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XII

Von da an hatte Johanna wenig Freude am Sommer. Sie war verstimmt und schweigsam; verschlossen trug sie ihre innere Unrast; und die Andren fühlten sich mit ihr immer weniger wohl, wenn sie kam und ging und ihr Fern- und Fremdsein zu allen Tageszeiten fühlbar war.

Und so begann auch der Herbst nach ihrer Rückkehr in der Stadt trübe, wie mit einem Vorgefühl kommender schwerer Dinge. Sie fühlte die alte Öde in der weiten Wohnung, die ihr immer unerträglicher wurde, und die Spannungen, die ihre Tage verdarben; in die Arbeit kamen tausend Hindernisse.

Ida wurde nervös und reizbar, brach beim geringsten Anlaß in Tränen aus und blieb tage- und wochenlang zu Bett. Der Hofrat sagte: »Medizinisch lege ich der Sache keine große Bedeutung bei; aber das Kind muß vernünftig behandelt und geleitet werden« und er bestand nicht ohne Gereiztheit darauf, daß Johanna dies tue. Sie wunderte sich über diese Unklugheit des sonst so Verständigen, aber sie verstummte vor dem Worte »Pflicht«, weil es einen Vorwurf enthielt und weil in ihr selbst Irrungen waren. Nun tat sie, was ihrem Wesen widerstrebte, mit eisernem Willen. Sie nahm dem Mädchen die Bücher weg, die es nicht lesen sollte, überwachte ihre Spaziergänge und den Verkehr mit ihren Freundinnen ... sie hörte kein Wort und war blind für die wütenden Tränen. Aber das Jahr war ein Jahr der Folter für sie und legte zu sehr bestimmten Anschauungen in ihr den Grund. »Ich glaube, Ida braucht eine andre Umgebung«, sagte sie, »schicke sie auf einige Zeit zu Helene!« Aber davon wollte der Hofrat nichts hören, er wollte das Kind überwachen und bei sich haben. Später geschah es dennoch und sollte für Johanna verhängnisreiche Folgen haben.

Lux war erstaunt. Johanna erklärte ihm, was sie tue, sei des Onkels Wille; und Ida, die er zur Rede stellte, verwirrte ihn fast durch die Heftigkeit ihres Ausbruchs:

»Warum ist sie in unser Haus gekommen? Warum hat sie den Papa geheiratet? Sie liebt ihn gar nicht! Weil sie sein Geld will!« Darauf ein Tränenstrom und die Mitteilung, daß sie »allabendlich vor dem Bilde ihrer Mutter um den Tod bete.«

»Bete lieber, daß sie dir Verstand gibt!« sagte Lux, Überhaupt »beten«! Er war disgustiert. Das waren die Cousinen, die sie so »pfäffisch« machten.

Übrigens hatte er selbst keinen Grund zu guter Stimmung. Die gewöhnliche Tragik des Knabenschicksals quälte ihn: das Gymnasium verdarb ihm die Freude seiner Jugendjahre. Er stand in der Schule schlecht; so sehr, daß er sich weigerte, zu Weihnachten nach Hause zu fahren, »weil die Eltern zu traurig sein würden«. Und so verstummte auch er im Haus.

Johanna hatte begonnen, mit ihm Latein zu arbeiten, einerseits um es selbst zu lernen und weil er dabei die Anfänge gründlich wiederholte, aber der Onkel fand, daß diese »Dilettanterei« ihn nur zerstreue und von der Arbeit abziehe, und gebot in sehr ärgerlichem Ton die Einstellung dieser gemeinsamen Stunden.

In Johanna gärte es gefährlich. Ihr Mann, der sie nachgiebiger fand als je, nahm nichts wahr; ihr aber waren die Wände ihres Zimmers unerträglich geworden, und wenn sie einschlief, tanzten die Blumen der Tapeten vor ihren Augen.

 

Ihre Erholungen waren die Besuche in Marquarts Haus. Viele Menschen lernte sie dort kennen, die sie interessierten; schwärmerische und traurige, bittere und begeisterte Menschen, Menschen, die sich für die merkwürdigsten Dinge einsetzten; Buddhisten und Vegetarianer, Männer mit düsteren Augen, langen Haaren und jüdischen Namen, die das Christentum erneuern, und andre, die es gänzlich abschaffen wollten. All diese gingen oft aneinander heran, wie die Vertreter von Großmächten, die einen Schein von Höflichkeit bewahren, während sie wissen, daß die Bajonette an den Grenzen funkeln. Sie hörte Reden, die wie Posaunenstöße schallten, Vorschläge, die die Erde umwandeln und ein neues Geschlecht entstehen lassen sollten. Man vergaß, daß man in engen Zimmern mit schadhaften polierten Möbeln und Büchergestellen war ...

»Der Geist ist Dynamit ... und wir haben hier ein ganzes Dynamitlager«, sagte ihr einer der Herren selbstgefällig. Sie wußte nicht, ob er die Bibliothek Marquarts oder sich selber meinte.

Das Klavier machte alle verstummen. Wenn Annita wohl genug war, und wenn ihr Freund, der Kapellmeister Gribowski kam, dann spielten sie zusammen; manchmal stellte sich auch ein Geiger ein; es wurde trefflich musiziert, und der Abend verging noch genußreicher, als sonst.

Längst schon hatte Johanna begriffen, daß Annitas Klavierspiel mehr als bloße musikalische Unterhaltung oder Übung war; längst hatte sie erkannt, daß es auch hier unterirdische Flammen gab; nur wußte sie noch nicht, wohin sie zu schlagen drohten. – Für sie schlugen sie nicht über die Schwelle dieses Hauses; denn in ihrem eigenen sprach sie kein Wort davon. Höchstens brachte sie praktischen Rat mit heim. Marquart empfahl ihr Robert Biber als Lehrer für Lux. Der stille, ein wenig ängstliche Mensch und der Knabe waren im Augenblick gute Freunde. Lux sagte, das sei endlich einer, den er verstehen könne, der ihn nicht langweile, der selbst Mathematik interessant mache. Johanna, überrascht von dieser Sympathie, wollte Biber näher kennen lernen; – aber ihre Gegenwart schüchterte ihn hoffnungslos ein, und er wurde so rot und sprach so verwirrt, wie seinerzeit Herr Gimsel. Übrigens sah er blaß und elend aus. Johanna befragte ihn einmal teilnehmend, und er erwiderte: »Ach, ich führe ein so blödsinniges Leben, gnädige Frau ...«

»Wie? ...« rief Johanna.

»Ach, ich meine nur ... ich arbeite stets die Nächte durch ...«

»Tun Sie es lieber nicht«, sagte Johanna lachend; diese hilflose Art, zu sprechen, zog sie nicht an.

»Er traut sich vor dir nicht«, sagte Lux, der den Lehrer mit seiner Schüchternheit neckte. »Du solltest ihn nur reden hören, wenn wir allein sind!«

Die Tage und Monate vergingen und wurden zum Jahr. Kleine Dinge verschoben sich, im Grunde schien alles gleich zu bleiben. Nur Johannas Geist waren, wie Marquart einst prophezeit hatte, die Augen aufgegangen. Sie sah eine völlig veränderte Welt.

Eines Tages traf sie bei Marquart jenen Künstler wieder, den sie auf ihrer Hochzeitsreise zugleich mit ihm kennen gelernt. Er war lange nicht mehr so schön, wie er gewesen, seine Züge waren verlebt und matt, aber er war berühmt geworden. Er konnte sich der früheren Begegnung kaum entsinnen, doch sprach er den ganzen Abend nur mit ihr; und sie war kaum fortgegangen – man erzählte ihr das später – als er in unverhohlener Bewunderung von ihr und nur von ihr zu reden begann. Er ließ sie auch fragen, ob er sie malen dürfe. Marquart schien dagegen zu sein, und so ward nichts aus der Sache.

Eine Wagnerfeier wurde in Wien veranstaltet, und Marquart hielt die Festrede. Es war die Zeit, da sein Name den Höhepunkt des Ansehens erreicht hatte, das er je in Wien besaß, und er von allen Vorlesern der Anziehendste geworden war. Der große Musikvereinssaal war dicht gefüllt, die Damen waren in großer Toilette; Johanna saß einfach gekleidet auf der Galerie. Als die Tannhäuser-Ouverture verklungen war, trat er auf, vom Beifallklatschen seiner zahlreichen Verehrer begrüßt, und begann zu sprechen. Seine Stimme war weich und wohllautend; seine schroff-wechselnde Redeweise, die plötzlichen Bilder, die ihm zuströmten und ihn selbst emporrissen, rissen auch die Zuhörer mit. Johanna vergaß alles; ihr war, als spräche er nur für sie, und als würde ihre Seele weit, und Erkenntnisse und neue Gedanken strömten in sie ein, wie auf breiten, glänzenden Strömen, über denen die Sonne liegt. Was er sprach von der völligen Freiheit und Selbstverantwortlichkeit des Menschen, von den Helden, die Erlösung bringen, weil sie den alten morschen Speer des Weltgesetzes zu brechen wagen ... wie das alles einer Unbändigkeit entgegenkam, die tief in ihrem Wesen schlief!

Einmal wäre sie am liebsten aufgesprungen und hätte in die Hände geklatscht. Sie war nicht die einzige Zuhörerin, deren Augen mit tiefer Sympathie an dem Antlitz des Redners hingen. Sie ging nachher nicht ins Künstlerzimmer, obwohl Annita und Marquart sie dazu aufgefordert hatten – sie eilte nach Hause.

Ihr ganzes Denken und Fühlen war zu einer fortwährenden Spannung geworden, die sie selbst nicht begriff. Es war, als stünden fremde Dinge, verhüllte Mächte vor ihrer Tür, bereit einzutreten. Im Traum hörte sie die Musik des Abends süß lockend und verhängnisvoll hinter rotseidenen Vorhängen tönen. Zuletzt klang es laut und schneidend, wie Trompetenstöße ... Sie fuhr empor.

Sie war sogleich völlig wach und sann. In das Gefühl tiefer Dankbarkeit mischte sich eine Art zorniger Empörung darüber, daß all das ihr nicht helfen sollte, daß niemand ihr die Tore auftat ... denn das alles sollte doch Leben sein und nicht Worte.

An einem der nächsten Abende war Marquart ihr Gast. Er kam allein, denn seine Frau war von den Aufregungen des Festes und den Intrigen, die vorhergegangen waren, da viele Leute ihm die Festrede nicht hatten gönnen wollen, wieder leidend.

Als sie ihn eintreten sah, erstarrte sie fast: was wollte sie von diesem fremden Manne? Hinter dieser Stirn – sie war zweifellos das Schönste in Marquarts Gesicht – formten sich große Gedanken für alle, nicht für sie, die Einzelne und Unbeträchtliche, und der hastige, heftige Mund sprach Dinge, die fernab lagen.

Der Hofrat kam später, als er erwartet wurde, und so saß sie eine Zeitlang mit Marquart allein im Salon. Er war fast entrüstet darüber, daß sie noch nie eine Wagneroper gehört. Ihr Mann mochte Wagnersche Musik nicht leiden, und er hatte stets die Karten genommen. Aber sie wollte nun dazu gehen, gewiß und unzweifelhaft.

Beim Abendbrot gerieten Marquart und der Hofrat in einen Streit über die Fakultäten, der zu einem Streit über die Weltanschauungen wurde und den ganzen Abend erfüllte. Wie immer in Gesprächen, brachen sie nur Streifen und Schnitzel von dem ungeheuren Thema und in einem Meer von Fremdworten verlor Johanna jeden Faden.

»Ich verstehe kein Wort,« rief sie endlich ungeduldig.

»Sie werden uns gleich wieder verstehen, gnädige Frau!« Er verfocht die Subjektivität aller Erkenntnis. Der Name »Kant« fiel immer wieder – von Marquarts Lippen mit Verehrung, von Berkheim mit einer Art von Abneigung ausgesprochen.

»Ich habe von Kant noch nichts gelesen,« sagte Johanna kläglich.

Beide Männer lachten. »Sie sagen das mit einer entzückenden Selbstverständlichkeit«, sagte Marquart. »Sie haben Kant noch nicht gelesen!«

»In dieses Wolkenkuckucksheim steige ich Ihnen nicht nach,« sagte der Hofrat.

Sie kehrten zu ihrem Streit zurück; und es war nicht zu leugnen, daß Marquart in solchen Gesprächen sehr lebhaft wurde; daß er den Mann gegenüber nicht mehr los und in der Regel auch nicht zu Wort kommen ließ. Der Hofrat sagte sich, daß mit diesem Menschen, der ihm mit mythologischen Bildern und mit dem Schleier der Maja kam, nicht zu streiten sei; und der selbstbewußte Ton und die Zügellosigkeit der Rede des jüngeren Mannes fing an, den ordentlichen Professor zu verdrießen. Er wurde einsilbig. Um so lebhafter sprach Marquart fort, der merkte, daß Johanna ihm mit solcher Anstrengung und Spannung zu folgen suchte, daß sie Stirn und Brauen in Falten zog. Aus den Schranken, die ihr Mann ihrem geistigen Sehnen zog, wiesen seine Worte sie hinaus in eine neue Glaubensfreiheit, zu neuen Geheimnissen. Und er wußte das wohl und sprach nur noch für sie, sprach von den Gefühlen, die die beherrschenden Tatsachen unseres Lebens sind, und die »wichtiger sind, als ein grüner Niederschlag in einem Reagensglas! Freilich, Worte wie »Glaube«, »Liebe«, »Göttlichkeit« – die hört ihr nicht gern, und man möchte sie auch vor euch gar nicht aussprechen! ...«

Der Hofrat machte eine ablehnende Handbewegung, die vor Marquarts stürmischen Gesten verschwand. Dennoch entstand einen Augenblick eine peinliche Pause, und Berkheim, der sich erinnerte, daß er Wirt war, wies auf die Weinflasche und auf Marquarts halbgeleertes Glas ...

»Sie kommen um das Beste ...« begann er; aber jenem fluteten schon wieder die Worte, und die weit geöffneten blauen Augen bald auf Johanna, bald auf den Hofrat gerichtet, sprach er:

»Aus ihren Tiefen gebiert die Menschheit immer neue Scheinlösungen der ewigen Rätsel. Es ist ein Mantel, den sie sich selbst umwirft, weil sie ihre eigene Nacktheit nicht schauen kann und nicht versteht. Jede Generation webt neue Bilder und Zeichen ins Gewebe und stolziert darin einher ... Wie kann man sich davon so gröblich täuschen lassen? Ein Drehen des Rades und das Gewebe zerflattert, und wo sind Sie und Ihre wissenschaftlichen Theorien!«

In dieser Weise sprach er fort. Ein verdrießlicheres Gespräch konnte es für den Professor nicht geben. »Phrasen, Phrasen!« fühlte er, und wollte es doch nicht sagen. Er erwiderte gar nichts mehr und überließ Marquart das Feld.

Da rief Johanna plötzlich begeistert:

»Sie sind ein Dichter, Doktor Marquart.«

»Es scheint so,« sagte der Hofrat trocken und wollte sich erheben. Er konnte seinen Unwillen nicht mehr bemustern. Seine Augen begannen etwas zu sehen. Marquart erhob sich gleichfalls, aber nur, um sich eine neue Zigarre anzuzünden.

Kein Gast durfte lange bei Berkheims bleiben; um 11 Uhr zog der Hofrat sich jedenfalls zurück.

Er tat es auch heute aus Pflichtgefühl, obwohl ihm der Gedanke unangenehm war, daß Johanna und Marquart nun beieinander sitzen blieben; da dieser offenbar nicht Takt genug hatte, zu verstehen, daß er gehen sollte. Als er das Zimmer verlassen, entstand Schweigen. Erregt von seinen eigenen Worten ging Marquart im Zimmer auf und ab, während Johanna am Tische sitzen blieb, das Kinn in die Hand gestützt. Endlich sah sie auf: »Sie werden mir zu alledem noch viel sagen müssen ... wenn Sie nämlich wollen ...«

»Ich bin einer, der die Angel auswirft und nach Menschen fischt ...« erwiderte er.

Das schien keine Antwort auf ihre Frage zu sein, aber die Worte und noch mehr der Ton, in dem sie gesprochen wurden, überraschten sie. Sie sah ihn fragend an. Aber er lächelte nur. »Sie werden mich einmal verstehen, liebe Freundin«, sagte er.

Der Ausdruck auf seinem Gesicht wechselte rascher als sonst, er wurde schmerzlich und wieder froh und bekam zuletzt etwas kindliches. »Wenn ich Ihnen etwas geben kann, freue ich mich sehr – das wissen Sie. Und nun leben Sie recht wohl, – ich sollte wohl schon längst gegangen sein.« Johanna begleitete ihn bis zur Tür der Wohnung. Sie drückte ihm zum Abschied die Hand herzlicher als gewöhnlich und blickte ihm nach, als das Mädchen ihm die Treppe hinableuchtete.

Am nächsten Tage hatte sie Karten für die »Walküre« besorgt. Sie war ganz in sinnender Erwartung, als ihr Mann sagte:

»Es war geradezu unerhört, wie du gestern dem Doktor Marquart den Hof machtest!«

Sie sah ihn überrascht an. »Ich mache keinem Menschen den Hof. Ich habe gesagt, was ich dachte,« erwiderte sie nach einer Pause.

Er schwieg einen Augenblick, dann fuhr er ärgerlich fort: »Ich muß dir sagen, liebe Johanna, daß diese ganze geschwätzige Schöngeisterei zwecklos und für dich nur schädlich ist.«

Johanna erwiderte nichts. Sie wünschte jetzt keine Aussprache, und. auch er fürchtete sie eigentlich.

Der Hofrat hatte keine Lust Wagnersche Musik zu hören. Überdies war er des Abends verhindert; sie nahm daher Lux mit.

Dies war kein Theaterabend für sie, sondern ein schicksalschweres Ereignis, das sie nie vergaß. Erschrocken und bestürzt sah Lux das fahle und entsetzte Gesicht Johannas, die Tränen, die aus ihren Augen strömten.

Das Haus, in dem keine Liebe war, der Fremde, der kam, der das Schwert aus dem Baume zog, der Frühlings- und Liebessturm, der in die Halle brauste ... und dann wieder die hetzende Meute, das Weib, das sich als entehrt erkennt, des Geliebten nicht wehr würdig hält ...

Die späteren Akte bedeuteten nicht mehr dasselbe für sie; sie sagten ihr nichts von ihrem eigenen Schicksal. Aber die Erregung der Musik hielt die Erregung in ihr wach, und als Brünhild auf dem Berge entschlief, von Flammen umlodert, da griff sie wieder an ihre Brust – »wer schlief? wer hatte den Bann gebrochen? wer würde durch die Flammen kommen?« Ganz dunkel, kaum bewußt zuckten diese Fragen in ihr auf. Sie stürmte hinaus, sodaß Lux, den Garderobezettel in der Hand, ihr kaum folgen konnte. Sie ließ sich den Theatermantel umlegen und ging schweigend. Da sie das Treppenhaus durchschritten, kam Marquart von der Galerie herab: er ging mit Hedwig Lederer und noch einer Dame. Er grüßte und bemerkte den aufgeregten Blick, den Johanna ihm zuwarf.

Eine nie gekannte Glut und Verwirrung war in ihr ... und plötzlich begann sie mit Lux zu scherzen, aber nicht lustig und kindisch, wie sie es bisweilen tat, sondern mit einem abgerissenen, heftigen Lachen, das ihm auffiel. Zu Hause aßen sie zusammen ein spätes Abendbrot, und ihr Gespräch flog zwischen Ernst und Tollheit hin und her. Lux ging auf alles ein. Über die Oper sprach Johanna kein Wort, und Lux machte nur die eine Bemerkung, daß Wotan ihn an seinen Schuldirektor erinnere, der einen ebenso stattlichen Bart habe und auch stets tun müsse, was seine Frau wolle. Wie tief die Dichtung ihn ergriffen hatte, vermochte er nicht zu gestehen, und verbarg es hinter diesem Scherz.

Johanna lachte, als ob es der beste Witz der Welt gewesen. »Eserl,« sagte sie und warf ein Brotkrümchen nach ihm. Er sprang auf, und sie lief davon; im nächsten Augenblick, als er sich wieder gesetzt hatte, kam sie von rückwärts und warf ihm ihren Theatermantel über den Kopf. Nur unverständliche Laute tönten unter dem blauen Samt, während er sich sträubte und sie ihn festhielt. Sowie sie ihn losließ, eilte er ihr wieder nach; sie spritzte Wasser nach ihm und wieder schlug sie ein so Helles und doch so aufgeregtes Lachen an, daß Lux einen Augenblick stillstand. Jetzt aber fing er sie und hielt sie in seinen Armen. »Welche Strafe soll nun kommen?« rief er – aber plötzlich ließ er sie verwirrt los und schwieg. »Eserl!« sagte Johanna wieder, aber auch sie versank in Gedanken, die ganz fern von dem beklommenen Knaben waren, den sie kaum bemerkte; und wieder lachte sie auf, und »Gute Nacht, Lux, gute Nacht! Dank für die Begleitung,« rief sie mit ihrer klangvollsten Stimme und ging.


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