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V

In Marias Zimmer in Innsbruck hing eine Photographie in einem lichten Holzrahmen nach einem Bilde des Botticelli, auf dem unter andern Gestalten ein in Stahl gekleideter Engel schreitet. Seine Glieder sind schlank, fast zart – der eine Fuß im spitzen Kettenschuh ist fest auf die Erde gesetzt, der andre hebt sich leicht und anmutig ... die feinen Finger der linken Hand halten eine Weltkugel vor seinem Herzen – die Rechte aber hält gleichsam mit eiserner Entschlossenheit ein Schwert gerade in die Luft. Sein Antlitz ist ernst, es trägt Züge von Leid, der feine Mund ist geschlossen, die Augen blicken wissend und unschuldig zugleich und traurig. Um das Haupt schwebt ein Sternenschein; – still und unwiderstehlich kommt er durch die abendliche Landschaft gegangen ...

In Marias Wohnung hingen noch viele Bilder und Stiche von solcher Art, wie sie sich in keinem andern Hause der Stadt, zum mindesten in keinem ihrer Gesellschaft fanden. Es waren meist Werke aus der frühesten Zeit der italienischen und niederländischen Kunst. Nie blieb ein Zimmer ein halbes Jahr lang das Gleiche, denn fortwährend änderte sie alles darin. Da standen zierliche Schränke mit vielfach einander durchbrechenden Linien, nach ihren oder Elinors Zeichnungen von verzweifelnden Tischlern angefertigt – da standen uralte Truhen mit merkwürdigen Säulchen und Schnitzwerk ... Es war nicht zu sagen, was da an Seiden und Decken an den Wänden hing. Alte indische Seiden und Stoffe zu Meßgewändern, dunkle, schwere schwarze chinesische Brokate mit kupferfarbenen Mustern, und gelbe üppiggeblümte mit leuchtenden Vogelbildern. In hohen Glasvasen standen königliche Sträuße von Chrysanthemen in allen Farben. Am meisten Blumen aber und die seltsamste Pracht war in ihrem eigenen Zimmer. Wer zum erstenmal eintrat, fühlte, daß er nie ähnliches gesehen.

Wenn abends die Kerzen und Lampen brannten, Kerzen in alten vielarmigen Leuchtern, dann lag manchmal eine Stimmung von Glut und Qual darin, daß Maria selbst in ihren weiten weichen Gewändern sich auf einen der kostbaren Teppiche auf den Erdboden setzte und vor sich hinstarrte und zuletzt in siedende Tränen ausbrach.

Ein Bild hing im Zimmer, das sie nicht müde ward zu betrachten, ein Bild von Marias Mutter; ein kindlich sanftes Gesicht, das dem ihren glich, mit einem Zug um den Mund, von dem man nicht wußte, ob er Lachen oder Schmerz war. Seit einiger Zeit aber hing auch jene Photographie nach dem Bilde von Botticelli darin, und der Engel glich von Angesicht Lucian Obrist in auffallender Weise ...

Vor diesem Bilde stand Elinor oder vielmehr sie kniete davor auf dem Sofa, weil sie anders nicht gut an es herankommen konnte. Sie trug ein schwarzes Seidenkleid ihr kleiner Neffe in einem weißen Anzug mit einer roten Schärpe und einem breiten Spitzenkragen, über den seine langen blonden Haare fielen, griff bald nach ihrem Fuß und bald nach ihrem Kleide, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Es gelang ihm auch: sie drehte sich herum, nahm ihn in die Arme und herzte ihn. Aber das war es nicht, was er begehrte, er verlangte, sie sollte mit ihm Verstecken spielen, und auch das geschah; bald stand sie hinter der Tür und bald hinter einem Vorhang, und er suchte und fand sie jauchzend. Aber immer wieder vergaß sie sich mitten im Spiel und versank in Nachdenken, und der Kleine griff nach ihrer Hand oder nach der dünnen goldenen Kette, die sich mit der Uhr in einer Art weiten Gürtels verlor:

»Schau, schau – bitte –!« rief er.

Die Stimmen ihrer Schwester und ihres Schwagers tönten aus dem Nebenzimmer. Der Ton machte sie betroffen – einen Augenblick stand sie stille, dann trat sie mit dem Kinde in die Tür. Maria nickte ihr zu, der Professor richtete ein paar Worte an sie – und sie ging mit dem Kleinen zur andern Türe hinaus.

Maria sah, wie die Türe sich ins Schloß legte. Dann wandte sie ihren Blick wieder auf ihren Mann und fragte: »Was noch, Armin?«

Er legte Papier auf Papier vor sie. Maria sah kaum darauf.

»Wie soll das alles bezahlt werden, Maria?«

»Lasse die Rechnungen nur da, ich werde sie dann einsperren!«

»Damit ist nichts getan ... ich bitte dich, die Sache ernst zu nehmen ...« er sprach mit ein wenig Pathos ... hie und da fuhr er mit den Fingern nervös durch den Bart oder befestigte den goldenen Kneifer, der zu gleiten drohte.

»Ich möchte dich so photographieren, Armin,« sagte seine Frau, »wenn du ganz ruhig bleibst, so hole ich den Apparat!«

Er biß sich auf die Lippe: »Auch vom Photographen sind Rechnungen da! Ich bitte dich, Maria ... sag, was geschehen soll? ...«

Maria trat vor den Spiegel und richtete ihr Haar.

Da er weiter sprach, wendete sie sich um und sagte: »Soll ich die Rechnungen an Onkel Anton schicken? Er wird zu einem Wucherer gehen, wenn es nötig ist und Geld auftreiben, oder seine Orden versetzen – sei versichert, Armin, er wird das tun!«

Der Professor war blaß geworden: »Du hast eine Art zu scherzen, Maria ...«

»Du weißt, du kannst den Schlüssel zur Kassette mit seinen Briefen haben,« erwiderte sie lachend. »Aber was soll ich dir auf deine Fragen antworten?«

Sie ging ein paarmal im Zimmer auf und ab, während er bald nach ihr sah und bald in den Papieren blätterte, ein Bild stattlicher Verlegenheit. Nun setzte sie sich auf ein Ruhebett, über dem ein Tigerfell lag ... sie strich mit der Hand darüber, und ihr Finger folgte einem der schwarzen Streifen – ein heller Sonnenstrahl fiel durch einen Spalt des dunklen Vorhangs, der das große Fenster verschloß und ließ unzählige Stäubchen auf seinem Weg glänzen und tanzen. Große Tränen standen in Marias Augen. Da ging er auf sie zu, ergriff ihre Hand und mit unsicherer Stimme sprach er ihren Namen:

»Nein, danke,« sagte sie, »laß das, Armin! ... Du bist ein guter Kerl. Ich weiß es.«

»So viel könnte anders sein, Maria!«

»Ich bin kein Vogelweibchen, Armin, auch wenn ich im Käfig sitze. Tu l'as voulu!« Die Tränen verschwanden im Augenblick. »Elinor«, rief sie laut – und zu ihrem Mann gewendet, sagte sie leise und rasch: »Sprich du selbst mit Tante Karoline, wenn sie nach Hause kommt. Dir wird sie Geld geben.« Damit brach sie in helles klingendes Lachen aus, als Elinor eintrat –

»Wo ist der Bubi?« fragte der Professor.

»Er spielt.«

»Ich will nach ihm sehen. Der Kinderwärter meiner Frau, wie immer.«

»Süße!« sagte Elinor, als sie allein waren, »hast du Verdruß?«

»Verdruß, Elinor, nein! Nur Ekel – Ekel – Ekel!«

»Wovor?« fragte Elinor leise.

»Vor dem Leben, vor den Menschen, und vor allem vor mir selbst! oh diese Erbärmlichkeit! oh dieses Nicht-Wagen! keinen Schritt!«

»Du bist nicht erbärmlich, Maria!«

»Elly, jeden Nachmittag liege ich hier stundenlang auf dem Sofa und weine und weine. Und meine Augen verderben, und meine Haare fallen mir aus. Da, sieh!«

Sie ging Elinor voraus in ihr Zimmer, öffnete eine Lade ihres Tisches, in der Strähne ihres Haares lagen.

»Deine schönen, schönen Haare, Maria!« rief Elinor klagend.

»Ich fürchte mich, Elinor, vor den Jahren – ich fürchte mich ... ich bin gesund und es kann noch so lange dauern! Es gibt Tage, Elinor, wo ich dem Fenster nicht nahe gehe, weil ich fürchte, ich muß hinaus und hinunter ... und es ist so häßlich, da unten zu liegen! Elinor, ich träume: ich möchte mich auf ein Pferd setzen, und festbinden lassen, und die Augen verbunden haben, und das Pferd sollte toll gemacht werden und auf das Wasser zugetrieben ... das wäre gut! ...«

»Maria ... Maria ... es muß anders sein.«

»Es ist nichts mehr für mich zu tun. Ich bin in den Käfig gegangen aus Zorn und aus Verachtung, und es gibt keinen Schritt hinaus. Es hat einen gegeben, den gibt es nicht mehr! Wäre er das gewesen, was er schien ... Er hat mir wieder einen Brief geschrieben; – er schreibt nicht oft! – die alte Erklärung! – Wenn er in einem Krieg wäre und fiele und sterben müßte, dann könnte ich ihn pflegen ... und würde ihn lieb haben. So aber ekelt mir auch vor ihm! Das sind Männer! Oh! – Aber wozu sag ich dir alles das?«

Sie hörte die Hausglocke tönen, die Türe sich öffnen und schließen.

»Tante Karoline ist zurück,« sagte Elinor, »nun wird sie mich rufen lassen.«

»Du bist auch ein armes Wurm!« sagte Maria, die Schwester streichelnd, die noch an ihrem Halse hing.

»Ich werde in wenig Tagen frei sein,« antwortete Elinor leise.

Maria stand auf und sah sie starr an. »Was meinst du, Elinor?« sagte sie langsam.

»Ich tue es,« erwiderte die Schwester mit geschlossenen Augen.

»Elinor!« – Es war fast ein Schrei. »Du sprichst Unsinn, Elinor.«

»Doch, Maria ...« antwortete sie.

Maria ergriff ihre Hand und führte sie zum Fenster – dort zog sie den Vorhang zur Seite und sah ihr ins Gesicht. Sie sah, daß es verändert war.

»Und nach dem, was ich dir heute gesagt! Du bist verrückt, Elly! du bist dumm! du bist krank! – du hast nur noch ein Jahr zu warten!«

»Ich halte es nicht aus! Und Gulbrandson sagt, ich muß nicht wirklich ... seine Frau sein. Er will mich nur frei machen ... er sagt ... das ist in Schweden und Rußland etwas ganz Gewöhnliches!«

»Er lügt! er meint das nicht!«

»Er meint es ganz ernst. Er ist sehr ehrlich. Er sagt, das war immer seine Idee!«

»Elly, liebe Elly!«

»Tante Karoline will es; für dich ist's gut ... ich bin zu nichts mehr nütze, und Gulbrandson macht es glücklich. Und ich kann machen, was ich will! ich kann studieren, zeichnen, malen, nach Paris gehen ... aber das will ich alles gar nicht mehr ... Boris hat große Pläne für die Armen und für ihre kleinen Kinder ... dabei will ich helfen. Ich hab es versprochen!«

»Aber er liebt dich ja!«

Elinor machte ein eigentümliches Gesicht. »Ich werde nie seine Frau sein, ich habe es ihm gesagt!«

»Er erwartet das Gegenteil!«

»Vielleicht. Er muß mich frei geben, sobald ich es verlange!«

»Und wenn du einen andern Mann liebst!«

»Gibt er mich frei!«

»Und du nimmst das an?«

»Ja. Ich will es. Ich muß. Ich hab es ihm versprochen.«

»Oh Elly, du weißt nicht, was du tust! Du bist kindisch! Du wirst in eine neue Hölle kommen!«

»Nein!«

»Und du wirst nie ein Kind haben?!«

»Ich weiß nicht ...«

»Elly! Wahnsinn!«

»Ernst, Maria! Ich Hab ihm ganz gesagt, was ich will; und ich will es! Und er weiß, warum ich es will!«

»Für mich!! Aber ich nehme das nicht an!«

»Nein, für mich selbst!« ... Elinor schwieg und entfernte sich von der Schwester, die sie bei den Schultern gefaßt hatte. Man klopfte an die Türe. Das Dienstmädchen trat ein: »Die alte Gnaden läßt die gnädige Frau bitten!«

 

Die starre und ruhelose Frau war plötzlich in Innsbruck angekommen. Sie war den ganzen Tag unterwegs, sie prüfte die Rechnungen in den Wohltätigkeitsanstalten, deren Vorstandsmitglied sie war, oder sie machte Besuche. Sie erregte das Staunen der Nichte, ihres Gatten, der Gäste, die ins Haus kamen. Sie saß jeden Abend bis Mitternacht auf, steif, ohne sich anzulehnen. Sie sah alles, was vorging. Sie sah jeden Abend nach, ehe sie zu Bette ging, ob alle Lichter ausgelöscht, die Türen verschlossen waren. Und sie sagte jeden Abend vor dem Schlafengehen allen im Hause ihre Meinung, und sie hatte viel zu sagen.

Maria fand ihren Mann im Gespräch über die Rechnungen. Der strenge Blick der Tante befragte sie. Sie setzte sich in einen Lehnstuhl und erklärte, daß ihr völlig gleichgültig sei, was geschehe. Die Tante geriet in Zorn und hielt ihr ihre unsinnige Verschwendung vor. Maria zuckte die Achseln. Der Professor suchte schmerzlich bewegt zu vermitteln – aber Frau Hogerath sprach ihm ihre Verachtung aus. Ihre Worte wurden immer heftiger, durch Marias Ruhe gereizt. Sie riß die kostbaren Blumen, die in einer Vase auf dem Tisch standen, heraus und warf sie zur Erde. Der Professor wollte sich danach bücken, hielt aber mitten in der Bewegung inne.

»Die Blumen sind nicht schuld,« sagte Maria.

Frau Hogerath war noch weißer als sonst ... »Kreatur« ... rief sie, aber sie bezwang sich. Maria verließ das Zimmer. Ihr Mann folgte ihr. Sie hörten, wie ein Stuhl im Zimmer umstürzte, aber da die Tante nicht rief, kehrten sie nicht um.

Erst, als Frau Hogerath ihrer gewohnten Pünktlichkeit entgegen, nicht zu Tische erschien, sandten sie das Mädchen hinüber – die erschrocken mit der Botschaft zurückkam: die »alte Gnaden« liege auf dem Boden und rühre sich nicht!


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