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III

Strahlend und duftend breitete sich der Sommer über die Erde. Die Bäume waren mit goldenem Grün bedeckt, die Allee im Tal lag tief in schwerem Schatten unter der Sonne, und der Staub der Straße, über die die Wagen rollten, stob in Wolken unter den Bäumen hervor.

Die Abende wurden lang und schwül. Innerlich frierend ging Johanna durch Garten und Haus. Wie sonderbar, wenn sie unter einem der breitästigen Bäume stehen blieb – – und mechanisch nach einem hängenden Blatt griff ... zwei Jahre früher hätte sie sich übermütig in die bequemen Äste hinaufgeschwungen, um von oben durch das Laub in die Fenster oder über das Wasser hinauszugucken! Um wie viel Jahre war sie seither älter geworden!

Sie tat ihre Arbeit, und die Tage vergingen. Wenn sie frei war, ging sie ihre einsamen, einsamen Wege ... ziellos. Sie wußte sich selbst nichts zu sagen. Tief unter ihrer Starrheit fühlte sie einen quälenden, hoffnungslosen Schmerz wühlen.

»Liebe Frau,« sagte die Gielowska eines Tages, »Was haben Sie? – aber wozu frag ich! Sie vergraben sich hier bei mir, einer Frau, die das Leben hinter sich hat und von einer Insel danach sieht – und Sie sind jung und brauchen das Leben.«

»Ich weiß das nicht,« sagte Johanna hart.

»Kind, verzeihen Sie einer Frau, die Ihre Mutter sein könnte, wenn sie von diesen Dingen spricht. Eigentlich hab ja ich kein Recht dazu. Aber Marquart, wie Sie wissen, hat mir ja Ihre Geschichte erzählt. Sie haben eine Ehe abgebrochen, die keine war – und Sie haben gewiß gut getan – aber das Leben will gelebt werden!

Es ist schlimm für Frauen wie Sie,« fuhr sie fort, da Johanna nichts erwiderte, »Sie sind katholisch getraut und nicht geschieden – und wenn Sie geschieden wären, könnten Sie doch nie wieder heiraten ...«

»Ich je wieder heiraten!!« rief Johanna.

»Sie sind wohl – danken Sie Gott! – ein kühles Blut ... aber auch für Sie kann ein Sommer kommen, der es erwärmt ... Nun, ich will Ihnen nichts schlimmes prophezeien.«

»Sie selbst nennen es ›schlimm‹, Frau von Gielowski! aber Ihre Dichter, die lügen alle und nennen es Freude ... ich hab Verse und Dichter früher nie leiden können. Da war ich gesund ...«

»Wissen Sie, liebe Frau, wie die Freuden des Lebens sind?« sagte die Gielowska. »Sie gehen in einem Garten mit lauter blühenden Beeten, und die Sonne scheint – und Sie bücken sich und ziehen die Blumen aus der Erde, und das Ende von jeder ist: ein langer geringelter Wurm. Und wenn Sie aufschauen, ist die Sonne längst untergegangen, und sie stehen da in der Kälte mit dem Ekel.«

Johanna fühlte sonst keinen Abscheu vor derlei Getier – sie hatte sich als Kind zu sehr damit abgegeben; jetzt aber schauderte sie.

Frau Gielowska setzte sich ans Klavier und spielte ein Nocturne von Chopin. Als sie zu Ende war, bat sie Johanna, ihr aus Feuchterslebens »Diätetik der Seele« vorzulesen.

 

Schon seit einiger Zeit erwartete Frau von Gielowska Besuch: ihre Schwägerin und ihre Nichten, die aus Paris zurückkehrten. Sie kamen in zwei offenen Wagen vorgefahren, die Damen in dem einen, die Kammerfrau mit ungezählten Gepäckstücken in dem zweiten.

Zum Abendbrot, das reicher und feierlicher war als sonst, erschienen die Fremden in dunklen Seidenkleidern. Sie hatten etwas außerordentliches in der Erscheinung, und die beiden Nichten besaßen jene Schönheit des Gesichts und der Gestalt und jene Vornehmheit der Bewegungen, die entweder einschüchtert oder entzückt. Die ältere hatte goldblondes, seidenzartes Haar, das sie nach rückwärts hoch frisiert trug, wodurch das Oval ihres Kopfes noch vollkommener erschien; ihr Gesicht hatte den wunderbaren Teint schöner blonder Frauen; ihre Züge waren fast zu regelmäßig, fast an die konventionelle Schönheit des Modebildes erinnernd; die Augen waren die zartgeschnittenen mandelförmigen blauen Augen mit langen Wimpern, der kleine Mund hatte jene zierlich geschwungenen Lippen, – aber die Bewegung von Hals und Brust hatte etwas Stolzes, Kühles, Schwangleiches, und um die Augen, um den Mund und die feine vibrierende Nase, die Johanna an Lux erinnerte, spielte ein Lächeln, das unsagbar skeptisch und überlegen war. Die jüngere Schwester war ihr ähnlich, obschon niemand hätte sagen können, worin die Ähnlichkeit lag. Sie war kleiner, ihr Gliederbau, ihre Gestalt waren kräftiger, ihre Augen braun, ihre Haare dunkler, und ihr Gesicht war sonnengebräunt; man hätte sie derb nennen können, wenn sie minder schön gewesen wäre. Ihre Bewegungen hatten etwas gleich einer sehr bestimmten Melodie, und in ihrem Gesichtsausdruck lag ein düsterer Zug, der Johanna immer wieder nach ihr zu sehen zwang.

Frau Gielowska stellte vor: Meine liebe Hausgenossin Frau Johanna Schmidt-Berkheim, meine Schwägerin Frau Hogerath – meine Nichten Frau Professor Schneider, Fräulein Hogerath.

Drei Grüße, liebenswürdig und doch gleichsam aus weiter vornehmer Entfernung.

Man ging zu Tisch; das Gespräch, erst gehemmt und abgebrochen, wurde bald von der jungen Frau fast allein geführt, die mit Humor Abenteuer erzählte, die sie mit Reisegefährten und mit dem Gepäck auf der Fahrt oder in den Hotels erlebt hatten. Johanna hörte amüsiert zu, wenn sie nicht die jüngere Schwester beobachtete, die kein Wort sprach, sich aber angelegentlichst mit dem Essen beschäftigte.

Marquarts Name wurde genannt. »Er und Anton,« sagte die Gielowska, »sind meine einzigen Besucher.«

Frau Schneider lächelte ein wenig. »Wird man den großen Mann zu Gesicht bekommen?« fragte sie.

»Ich verlange mir das durchaus nicht,« rief Frau Hogerath.

In diesem Augenblick erinnerte Johanna sich, daß sie die Photographien der beiden Schwestern, wenn auch aus viel jüngeren Jahren, bei Marquart gesehen, ihre Namen gehört hatte. Sie bemerkte, wie über das Gesicht der Jüngeren ein flüchtiges Erröten lief: sie senkte den Kopf es zu verbergen, und wendete sich ganz den Erdbeeren zu, die sie mit Rahm übergoß und mit Zucker bestreute. »Welche wunderbaren Farben,« rief Frau Gielowska, »es ist fast schöner anzusehen als zu essen!«

»Oh es schmeckt auch,« erwiderte Maria. »Wir sind viel materieller als du, Tante!«

»Waret ihr bei der Eröffnung des Salons?« fragte die Gielowska.

»Von Kunstgenuß habe ich genug,« sagte Frau Hogerath, »aber die beiden sind ja unersättlich.«

»Man muß die karge Gelegenheit ausnützen,« sagte Maria.

»Und kannst du verstehen, was ihnen gefällt, Emilie? ich kann's nicht. Was an den Sachen schön ist, vor denen sie ekstatisch werden, können sie selber nicht sagen.«

»Sie sind jung!« antwortete die Gielowska. »Ich habe solch eine Freude, euch zu sehen, Kinder – weil ihr mir die Jugend ins Haus bringt! oh eure Wangen! ach ihr wißt es ja nicht, was ihr alles voraus habt!«

»Die große Unvernunft!« sagte Frau Hogerath.

»Ach Karoline, wie schön waren die Zeiten, da wir noch unvernünftig sein konnten.«

»Wir wollen unvernünftig und übermütig sein, Elinor!« Maria schenkte ihr Glas voll Wein und auch das der Schwester und trank ihr zu. Die jüngere antwortete mit einem Lächeln:

»Skol Maria!« sagte sie.

Diese lachte. Elinor steckte die Zunge zwischen die Lippen und sah einen Augenblick sehr schalkhaft aus, wie man es bei ihren ernsten Zügen nicht für möglich gehalten hätte. Frau Hogerath betrachtete ihre Nichten mit unverhohlener Mißbilligung.

»Gulbrandson,« sagte die Jüngere herzlich lachend.

» Oh cher petit!« die Ältere.

Frau Hogerath zuckte die Achseln.

»Er hat es uns angetan mit seinen weißen Händen.«

»Und ich sage, ihr habt sehr unrecht, über ihn zu lachen,« sagte Frau Hogerath.

»Gewiß,« antwortete Maria, »denn er wird ja doch einmal gefressen werden, wenn er Missionär wird. Aber er wird es erst, wenn er kein Geld mehr hat. Tante Karoline, nein, in Paris waren wir höflich gegen ihn, deinetwegen, – aber er hat uns so schändlich gelangweilt, wir müssen das nachholen.«

»Habt ihr viel mitgebracht, sparsame Kinder?« fragte die Gielowska, um das Thema zu ändern, »hat Tante Karoline euch verwöhnt?«

Aber die Frage schien die Sache nur schlimmer zu machen. Eine augenblickliche Pause des Schweigens trat ein.

»Ja, Tante hat uns beschenkt,« sagte Maria endlich.

»Kennst du das System nicht, Emilie? Kennst du es nicht?« fragte Frau Hogerath mit harter Stimme. »Warst du nicht oben am Achsee, als Elinor alle ihre Puppen in den See warf, und als sie das Samtkleid zerschnitt, das ich ihr zum Namenstag geschenkt hatte?«

»Nein!!!« rief die Gielowska. »Warum Elinor?«

»Weil ich darauf bestand, daß sie es tragen sollte!«

Ein Lächeln glitt über Elinors Gesicht. »Ich habe Samt nie greifen können, er kitzelt mich an den Fingern.«

»Wie alt warst du damals, Elinor, wie du das Kleid zerschnitten hast, du radikale kleine Person?«

»Oh, das war erst vor zwei Jahren, da war sie schon sechzehn,« antwortete die Tante für sie.

»Nein! hat man schon so was gehört!« rief Frau von Gielowski; »aber was war die Strafe?«

»Acht Tage Zimmerarrest!« sagte Elinor.

»Das will ich meinen!« bekräftigte Frau Hogerath.

»Wenn der Arrest es machen würde, müßte ich ein Muster geworden sein.«

Eine lächelnde Traurigkeit spielte um ihren Mund. Johanna fühlte sich eigentümlich zu ihr hingezogen. Im Gespräch entstand eine Pause.

»Ich glaube, es wird spät,« sagte Frau Hogerath.

»Ja, und ihr werdet müde sein.«

»Wer kommt morgen zu Tisch?«

»Der Rittmeister!« antwortete Frau von Gielowski, »sagte ich es nicht?«

»Ich hoffe, allein!«

»Allein, natürlich – was denkst du?«

»Komm, Elinor, wir wollen schlafen gehen ...,« sagte Maria sehr laut und stand auf. Johanna bemerkte, daß ein trotziger Blick zwischen der Tante und ihr gewechselt wurde. Elinor folgte, und auch Johanna zog sich zurück.

Später, als sie im Bette lag, dachte sie nach, wem das Wort »allein« gegolten haben mochte, Marquart oder der Frau des Rittmeisters. Nie war sie so lebhaft an Marquart erinnert worden wie heute. Die Gäste hatten ein wenig spöttisch von ihm gesprochen, aber auch sie waren offenbar in seinem Bann gestanden. Umsonst suchte sie sie zu einander in Beziehungen zu bringen, unbekannte Beziehungen einer ihr fremden Vergangenheit – es war ein vergebliches Suchen im Nebel, das sie quälte. Sie stand ihm näher als alle, so fern sie ihm auch jetzt war. War sie ihm wirklich fern? Von Anfang an hatte sie die geheime Empfindung in sich getragen, daß ihr Bruch mit ihm kein endgültiger war, keiner sein konnte – denn es war ja noch nichts geworden – es sollte doch, es mußte doch erst Früchte bringen für sie und ihn! Wieder wie so oft sah sie das herrliche Leben, das sie mit ihm hätte führen können – in Freiheit und Größe – im Süden vor allem; oder in den Bergen. Es mußte kommen, trotz allem, was im Wege stand. Ihre Unruhe wuchs und sie stand auf, trat ans Fenster und sah auf das schlummernde Tal in die weite milde Nacht über die Hügel hinaus. Von irgend einem Fenster fiel noch ein Lichtstrahl über den Garten und ließ die Blätter eines Baumes in silbernem Grün erglänzen.

Wachten die Fremden noch?

Wie schön sie waren! Sie war vom Liebreiz der beiden Schwestern noch ganz entzückt, angeregt, als ob sie Wein genommen hätte. Etwas warmes, wohliges war mit ihnen ins Haus gekommen.

So viel neue Gesichter, – was wollten sie in ihrem Leben? Große Träume und Ahnungen schienen über dem Hause zu schweben – und da der Mond voller hervortrat, fiel ihr ein Lied ein, das Marquarts wohltuende Stimme ihr vorgelesen, von der silbernen Harfe der Zeit, deren Saiten im nächtlichen Lichtraum erklangen. Das Licht fiel bläulich ins Zimmer, und in großer Unruhe ging sie auf und ab, bis die Müdigkeit sie zurück ins Bett trieb. Und der Schlaf kam erquickender, als in den unruhigen Nächten der letzten Zeit.


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