes Liebe eine verständliche Sprache wählen.« Eilenden Schrittes suchte er den Kohlmann einzuholen.

Der Wald, der die Wanderer aufnahm, wurde freundlich. Viehsteige liefen kreuz und quer, unter den Buchen gab es saftige Weide, und manchmal verrieten splitterige Baumstümpfe, daß hier schon die Axt gewaltet hatte. Aus der Tiefe des Waldes quoll ein dumpfes Rauschen herauf. Immer näher klang es, und als der Pfad, dem die beiden folgten, zur Höhe einer steil abwärts ziehenden Bergrippe führte, senkte sich vor Eberwein eine tiefe Schlucht, darin ein schäumendes Wasser floß. »Das ist der Albenbach!« sagte Eigel.

Der Pfad verließ den Rand der Schlucht nicht mehr; bald lenkte er vorüber an engem Geklüft, in dessen Tiefe ein Dunkel herrschte, daß man nur matt noch das weiße Wasser schimmern sah; bald wieder führte er um breite Kessel, in denen das Wasser über hohe Felsstufen niederbrauste oder große stille Tümpel bildete, darin sich ein Stücklein blauen Himmels und die sonnbeglänzten Buchenwipfel spiegelten. Bei einer Wendung des Pfades blieb der Kohlmann stehen. »Heut wimmelt der ganze Berg von Leut,« sagte er und deutete hinunter in die Schlucht, »da ist schon wieder einer! Und ich mein', es ist der Fischer.«

»Jener Sigenot?« fragte Eberwein und trat mit raschem Schritt an Eigels Seite. In der Tiefe der Schlucht, jenseits des Baches, der hier in breiterem Bett um die Felsklötze rauschte, stand mit der Angelrute ein junger Mann von hohem, kraftvollem Wuchs. In dichten Strähnen quoll das braune Haar unter der pelzverbrämten, mit einer langen Schwanenfeder gezierten Lederkappe hervor und schwankte um die Wangen; das dem Wasser zugeneigte Gesicht war nicht zu erkennen, denn bläulicher Schatten lag darüber, man sah nur, daß ein junger Bart, etwas lichter als das dunkle Haupthaar, die Lippen und das Kinn umsproßte. Ein ledernes Wams umschloß die breite Brust, und ein plumper Gurt, an dem ein kurzes Messer in hölzerner Scheide hing, umspannte die Hüfte. Die aus rauhhaarigem Loden geschnittene Hose ließ die Knie nackt, und zottige Fellstücke waren mit Riemen um die Waden geschnürt. Dem jungen Manne zu Füßen lag das hölzerne Fischlägel. Der aufdampfende Wasserstaub, farbig schimmernd in der Sonne, verhüllte zuweilen die ganze Gestalt des Fischers.

»Höi, Sigenot!« rief der Kohlmann; aber das Rauschen des Wassers verschlang den Ruf.

»Er kann dich nicht hören, steig zu ihm hinunter,« sagte Eberwein, »und führ ihn her zu mir, ich will ihn kennenlernen!«

Eigel griff nach den Ästen, um sich hinausgleiten zu lassen über den Hang der Schlucht. Da hob der Fischer die Augen, aber nicht zu den beiden, sondern empor zur Höhe des Baches. Er schien dort oben etwas gewahrt zu haben, was ihn jäh um alle Ruhe brachte. Die Angel aufschnellend, sprang er mit flinkem Satz auf einen hohen Felsblock und deckte spähend die Hand über die Augen. Und dann, zurückspringend an das Ufer, haschte er den Riemen des Lägels, schwang das von Wasser triefende Fäßlein auf den Rücken und eilte über den steilen Hang der Schlucht hinauf, als wär' es ebener Grund und müheloser Weg. Hinter schlagendem Gezweig, durch das er sich hindurchgeworfen hatte, verschwand er.

»Was sagst du, Herr? Weg ist er! Und den holen meine alten Füß nimmer ein!« brummte der Kohlmann. Da sah er, daß auch Eberwein emporblickte zur Höhe. »Was mag denn nur da droben sein?« fragte er und drückte die Zweige zur Seite, die ihm den Aufblick verwehrten. Hoch droben, am Rande einer Felsplatte, die sich über das tief abfallende Geklüft hinausstreckte, sah er ein Pferd erscheinen: den Rappen, der die rote Recka trug. Das Pferd scheute vor dem Absturz, aber ein Rutenhieb zwang es zum Sprung. Mit eingezogenen Hufen flog es über die Schlucht hinweg, auf ihm das Mädchen mit erhobenem Arm, das Haupt vom offenen Haar umflattert wie von einem roten Schleier. Noch im Sprung verschwanden Pferd und Reiterin hinter dichtem Gebüsch. Steine kamen in die Schlucht herabgerollt, und ihr Aufschlag übertönte das Rauschen des Wassers. Eigel stieg auf den Pfad zurück. »Jetzt, Herr, sag selber: hat die da droben Flügel oder nit?«

»Flügel nicht, aber einen frevlen Sinn, welcher Gott versucht.«

»Sie muß da kommen, sie hat keinen andern Weg.«

»So laß uns warten!«

Schweigend standen sie. Nach einer Weile hörten sie seitwärts aus dem Wald eine helle, singende Stimme, die sich entfernte. »Herr, wir haben umsonst gewartet,« lachte der Kohlmann, »sie ist gradaus geritten durchs Holz. Ist das eine! Wo unsereins kaum durchschlieft, findet die noch Bahn für ein ganzes Roß!«

Eberwein wandte sich schweigend ab, und so folgten sie wieder ihrem Wege. Eine halbe Stunde waren sie talwärts gestiegen, da wurde zwischen sonnig durchleuchteten Bäumen der Pfad so eben, daß er ein gemächliches Wandern gestattete. Eberwein zog das kleine Buch aus der Tasche; die pergamentenen Blätter waren mit zierlicher Schrift und winzigen Malereien bedeckt. Dieses Buch war sein Trost in ernsten und schweren Stunden. Es hatte ihm schon oft den Sturm der Seele beschworen. Ob ihm sein Freund Horazius wohl auch jetzt die Erregung lösen würde, die sein Wesen erfüllte? Aufs Geratewohl schlug er das Büchlein auf und begann zu lesen:

»Justum et tenacem propositi virum
Non civium ardor prava jubentium,
  Non vultus instantis tyranni
  Mente quatit solida . . .«

Still waren die beiden eine Weile dahingeschritten, als von einer Lichtung her, die aus dem nahen Waldtal heraufschimmerte, laute Stimmen klangen. »Herr, deine Leut sind da!« rief Eigel über die Schulter.

Sie beschleunigten ihren Gang und traten bald unter den Bäumen hervor. Am Ufer der Ache, die breit und ruhig in ihrem felsigen Bett das Tal durchfloß, lag eine kleine blumige Matte. Vier Saumtiere zogen weidend über das Gras, die Rücken schweißfleckig von der schweren Last, die man ihnen abgenommen hatte; im Schatten eines Gebüsches lagen die Ballen und Päcke übereinandergehäuft. Am Waldsaum brannten zwei lustige Feuer. Über dem einen hing an gekreuzten Stangen ein kupferner Kessel. Ein junger Mönch trug dürres Holz herbei. Es war eine stämmige ungeschlachte Gestalt, Arme wie Balken, Fäuste wie Hämmer; das geschorene Haupthaar schimmerte wie Flachs, und der silberblonde Bart hing dick und zottig nieder, als hätte man dem Bruder Schweiker einen ganzen Spinnrocken vors Gesicht gebunden; dazu ein sonnverbranntes, gutmütiges Jünglingsgesicht und unter den weißen Brauen zwei wasserblaue Augen, die so harmlos blickten wie die Augen eines Kindes.

Über dem andern Feuer schmorte an hölzernem Spieß ein mächtiges Rippenstück, und Bruder Wampo, der neben dem Feuer kauerte, Gesicht und Hände dunkelrot von der Hitze, drehte achtsam den Spieß und goß mit hölzernem Löffel reichlich Fett über den rauchenden Braten. In seiner kauernden Stellung verdeckte die weiße Kutte seine Füße, die aufgezogenen Knie verschwanden unter dem Bäuchlein, und so war er in seines Leibes rundlicher Fülle schier anzusehen wie eine große Kugel, der man ein kleines beinernes Köpfl aufgesetzt hatte. Denn von den Brauen an, über den ganzen Kopf hinweg, bis in den faltigen Nacken hinunter war keine Spur eines Härleins zu entdecken; und bartlos war auch das rote Gesicht mit dem breiten, immer lächelnden Mund, mit den rührsamen Hängebacken und den kleinen, tief versunkenen Äuglein, die so flink und glänzend blickten wie zwei Vogelaugen. Und wie hurtig die Hände gingen! Jeder Griff und jede Bewegung war wie ein Haschen nach einer Mücke.

Um ihn her standen vier Knechte, die Führer der Saumtiere; und im Schatten des Waldes lagen zwei gewappnete Kriegsleute, deren langmähnige Pferde an einen Baum gekoppelt waren. Ein Knecht, der den Kohlmann mit Eberwein aus dem Walde treten sah, puffte den Bruder Wampo mit dem Knie in den Rücken. »Guck, du, dein Herr kommt!«

Der Bruder blickte auf. Er machte eine zuckende Bewegung, als wollte er vom Feuer wegspringen. Aber seine Hand war wie festgewachsen an der Kurbel des Bratspießes. Einen flinken, musternden Blick warf er über die Knechte; dann rief er zum anderen Feuer hinüber: »Komm her, Bruder, und dreh den Spieß! Die da können nichts als fressen. Schau nur, wie sie am Dampf schnuppern! Der Hunger schaut ihnen schon zu den Augen heraus, und das Wasser rinnt ihnen schon im Maul zusammen.«

Die Knechte lachten, und Schweiker kam herbeigestapft, schwer und langsam, wie ein Baum, dem Füße gewachsen sind. »Da bin ich, was soll's?«

»Komm her und hock dich nieder! Mit der Linken dreh den Spieß!« Wampo drehte, bis Schweiker die Hand an die Kurbel gelegt hatte. »So, recht so! Und da hast du den Löffel, und da steht das Häfelein mit dem Schmalz. Gieß nur allweil schön langsam auf! Und beim Drehen und Aufgießen mußt du achthaben, daß nit zu viel Fett ins Feuer tropft, sonst schlagt die Flamm in die Höh und sengt mir den Braten an. Hast du verstanden?«

»Wohl!«

Wampo wischte die fetten Finger über die Hüften, fuhr mit dem Kuttenärmel vom Nacken herauf über die schweißbetropfte Glatze und sprang über die Matte hinweg auf Eberwein zu, flink und hopsend wie ein Ball, der im Spiel getrieben wird. Bruder Wampo hatte Schwung in den kurzen Beinen, trotz seines Bäuchleins.

»Salve domine!« rief er mit strahlendem Gesicht.

»Gott zum Gruß, Bruder!« erwiderte Eberwein lächelnd. »Ich sehe, du bist schon fleißig bei der Arbeit.«

»Freilich, es schreien doch alle Mägen schon, am lautesten der meinige. Aber sagt, Herr, seid Ihr droben gewesen? Wie schaut es aus, unser Landl? Wirklich so, wie uns Pater Meginhart aus der Salzburg geschrieben: › vasta solitudo, quae saltus ferarum et cubile draconum est»Eine wüste Einöd, die der Tummelplatz reißender Tiere und die Wohnstätte der Drachen ist« – eine Stelle aus dem libellus vetustissimus, der ältesten Urkunde des Klosters Berchtesgaden, in der die Gefahren geschildert werden, mit denen die Erbauer der Martinszelle zu kämpfen hatten.‹?«

»Von einer vasta solitudo hab ich nichts entdeckt. Unser Land ist blühend in Schönheit und gesegnet von Gottes Hand. Aber,« fügte Eberwein scherzend bei, »mit den Drachen mag es wohl seine Richtigkeit haben. Einem bin ich begegnet!«

Wampos Äuglein wurden starr, und mit hurtiger Hand schlug er ein Kreuz über das erschrockene Gesicht. » Misericordia Domini! Er hat Euch doch nit angeblasen mit seinem Gifthauch? Aber nein, sonst stündet Ihr nimmer da vor mir, gesund und lebendigen Leibes!« Er schlug die Hände über dem Kopf zusammen. » Mirum spectaculumque! Saget, saget, wie hat er denn ausgeschaut? Halb wie der Teufel und halb wie Fisch und Vogel? Gelt?«

»Nein, Bruder, ein klein wenig anders. Unten wie ein Pferd und oben wie ein Weib! Zwei Köpfe hat er gehabt, sechs Füße und zwei Arme, vier Hufe und zehn Finger, eine schwarze Mähne und rotes Lockenhaar, zwei dampfende Nüstern im einen, Gesicht und eine Nas im andern –« Eberwein mußte lachen.

Da schien auch in Bruder Wampos Oberstübchen das Verständnis aufzudämmern. »Ach, Ihr!« brummte er schmollend. »Aber jetzt kommt, Herr, ich hab schon ein Plätzl für Euch ausgesucht, im schönsten Moos und im besten Schatten.«

Eigel ließ sich nieder, wo er stand. Eberwein folgte dem Bruder und blickte suchend umher. »Wo ist Waldram?«

»Ins Holz ist er hineingegangen, wo's still und finster ist. Beim Feuer war's ihm zu lustig.«

»Und Herr Friedrich von Haunsperg?«

»Er ist auf dem Wege zurückgeritten bis zum anderen Bach, an dem wir vorbeigezogen. Wie wir dahergekommen sind und Ihr seid nit dagewesen, hat er gemeint, der Kohlmann hätt die Abred falsch verstanden, und Ihr wärt auf dem gleichen Weg herunter, auf dem Ihr hinaufgestiegen seid.«

»Man muß ihm Botschaft schicken.«

»Wohl, das besorg ich schon. Setzt Euch nur!«

Bruder Wampo hatte den stillen Ruheplatz für Eberwein prächtig gewählt: zu Füßen einer Fichte, in schwellendem Moos und dicht am Ufer der Ache, deren kristallene Wellen mit sachtem Gemurmel um die grauen Steine spielten. »Hier ist gut sein!« lächelte Eberwein und streckte die Glieder.

Bruder Wampo hopste geschäftig hinweg, und gleich darauf schwang sich einer der beiden Kriegsknechte aufs Pferd und trabte durch den von zitternden Lichtern erfüllten Wald davon. Als der Bruder zum Feuer zurückkehrte, saß Schweiker breit auf der Erde und quirlte langsam den Bratspieß zwischen den Händen, während einer der Knechte das Aufgießen besorgte.

»Was ist denn? Was machst du da?«

Mit rotem Gesicht und verlegen blickte Schweiker zu Wampo auf. »Ich weiß nit, ich muß wohl ein lützel grob zugegriffen haben. Da ist mir die Kurbel in der Hand geblieben.«

»Natürlich! Wo so ein Pratzl hingreift, geht alles in Scherben.«

»Ich hätt's ja wieder gemacht,« stotterte Schweiker, »aber ich hab mich nit getraut, daß ich den Spieß rasten laß.«

»Du Unglücksmensch! Hast du mir am End den Braten verbrennen lassen?« Erschrocken beugte sich Wampo über das kreisende Rippenstück; doch er atmete erleichtert auf. »Gott sei Dank! Aber lang hätt's nimmer gedauert, so wär das Unglück fertig gewesen. Gib her!« Geschäftig schob er mit dem Ellbogen den Bruder beiseite und übernahm wieder die Sorge für den Braten. Schweiker erhob sich, ließ den Kopf hängen und ging davon.

Eberwein saß in seinen Horaz vertieft; manchmal ließ er das Buch sinken und blickte mit sinnenden Augen nieder in das Spiel der Wellen. Da klang vom höheren Bergwald her eine singende Mädchenstimme, hell und jauchzend. Eberwein hob lauschend den Kopf, sah gegen den Wald hinauf und dann hinüber zu Eigel. Der Kohlmann nickte und deutete über die Schulter, als wollte er sagen: Da kommt sie! Immer näher klang die Stimme, und die Worte des Liedes wurden verständlich.

»Ich hab ein trauten Liebgesell,
Heija!
Der ist als wie der Wind so schnell,
Heija!
Und wenn ich reit auf grüner Au,
In Wald und tiefen Klüften,
Zieht hoch er über mir im Blau
Und grüßt mich aus den Lüften.
Heia ho! Mein Edilo,
Mein weißgefleckter Falke!

Es lag sein Horst, weiß nit wie weit,
Heija!
Doch kennt er nit das Heimeleid,
Heija!
Und fliegt er noch so hoch und frei,
Mein Wink beruft ihn schnelle;
So minnet er mich fest und treu,
Recht wie ein Trautgeselle.
Heia ho! Mein Edilo,
Mein weißgefleckter Falke!«

Ein heller Jauchzer endete das Lied. Das Knacken brechender Äste ließ sich im Walde vernehmen, gedämpfter Hufschlag näherte sich, und zwischen den Bäumen erschien der Rappe, der Wazemanns Tochter trug. Von der Trense des Pferdes troff der Schaum, und in weißen Flocken hing der Schweiß an Hals und Flanken; eine braune Bärendecke mit niederbaumelnden Tatzen verhüllte den Sattel, auf dem die Reiterin ruhte; auf der einen Seite hing die Beute des Morgens, der Bartgeier, mit verwirrtem Gefieder und schwankenden Flügeln vom Sattelknopf herab, auf der anderen Seite stak in einem ledernen Köcher der kurze dickbesehnte Stahlbogen mit den gefiederten Pfeilen. In Falten floß das graue Wollkleid, das schmucklos die stolze schöne Gestalt umschmiegte, bis auf den Schuh hinab, an dem der silberne Stachel blitzte. Ein kleines grünes Käpplein mit einem Büschel weißer Reiherfedern bedeckte den Scheitel und verschwand fast unter dem üppigen Gelock des rotschimmernden Haars. Blätter und kleine Reiser hingen im Haar verstrickt, und das unhöfliche Gezweig des Waldes hatte dünne rote Linien auf die halbentblößten Arme gezeichnet. Auch über die eine Wange ging ein roter Strich, wie mit einer Nadel gerissen; doch er störte nicht die Schönheit des Gesichtes, sonder erhöhte nur den kühnen Ausdruck dieser Züge und stimmte gut zu diesem trotzigen Mund und den dunkel blitzenden Augen.

Eberwein erhob sich und blickte halb verwirrt und halb in unmutiger Strenge auf das schöne Weib. Recka hatte, von dem Anblick der Mönche überrascht, die Zügel des Pferdes angezogen; ihre Augen glitten über die Gruppe der Männer, über die flackernden Feuer und über die Saumtiere, die auf der Matte weideten. Dann lachte sie. »Bei meiner Mutter Friderun! Sind die weißen Wildschwän auf dem Flug?« Ihr Blick haftete auf Eberwein. »Oder bist du von den Weißkutten eine, die meinem Vater sein Land nehmen wollen? Mir meinen Wald, meine Jagd und meine Freude?«

Dunkle Röte färbte Eberweins Stirne. »Jagen magst du, wo und wann es dir beliebt. Der Wald ist frei und hat Wege für jedermann. Deinem Vater aber kann nicht genommen werden, was nicht sein eigen ist.«

»Nit sein eigen?« lachte Recka. »Mein Vater und meine Brüder werden die Ohren spitzen, wenn sie solche Weisheit hören.«

»Nie war dein Vater diesem Landes Herr. Wer hat ihn belehnt mit diesen Bergen? Wo steht das Recht geschrieben, das er sich anmaßt?«

»In seiner Faust. Laß dich warnen, Mönch! Das ist eine Schrift, die noch keiner gern gelesen hat.«

Eberwein richtete sich auf. »Ich werde sie öffnen, diese Faust, und werde finden, daß alles in ihr geschrieben steht, nur nicht ein Wort des Rechtes. Dein Vater war nur ein Diener seiner gräflichen Herrin, die das Wohl dieses Landes in die Hand der Kirche legte, in meine Hand. Ich komme nicht, um deinen Vater zu verjagen; er mag, als mein erster Diener, auch fernerhin bleiben, was er gewesen, der Spisar dieser Landmark. Doch wird er sich der Ordnung fügen, die ich aufrichte. Gerechte Buße wird er leisten für jedes Unrecht, das er begangen, und dem Greuel und Laster ein End machen, das seine Söhne hinaustragen aus ihres Vaters Haus.«

Recka erblaßte.

»Dein Vater soll erkennen, daß der Ärmste in der Hütte mir wert ist als Gottes Geschöpf und meines Landes Kind, das meinen Schutz genießt und meine Liebe. Sicherer Friede und freundliches Glück sollen gedeihen unter meinem Stab, und frohe Zeit soll Einkehr halten unter jedem Dach. Will dein Vater mir helfen bei diesem Werk, dann soll mir sein Dienst willkommen sein. Leistet er mir Widerstand, reißt er wider Recht nur einen Strohhalm von eines Bauern Dach, so lösche ich seinen Namen, und sein Wort und Wille soll in meinem Land wie Rauch sein, den der Wind verweht. Bringe deinem Vater diese Botschaft! Das läßt ihm Eberwein Frymann sagen, der erste Propst zu Berchtesgaden.«

Eberwein schwieg; die Knechte hinter ihm sahen sich mit erstaunten Gesichtern an; Schweiker machte zwei Fäuste und hing mit leuchtenden Augen an dem Pater; sogar Bruder Wampo hatte seines Amtes am Feuer so weit vergessen, daß der Braten eine verdächtig braune Kruste bekam. Eberwein fühlte seine Hand ergriffen – der Kohlmann kniete neben ihm. »Eigel,« sagte der Mönch, »steh auf, wir Menschen sollen nur knien vor Gott!«

»Nein, Herr, auch vor der Lieb!« Eigel erhob sich. »Und laufen will ich, was mich meine Füß tragen, und ausschreien will ich's von Haus zu Haus!« Er packte seinen Stab und eilte durch den Wald davon.

Reckas Rappe trippelte mit unruhigen Hufen und warf, knirschend in die Trense beißend, den Kopf auf – er hatte den Stachel gefühlt. Mit dem Körper jeder zuckenden Bewegung des Pferdes folgend, saß Recka im Sattel; sie nagte an den Lippen, zornig blitzten ihre Augen, und in ihrer Hand zitterte die Gerte, die sie im Wald gebrochen hatte. Dann lachte sie, und während sie alle Kraft gebrauchte, um die Unruhe des Pferdes zu bändigen, rief sie Eberwein spottend zu: »Das war wohl die erste Predigt, die Ihr in Eurem neugebackenen Sprengel gehalten, Herr Propst? Aber sagt mir doch: soviel ich weiß, gehört zu einem Propst ein Kloster, wie zum Reiter ein Roß. Wo steht Euer Kloster? Ich seh es nirgends. Habt Ihr's vielleicht in der Kutte stecken wie die Katze im Sack? Heraus damit! Ihr seht doch, wie mich die Neugier plagt!«

»Spotte nur!« erwiderte Eberwein. »Du und die Deinen, ihr werdet mein heiliges Haus noch sehen, sicher gebaut auf einen Fels. Noch steht es in Gottes Hand. Doch über Jahr und Tag soll die Glocke rufen von meines Klosters Dach, und ihre Stimme soll freudig klingen allen Guten!«

»Ein Jahr?« unterbrach ihn Recka lachend. »Und bis dahin werdet Ihr beten? Und geduldig warten, bis Gott so gefällig ist und trägt Euch das Kloster aus den Wolken herunter und stellt es hin auf den Fleck, auf dem es Euch passen möchte, mitten in meines Vaters Land?«

Da klang hinter ihr eine zornige Stimme von schneidender Schärfe: »Weh über dich, denn du hast Gott gelästert!«

Reckas Lachen verstummte, betroffen wandte sie das Gesicht, am Zügel reißend, daß der Rappe sich bäumte.

Pater Waldram war unter den Bäumen hervorgetreten; eine hagere Mönchsgestalt, das Antlitz finster, die Wangen fahl; in tiefen bläulichen Höhlen lagen die brennenden Augen. Er faßte das Kreuz, das an einer Schnur von Holzperlen an seinem Gürtel hing, hob es mit gestrecktem Arm empor und kam auf Recka zugeschritten: »Sieh dieses Zeichen an! Es ist das Zeichen des Gottes, der dein frevelndes Wort gehört und auf dich sein Gericht herniederschicken wird mit flammenden Blitzen und stürzenden Bergen.«

Recka erhob die Gerte, doch mit beiden Händen mußte sie die Zügel fassen, um nicht die Herrschaft über das ungebärdige Pferd zu verlieren. Zornig rief sie: »Schafft mir diesen Narren weg, mein Pferd verträgt seinen Anblick nit!«

»Schmähe nur,« rief Waldram, »du sollst noch erkennen, welche Weisheit in diesem Zeichen wohnt! Sieh es an und zittere! Seiner wirst du gedenken an dem Tag, an dem die höllische Schönheit abfällt von deinem Leib wie faulende Rinde vom Baum. In Ekel wird sich verwandeln jeder Reiz, mit dem du mein Auge quälst! Nach dir greifen wird die rächende Hand und wird dich niederziehen –«

Mit zuckenden Fingern griff Waldram nach Reckas Gewand; doch Eberwein umklammerte den Arm des Eiferers. »Mäßige dich, Waldram! Du weißt nicht, was du redest –« Er konnte nicht weiter sprechen und mußte den anderen mit sich fortreißen, damit er nicht von den schlagenden Hufen des scheuen Pferdes getroffen würde. Unter schmetterndem Gewieher stieg der Gaul in die Luft, drehte sich im Kreis und flog mit tollen Sätzen hinaus in die Wiese. Die Saumtiere flüchteten ins Gebüsch, schreiend rannten die Knechte auseinander, und Bruder Wampo warf im ersten Schreck den Spieß mitsamt dem Braten über die Schulter und sprang in den Wald hinein.

Bleich, die Lippen eingekniffen, die Augen blitzend unter den gefurchten Brauen, saß Recka im schwankenden Sattel, mit dem Aufgebot aller Kräfte gegen die Wildheit des Pferdes kämpfend. Der Rappe schien Zügel und Stange nicht mehr zu fühlen und raste mit bäumenden Sprüngen auf der Wiese hin und her; jetzt kam er dem Ufer zu nah, unter seinen Hufen wich der Grund; um nicht zu stürzen, sprang er in den Bach, daß Roß und Reiterin fast verhüllt wurden vom aufspritzenden Wasser – dann wieder flog er mit jähem Sprung ans Ufer. Recka wankte im Sattel, ein leiser Schrei zitterte von ihren Lippen, und während sie schon zu sinken drohte, stürmte das Pferd dem Wald entgegen. Aber da stand es plötzlich, wie von einem Zauber gebannt.

Sigenot, der Fischer, den niemand kommen sah, hatte mit eisernem Griff die Zügel gefaßt. »Da bin ich zu rechter Zeit gekommen!« rief er lachend zu Recka hinauf. »Sonst hätt es dir gehen können wie König Davids Sohn, von dem mir der alte Hiltischalk erzählt hat, daß er mit dem Goldhaar hängen blieb an den Ästen.«

»Gib die Zügel frei!« stieß Recka im Zorn hervor. »Ich dank dir nit für diesen Griff!«

Ein Schatten ging über das sonnverbrannte, männlich schöne Gesicht des Fischers. Doch ruhig blickten die klaren, lichtbraunen Augen zu dem Mädchen auf. »Ich hab nit gefragt um Dank. Ich hab ein scheues Roß gesehen und hab's zur Ruh gebracht.« Er ließ den Zügel fahren und trat zurück.

Recka drückte den Stachel in die Flanke des Pferdes. Keuchend machte das Tier einen Sprung und schoß davon, dem schmalen Wege folgend, der zwischen den Bäumen verschwand. Vor dem Gezweig sich duckend, haschte Recka das flatternde Haar und wand es um den Hals.

Verstummt, doch immer noch mit erhobenem Kreuz, stand Waldram und starrte der Entschwindenden nach. Eberwein wandte sich zu ihm, eine Wolke des Unmuts auf der Stirn. »Ich wollte, dein Übereifer hätte uns diesen Auftritt ersparte

Waldram ließ den Arm sinken, und ein trockenes Lächeln glitt über die welken Lippen. »Sieh zu, ob du Besseres wirkst mit deiner Lauheit! Wir beide verstehen uns nicht. In dir ist der Menschen Zweifel und Schwäche, in mir ist Gottes Zorn.«

»Darüber wollen wir nicht rechten,« erwiderte Eberwein ernst, »doch merke dir, Waldram: ich will hier bauen, nicht zerstören!«

Wortlos kehrte Waldram sich ab und trat in den Schatten der Bäume.


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