Emil Wilhelm Frommel
Aus der Chronik eines geistlichen Herrn
Emil Wilhelm Frommel

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Zum Schluß noch etwas »vom Grüßen«

So ist der Verfasser denn fürs erste fertig mit der Hauschronik. Denn mehr konnte er nicht sagen, weil das Papier nicht ausgereicht hat. Die Geschichten, so da stehen, sind wahr, denn sonst könnte man sie nicht mit gutem Gewissen erzählen. Das Büchlein will, wie gesagt, aber ein Anklopfer an den Häusern sein und Einlaß begehren und die Leute bitten, auch was zu schreiben. Es giebt so viel erlogene Geschichten, wobei sich die Leute viel Mühe geben müssen, um ein paar Bogen voll zu lügen; es giebt aber so viel wahre Wunderwege, daß man sie nicht erst zu ersinnen braucht. Und so wünsche ich, daß das Büchlein, das alle Leute grüßen will, mir den Gruß zurückbringt, wie es einmal mit einem andern Gruß gegangen ist, von dem ich noch erzählen will. Meines Schwagers Jungfer Base hat sie erlebt. Nicht weit von Basel wohnte sie in einem stattlichen Wirtshaus, wo sie das ebenso stattliche Wirtstöchterlein war. Und es kamen und gingen viele Reisende auf dem Weg nach Basel durchs Wirtshaus, und mit allen verkehrte sie liebreich und freundlich. Da kam einst einmal auch ein reicher holländischer Kaufmann krank auf dem Heimweg von Basel aus an. Der Kutscher mußte sachte fahren, denn der Herr im Wagen drinnen hatte verdächtige Röslein auf der Wange, die meist darauf schließen lassen, daß man im Frühjahr die Vögel nicht mehr pfeifen hört. Und auch er wurde mit aller Liebe aufgenommen, und das Wirtstöchterlein pflegte ihn und stellte ihm des Morgens einen frischen Strauß von Herbstblumen hin, damit sich das Auge des Kranken dran freue. Und das that's auch, und der dankbare Blick des Mannes, dessen Sprache sie nicht verstehen konnte, sprach auch etwas aus. Als er sich ein wenig erholt hatte, dachte er an die Abreise und ließ ihr seine schöne Tasse und mehrere feine Hyacinthen- und Tulpenzwiebeln zurück, mit denen er handelte, und gab ihr auf einem Zettel seinen Namen und sagte dabei, daß wenn sie des Wegs einmal nach Amsterdam in Holland käme, solle sie nur frisch zu ihm kommen, er wolle ihr dann alle Herrlichkeiten zeigen und ihr die Liebe gedenken, die sie ihm erwiesen. Sie aber dachte: da wird noch viel Wasser den Rhein hinunterfließen, bis das geschieht. Und der kranke, blasse Holländer nahm Abschied und winkte noch lange aus dem Wagen zu. – Jahre kamen und gingen, unter der Tasse lag der vergilbte Zettel mit der Adresse, die Zwiebeln hatten geblüht und verblüht – wie's eben die Blumen thun, und des Ochsenwirts Töchterlein war auch mit den Tulipanen verblüht und hatte den Holländer vergessen und der Holländer das Ochsenwirtstöchterlein. Da begab sich's, daß eine Schweizerfamilie des Abends in einem Wägelein, mit Leinwand überspannt, dahergezogen kam und im Ochsen einkehrte. Es war ein rüstiger Mann, der eine blasse junge Frau mit ein paar Kindern aus dem Wagen hob. Die Leute setzten sich an den Tisch, die Kinder mit dem Vater ließen sich's gut schmecken, nur die junge Frau aß nicht und trocknete verstohlen ihre Thränen mit der Schürze. Da machte sich des Ochsenwirts Töchterlein dazu und rief die junge Frau weg vom Tisch. Und in der Ecke bat sie die Frau, ihr zu sagen, was ihr fehle. Und sie erzählte, wie sie 's Heimweh hätte nach den Bergen. Ihr Mann sei ein Steinschleifer, aber leider unruhigen Gemüts, und habe einen Posten in Amsterdam angenommen bei den Brillantschleifern, der ihm viel Geld eintrage; aber sie wolle lieber mit wenigem daheim bleiben. Da vermahnte sie das Töchterlein, ihrem Mann still zu folgen und zu denken, es sei jetzt Gottes Weg so. In der Nacht aber fiel ihr die Tasse ein mit dem Zettel darunter, und als die Leute morgens Abschied nahmen, drückte sie der blassen Frau noch ein Geldstück in die Hand, gab ihr den vergilbten Zettel mit und sagte: »Vielleicht lebt er noch und dann richtet ihm einen schönen Gruß aus von dem Ochsenwirtstöchterlein.« Die blasse Frau dankte und zog still ihren Weg. – Jahre gingen wieder hin und her, und nicht bloß der Holländer, auch die blasse junge Frau war vergessen, und das Ochsenwirtstöchterlein war schon zur Base und, dieweil sie ledig blieb, zur Familienbase geworden, die überall mit Rat und That beispringen mußte. Da hielt – es mochten zwanzig Jahre drüber hingegangen sein – des Abends eine schöne Kutsche am Ochsen und eine Frau im schwarzen Kleid mit ein paar saubern Mädchen stieg heraus. Sie fragte, ob die Tochter im Haus noch lebe, und als man's bejahte, trat sie auf sie zu und küßte sie. Die Base wußte nicht, wo sie das hinschreiben sollte, denn das war ihr noch nicht von einer fremden Frau passiert. Da erzählte denn die schwarze Frau, die schier wie eine Dame aussah: »Euch habe ich nächst Gott das Leben und mein Glück zu danken. Euer Rat war gut, still zu halten. Denn ich bin die Steinschleifersfrau, wenn Ihr Euch noch erinnern könnt, der Ihr den Gruß mitgegeben habt nach Amsterdam. Gott lohne es Euch.« Die Base staunte. Aber die Frau fuhr fort: »Zuerst ging's uns gut in dem fremden Land und wir hatten's vollauf. Aber dann ward mein Mann an den Augen krank von dem scharfen Sehen und Arbeiten, und der Verdienst hörte auf. Wir haben gedoktert und zugesetzt, ein Stück Möbel nach dem andern. Zuletzt sind wir in einen elenden Keller gezogen. Da ging erst die rechte Not an. Zuletzt hatten wir nichts mehr zu essen, und der Jammer der Kinder war nicht mehr zum Anhören. Da hab ich mich einmal am Koffer niedergekniet und in der höchsten Not zu Gott um Hilfe geschrien, und da kommt mir der Zettel mitten im Gebet in den Sinn. Ich habe gezittert an den Händen, als ich suchte, denn ich meinte, er wäre verloren in den langen Jahren. Aber er fand sich noch. – Da bin ich denn hin, der Herr – ein alter Herr – lebte noch. Die Bedienten wollten mich mit einer Gabe abfertigen, aber ich bat und bettelte, bis sie mich hereinließen. Und der alte Herr nahm den Zettel und las lange dran und verglich ein anderes Buch; dann gab er mir einen Stuhl und fragte mich, was ich wolle. Da ist mir das Herz bald gebrochen vor Weinen, so daß er mich erst einmal ausweinen lassen mußte. Da hab ich ihm denn alle Not von Anfang an erzählt, und dann hat er mich gehen lassen und gesagt, er werde mir helfen. Am folgenden Tag stand seine Equipage vor dem Keller und er nahm meinen kranken Mann mit und brachte ihn ins Krankenhaus, uns in ein schönes Hinterhaus nahe bei ihm. Meinen erblindeten Mann hat er verpflegen lassen bis ans Ende, für unsern ältesten Sohn gesorgt; und wie mein Mann tot war, der im Leiden ein anderer Mensch geworden ist, hat er mir's wohl angesehen, wie's mich nach der Heimat gezogen hat, und seiner Güte danke ich's, daß ich mit meinen Töchtern in die Heimat komme und noch ein kleines Kapital finde zum Anfang. Wie viel mich Euer Gruß genützt, das kann ich Euch nicht sagen, drum nehmt Ihr's nicht übel, daß ich Euch geküßt habe, aber 's ging nicht anders. Hätte ich ihn früher ausgerichtet, war's uns vielleicht nicht so schlecht gegangen. Drum hab' ich nicht heim wollen, ohne Euch zu danken. Gott vergelt's Euch tausendmal!« Nun staunte die Base erst recht über den Wunderweg Gottes, der durch viel oder wenig helfen kann. – – So wünsche ich denn, daß mein Büchlein auch den Gruß ausrichte und einen Gruß mit zurückbringe, wie die Steinschleifersfrau ihn der Vase zurückgebracht hat. –


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