Emil Wilhelm Frommel
Aus der Chronik eines geistlichen Herrn
Emil Wilhelm Frommel

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Zum Schluß

Etliches von Familienfesten.

Die gehören ja auch mit hinein in eine Familienchronik. Es sind Tage, die der HErr gemacht hat; Sterne am Familienhimmel. Freilich giebt's auch Tage, die der HErr gemacht; da blutet das Herz und thränt das Auge. Es kommen zusammen aus weiter Ferne, die sich lang nicht mehr gesehen, das Leid hat sie gerufen und geeint. Und in der Mitte ist ein offenes Grab, und viel Liebe, die jeder in seiner Art empfangen, wird da hinein gelegt. Man ist wieder ärmer geworden im Leben. Aber man zählt die Häupter der Lieben, die noch geblieben, und wenn die Kronen herausgebrochen sind, fassen sich die Zweige um so inniger zusammen. Ist aber das liebe Haupt im Frieden entschlafen und können die Umstehenden singen:

Man reicht sich wohl die Hände,
Als sollt's geschieden sein,
Und bleibt doch ohne Ende
Im seligsten Verein.

Man sieht sich wohl als sähe
Man sich zum letzten Mal,
Und bleibt in trauter Nähe
Im HErrn doch überall!

so hat's auch bei dem Scheiden keine Not. Im HErrn leben alle Toten, und man grämt sich nicht, wenn sie auch nicht bei einander liegen und der eine in Italien, der andre in Frankreich oder hin und her im lieben deutschen Vaterland schläft. Im Gedächtnis der Liebe sind sie doch alle nahe zu einander gebettet. Die Erde ist allenthalben des HErrn und sein Auferstehungswort wird überall klingen. So geht man denn nicht mit Todes-, sondern mit Lebensgedanken wieder hinab in sein Haus, faßt sich in neuer Liebe an, »als die sich freuen, als freuten sie sich nicht, und als die da weinen, als weinten sie nicht.« Wir schlossen den Toten die Augen als letzten Liebesdienst, und sie haben ihn erwidert und uns die Augen geöffnet über uns selbst; man hat das Leben im Licht des Todes und den Tod im Licht des Lebens verstanden. So führt eine Familienchronik an Kreuzen und Gräbern vorüber und jeder hat so seine eigenen Gedanken dabei.

Aber es giebt auch Tage aus der milden Hand des HErrrn, darin es gilt: »fröhlich zu sein.« Solche Tage gleichen dem Tag von Elim, wie ihn Israels Volk feierte. Mitten in der brennenden Wüste dehnt sich ein schattiger Platz, wo siebzig Palmen rauschten und zwölf Wasserbrunnen sprudelten; da vergaß das Pilgervolk des heißen Sandes, durch den es gewandert, und der stechenden Sonne von oben. Weithin blickte es zum Lichtstreifen des roten Meeres, dem großen Grabe, dem es entronnen, und grüßt alte Freunde aus andern Stämmen, und rüstete sich zur Weiterreise. Es war ein Ausruhen, ein stiller, wolkenloser Tag mitten in der Wanderung. Solche Tage sind die rechten Familienfeste. Kein Mensch kann sie machen, sie werden geschenkt und wachsen am Familienbaum.

Schon der Sonntag war uns ein solch lichter Tag. War die Mohrenwäsche am Samstag Abend unter mancherlei Hindernissen richtig verlaufen, dann lag der frische Sonntagsstaat schon auf dem Stuhl für den kommenden Tag. Es war so feierlich still in der Gemäldegalerie, die in Wochentagen viel besucht und jetzt geschlossen war. Uns war's aber am heimlichsten oben auf dem Speicher, der einen großen Spielraum bot. Zwischen das Gebälk konnte man sich Hütten à la Robinson Crusoe bauen und das schönste war: durch die aufgehobenen Ziegel hinunter schauen in die stille, festtägliche Stadt. Was ist's doch, alles sehen zu können und selbst nicht gesehen zu werden! Die Eltern hatten dafür gesorgt, daß am Sonntag nicht gearbeitet wurde, und auch von den Lehrern der damaligen »guten Zeit« wurde nicht der Grundsatz aufgestellt, wie manchmal heutzutage: »Einem den Sonntag zu versalzen.« Mit dem Schulsack wurde am Samstag Nachmittag gründlich abgerechnet und er lag stille in der Ecke den Sonntag über und konnte sich auch erholen von all den Hieben, die in der Woche auf seinen schweinsledernen Rücken gefallen waren. Als wir älter waren, ging's in die Kirche; wir Kinder voran, die Eltern hinterdrein. Gab's manchmal auch kalte Füße und rote Nasen dort – es half doch nichts. Wir verstanden freilich wenig von der Predigt, die damals zum großen Teil zu hoch für uns war, und oftmals geriet ich in die Versuchung, eine Parallelpredigt zu der des Herrn Pfarrers zu machen, worin ich meinen eigenen Gedanken nachging. Die Haupterbauung war mir der Gesang und das Bild meines seligen Vaters, wie er in seinem Pelzrock und schwarzen Sammtkäppchen in dem reservierten Sitze für »höhere Staatsdiener« saß, die ein Hofbedienter in roter, silbergestickter Livrée öffnete, so andachtsvoll dasaß und so hell mitsang. Denn seine Stimme und sein leises Räuspern hätte ich unter tausenden herauserkannt und gehört. Es war eben doch nicht ganzer, voller Sonntag, wenn wir nicht zur Kirche gewesen; aber es galt mehr bei uns die Regel: du darfst zur Kirche, als du mußt zur Kirche. – Des Nachmittags kamen entweder die Freunde oder wir gingen zu ihnen: oder was uns fast das liebste war: wir blieben zu Hause. Denn mir waren unsrer genug, um uns zu unterhalten – kurz, wir kauften den Sonntag aus nach allen Seiten, wenn gleich es nur den stereotypen Reis und den gewärmten Braten gab. Denn Mutter hielt darauf, daß die Dienstleute ihren Sonntag so gut wie wir halten.


Unter den Festtagen war Weihnacht freilich das uns allen – und welchem Kinde nicht – liebste Fest. Drüben der botanische Garten hatte ohnehin in der Winterszeit für uns etwas so Poetisches. Die weißen Flächen, die die Blumenbeete deckten, und die Treibhäuser, auf deren Scheiben sich der Mond spiegelte – und dann das Laternlichtlein des Gehilfen, mit dem er durch die Schneelandschaft wandelte, um nachzusehen, ob die Heizung ordentlich besorgt sei, das alles gab schon einen stillen Reiz. Und nun erst die geheimnisvollen, abendlichen Gänge von Vater und Mutter, von denen sie in den letzten Wochen immer unter dem Mantel etwas mitbrachten! Wir wurden immer sehr reich beschert; aber eines konnten doch die Eltern nicht bescheren: den Schnee zu dem prachtvollen Schlitten, auf welchem vorne ein Schwan als Hals war und auf dessen Rücken man zu Vieren sitzen konnte. Drei Jahre hintereinander kein Schnee, der liegen blieb, das war schlimm! Am Weihnachtsabend aber wurde die ganze Familie, die in der Stadt war, geladen und bekam beschert. Dafür zogen wir wiederum zu jedem der Verwandten, drei Tage nacheinander! Wir konnten vor Freude Tage lang nichts essen, wir waren ganz satt. 'S ist mit der Trauer auch so.

Besonders trat aber der Geburtstag vom Vater hervor. Da derselbe zugleich mit dem Todestag der Großmutter in Straßburg zusammenfiel, so wurde er auf den Namenstag, den Carolustag, verlegt, den 28. Januar. Wir alle wetteiferten ihn schön zu feiern. Meist waren's große Charaden, die wir aufführten. Ich war damals acht Jahre, und erinnere mich lebhaft, daß ich als Meßbube im hochroten Kleide mit Spitzen besetzt bei der »Krönung Karls des Großen in Rom« mitfungierte und das Rauchfaß schwang. Für einige Tage war ich völlig ungenießbar für alle Schulmeister. Ich sah nur Karl den Großen im himmelblauen Gewand vor dem Papste knieen und mich das Rauchfaß schwingen. Ach, heraus aus solchen Abenden hinein in die bittere Wirklichkeit mit ihrem Arrest und Däbslein auf die Finger! – In spätern Jahren mußte immer selbst etwas fabriziert werden, sei's eine Poesie oder ein Bild oder ein kleines Festspiel. Vater liebte sehr ein fröhliches Festfeiern, ihm ward's im Gewühl der Menschen ganz wohlig zu Mute, während der Mutter schwarz vor den Augen wurde bei so vielen Menschen. Darum sollte an ihrem Geburtstage alles fein in der Stille gehen. Wir waren schon versprengt in alle Winde, der eine in Schlesien, der andere in Düsseldorf, der Verfasser auf dem Lande in Baden – aber am Carolustag – wenn's nur irgend ging, da kam man zusammen. Noch existiert in der Familienchronik der Eltern ein Gedicht mit Federzeichnungen illustriert zum Carolustag, und ein anderes großes Poem aus dem dreißigjährigen Kriege. Einmal brachten wir eine ganze Galerie von allen »Karlen« der Weltgeschichte in Porträts. Ein fingierter Bilderhändler brachte sie mit entsprechender Erklärung. Ein Goldrahmen mit feinem Gas übersponnen, hinter demselben eine brillante Lampenbeleuchtung, und im Rahmen selbst im Kostüme der Zeit die lebenden Bilder der Karle – Karl der Große, Karl der V., Karl XII. ec. – sie erschienen wie die schönsten niederländischen Porträts. Zuletzt schoben mir den guten Vater selbst in die Rahme. Kurz – Gelegenheit macht Diebe und auch Dichter, und die Liebe ist erfinderisch. Das hatten mir aber, laut unterstem Stockwerk, der Mutter zu danken, die's nicht ausstehen konnte, wenn einer sich nur amüsieren wollte, ohne selbst etwas dabei zu thun.

Mit welch bewegtem Herzen feierten wir aber des Vaters siebzigsten Geburtstag! Da wird jeder Geburtstag ein doppeltes Geschenk!


Das größte Familienfest, das wir erleben durften, war der Eltern silberne Hochzeit. Sie fiel ins Jahr 1851. S' ist was Eigenes doch um solch eine silberne Hochzeit. Erst ist es einem in den ersten Jahren der Ehe, als käme man gar nie dahin, sie liegt in grauer Ferne und man denkt sich da schon als steinaltes Männlein ohne Zähne und Haare. Aber allmählich rückt sie heran und die Jahre eilen dahin, und – man kommt sich mit einem Male noch gar nicht so alt vor. Es ist dem Herzen wie Jakob zu Mute, dem die sieben Jahre, da er um Rahel freite, wie sieben Tage vorkamen. Die rechte Liebe kennt ja kein Altern, sie sieht die Geliebte und den Geliebten immer noch im Brautschmuck stehen und legt in die alternden Züge das Bild der jungen Liebe. – So kam auch der Eltern silberne Hochzeit. Soll nur still unter uns oder im Kreise aller Freunde gefeiert werden? das war eine Frage, die hin und her überlegt wurde. Aber zuletzt schlug's doch durch: mit allen wollen wir feiern. Solch ein Tag soll nicht unter den Scheffel gestellt werden, der Herr hat ihn ja gemacht und gegeben, warum ihn verbergen? 'S ist doch ein Tag, da es gilt: Ich will mein Gelübde bezahlen vor allem Volk! Deswegen kann man's doch auch noch im Kämmerlein thun. Ist man doch bei seinem ersten Hochzeitstag nicht in den Winkel geschlichen, als ob man sich der Sache zu schämen hätte – warum es denn nach fünfundzwanzig Jahren so vieler Güte und Treue thun? 'S ist auch andern ein Trost; wenn ein Glied wird herrlich gehalten, so freuen sich alle Glieder mit. Man läßt doch die Leute auch am Leid teilnehmen, warum nicht auch an der Freude?« Den »Neid der Götter« braucht kein Christenherz zu fürchten. Es giebt ja seinem Gott die Ehre.

So dachten richtig und ohne falsche Sentimentalität unsere lieben Eltern auch. Nun fragte es sich weiter, ob in Lichtenthal, in der Eltern Sommersitz, oder in Karlsruhe? Wo ist das Haus und sein eigentlicher Sitz? Da gab's Konfusion. Denn die beiden, Vater und Mutter, waren just das eine in Lichtenthal und das andere in Karlsruhe und bei jedem ein paar beratende Kinder. »In Lichtenthal muß die Hochzeit sein,« riefen die Karlsruher und packten Servis und alles mögliche ein und fuhren damit nach Lichtenthal. Eine Stunde später trafen die Lichtenthaler in Karlsruhe ein mit den dortigen Utensilien. Sie hatten geschrieben »in Karlsruhe soll die Feier sein;« aber der Brief kam erst einen Tag später an. Da standen sie denn in Karlsruhe, aber die Mutter war eben fort mit dem einen Sohne. Als der Vater das hörte, kehrte er sofort mit seinen beiden nach Lichtenthal um, traf aber glücklicherweise in Oos die Mutter im Zuge, die wieder gen Karlsruhe fuhr. Denn da sie niemand in Lichtenthal traf, kehrte sie um. Da zogen denn die zwei zusammen nach Karlsruhe und es gab ein homerisches Gelächter über all dem Hin- und Herfahren und den Mißverständnissen, die laut Claudius »gewöhnlich daher kommen, daß man einander nicht versteht.«

So wurden denn die Einladungen erlassen. Am Morgen des Tages weckten wir die Eltern mit einem vielstimmigen Choralgesang und führten sie in das festlich geschmückte Zimmer. Die Gaben der Liebe, die Grüße der Freunde lagen auf dem großen Tische. Um elf Uhr sammelte sich die ganze Familie. Alle Verwandten, auch die einzig noch lebende Brautjungfer, die die Mutter zum Altare geführt – um einen kleinen Hausaltar, der im frischen Blumenschmuck stand. Der Freund der Eltern, Pfarrer Härter aus Straßburg, hielt die Rede und segnete die Eltern zum weiteren Gang durchs Leben. Wir sangen vierstimmig die Choräle und eine eigens dazu komponierte Motette. Es war so feierlich die Eltern zu sehen im Silberschmuck der Kränze und der Haare! Was lag nicht alles in den fünfundzwanzig Jahren! Da ist's denn wohl recht, einen solchen Tag nicht ohne Lob und Dank gegen den treuen Herrn zu begehen und sich das wogende Herz stillen zu lassen durch das Wort Gottes. Es ist ja nur ein Ausruhen zum Weitergehen, und dazu braucht man den Herrn auch. Die aber an solch einem Tage fertig werden ohne ihren Gott, ohne stille Einkehr ins Herz, die müssen eben sehen, wie sie's hinbringen. Wer weiß denn, was hinter einer solchen silbernen Hochzeit liegt und kommt? Ob dann nicht vielleicht eiserne Tage herziehen, vielleicht schwerer als sie je vorher dagewesen sind? So manche haben fünfundzwanzig Jahre ein Leben gehabt, in welchem kaum ein Sturm sich erhob und darnach kam er mit Macht übers Haus und das Elend ließ nicht nach. Darum ist's wohl gut, an der Hand gehen, die nicht erkaltet, und von dem Auge behütet sein, das nicht bricht, noch im Tode entschlummert, wenn so viel liebe Hände uns loslassen und so viel treue Augen brechen. – Solch eine stille Stunde im Heiligtum giebt dem Tag auch eine eigene Weihe, es geht dann ein Festodem hindurch, der alle anweht.

Das Festmahl, das darauf folgte, war reich an Grüßen und Toasten. Erst erhob sich der Vater und brachte nach guter alter Sitte den ersten Toast auf seinen Landesfürsten, unter dessen Schutz und Schirm er die Jahre hindurch ein stilles und geruhiges Leben führen durfte, dessen Brot er gegessen. Darnach kamen die Grüße der Freunde, die Gedichte der Kinder. Der Verfasser würde sie mitteilen, aber die Hauspoeten würden's am Ende übel nehmen, wenn man ihre Poesie auch in den Setzkasten brächte. Das beste waren nicht die Verse, sondern die gute Meinung dabei. Von Silber und Gold glänzten freilich alle Lieder. Der eine verglich den Familienbaum dem Orangenbaum – da grüne Blätter, silberne Blüte und goldene Frucht zugleich blüht und reift; der andere verglich das Silber mit dem Reden und das Schweigen mit dem Gold, und dichtete von der Silberzeit der Jugendkraft, da es viel zu reden gab, und von der goldenen Zeit des Schweigens im Alter

Vom Schweigen in der Fröhlichkeit,
Vom Schweigen in dem Leid;
Vom Schweigen wie das Meer es thut,
Wenn sich's nach Sturm gebeugt,
Vom Schweigen, wenn der Bergsee ruht
Und klar den Himmel zeigt.
Solch Schweigen durch den Pilger zieht,
Nenn er dem Ziele nah –,

Der dritte sprach von drei Tönen, die durchs Fest ziehen: Vorwärts! – Einwärts! – Aufwärts! ein anderer von der Gotteskirche im Herzen mit ihren drei Glocken, die heute läuten: die eherne, die silberne, die goldene, die dann droben zusammenläuten. Zwischen drein tönten fröhliche Quartette und am Schluß ging der gefüllte Hauspokal herum, den jeder mit einem Stegreifverse leeren mußte. – Die Jugend zog paarweise hinab zum Garten zum fröhlichen Spiel und Gespräch. Da wandelte so mancher harmlos Arm in Arm mit seiner Gefährtin und ahnte nicht, daß etliche Jahre drauf die Glocken ihm rufen sollten mit eben der Gefährtin zum Brautaltar. So war's damals, und etliche Leute nahmen sich's tief zu Herzen, daß es nicht gut sei, daß der Mensch allein sei und verloren ihr Herz und suchten's und fanden's plötzlich bei einer andern. So ging's dem Einen, der einsam hoch oben herunter vom Fenster, den traulich wandelnden Paaren zusah. Ihm galt so recht eines der Hochzeitlieder, das der Bruder der Mutter gedichtet hatte, worin der Vers sich fand:

– Wer einsam, ohne Zuversicht
Und lieblos pilgert durch das lange Leben:
Die Welt ist leer, der Tag ist ohne Licht,
Was soll der Öd' empfangen oder geben?
Er trägt allein die Freude wie den Schmerz,
Und schwer und drückend müssen beide wiegen;
Denn teilen muß die Lust ein frohes Herz,
Und ungeteiltem Grame bald erliegen!

Er wurde seit diesem Tag »der Öd« genannt. Das nahm er sich also zu Herzen, daß er etliche Monate darauf ein Bräutlein heimführte. Ich grüß' ihn heute, den Teuren, der selbst so nah am Silbertag, den Totenkranz dem geliebten Weibe auf das Haupt setzen mußte – nun wieder öd im Hause, aber nicht im Herzen ist, das der treuen Liebe gedenkt.

Am Abend kamen die fernen Freunde des Hauses aus der Stadt. Eine Cantate – des Hauses Weihe – ward aufgeführt, vom Bruder Max gedichtet und komponiert. Ein Paar, das sich am Altare über einer Opferflamme die Hand reicht, war das erste Bild. Eine Familie im Kreise der Kinder den sauren Werktag sich versüßend – der malende Vater, die spinnende Mutter und die spielenden und arbeitenden Kinder bildeten das zweite; und zuletzt ein Abend vor dem Hause – (es war unser Haus in Lichtenthal riesengroß gemalt, als Hintergrund) ein Silberpaar sich die Hände reichend im Schein der Abendsonne – das war das dritte Bild. Alles war trefflich gemalt und kostümiert und einstudiert. Auch da noch am Abend Gruß und Improvisation, Musik der Freunde. Kurz es war ein reicher Tag mit bleibenden Eindrücken, den der mächtige Choral: »Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren« schloß. Sein Festklang tönte bei uns fort. So soll's ja sein, wenn's Fest nicht arm gewesen und mit der flüchtigen Stunde verrauscht.

Wohl gedenkt man der Wunden, die das Leben in den fünfundzwanzig Jahren geschlagen. Aber man verbindet sie im Kämmerlein, wie jener blutende Fähnrich, den Wellington mit der Fahne nach der Schlacht von Waterloo hinüber sandte nach London, den Sieg zu verkünden – und schwenkt wie er, die Fahne des Sieges und Dankes vor Allen!

Wir haben noch manche silberne Hochzeit zu verzeichnen in unserer Hauschronik, aber keine goldene, dagegen so manche treue Seele im Witwenschleier. Solche Witwen in einer Familie, sie können eine Last, sie können aber ein reicher Segen sein in einem Hause – eine Last, wenn sie sich verbittern und der anderen frohes Gesicht nicht sehen können, ohne gleich murrend an das zu denken, was ihnen genommen ist. Aber ein Segen, wenn sie einsam sind und ihre Hoffnung auf Gott stellen; wenn man zu ihnen in stiller Abendstunde kommen, sie trösten und ihnen Gutes thun kann, und aus ihrem Leid und Dank ein Segen auf die Verschonten zurückfließt. Darum soll in jeder Hauschronik neben den silbernen Hochzeiten auch der Witwenhäuslein gedacht werden und ein rechtes Familienkind beides mit den Seinen können: »Weinen mit den Weinenden und sich freuen mit den Fröhlichen.« So hält's der Verfasser und ist bis Dato gut damit gefahren und wünscht allen Lesern und Leserinnen solche Feste, wie wir sie gehabt und freut sich vor allem auf den Geburtstag ins ewige Leben, auf den großen Weihnachtsbaum droben, und das selige Hochzeitmahl im Himmel, wo er mit allen seinen Lieben, die vor ihm waren und nach ihm kommen, ein ewiges Familienfest feiern möchte in unsres Vaters Hause. Das walte Gott durch Jesum Christum unsern Herrn! Amen.


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