Ludwig Ganghofer
Die Martinsklause
Ludwig Ganghofer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

15

An Wazemanns Ringmauer öffnete sich das Tor, und die Fallbrücke rasselte nieder. Recka trat mit Edelrot hinaus in die sinkende Nacht. Sie hatten die Brücke noch nicht verlassen, da kam ihnen Wicho entgegengestürzt und streckte die Arme.

»Wicho, du?« fragte Edelrot. »Wer hat dich geschickt?«

Recka schob den Stammelnden mit dem Arm beiseite. »War dir Wazes Tochter nit Schutz genug für deine Herrin?«

Schweigend trat Wicho zurück und folgte den beiden Mädchen, die Arm in Arm auf dem dunklen Reitweg talwärts wanderten. Als sie die rauschende Ache erreichten, drückte Recka einen Kuß auf Rötlis Mund.

»Nimm den Wicho mit auf den Heimweg,« sagte Edelrot, »es ist dunkle Nacht geworden.«

»Ich find meinen Weg. Geh heim, meine liebe Gesellin! Und eines merk dir: betritt nie wieder meines Vaters Haus, es wäre denn, daß ich selbst dich hole!« Zwischen den schwarzen Bäumen verschwindend, schritt Recka dem steilen Felspfad der Falkenwand entgegen.

Edelrot sah ihr nach. »Wicho? Weshalb warnet sie mich?«

»Sie wird wohl wissen, warum!« murrte der Knecht. »Komm, laß uns heimgehen!«

Sie überschritten die Brücke und gingen den Hag entlang; als sie die Hofreut betraten, sperrte Wicho das Tor. Rötli eilte über den Hügel hinauf; auf halbem Wege hielt sie inne; sie hörte aus der Halle, deren offene Tür im roten Schein des Herdfeuers leuchtete, jene Worte Sigenots: »Derweil ich gebetet hab, wo war da seine Treu?« Dann hörte sie ihn schreien: »Tu dich nit sorgen, Mutter! In meinem Eisen ist Gottestreu.« Und schwarz erschien seine Gestalt in der roten Tür.

»Sigenot?« stammelte sie.

Beim Klang ihrer Stimme stand er unbeweglich; dann stürzte er auf die Schwester zu, faßte ihre Hände und zog sie in den hellen Schein der Türe. »Deine Augen haben reines Licht!« Er atmete auf, als fiele ein Stein von seiner Brust. »Rötli! Rötli!« Und sein Arm umklammerte sie.

Mit großen Augen sah sie zu ihm auf, in der Ahnung einer Gefahr, scheu erschreckend wie ein Kind, das über einen Abgrund niederblickt in tiefes, finsteres Wasser.

Sigenot gab die Schwester frei. »Geh zur Mutter, Rötli, sie sorgt sich um dich!«

Schweigend betrat Edelrot die Halle, und Sigenot hörte den schluchzenden Freudenlaut, mit welchem Mutter Mahtilt ihr Kind empfing.

Wicho war über den Hügel emporgestiegen. »Weißt du, wo sie gewesen ist? In Wazemanns Haus. Und bei aller Treu, die ich dir in die Hand geschworen, hätt ich deiner Schwester nimmer geholfen, wenn nit –«

»Wenn nit einer geholfen hätt, dessen Arm noch stärker ist als tausend Männer in Wehr und Eisen.«

»Einer?« Wicho schüttelte den Kopf. »Nein, Herr, es war eine Weiberhand, die so stark gewesen. Besser als ich hat Wazemanns Tochter deine Schwester gehütet und hat sie heimgeleitet durch die Nacht, bis herunter zum Achensteg.«

Mit jähem Griff hatte Sigenot den Arm des Knechtes gefaßt. Nun wandte er sich schweigend ab und ließ sich niedersinken auf die Hausbank. In der Halle klang Rötlis Stimme. Sie erzählte der Mutter von jener Botschaft, die ihr Henning gebracht, und von allem, was sie erlebt in Wazemanns Haus. Sigenot lauschte mit verhaltenem Atem. Sein Blick war hinausgerichtet in die Nacht und hing an der finsteren Höhe der Falkenwand. Da blitzte droben im schwarzen Mauerstreif ein Lichtschein auf. Über dem Felsensteig hatte sich die Pforte geöffnet, und ein Knecht hielt die lodernde Kienfackel über das Gewänd hinaus, um Reckas Weg zu erhellen.

Sigenot erhob sich und trat ins Haus. Der Tisch war gedeckt; doch niemand aß.

Eine Stunde später, als Mutter Mahtilt und Edelrot zur Ruhe gegangen waren, blieb Sigenot einsam hinter dem Steintisch. Wicho kam und fragte: »Herr, schaffst du noch was?«

Sigenot erhob sich. »Lösch das Feuer auf dem Herd!« Während Wicho die Flammen erstickte und die letzten Funken mit Asche überschüttete, nahm Sigenot die Eisenhaube und den Schild seines Vaters von der Wand und verließ die Halle. Nach einer Weile folgte der Knecht und sah seinen Herrn im Dunkel auf der Hausbank sitzen, den blanken mattschimmernden Stahl über den Schoß gelegt.

»Wicho! Ich muß dich um deine Nachtruh bringen.«

»Ich hab die letzte Nacht geschlafen bis in den sonnscheinigen Tag.«

»Sind Fisch im Kalter?«

Verwundert hörte Wicho diese Frage. »Wohl, Ferchen und Hecht.«

»So nimm das größte Lägel und tu hinein, was Platz hat.«

»Herr,« fuhr es dem Knecht heraus, »du wirst mich doch in der heutigen Nacht nicht ausschicken wollen zum Fischtragen? Was du fürchtest, merk ich an deiner Wehr. Ich mein', da wär mein Platz an deiner Seit.«

»Hier bin ich allein genug. Hilft mir nit derselbig, der meiner Schwester den Falk zu Hilf geschickt hat wider die Aasraben, so möchten mir deine zwei Arm wohl wenig helfen. Geh und tu den Weg, den ich dir ansag!«

Schweigend ging Wicho davon. Sigenot hörte vom Brunnen her das Lägel poltern und das Wasser plätschern. Nach einer Weile kam der Knecht zurück, das triefende Fäßl auf dem Rücken.

»Wohin?«

»Geh hinaus zum Lokwald!«

»Wo die Klosterleut sitzen?« fragte Wicho rasch.

»Dort fließt zwischen Lokstein und Kälberstein ein Bächel über den Hang herunter und füllt einen Weiher. Dort leer das Lägel aus und geh wieder still davon! Zeit lassen!«

»Zeit lassen auch!« erwiderte der Knecht und schritt hinunter zum Hagtor. Als er den Sperrbalken zurückgeschoben hatte, rief er zum Haus hinauf. »Komm, Herr, und leg hinter mir den Balken ein!«

Sigenot rührte sich nicht. »Geh nur! Wenn's not tut, schieb ich mein Eisen vor. Das hat besseren Halt als Holz.«

Tiefe Nachtstille lag um das Fischerhaus; nur gedämpft klang durch die Bäume das Rauschen der Ache. Zuweilen ließ sich vom See herauf ein Plätschern hören, wenn aus dem Weitsee eine Wildente gestrichen kam und zur Äsung einfiel in das Schilf. Droben in Wazemanns Haus leuchteten noch die Fenster der Herrenstube; man sah in der Finsternis weder Dach noch Mauer, und so hing der Lichtschein eines jeden Fensters im Dunkel, wie ein großer, strahlender Stern. Allmählich wurde der Himmel heller, über die Berge fiel ein falber Schein, und langsam schlich das Mondlicht über die steilen Wälder nieder in das finstere Tal. In weiter Ferne bellte ein Wolf, und ein anderer gab ihm Antwort. »Die Schneespringer melden sich,« dachte Sigenot, »es wird bald Winter werden.«

Ein kühler Hauch kam aus dem See gezogen und milderte die Schwüle der Sommernacht; das Schilf begann zu rascheln, und sanfter Wellenschlag erwachte, leis anrauschend wider das Ufer. Hinter dem Grat des Jennar war der Mond emporgestiegen wie ein rundes, brennendes Gesicht. Silberne Helle floß über das Dach des Fischerhauses und über den stillen Wächter.

Lauschend hob Sigenot den Kopf; von der Ache war ein Geräusch an sein scharfes Ohr gedrungen. »Er kommt!« Sich aufrichtend, faßte Sigenot mit der Rechten das Schwert, hob mit der Linken den Schild vor die Brust und stieg über den Hügel hinunter zum Tor.

Draußen vor dem Hag trat Henning mit dem Knecht unter den schwarzen Bäumen hervor in den hellen Mondschein. Er trug einen Mantel über dem Arm, und die Faust ruhte am Griff des Wildfängers. »Es ist kein Lichtschein mehr im Haus!« flüsterte der Knecht, der mit Dolch und Saufeder bewaffnet war. Am Hag entlang schleichend erreichten sie das Tor. »Herr, sie haben den Balken nit eingelegt, das Tor gibt nach.«

»Stoß auf!«

Die Torflügel öffneten sich, Henning zog den Fänger und wollte in die Hofreut stürzen; wie versteinert hielt er inne beim ersten Schritt. Vor ihm stand Sigenot, das blitzende Schwert erhoben, umschimmert vom Mondlicht, gleich einer gespenstigen Hünengestalt. Mit gläsernen Augen starrte Henning, befallen von abergläubischem Schreck, die unerwartete Erscheinung an. Der Knecht hatte die Saufeder im Anlauf gefällt, ein Schwertstreich Sigenots zersplitterte den Schaft.

»Die Toten stehen auf!« lallte Henning und faßte, zur Flucht sich wendend, den Arm des Knechtes.

»Herr, so steh doch!« keuchte der Knecht. Henning war nicht mehr zu halten; eine Strecke riß er den Knecht mit sich fort, und als er den Schutz der Bäume erreichte, ließ er den Arm des Gesellen fahren und sprang hinein in die Finsternis des Waldes, rannte wider die Stämme, stürzte, raffte sich wieder auf und stürmte bergwärts in sinnloser Flucht.

Sigenot trat vor das Tor und schleuderte mit dem Fuß die Speerstücke hinaus in den Sand der Lände. »So feig wie schlecht!«

Im Walde klang die schreiende Stimme des Knechtes: »Herr! Herr!« Henning hörte nicht mehr. Keuchend, ohne Atem und totenbleich, erreichte er den Burghof; kaum trugen ihn seine Knie noch hinauf über die Freitreppe, auf der ihm das Licht der Herrenstube entgegenstrahlte. Als er über die Schwelle taumelte, erhob sich Herr Waze vom Tisch, um welchen Sindel, Rimiger, Gerold und Otloh saßen, die vor kurzem erst heimgekehrt waren aus dem Lokiwald. Eilbert saß in der dunklen Ecke hinter dem Ofen, und Hartwig lag auf einer Bank.

Henning sah die Brüder nicht, er sah nur den Vater und keuchte: »Hinter mir ist die Höll! Der Fischer, den ich erschlagen am Morgen, ist ein Sträggel geworden und waizet in seinem Hag.«

Zornig stieß Herr Waze den Sohn mit der Faust zurück, und am Tisch erhob sich schallendes Gelächter. Rimiger sprang auf und schrie: »Ein Sträggel! Hörst du, Otloh, der Fischer, der dich heut in der hellen Sonn vom Roß geworfen, ist gar nit Fleisch und Blut gewesen, sondern ein Butzemännlein, das im Mondschein die Kinder schreckt, bis ihnen das Herz in die Hosen fallt!« Seine Stimme erstickte fast unter Lachen. »Armer Otloh, jetzt kommst du gar um die Sühn, die der Fischer dir schuldig ist! Heut am Abend hat er dich ins Moos gesetzt, aber heut am Morgen hat ihn der gute Henning schon erschlagen!« Alle lachten, nur Otloh wurde rot vor Zorn, und Henning starrte umher, als wäre er von Sinnen.

»Dummkopf! Verstehst du noch allweil nit?« schnauzte der Vater ihn an. »Wie dein Pfeil, so ist auch der Stein fehlgegangen, den du gelöst hast über seinem Kopf. Eins aber möcht ich wissen! Was hast du denn jetzt beim Fischerhag zu schaffen gehabt?«

Eilbert war aufgesprungen. »Die Dirn hat er sich holen wollen,« rief er höhnend, »aber wie der Fuchs hat er in den Immstock gegriffen und flink die Pfot wieder eingezogen!«

Mit einem Fluch stürzte Henning zum Tisch, packte ein Messer und schwang es gegen den Bruder. Herr Waze und Rimiger faßten den Arm des Wütenden, entwanden ihm die Klinge und stießen ihn hinaus in die Kammer. Wirres Geschrei erhob sich um den Tisch, übertönt von der Stimme Otlohs. »Soll der freche Übermut da drunten noch lang den Streit und Hader unter uns Brüder werfen? Hinunter zu ihm! Ich hab keine Ruh, eh nit die Schand gelöscht ist, die er mir angetan!«

»Halt dein Maul, du Grasaff!« rief Herr Waze. »Wärst du besser im Sattel gesessen, so hätt er dich nit gelupft!« Den Lärm überschreiend, der diesen Worten folgte, schlug er mit der Faust auf den Tisch. »Wird Ruh werden oder nit? Ich will doch sehen, wer in meinem Haus noch zu reden hat, ihr oder ich!« Mit funkelnden Augen maß er die Söhne, die widerwillig verstummten. »Von Stund an geschieht, was ich will, nur ich allein! Daß mir keiner wieder dreintappt mit einer Hand, wie sie der Unschick da draußen hat! Es müßt denn sein, daß ihr dastehen wollt ohne Haus und ohne Fraß, ein Gespött für jeden Bauernknecht im Gaden.« Herr Waze schritt durch die Stube und trat wieder zum Tisch. »Der Fischer soll euch gehören. Die Stund aber, die ihn wirft, sag ich selber an. Heut ist er beim Lokstein gewesen und hat gesponnen mit den Pfaffen. Tät er ihnen morgen fehlen, sie möchten wohl bedenken, daß er der erste gewesen, der zu ihnen gehalten hat, und möchten anrücken wider mich mit Fahn und Kreuz. Und das hab ich erfahren: wider ihre Sipp und ihre Heiligen ist ein schieches Raufen. Ich will Fried haben mit ihnen, freilich auf meine Art. Eh ich einen Streich tu, muß ich wissen, für welche Nacht der Richtmann das Thing geladen hat, muß wissen, was sie beschließen im Thing. Und muß noch so manches andere wissen. Drum genug für heut! Rimiger!«

»Ja, Vater!«

»Du reitest morgen wieder hinaus zum Lokwald. Nimm den Henning, Eilbert und Otloh mit, und will einer von ihnen Streit anheben, so hau ihm eins übers Dach in meinem Namen. Jetzt weiter und auf die Häut mit euch!«

Herr Waze trat in die vom Mond umglänzte Halle hinaus, um kühle Luft zu schöpfen, denn in dicken Perlen rann ihm der Schweiß von den Schläfen; er lehnte sich an die Treppensäule, spähte über das Tal hinweg in die Ferne der schimmernden Mondnacht und schüttelte die Fäuste. »Könnt ich nur einen Berg fassen im Gedärm und ihn umkehren, daß er hinfallt über sie und ihr hölzernes Nest!« Hinter ihm in der Stube war es still geworden; als Herr Waze nun zurückkehren wollte, blieb er betroffen auf der Schwelle stehen. Vor ihm, inmitten der Stube, stand seine Tochter Recka, in weißem Schlafgewand, das bleiche Gesicht umringelt vom gelösten Rothaar, den ernsten Blick auf den Vater geheftet.

»Mädel? Was willst du?«

»Was Henning wider den Fischer tat? Ist das geschehen mit deinem Willen, auf dein Geheiß?«

»Du hast gelauscht!« fuhr Herr Waze zornig auf.

»Muß man lauschen bei einem Geschrei, das durch jede Wand geht? Mich kümmert nit, was Henning tut. Zwischen ihm und mir liegen Berg und Tal. Du aber bist mein Vater. Gib mir Antwort: hat Henning wie ein Meuchler den Pfeil geworfen und den Stein gelöst auf dein Geheiß?«

Reckas Blick schien ein unbehagliches Empfinden in Herrn Waze zu erwecken. »Ich könnte Nein sagen. Was der Lapp getan hat, muß mir eher schaden als nützen. Wie könnt ich meinen eigenen Nachteil wollen?« Mit halb geschlossenen Augen spähte er in Reckas Gesicht und suchte zu lesen in ihren steinernen Zügen. »Bevor ich aber weiter antwort, hätt ich selber eine Frag. Was kümmert dich der Fischer?«

»Er? Nichts!« erwiderte Recka heftig. »Ich sorg mich um seine Schwester.«

»So?« Herr Waze fing mit der Zunge den Schnurrbart zwischen die Zähne und nagte an den grauen Haaren. »Warum hast du sie denn so lieb, die Schwester?«

»Weil sie treu und rein ist.«

»So? Die Schwester? Sonst hast du keinen Grund?«

»Einen Grund? Welchen?« Kalt und ruhig klang ihre Stimme, doch über ihre bleichen Wangen schlich eine dünne Röte.

Herr Waze lächelte. »Komm, mein schönes Rotfüchsl, tu nit so finster! Setz dich her zu mir und laß uns reden in Ruh! Ich wüßt einen Weg, auf dem der Fischer ein gutes Leben hätt. Da wär auch seiner Schwester geholfen, die du so lieb hast!«

Zögernd ließ Recka sich auf den Sessel nieder, zu dem der Vater sie gezogen hatte. Langsam, als wöge er jedes Wort, begann er von den Sorgen zu sprechen, die ihm die Klosterleute bereiteten. Er wählte die Worte glücklich; Recka lauschte gespannt, und zornig blitzten ihre Augen, als sie jener ersten Begegnung mit Waldram und Eberwein gedachte.

»Mein Haus und Land wollen sie mir nehmen und dir den Wildbann, dein Roß, die Falken und die freie Luft. Ich hätt ihnen wohl einen Hag geflochten wider solch Gelüst. Aber Sigenot –«

»Laß den Fischer aus deiner Rede!« fuhr Recka in Unmut auf.

»Ich brauch ihn aber! Wär der Fischer für mich, so hätt ich leichteren Stand. Er geht für hundert, ihm laufen die anderen nach. Ich muß ihn haben.«

»Und meinst du, wie Henning um ihn wirbt, das wär die beste Art, ihn zu gewinnen?«

»Ich hab zuvor auch im guten mit ihm geredet.«

»Zuvor?« Recka sah den Vater an; dieses Wort hatte ihr viel gesagt.

»Ja, ja, ja« schrie Herr Waze in entfesselter Ungeduld. »Aber dieser Stock hat einen Sinn wie Eisen. Ich hab ihn nit halten können, und ich bin doch ein Mann mit Fäust! Und ich muß ihn haben, ich muß! Schau, Mädel, was ein Mann nit fertigbringt, das wird oft einem Weib wie leichtes Spiel. Runde Arm und langes Haar machen feste Schlingen.«

Recka war aufgesprungen, daß ihr Sessel zu Boden fiel. Mit flammenden Augen maß sie den Vater, und wortlos schritt sie zur Türe.

»Was rennst du davon?« rief der Alte in Verblüffung und Zorn; und als sie keine Antwort gab, sprang er auf und vertrat ihr den Weg. »Bleib, Dirn!«

»Gib mir die Tür frei! Wir haben ausgeredet. Du bist zu Scherzen aufgelegt, wie sie deinen Buben gefallen mögen, nit mir!«

»Scherz! Meinthalben mag aus der Sach auch Ernst werden. Ich muß den Fischer haben, so oder so! Faß ihn mir, Füchsl, faß ihn! Ich mein', es kostet dich nur einen Blick. Du selber machst keinen schlechten Tausch. Vergleich ihn mit dem Pfleger von Hall, mit dem einzigen, den ich weiß für dich. Steht der Fischer nit da wie ein Baum in seiner jungen Kraft? Ein freier Mann, ein Herr auf seinem Eigen! Hat Haus und Hof, Sennen und Vieh. Und seine Fischenz wiegt wie ein Herrengut. Was meinst du?«

»Ich meine,« erwiderte Recka mit erstickter Stimme, »wenn dir wieder einmal die Laun kommt, mit mir zu reden, so tu es vor dem Mahl, nit hinter dem Becher. Ich höre den Met aus dir.«

»Dirn!« schrie Herr Waze gereizt und hob den Arm. »Daß ich dir für solche Red die Faust ins Gesicht schlag, wer hindert mich?«

Das Mädchen richtete sich auf. »Mein Arm! Und eine, die zwischen dir und mir steht. Meine Mutter Friderun!« Am Vater vorüber schritt Recka in ihre Kammer und schlug hinter sich die Türe zu.

Das Gesicht von Wut verzerrt, starrte Herr Waze seiner Tochter nach. »Deine Hand hätt ihn noch halten können, für dich und mich. Jetzt muß er fallen.«

In der Kammer brannte eine Leuchte neben dem Zinnspiegel; als Recka an ihm vorüberschritt, zeigte ihr das blanke Metall das von Zorn und Scham gerötete Gesicht. Als könnte sie den eigenen Anblick nicht ertragen, so stieß sie mit der Faust die Leuchte um. Langsam erlosch das qualmende Flämmlein auf der Diele, während Recka sich im Erker niederwarf, durch dessen Fenster das Mondlicht in die Kammer fiel. Das Gesicht in den Armen vergraben, saß sie über den Tisch gebeugt. Das Mondlicht umwebte ihr Haupt mit Schimmer und machte das Geschmeide funkeln, das noch immer neben dem offenen Kästlein verstreut umher lag. Zwischen dem glitzernden Gold und den farbig glimmernden Edelsteinen leuchtete mit fahlem Weiß der zersprungene Beinreif, wie ein aus dem Grab geworfener Totenknochen, wie der letzte Überrest eines vermoderten Lebens, eines versunkenen Glücks.

Draußen in der Mondnacht schrie ein Uhu, der von den Seewänden hinausstrich in das waldige Tal, um seinen Raub zu suchen. Über dem Fischerhause klang sein häßlicher Schrei und tönte an Sigenots Ohr, der unter seinem krankenden Jahrbaum saß, das Haus bewachend und der Heimkehr seines Knechtes harrend. »Es ruft der Totenvogel!« Er spähte durch das Gezweig empor in den bleichen Himmel und sah einen Schatten huschen.

Weiter und weiter ging des Nachtvogels Flug, über den Untersteiner Forst und gegen die Schönau hin. Da hörte ihn der Richtmann, der in schlummerloser Sorge lag und seines Buben dachte. Beklommen lauschte er. »Gilt's mir oder gilt's meinem Liebli?«

Immer weiter strich der Schreier in der Nacht, über Felder und Halden hinweg, vorbei an Gehöften und nah vorüber bei einer Brandstätte und einem zerfallenen Haus. Der alte Gobl erwachte unter dem Apfelbaum; er hörte den Ruf und lächelte: »Schrei nur! Schrei nur! Wie öfter, so lieber hör ich dich. Vergelts der Botschaft, die du mir anschreist!«

Über die Ramsauer Ache ging der Flug des Vogels, über die Gehänge der Strub hinauf zum Lokiwald und dem Untersberg entgegen.


 << zurück weiter >>