Emil Wilhelm Frommel
Aus der Chronik eines geistlichen Herrn
Emil Wilhelm Frommel

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Neuntes Kapitel

Was meinem Herrn Oheim und Paten in Paris begegnet ist

Der geneigte Leser wird sich noch des Herrn Registrators erinnern, der jenem französischen Quartiermeister das siebente Gebot ausgelegt hat. Derselbe hatte mehrere Söhne, von welchen der eine mein Herr Pate ist. Und sein Patenamt hat er treulich versehen, und mehr an mir gethan, als an der Taufe einen silbernen Löffel geschenkt, und dann und wann einen Gulden in die Sparbüchse, und an der Konfirmation eine Uhr oder ein Buch und dergleichen, wie's bei vielen Paten ist. Denn zum Paten soll man nicht den ersten besten nehmen, noch umschauen, wo irgend noch ein reicher Onkel steckt, den man bitten kann, und der es dann ehren- oder schandenhalber thut; sondern jemand, der für das Kindlein betet und es vermahnt, und wenn's not thut, Vaterstelle vertritt. Denn nicht umsonst nennt man den Paten auch den »Herrn Gevatter.« So war mein Herr Pate auch, und wenn ich zu ihm durfte, war's ein Festtag, wenn das Ränzlein geschnürt wurde und es in die Retourchaise ging, hinten mit dem Täfelein drauf mit Kreide geschrieben: Retour nach..... Mein seliger Vater und mein Herr Pate waren nicht bloß Geschwisterkinder, sondern auch Freunde, was nicht immer zu sein pflegt. Schon als Knaben waren sie in den Ferien zusammengekommen, und beide erinnerten sich noch im Alter wehmütig des Tages, wo sie beide mit ihren Brüdern in der Murg an einem heißen Sommertag badeten, und der eine von den Brüdern den Krampf bekam und untersank und nicht mehr zum Vorschein kam. Der Jammer blieb ihnen unvergeßlich. Die zwei Knaben aber wuchsen heran, und der eine ging in den Kunsttempel und der andere in den Weisheitstempel. Und beide wetteiferten mit einander in Liebe und ohne Neid. Derweil der eine eine lange griechische Rede hielt an der feierlichen Prüfung, von der nur die Lehrer etwas, aber die Damen nichts verstanden, die zuhörten, – so daß derselbe wie im ähnlichen Fall ein anderer Onkel, beim Steckenbleiben seine Rede getrost von vorne noch einmal hätte anfangen können, ohne daß die Damen gerufen hätten: »das ist ja dasselbe« – derweil also der eine sich aufs Griechische legte und das Griechische auf ihn – zeichnete und stach der andere den griechischen Helden Achilles in Kupfer, wie er von dem Centauren im Bogenschießen geübt wird. Als später das Alter zum Reisen kam, und der Künstler schon seine Flügel ausgebreitet hatte und nach Paris geflogen war, zog er den Vetter nach sich und schrieb ihm von all den Herrlichleiten, die dort zu sehen, so daß dem Vetter das Wasser im Mund zusammenlief und er seine Silbergulden in Goldfüchse verwandelte und eines Tages bei dem Vetter in Paris ankam. Hier war viel zu erzählen und zu fragen, und dann aber ging's an die Arbeit, der Künstler ging in die Gemäldegalerie und der Weltweise in die große Bibliothek. Hier war Futter genug für den Hunger nach Weisheit, wiewohl die vielen Bücher den Menschen noch lange nicht gescheit machen. Der Herr Pate aber fühlte sich doch nicht glücklich trotz der vielen Säle voll Bücher. Denn gerade das Buch, das er am liebsten gehabt hätte, wurde nicht hergegeben, und dazu durfte nur sechs Stunden lang in der Bibliothek gearbeitet werden, dann wurde geschellt und jeder mußte seinen Pult schließen und die Bücher da stehen lassen, wo sie standen. Das war dem fleißigen Manne höchst traurig, denn er hatte einen tüchtigen deutschen Rücken, der schon einen ordentlichen Pack tragen konnte, und hätte gern die großen Folianten trotz dem Schweinslederband mit heimgenommen. Denn das Schweinsleder ist den Gelehrten gerade ein so angenehmer und lieblicher Geruch, als einem Bauer sein Kuhstall und dem Schuster sein Pech und der Stadtmadame das Eau de mille fleurs oder das Pomadehäfelein. – Aber, wie gesagt, die Trauben hingen zu hoch. Denn es war vom Kaiser Napoleon das Verbot ausgegangen, daß niemand ohne besondere Erlaubnis ein Buch mitnehmen, oder überhaupt von den wertvollen Büchern etwas zu sehen bekommen sollte. Und wenn der Kaiser Napoleon einmal etwas gesagt hatte, blieb's dabei und biß keine Maus einen Faden davon ab. Denn es hatte vor kurzem einer ein schönes Buch mit nach Hause bekommen mit schönen gemalten Bildern und Buchstaben, und hatte sich dann die Freiheit herausgenommen, aus lauter Liebe zur Wissenschaft so ein paar Seiten herauszuschneiden und von sich selber ein paar neue hineinzuthun, was aber bald ans Licht kam. Das wißbegierige Männlein oder auch Dieb – wurde gepackt und bekam Zeit zu Privatstudien über Ehrlichkeit hinter den Eisengittern; aber der Unschuldige mußte mit dem Schuldigen leiden, denn daher kam das Verbot. Und darunter mußte auch der Herr Pate leiden und war doch so unschuldig daran, wie der Mond, daß er ein so schiefes Gesicht hat. Da kam er denn allemal mit Klagen nach Hause und jammerte bei dem Künstler über das schöne Stück Geld, das zum Fenster hinausgeworfen sei – denn diese Bücher, die er jetzt habe, könne er auch in Deutschland so gut haben wie in Paris, und war nahe daran, den Bündel zu schnüren und aus dem Städtlein sich landeinwärts zu schlagen, der Heimat zu. Der Künstler sprach ihm aber Mut zu, es werde sich am Ende doch noch was finden, er solle nur einmal treulich an dem fortstudieren, was er gerade habe. Und so gings eine Weile mit Klagen und Trösten fort bei den Zweien. Da, eines Abends kommt der Weltweise mit einem ganzen Pack voll Bücher in Folio und richtigem Schweinsleder unter dem Arm jubelnd und strahlend und rief: »Viktoria, Vetter! Nun ist's gewonnen! Da schau her!« Der Vetter Künstler schaute hin und wiewohl weder sein Auge noch seine Nase sonderlich von den Büchern erbaut waren, so freute es ihn doch für den Vetter von Herzen, daß er nun sein vielersehntes griechisches ›Griebesgrabesbuch‹ hätte.

»Wie bist du denn dazu gekommen, sag' doch einmal! Du bist ja ganz toll vor Freude,« rief der Vetter.

»Das will ich dir sagen, das ist dir ein Hauptspaß,« antwortete der weltweise Vetter. »Denk' einmal, gestern – 's mag so um die Eins nachmittags herumgesprungen sein – kommt ein kleines Herrlein in die Bibliothek, mit einem feinen Gesicht und einem roten Bündchen im Knopfloch, und fragt nach einem Buch, das die Kaiserin gleich haben will. Und die Herren klettern die Leitern auf und ab wie die Katzen, von einem Schaft und Schrank zum andern, und finden's nicht. Da wird das Herrlein immer böser und ungeduldiger und stampft mit dem Fuß, und fängt an mörderisch über Unordnung und Schlamperei zu schimpfen, und die Beamten machten fatale Gesichter und standen wie die Butter an der Sonne, und probierten wieder von neuem im Suchen und machten sich möglichst weit von dem zornigen Herrlein weg. Als sie aber alle wieder kopfschüttelnd zurückkamen und nichts gefunden hatten, drohte das Herrlein mit dem roten Band im Knopfloch mit allerhand Strafe. Ich hatte dem Ding eine Weile zugehört von meinem Pult aus und mich dauerten die Herren, und ich glaubte so was von dem Buch schon gehört zu haben, nahm mir endlich den Mut und sagte zu einem von den Herren im besten Französisch, das ich kann: »Um Vergebung, was für ein Buch suchen Sie? Vielleicht kann ich doch dienen.« Der Herr schaute mich von oben bis unten mitleidig an, als wollte er sagen: »Du wirst's natürlich besser wissen als wir.« Endlich nannte er das Buch. Es war eine Grammatik. Aber der Titel, den er nannte, war falsch. Da sagte ich ihm wieder auf gut französisch: »Nix für ungut, Herr Bibliothekar, aber das Buch heißt nicht so, sondern so – und ist von dem und dem, und da und da herausgekommen und anno so und so viel.« Da glotzte mich der Herr erst recht an und das kleine Herrlein auch, und nun schlugen sie den Katalog auf. Richtig, da stand's akkurat so drin, und auch der Kasten, wo es stand, – kurz, in ein paar Minuten war das Buch da, und die Bibliothekare hoben die Brust empor, wie ein Mensch thut, dessen Recht an den Tag kommt, und das Herrlein warf die Sache auf die Kaiserin. Aber er trat auf mich zu und fragte mich, woher ich das wisse, ob ich das Buch schon gelesen? »Nein,« sagte ich; »aber als ich noch ein Schulerbüblein war, gab's in Rastatt alle Freitag bei dem alten Juden Bücherversteigerung. Der las alle Titel säuberlich ab, mit Name und Datum, und ich habe leider so ein weiches Gehirn, daß sich alles wie in Wachs abdrückt, und mein Kopf eine Menge solches Zeug mit sich herumschleppt.« Da machte das Herrlein eine tiefe Verbeugung und gratulierte mir zu meinem weichen Kopf.

»Heute aber, wie ich wieder kam, war auch das Herrlein da und nahm eine feierliche Miene an und sagte im besten Französisch: »Mein Herr, Sie haben mir einen rechten Dienst geleistet, für den ich Ihnen einen Dank schuldig bin. Wir sind so frei gewesen, von dem Rechte, das uns zusteht, Gebrauch zu machen und Ihren Pult zu öffnen, und haben uns überzeugt, daß Sie ein Mann von Geist und Talent sind. Ich mache Ihnen im Namen des Kaisers den Vorschlag, hier zu bleiben und Ihre Carriere ist gemacht.« Du kannst dir denken, Vetter, daß mir das Herz dabei gehörig geklopft hat. Da habe ich denn gesagt: »Mit Verlaub, von wegen dem Dableiben will ich noch einmal darüber schlafen, aber wenn Sie mir eine Liebe thun wollen, so geben Sie mir den und den alten Schmöcker mit nach Hause, der dort hinten im verbotenen Schränklein steht. Es soll ihm kein Leids geschehen, so wahr ich ein ehrlicher Deutscher bin.« Da lachte das kleine Herrlein, und sagte zu dem Beamten: »Geben Sie dem Deutschen alles, was er verlangt.« Da habe ich ein gehöriges Kompliment gemacht und das Herrlein sagte: »Adjes, auf Wiedersehen.« Da hast du die Geschichte. Ist das nicht klassisch? Ich habe dem alten Schamsel Levi in Rastatt schon einen ganzen Haufen Geld und Leben und Gesundheit gewünscht dafür, daß er die Büchertitel mit so viel Eloquenz vorgetragen hat."

»Du bist ein Glückskind, Vetter,« sagte der Künstler, »und nun sei kein Esel und bleibe hier in Paris, da bringst du's weiter als daheim, wo du dich mit bösen Buben herum zu plagen hast.«

Aber mein Herr Pate widerstand der Versuchung, und als er das Schweinsleder eifrig ausstudiert hatte, zog er nach Hause und plagte sich als Prorektor mit den bösen Buben, von denen aber mancher seiner Zeit was Tüchtiges durch ihn geworden ist. Und akkurat so ist's dem Vetter Künstler gegangen. Der zog nach Italien und blieb lange Zeit da, und konnte italienisch bald besser als deutsch. Und die Freunde rieten ihm alle, im schönen Süden zu bleiben; aber als die Zeit kam, da zupfte und rupfte es links unter dem Brusttuch, und er kam wieder heim nach Deutschland und plagte sich mit seinen Künstlersbuben, die gerade so schlimm waren wie dem Vetter seine Lateiner. Item: es ist um die Ehre eine schöne Sache, aber um die Heimat ist's auch was Absonderliches, und das Heimweh kuriert einem Deutschen kein Doktor. Zehntes Kapitel Wie des Geschwisterkinds Großvater seinen Einzug hielt

Der geneigte Leser muß sich's nicht verdrießen lassen, daß er aus Paris wieder heraus muß, wenn er kaum dort gewesen ist. Thut auch nichts. Denn einem deutschen Herzen wird's doch in der großen, weiten Stadt auf die Dauer eng ums Herz, wenn es nichts hört als die welsche Sprache, und den Menschentrubel an sich vorbeijagen sieht, die Reichen in ihren Equipagen, wo die Herren den langen Weg darin liegen und die Hungergesichter der Armen mit bösen Blicken hineinschauen. Abgesehen davon, daß ein ehrlicher deutscher Magen, der sein Süpplein schlag zwölf Uhr zu essen gewohnt ist mit dem Rindfleisch samt Beilage, allen Kompaß und Richtung verliert, wenn er erst um fünf oder sechs Uhr etwas zu essen kriegt. Zudem verstehen's die Franzosen meisterlich, den Katzenbraten in einen Hasenbraten zu verwandeln, und aus Eulen Rebhühner zu machen. Darum ist man ordentlich froh, wenn man aus dem Getös wieder heimkommt und einem kein Sacktuch und kein Strumpf vom Dutzend fehlt, damit die Hausfrau nicht brummt. Denn die Leute haben dort nicht bloß lange Schnurrbärte, sondern auch lange Finger, und könnten den Mond vom Himmel herunterstipitzen, wenn ihn nicht der liebe Gott so hoch hinaufgehängt hätte. Darum thut der Leser gut, wenn er wieder dahin zurückkehrt, von wo er ausgegangen ist, nämlich auf den Hunsrücken.

Neben jenem andern Großvater von Geschwisterkinds-Seite, der mit dem Schinderhannes Bekanntschaft machte, lebte noch ein anderer da, nämlich der väterlicherseits vom Geschwisterkind. Der war auch ein badischer Pfarrherr, da droben in einer armen, windigen Gegend mit viel Steinen und wenig Geld, so daß man von ihm sagen konnte: »Der Pfarrer von ... ist steinreich.« Zu allem Überflusse waren noch die Franzosen gekommen und hatten Nachlese gehalten, und mitgehen heißen, was nicht nagelfest war, wie bei meinem Großvater selig. Da bat denn der Pfarrherr bei seiner Behörde um geneigte Versetzung wieder vom Hunsrücken herunter ins Altbadische hinein. Freilich ging das dazumal nicht so schnell, denn die Briefe brauchten Zeit und mußten mehr denn einmal unterwegs übernachten im Postfelleisen. Dazu aber gab's nicht gleich eine Stelle und mußte erst hin und her deliberiert werden, und man legte die Sache einstweilen ad acta, bis auf gelegenere Zeit. Freilich wußten die Herren in der Stadt nicht, wie das thut, wenn einer draußen auf dem Lande sitzt und wartet von Tag zu Tag auf den Briefboten, wie Noah auf die Tauben, und es geht so Woche um Woche herum und kommt nichts, oder höchstens ein Kanzleitrost, der weder Fisch noch Fleisch ist. Und so dauerte es auch bei dem Pfarrherrn noch über zwei Jahre, und er ward einstweilen in die große Schule geschickt, wo die Lektion »Geduld« heißt, die man auswendig und inwendig lernen muß. Da man das nicht auf der Universität beim Herrn Professor lernt, so sorgt der liebe Gott dafür, daß fleißig nachexerziert wird im Leben, was man dort nicht gelernt. Denn das Leben mit seinen Leiden ist die rechte Hochschule fürs Reich Gottes. Darin studierte jetzt der Hunsrücker Pfarrherr fleißig. Und da er seine Lektion gekonnt, wurde er herausgelassen. Denn dann, wenn man die Thüre nicht selbst mit Stemmeisen aufbrechen will, macht Gott wie bei Noah die Thüre selber auf zur rechten Zeit, keine Stunde zu früh und keine Stunde zu spät. Da kam also ein großer Brief mit herrschaftlichem Siegel, worin stand, daß der Hunsrücker Pfarrherr in Anbetracht seiner Umstände herunter versetzt sei auf die Pfarrei F.... Die Pfarrei war auch eine der geringsten, und so kam der Pfarrherr aus einer Armut in die andere. Er zog herunter mit seiner Familie und hatte seine Siebensachen auf einem großen Leiterwagen, mit Segeltuch darüber gespannt, und vorne saß er mit Frau und Kindern. In Heidelberg ließ er seine Familie und machte sich allein auf den Weg, um das Pfarrhaus zu inspicieren, ob etwa noch ein Schrank oder Ofen vonnöten. Abends spät kam er in der Pfarrei an und ging in seinem schlichten Reisehabit, unter dem man keinen Pfarrer vermutete, ins nächste Wirtshaus und setzte sich ermüdet auf die Ofenbank zu den Gästen, und aß mit ihnen ein Käsebrot und trank seinen Schoppen Sechser wie die andern. Bald kam das Gespräch auch auf den neuen Pfarrer, den sie kriegen sollten; da ging ihnen der Mund auf. Der eine meinte dies, der andere jenes. Da sagte einer:

»Wißt ihr auch, daß er blutarm ist? Mir hat's einer von den Herren drinnen in Karlsruh gesagt, der die Sachen aus dem Fundament versteht.«

»Der wird bei uns reich werden wollen,« warf ein anderer ein; »da ist er an die Rechten gekommen.«

»Dem können wir noch Frau und Kinder verhalten,« meinte ein dritter. »Uns sollten sie einen schicken, der was hat und der Gemeinde was zu verdienen giebt, aber keinen armen Schlucker.«

In diesem Stile ging es weiter, und was der eine nicht wußte, das wußte der andere um so besser. Und der Pfarrer saß dabei und hörte zu und sprach kein Wörtlein. Das hatte er in der berühmten Schule gelernt, von der vorhin erzählt worden ist. Er gedachte an das Wort: »Ein Geduldiger ist besser denn ein Starker, und wer seines Mutes Herr wird, ist mehr denn der Städte gewinnt.« Da ergriff aber ein anderer das Wort, der die ganze Zeit geschwiegen hatte. Es war ein großer alter Mann, mit in der Mitte gescheiteltem, silberweißem Haar, der sich erhob und mit tiefer Stimme zu reden begann:

»Ich denke,« sagte er, »ihr seid jetzt fertig, laßt mich auch was sagen. Dreißig Jahre nach einander bin ich im Kirchenrat gewesen und kann darum auch ein Wörtlein mitreden. Ein reicher Pfarrer, das wäre unser Schaden, aber kein armer. Denn die reichen Leute verstehen den armen Mann nicht, und der Arme versteht den Reichen nicht. Gleich und gleich gesellt sich gern. Akkurat darum paßt er für uns. Ist unser neuer Herr Pfarrer arm, da weiß er auch, wie's armen Leuten thut, und kann sich mit uns unsers Herrgotts getrösten. Drum laßt das Schelten bleiben. Die Hauptsache ist, daß unser Pfarrer uns Gottes Wort predigt, das ist besser, als wenn er mit Gulden um sich schmeißt.« Damit setzte er sich wieder.

Unter dieser Rede waren aber dem Pfarrer die Augen naß geworden, und nun konnte er's nicht länger verhalten, sondern stand auf und sagte: »Ich danke Euch, Altvater, für diese Rede; Ihr habt mir das Herz erquickt. Denn ich bin euer neuer Pfarrer, und will nichts anderes sein, als der armen Leute Pfarrer. Will's Gott, daß ich euch ein rechter Pfarrer werde.« Damit schüttelte er dem Alten treuherzig die Hand. Als die andern aber verlegen dasaßen und sich ihrer Reden schämten, und ein Gesicht machten, als wollten sie sagen: »Das war auch wieder einmal daneben gehauen, und Schweigen wäre Gold gewesen und das Maul halten eine Tugend« – da tröstete sie der Pfarrer und sagte: »Ich nehm's euch nicht übel, liebe Freunde, denn ihr habt geredet, wie ihr's verstanden habt, aber wir wollen uns schon mit einander vertragen, und werden beide satt werden; denn unser Herrgott nährt die Raben und die Sperlinge unterm Himmel.« Und reichte auch ihnen die Hand und tröstete sie mit freundlichen Worten, als sie sagten, sie hätten's nicht so böse gemeint.

Und als er dann seine Familie holte und auf dem Leiterwagen einzog, ging ihm die Gemeinde ein Stück Wegs entgegen, und vorne dran die, die am Abend allerhand Thorheit geredet. Und im Pfarrhaus war alles bekränzt, und im Keller war alles gefüllt mit Kartoffeln und Kraut, und im Stall war ein fettes Schwein, und auf dem Hof liefen die Hühner und gackerten, als sie den neuen Herrn Pfarrer sahen. Das hatten die armen Leute ihrem armen Pfarrer gethan. Und der Pfarrherr mit samt seiner Frau dankten Gott, daß er sie zu armen Leuten geführt. – Also hielt meines Geschwisterkinds Großvater seinen Einzug.


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