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IV

Der Professor erhielt folgenden Brief:

»Lieber Richard! Die Nachricht von deiner Verlobung und deiner bevorstehenden Heirat hat uns mit Freude erfüllt. Wir beide, Carl und ich, wünschen dir Glück, Glück, Glück. Du weißt, wie wir gegen dich gesinnt sind, wir wünschen, daß deine junge Frau dein Haus, das seit dem Tode der armen Magda verwaist war, wieder mit Leben fülle, daß sie dir all das sei, was Magda dir war, und deinen Kindern eine Mutter. Die Bedenken, die du über den großen Altersunterschied zwischen dir und deiner Frau äußerst, die teilen wir nicht. Carl sagte sogleich: »Entweder eine junge Frau oder gar nicht!« Und er hat wie gewöhnlich recht. Du hast diesen Schritt sicherlich nicht getan, ohne genau zu wissen, was du tust und daß das Mädchen, das deine Frau wird, in Freude und Seligkeit in dein Haus eintritt. Ich schreibe auch ihr, denn ich wünsche ihr viel gutes.

Was uns betrifft, so geht alles seinen gewöhnlichen Gang. Unseren Söhnen hat der Landaufenthalt sehr gut getan. Sie sind stark und rotbackig. Carl und ich sind froh, daß sie ein paar Jahre wirklich in der Natur leben und nicht in der Staubatmosphäre der Stadt. Ich meine Staub und Bazillen jeder Art. Trotzdem hat es auch seine Nachteile. Das Gymnasium läßt sehr zu wünschen übrig, und der Dialekt, der hier gesprochen wird, ist abscheulich und wird in diesem Alter leicht angenommen und behalten.

Nun frage ich, kannst du Lux noch immer zu dir nehmen? unter so veränderten Verhältnissen? Nicht jetzt, davon war ja nie die Rede, aber zu Neujahr oder im zweiten Semester. Du hast ja ohnehin zwei »Gören«, sonst hätten wir dir nicht, und noch weniger deiner jungen Frau, das zugemutet, denn Lux stört euch nicht; dessen kannst du sicher sein. Hermann soll vorläufig hier bleiben. Carl will ihn zum Landwirt machen. Sag uns ganz aufrichtig, ob du Lux nehmen kannst oder nicht. Vielleicht findet sich ein Zimmer im selben Haus, oder in der Nähe für ihn, und er kann vielleicht zu dir zum Essen kommen. Wir möchten ihn nur nicht ganz allein lassen. Und sag uns auch die Kosten. All unsern Dank nimm im voraus, und nochmals tausend, tausend Glückwünsche.

Helene Obrist.«

Das war der fünfte Brief, den Helene geschrieben und den ihr Gatte endlich gut geheißen hatte. »Ich lüge,« sagte sie schmerzlich, als der Brief mit dem ihres Mannes im geschlossenen und versiegelten Kuvert auf dem Tisch zum Abgehen bereit lag.

Der Brief, den sie an Johanna schrieb, machte dieser viel Freude und Beklemmungen – sie fühlte sich zu der, die ihn geschrieben, mit Liebe und Dankbarkeit hingezogen, aber ihre Antwort war trocken und ungelenk. Sie verstand nicht Briefe zu schreiben. Helene reichte das Papier ihrem Gatten und ihr Gesicht sagte: »Ich habe mit meinen Befürchtungen recht!« Ihr Mann antwortete: »Es kann sein, aber nun, da er es getan, dürfen wir ihm nicht den Wind aus den Segeln nehmen.«

Die Trauung fand in aller Stille statt. Als Carl Obrist bald darauf in Geschäften nach Wien kam, war das Paar schon abgereist. Aber er hörte überall von der überraschenden Ehe sprechen, und er hörte auch, daß Berkheim selbst zu dem Herrn, der die zweite Lehrkanzel in seinem Fach inne hatte und ihn mit dem Ernst und der Zurückhaltung des befreundeten Kollegen, aber doch mit neugierigem, fragenden Gesicht beglückwünscht hatte, die Worte gesprochen: »Ich habe den vernünftigsten und überlegtesten Schritt getan, den ich tun konnte.«


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