Emil Wilhelm Frommel
Aus der Chronik eines geistlichen Herrn
Emil Wilhelm Frommel

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Zwölftes Kapitel

Etwas von Ahnungen, vom letzten Stündlein und von seliger Heimfahrt

Das Büchlein geht dem Ende zu – und nicht nur das Büchlein, sondern wir alle; denn in jeder Lebensgeschichte kommt ein letztes Kapitel vor, wenn gleich hinter dem Punktum noch ein: »Fortsetzung folgt« steht. Denn bei dem reichen Manne hört die Geschichte nicht auf mit dem: »Es begab sich aber, daß der Reiche starb und ward begraben.«

So steht denn auch in mancher Familienchronik etwas von diesem letzten Kapitel verzeichnet, und in besonderen Stunden wird's nachgeschlagen und gelesen, man stärkt sich daran und nimmt den Bündel wieder von neuem auf, wenn man weiß, daß es dem Ziel zugeht. Denn das Schauen aufs Ziel hat noch keinen matt gemacht, sondern nur gestärkt; darum verstehen nur die etwas vom Leben, die auch vom Tode etwas verstehen und das Gebet im Herzen tragen: »«Lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir klug werden.« Wiewohl nun freilich das Beste dabei nicht vor aller Leute Ohren gehört, sondern verschwiegen bleiben muß, – denn jedes merkt's ja wohl, daß das ein Stücklein vom Heiligen ist – so darf man doch das erzählen, was auch vor anderer Leute Ohren kund geworden ist.

Da geschieht's wohl, daß man, wie der Verfasser, zu erzählen weiß von Ahnungen, die die Lieben gehabt vom baldigen Scheiden, und von Grüßen, die sie noch im Scheiden gesandt. Vor mir liegt ein vergilbtes Papier; drauf stehen viele Verse, mit unsicherer Hand freilich, geschrieben. Sie stammen vom seligen Onkel, der bei der Blockade von Straßburg mit dem Pferde gestürzt und seit jener Zeit ein schweres Leiden davon getragen. Oft stieg er nachts zu Pferde, ritt stundenlang im Walde, kam nach Hause und führte das Pferd zum Stalle und wußte am Morgen nicht, daß er draußen gewesen. So stand er oft vom Bette auf, trat an seinen Pult und schrieb Briefe und Gedichte, legte sich wieder und fand sie zu seiner Überraschung des Morgens da liegen. So schrieb er einst in der Nacht ein Gedicht, worin er sein Begräbnis schilderte mit Jahr und Tag und allem, bis auf die silbernen Handgriffe, die die Freunde in den Sarg schrauben würden, um ihn davon zu tragen. – Wehmütig las er den Seinen das Gedicht vor. Sie redeten es ihm aus, daß hier sein Tod gemeint sei, denn er werde ja nicht bürgerlich, sondern als Offizier militärisch begraben, und da sei's Sitte, daß man auf den Schultern der Unteroffiziere getragen werde, und keine Handgriffe wie bei den bürgerlichen Leichen eingeschraubt würden. Der Onkel gab sich zufrieden – aber sein Stündlein kam an dem besagten Tage, und als das Begräbnis bestellt war, konnten die Kameraden von Rastatt nicht herüber nach Baden kommen, denn es war große Parade und Großherzogs Geburtstag, und so kamen seine bürgerlichen Freunde und schraubten die silbernen Griffe ein, und trugen ihn auf den Kirchhof, der an der Seufzerallee in Baden liegt. Dort am Fuße des schönen Kreuzes ruht er aus von aller Mühe und Kampf.

Und war's nicht ähnlich so bei der teuren Großmutter von der Frau Seite? – Ihr träumte und träumte doch nicht des Nachts; denn sie saß halb wachend im Bette und es war als neige sich eine ganz nasse Gestalt über sie her, also daß sie bis ins Innerste zusammenschrak und eiskalt wurde – und war's ihr nicht, als hörte sie rufen: »Mutter! Mutter!« –? Aber zwei Tage darauf kam die Nachricht, daß ihr innig geliebter Sohn, der wieder gen Tübingen zur Universität wollte, in der wütenden Enz bei Pforzheim ertrunken war. Er war mit seinem Pferd noch glücklich an das Ufer gekommen, da hörte er auf der Brücke, die am Einstürzen war, jämmerlich rufen und reitet heran, und rettet auch zwei Personen, aber er selbst versinkt beim letztenmal mit der Brücke in den Fluten, will sich retten, aber gerät in die Weidenbüsche und verstrickt sich drinnen und ertrinkt. – Und die Großmutter ahnte, und rief den ganzen Tag: »Ach, es wird dem Wilhelm doch nichts zugestoßen sein!« So war's sein letzter Gruß an die Mutter gewesen. –

Mich däucht, es wäre doch eine Art Freundlichkeit Gottes darinnen, wenn er das Leid vorher ahnen, das Herz sich auf etwas Schweres gefaßt werden, und das Totenglöcklein schon von ferne läuten läßt, ehe man den Leichenzug siehet. Und wenn's uns selber so einmal wunderbar aufsteigt, als könnt's bald ein Ende nehmen, so ist das doch nur wie ein Erst-Läuten bei der Eisenbahn zum Zuge, und wer fertig ist und Billet und Koffer in Bereitschaft hat, erschrickt nicht, sondern denkt: »Nun kommt der Zug bald.«

Wenn der Verfasser seine Lieben, die vorangegangen sind, überschaut und deren Ende, wird's ihm friedlich zu Mute, nicht deshalb, weil's die Seinen sind; denn für die Seinen hofft man freilich, und setzt hinter jeden gern: »selig in dem Herrn entschlafen;« er läßt auch andere gern in den Himmel und hat sich schon oft gefreut, daß die Menschen nicht über die Seligkeit zu verfügen haben. Nur das ist ihm bei den Seinen in ihrem Heimgang so tröstlich gewesen, daß es so gnädig hergegangen ist; bei jedem gerade so, wie's für ihn paßte: bei dem einen schnell, bei dem andern langsam, bei dem einen still, bei dem andern mit Loben. Da denkt er der lieben Tante, die eben den Traum erzählt, den sie in der Nacht gehabt, wo sie ihren längst entschlafenen Sohn auf dem Klavier herrlich phantasieren gehört. Eben erzählt sie, – da ist ihr, als höre sie nochmal die Musik, – sie sinkt zusammen, wird aufs Bett getragen und schläft ohne aufzuwachen ruhig und stille ein zur ewigen Ruhe. Sie hat den Tod nicht geschmeckt noch gesehen. Und war's nicht so beim seligen Vater? Der sang noch am Abend so laut vor Schlafengehen das: »O Lamm Gottes, unschuldig,« mit der siebzigjährigen, aber doch so hellen Stimme, legt sich zu Bette und der Schlag trifft ihn. »Das ist der Tod,« sagt er, und faltet die Hände und spricht über die am Bette knieende Mutter und den Bruder leise das Wort Simeons: »Im Frieden,« mehr kann er nicht. Aber darnach mit lauter heller Stimme: »Herr Jesu, nimm meinen Geist auf!« sank ins Kissen zurück und war daheim bei seinem Herrn. – An diesen Kreuzen wird's einem wohl, trotz allem Weh.

So war's ja auch ein Eilen und Heimgeholtwerden vor dem Wetter, (wie der Landmann thut, der, wenn das Gewitter am Himmel steht, mit dem reichen Erntewagen heimeilt, ihn unterzubringen), als der teure Onkel im Oberland von seinem Herrn so schnell gerufen ward. Es war im 1849ger Jahr. Das war ein böser Jahrgang und hat viel Leid und Thränen, sonderlich über das schöne Land Baden gebracht. Angst und Schrecken war Monate lang das tägliche Brot, Zucht und Ordnung gewichen, und man hat merken können, was es heißt, wenn statt eines Fürsten tausend Tyrannen regieren. Der Onkel war Pfarrer und die hatten's damals schwer, wenn sie treu ihrem Eide blieben. Und er blieb treu, dafür ward ihm Rache geschworen, sonderlich von einem, der ihn auf den Tod haßte. Die Revolution brach los – der Mann eilte mit geladenem Gewehr das Gebirg herunter, den »Pfaffenknecht« totzuschießen. So kommt er ins Ort und aufs Pfarrhaus zu. Da drin ist's aber still, und er stürmt herein und schreit: »Wo ist der Pfarrer?« Die Thüre geht auf, und die Pfarrfrau tritt ruhig dem wütenden Menschen entgegen und sagt: »Hier ist er.« Sie öffnet die Stubenthür – da lag er still und friedlich in seinem Chorrock im Sarge. Die Blattern waren ins Ort gekommen, der Onkel hatte treulich seine Kranken besucht – und bei einem Besuch sie geerbt und war in wenig Tagen von Frau und Kindern heimgenommen worden. Der Mörder aber stierte ihn an und sagte kein Wort und stürzte zum Haus hinaus. Wenige Wochen darnach ist er standrechtlich erschossen worden. – Aber über den sel. Onkel hatte der Herr die schützende Hand gehalten. Er sollte in seinem Sarge noch einmal predigen mit seinem geschlossenen Mund in seinem Chorrock, predigen vom Frieden Derer, die errettet werden von dem Unglück. Das war auch ein seliger Schluß.


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