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VI

Maria traute ihren Augen nicht, als sie Lux am andern Tage von seinem Zimmer kommen sah. Elinor und er waren so ruhig darüber, als gäbe es keine Zweifel auf dieser Erde mehr.

Sie blickte von einem zum andern, Elinors Gesicht schien ihr verändert, sie ging mit lässigen Schritten, wie gebeugt unter der Last eines seligen Schicksals. Ein schwüles Schweigen lag über dem Hause, ein zitterndes Geheimnis war in seiner Luft, verbarg sich hinter seinen Vorhängen.

Die Schwestern saßen allein im Zimmer ohne zu sprechen – da brach Maria in bitterstes Weinen aus.

Elinor stand auf und ging auf sie zu:

»Es ist dein Haus, Maria ... Sollen wir gehen?«

Maria sprang vom Sofa empor, sie ließ ihre Hände sinken und starrte der Schwester ins Gesicht:

»Bist du verrückt geworden, Elinor, daß du so sprichst?«

Elinor blieb ganz still.

»Seit Jahren leb ich nur noch in dir!« klagte Maria, »sorge nur um dich ... und jetzt ... ich hab solche Angst um dich! Wo bist du schon? ... Ich träumte heute Nacht: du warst so weit weg auf dem Wasser ... und das Wasser war hell von Blitzen, wie damals, und du saßest in dem losgerissenen Kahn ... Ich rief – ich rief – ich schrie ›Elinor, Elinor!‹ du hörtest nicht! Soll ich dich vor meinen Augen zu Grunde gehen sehen?«

»Ich muß mein Schicksal tragen,« sagte Elinor »und muß mit ihm gehen.«

»Wohin?«

»Ich weiß nicht. Aber ich glaube, es wird gut sein. Ich liebe ihn.«

»Ich glaub es,« sagte Maria.

Über Elinors Gesicht fuhr eine helle Freude.

»Ich dachte, du hassest ihn.«

»Deinetwegen! ... ja ... was ist er eigentlich – ein Engel – oder ein Scheusal? Das alles ist ... was will er mit dir? ...«

»Warte,« sagte Elinor und ging aus dem Zimmer. Sie kam mit Lux zurück, führte ihn zu Maria und ließ die beiden allein.

 

Der See funkelte in der Herbstsonne, als Elinor und Lux ihm in langen Gesprächen entlangschritten.

Er hatte hart mit sich abgerechnet und glaubte klar zu sein. Ihm war, als hätte er seinen Stolz gebeugt unter einem schweren Stein der Buße und sich wieder aufgerichtet. Er rang nach Arbeit – nach schweren Dingen, die er schleppen, die er mit den Zähnen bewältigen sollte.

»Ich lechze nach Bitternissen,« sagte er, »als ob ich deren noch nicht genug gehabt. Sie werden nicht ausbleiben. Es ist noch immer alles zu süß! – Und du willst mit mir gehen?«

»Ich will.«

Es lag wie eine Last auf seiner Brust.

»Für immer!« sagte sie.

»Ich weiß nicht, ob es für immer sein wird. Ich kann nichts mehr sagen – nach dem, was ich erfahren ...«

Sie sah mit einem gequälten Zug zu ihm empor.

Er verstand. Für sie hatte das Leben erst gestern begonnen und es trug noch das Gesicht der Ewigkeit. Er kannte die Maske, und Verzweiflung zog ihm die Brust zusammen. Er sagte hart:

»Ich weiß nicht mehr, ob man irgend etwas versprechen kann.«

»Ich kann versprechen,« sagte sie.

Dann fuhr er weicher fort: »Und doch glaub ich, Elly, daß wir zusammen gehören.

Sie ist allmählich zu mir herabgestiegen ... und hat mich emporgehoben – und hat mir gegeben und gegeben ... Sie kam wie der Geist und blies in meine Nüstern ... und sie ward zu meinem Freund und ging neben mir her, wie verstehe ich das jetzt ...

Du bist in einem Jahr mit mir geboren – und wir haben uns augenblicklich verstanden und ergriffen. Du bist die Erde. Du verstehst mich nicht ...«

»Ich verstehe dich wohl,« gab sie zurück.

»Ich werde ihr immer dankbar sein.«

»Ich auch.«

Sie gingen eine Strecke in Schweigen; sein Gesicht, das in den letzten Wochen scharf und hager geworden war, verriet ihr die Qual in ihm. Johannas bleiches Gesicht schwebte vor ihm. Er hatte nichts mehr von ihr gehört – er wußte nicht einmal, wo sie war.

Endlich am fünften Morgen kam ein Brief von ihr. Ein verzweifelter Brief voll Qual und Sehnsucht ... Sie rief nach ihm, bat um ein Wort, eine Zeile; sie ertrug es nicht.

Erschüttert legte er den Brief vor Elinor. »Ich muß zu ihr,« sagte er.

»Wir wollen beide zu ihr fahren,« sagte Elinor.

Vergeblich suchte Maria sie davon abzuhalten.

Sie waren im Begriff in den Wagen zu steigen, als ein langer blonder, ganz in Schals gewickelter Herr sichtbar wurde.

»Armin!« rief Maria.

Eine Erkältung hatte ihn in Innsbruck festgehalten; nun kam er frierend und begriff nicht, daß sie den Brief nicht erhalten hatten, der seine Ankunft anzeigte. Er war zu Fuß heraufgekommen. Vier Personen in den verschiedensten Lebensaltern brachten sein Handgepäck geschleppt.

»Anstatt einen Wagen zu nehmen!« rief Maria lachend, »o Armin!«

Ihr kleiner Junge, der mürrisch, die Hände in den Hosentaschen, vor der Türe gestanden, sprang dem Vater entgegen.

»Wie gescheit, daß du kommst!« rief er, »Sie haben alle immerfort Kopfschmerzen und schicken mich fort. Es ist gar nicht zum Aushalten hier! Da ... Onkel Lux! und Tante Elinor!«

Er wies auf den Wagen, den der Professor bereits erstaunt betrachtete.

Elinor reichte ihm die Hand, Lux grüßte.

»Ihr müßt fahren, sonst kommt ihr zu spät,« sagte Maria. – »Kommt wieder!« rief sie schmerzlich.

Der Kutscher trieb die Pferde an, und der Wagen rollte rasch davon.

»Ich werde dir alles erklären,« sagte sie zu ihrem Mann, der seine großen erstaunten Augen bald auf sie, bald auf die Abreisenden gerichtet hatte.

Er hatte ihr mitzuteilen, daß er Briefe von Gulbrandson und Onkel Wilhelm erhalten, und daß man in der Familie über die Vorgänge und Besuche am Achsee verwundert und ungehalten sei und demnächst darüber bei Onkel Wilhelm beraten werde.

»Ich glaube, wir sind großjährig,« sagte Maria, »und können tun, was uns beliebt. Insbesondere Elinor ist ganz frei ... und was mich betrifft ... wenn du dich nicht über mich aufhalten willst ...!!«

»Du empfängst Leute hier, die den schlechtesten Ruf haben!«

Marias Gesicht war so höhnisch verzogen, daß es fast häßlich wurde.

»Also darüber hält die Familie sich auf!« sagte sie. »Wir wollen das Thema fallen lassen, Armin, ich könnte sonst unangenehme Dinge sagen. Später werde ich dir verschiedenes erzählen. Jetzt mußt du dich vor allem waschen und ausruhen und essen. Und dann will ich die Muster sehen, die du mir mitgebracht hast. Hat Sephine die Kleider genäht und geschickt, die ich ihr aufgetragen hatte?«

Aber ehe er noch diese und ähnliche Fragen genügend beantwortet hatte, war sie bereits auf das Kind zugeeilt, hatte es zärtlich geküßt und gefragt, ob es mit ihr Fangen spielen wolle.

Im nächsten Augenblick sprang der Kleine davon. Die Gelegenheiten solcher mütterlicher Spiele kamen plötzlich ... sie mußten ausgenutzt werden.

Sie konnte ihn nicht fangen; bis sie lief und er sie fing, und sie ihn mit Liebkosungen und Versprechungen überhäufte.

Dann folgte sie ihrem Mann ins Haus.


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