Emil Wilhelm Frommel
Aus der Chronik eines geistlichen Herrn
Emil Wilhelm Frommel

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Sechstes Kapitel

Per pedes apostolorum
Eine Bubenreise im alten Stil

O Wandern, o Wandern,
Du freie Burschenlust!

Oder wandert nicht alles in der Welt? Nicht bloß der ehrsame Handwerksbursche mit dem schweren Felleisen auf dem Rücken, aus dem die beiden Stiefeln, der eine ost-, der andere westwärts das Land mit dem Absatz beschauen; auch das Bächlein wandert aus dem dunklen Wald hervor durch Thal und Wiese bis zum Fluß, und dann in guter Gesellschaft ins weite Meer. – Und am Himmel wandern die Sternlein auf eigenen Füßen ohne Eilwagen und Eisenbahn, und wenn's um Petri Kettenfeier herumspringt, dann packt der Storch seinen Koffer und spricht zur Frau Störchin: »Was meinst du, Mutter, sollten wir nicht allgemach ans Auswandern denken hinüber nach dem schönen Afrika?" Und hinter ihnen drein zieht das Schwalbenheer mit schnellem Fluge und schafft sich aus dem Staube, ehe der Winter kommt.

Sollte sich's nicht auch im kleinen Büblein regen, einmal dieser Gesellschaft es nachzuthun? Als der Verfasser noch in der Septima saß und am heißen Sommernachmittag bei offenen Fenstern das Lied in der Singstunde studierte: Über Reisen kein Vergnügen, Wenn Gesundheit mit uns geht, Hinter mir die Städte liegen, Berg und Thal dann vor mir steht!

da ergriff es ihn mit wunderbarer Sehnsucht, und wenn er nicht so weit links ab von den Fleißigen gesessen hätte, die nah am Fenster postiert waren, wäre er fast auf Flügeln des Gesanges zum Fenster hinausgeflogen und hätte beim Scheiden nur noch gerufen: »Adjes, Herr Kapellmeister; nichts für ungut, aber ich muß fort, Ihr habt mir's angethan mit Eurem Liede.« Aber ich mußte leider sitzen bleiben und dem »Sitzenbleiben« habe ich den Teil der Wissenschaft zu verdanken, der nicht sitzen geblieben ist. Der Wandertrieb ist aber darum nicht gestorben, und wenn die Hundstage kamen, die daher ihren Namen haben, daß es selbst den Hunden nicht ums Studieren ist, oder der Herbst mit seinen Äpfeln und den goldenen Trauben, machte die Wanderlust wieder auf: »Da zog's in die Ferne mich mächtig hinaus.« Aber allein wandern, so mutterseelenallein, das ist auch nicht viel wert. Zu zweien will's auch oft nicht gehen; denn jeder hat seinen Kopf, und der eine möchte am Abend lieber in den »Storchen,« den er noch vom Brüderlein her kennt, der andere lieber in den »Ochsen,« den er öfters vom Herrn Professor im Gymnasium hat nennen hören, und da kommt der Streit; oder der eine will ein Gläslein Zuckerwasser und der andere dagegen hat einen lechzenden Durst nach Hopfen und Malz, – kurz, zu zweien ist's auch nicht angenehm. Gehen ihrer drei oder sechs Büblein aber miteinander, da findet jeder doch seinen Mann darunter, an den er sich anschließt, und in Eß- und Trinkwaren entscheidet die Mehrheit. Was der eine nicht weiß, das weiß der andere; fröhlich läßt sich's ein Lied anstimmen, und im dunkeln Wald fürchtet man sich nicht, weil ihrer »sechs Mann« wandern und einer stärkt den andern. So hat der Verfasser etliche Reisen in seinen Bubenjahren gemacht, und will in der heurigen schönen Sommerzeit zu Nutz und Frommen aller deutschen Büblein einiges daraus erzählen.


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