Emil Wilhelm Frommel
Aus der Chronik eines geistlichen Herrn
Emil Wilhelm Frommel

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Siebentes Kapitel.

Vom Urgroßvater väterlicherseits.

Vom Markgräfler Land hat schon mancher gehört, wenn er auch nicht dort gewesen ist. Denn der Markgräfler Wein ist ein weitgereister Mann mit guten Empfehlungen und Reverenzen, und mancher saure Wein hat sich schon erlaubt, unter seiner Firma zu reisen und ist aufgenommen worden. Aber der echte erfreut des Menschen Herz, wenn man nicht zu viel davon trinkt, sondern es beim steinernen Krüglein bewenden läßt. Dort im Markgräfler Land wohnte der Urgroßvater und war Pfarrer daselbst im vorigen Jahrhundert. Er war ein vermöglicher Mann, denn wenn er auch nicht viel blankes Geld einnahm, so hatte er doch wie die Kinder Levi den Zehnten von allem, was die Leute hatten, und sie gaben ihn gerne, und wenn auch manches Unangenehme drum und dran war, so gings doch besser als heuer mit dem Geld. Denn wenn ein teures Jahr kam und wenig gewachsen war, so gab's auch wenig Zehnten, und der Markgraf mit samt dem Pfarrherrn teilten die Not. Denn wo nichts ist, da hat nicht nur der Kaiser, sondern auch der Pfarrherr das Recht verloren, während man jetzt die blanken Gulden zahlen muß, wenn es den Sommer über mit Kübeln geregnet oder der Hagel alles verschlagen oder die Feldmäuse alles abgefressen haben. Aber was mehr wert als Frucht und Geld war, das war der fromme und zufriedene Sinn, der im Herzen des Pfarrherrn wohnte. Er konnte sich schicken in die Zeit, auch wenn's böse Zeit war. In guten und bösen Tagen sang er zu seiner Violine, die er meisterhaft spielte, und that nach Jakobi Wort: »Leidet jemand, der bete; ist jemand guten Muts, der singe Psalmen.« Das ist ja ein vortrefflich Ding, wenn jemand in seinem Herzen einen König David sitzen hat, der das Jubilate spielen, oder wenn der finstere Geist Sauls über einen kommen will, ihn wegsingen kann. Zudem hielt's der Pfarrherr mit jenem seiner Herren Kollegen, dessen Regel war: »Wenn Gott nicht will wie ich will, so will ich wie Er will, und wir bleiben im Frieden.« – So stand einmal im Sommer das Feld und die Weinberge ganz herrlich und prächtig, und die Sonne schien so heiß herunter und jedermann prophezeite ein gutes Jahr und eine gute Ernte. Aber die Gewitter und den Hagelschlag hatte der Kalendermann aus Versehen nicht mit in die »mutmaßliche Witterung« gesetzt, sonst würde er auf den Heumonat am so und sovielsten gesetzt haben: »Schwere Gewitter und grausamer Hagelschlag,« denn an jenem Tag gegen Abend zogen schwarze Wolken auf und mitten drin hellgraue und rotgelbe, und es wurde so eigen still draußen, die Vögel flogen scheu umher, und endlich zuckte es auch am Himmel, und ein Hagel entlud sich, wie sich die ältesten Leute im Ort keinen erinnerten. In zehn Minuten war alles vorbei, aber mit der Ernte und dem Wein war's auch vorbei, und draußen lagen Eisballen von Schloßen, und es sah aus, wie wenn's eben geschneit hätte. Da lief die Pfarrfrau hinein und wischte sich mit der Schürze die Thränen aus den Augen und rief: »Ach Vater! unsere Ernte ist hin!« Er aber war schon ans Fenster getreten and hatte dem Jammer mit Thränen im Auge zugesehen; aber nun griff er nach seiner Violine und fing mit einer tiefen Baßstimme an zu singen:

Wer nur den lieben Gott läßt walten
Und hoffet auf ihn allezeit
Den wird Er wunderbar erhalten
In aller Not und Traurigkeit!

Da wurde auch die Pfarrfrau ruhig, als sie ihren Eheherrn so gelassen sah, und sie kamen auch durch's Jahr und wußten selbst nicht wie, mitsamt ihren Kindern. – Denn wie sich ein Mensch zu seinem Gott stellt, so stellt Er sich auch wieder zu ihm, und wer mit ihm wie ein liebes Kind mit seinem lieben Vater redet, zu dem antwortet Er gerade auch wieder so. Ja der darf, wie manches Kind in seiner Jugend, so auch im Alter wunderbare Bewahrungen erfahren, denn »der Herr behütet die Einfältigen.«

So ging's dem lieben Urgroßvater, der damals schon ein alter Herr im weißen Haar war, auch einmal.

Nach Basel war's nur ein paar Stündlein weit, und da ging der alte rüstige Herr noch zu Fuße hin, und ließ sich dann im Bernerwägelein abends abholen. Denn in Basel ist's schön, und sind daselbst nicht bloß der Rhein und das Münster, sondern auch manch liebe Menschenkinder zu sehen. Dann gab's auch noch einzukaufen, der Pfarrfrau ein Kleid, und der Magd einen Schurz, und den Buben Stiefeln – und wenn's den Pfarrherrn zog, ließ er die Stiefel salben und ging auf Schusters Rappen nach der Stadt Basel. Ob selbigesmal noch der »Lellenkönig« am Thore fungierte, der von Rechtswegen allen Fremdlingen die Zunge zum Trotz heraussteckte, weiß ich nicht. Wenn's aber gewesen wäre, so hätte sich der Pfarrer doch nicht daran gestoßen, denn er war ja kein Fremdling mehr. Seitdem haben ihn die Basler abgeschafft und ich denke, es ist auch sonst nichts mehr vom Lellenkönig übrig geblieben. Denn wenn man einen Fremdling verachtet, so hat man einen Lellenkönig doch noch bei sich. Kurz, eines Tages ging der Urgroßvater die Straße Basel zu. Es war gerade wie an einem andern Tag; die Vögel sangen wie sonst auch, frei ohne Noten, und die Fuhrleute gingen neben ihren Pferden her und rauchten ihre kurzen Pfeifen dabei, und die Berge drüben im Elsaß waren an derselben Stelle, wie früher auch, und dem Pfarrherrn schwante nichts Absonderliches. Warum hätte er auch an dem schönen Tag zu Hause bleiben sollen? War nicht Messe in Basel und hatten seine Buben nicht gebettelt um allerhand Kram? So brachte er den Tag zu in Basel und des Abends kam sein Wägelein und er bestieg es mit seinen Siebensachen und begab sich auf den Heimweg. Er mochte wohl eine Stunde weit gefahren sein, da lief auf der Landstraße ein Mensch in einem windigen Röcklein und kurzen Hosen. Seine Stiefel hatten schon lange keinen Schuster mehr gesehen und sperrten vorne den Rachen auf wie ein Haifisch, und sein Hut war auch nicht direkt von Paris bezogen. Da dauerte den Pfarrherrn das Männlein und er winkte ihm zum Aufsitzen. Unterwegs gab sich die Rede von vielem und von allerhand, von guten und bösen Zeiten und vom Weltlauf. Und das Männlein in dem windigen Röcklein gab guten Bescheid und blieb keine Antwort schuldig. Nur als der Pfarrer fragte, woher er käme und wohin er wolle, ging seine Zunge nicht recht weiter und verlor sich mit seinen Reden ins Blaue hinein und nannte noch ein Örtlein, das drei Stunden weiter lag. Das erbarmte den Pfarrherrn und als sie am Pfarrhaus angekommen waren, lud er ihn ein, dazubleiben und vorlieb zu nehmen. So setzte er sich mit an den Tisch und aß, was kam, und bekam auch sein Krüglein Wein hingestellt wie die andern. Nach dem Nachtessen nahm der Pfarrherr die Bibel und las und betete dann kindlich zu seinem treuen Gott um Bewahrung vor Feuer und Wassersnot, vor bösen Menschen und schloß dann mit dem alten Luthergebet: »Dein heiliger Engel bewahre uns, daß der böse Feind keine Macht an uns finde.« Und der Mann im windigen Röcklein kniete auch mit nieder, und der Pfarrherr nahm ein Licht und leuchtete ihm ins Schlafstüblein. Des Morgens, als sie Kaffee getrunken und gebetet hatten, wollte der Fremdling Abschied nehmen. Aber zuvor räusperte er sich noch, wie einer wenn er eine Rede halten will und sagte zu dem nicht wenig erstaunten Pfarrherrn: »Herr Pfarrer, nichts für ungut, aber eine Liebe ist der andern wert. Ihr habt diese Nacht einen absonderlichen Spitzbuben unterm Dach gehabt, der nicht weit zum Hanfreiter hat. Es hat Euch wohl nicht geschwant, daß es heute nacht auf Euch und Eure goldene Uhr und Eure fetten Schinken abgesehen war. Denn im Weilerer Pfarrhause geht's nicht hungrig her. So war's denn mit meinen Herren Kollegen abgemacht, Euch heute nacht einen Besuch zu machen. Dieweil Ihr mich aber auf Euer Bernerwägele habt sitzen lassen und an Euren Tisch und ins Beten genommen und mir ein Bett aufgeschlagen habt, habe ich's nicht übers Herz bringen können und mich der Sünde gefürchtet, Euch ein Leids zu thun. Und wie nachts um zwölf Uhr die Herren Kollegen gekommen sind mit Diebslaternen, bin ich aus dem Fenster gesprungen und hab ihnen gesagt, es sei heute leider nichts zu machen, denn Ihr wäret wach und hättet ein paar handfeste Kerle bei Euch und müßtet wohl Wind bekommen haben. Darauf haben sie sich gehörig aus dem Staub gemacht. Jetzt aber Adjes! und nichts für ungut. Bezahlen kann ich nichts. Aber dem Weilerer Pfarrer soll kein Leids geschehen, auf Ehr.« Und wie er das gesagt, war er mit einem Satz zur Hausthür draußen und überließ dem Pfarrherrn das weitere Nachdenken. Über was der Pfarrherr aber nachgedacht, kann sich der geneigte Leser selber denken.


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