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IV

Johanna hatte die bittere Genugtuung, Lux von seinen Eltern getrennt zu haben. »Warum bringe ich Zerstörung, wohin ich komme?« fragte sie, »und Schmerz in jedes Haus?«

»Du bist ein herrliches Ferment, Johanna,« antwortete er, »das alles Halbe und nicht unzweifelhaft gegründete löst. Die Wahrheit muß immer zunächst zerstören – haben wir das nicht oft erkannt?«

Sie fürchtete, er werde die schlimmsten Schwierigkeiten haben.

»Habe keine Sorge. Der Vater wird nicht um einen Kreuzer weniger schicken. Er ist zu gut und zu vornehm, um zu solchen Mitteln zu greifen. Übrigens würde mir der alte Bauer sofort Geld leihen.«

»Ich will nicht, daß du Schulden machst.«

Sie machte selbst keine, lebte von unglaublich geringen Summen. Denn viel trugen ihre Übersetzungen nicht. Dazu kam Luxens Plan, seine Studien abermals zu ändern, ein Gedanke, der sie manchmal mit Schrecken erfüllte.

»Wohin steuern wir, Lux?«

»Über das Leben, Joh! – Jahre ohne Ende liegen vor uns!«

Sie sagte sich, daß sie in ihrem dreißigsten stand. Sie sagte es nicht laut. Selbst für ihre unerschöpfliche Jugend hatte die Zahl einen bitteren Klang. Lux zählte dreiundzwanzig! Er sah den Blick nicht, den sie auf ihn warf, und er hätte ihn nicht verstanden, wenn er ihn gesehen hätte.

Sie war schlank und frisch, mit dem Körper eines Mädchens. Ihre Züge waren immer ausgesprochener und ausdrucksreicher geworden, und das Glück dieser Jahre ließ sie trotz allen Sorgen von Lebensfreude erstrahlen.

Dieses Gespräch wurde am Tage nach Lux' Rückkehr aus dem Manöver geführt. Am folgenden Abend reisten sie nach Italien.

Es war ein wunderbares Erlebnis für Johanna, als sie mit Lux auf dem sonnenbeschienenen Markusplatz vor dem Portal der in Gold und Farben schimmernden Kirche stand, wo die zwei Kerzen in die blaue Tageslust flackerten – wie unruhige Seelen ...

Ruhe war ihr auch jetzt nicht gegeben – aber ist die den Kindern der Menschen überhaupt gegeben? War es nicht an der Freude genug? – Die Freude war groß in diesen Wochen in dem Land, nach dem beider Sehnsucht stets gegangen war. War es nicht wunderbar, daß sie mit Lux hier frei im Süden leben durfte und nicht mit Marquart? »Der Tuer unserer Gedanken,« dieses Wort, das Marquart auf Lux gesagt, fiel ihr ein. Sie faßte seine Hand, um sich dichter mit ihm vereint, um seine Kraft und Lebenswärme strömen zu fühlen.

Sie wanderten zu Fuße südwärts durch die vom üppigsten Grün der Wiesen und Weinranken umgebenen venezianischen Dörfer mit ihren gewaltigen Glockentürmen und Amtsgebäuden, über das glühende Ferrara und Bologna, das sandige Tal des Rheno empor, durch die finstern Gebirgspässe mit ihrem schroffen Gefels und Zwergbäumen, – um mit einem Schritt inmitten einer lachenden Landschaft zu stehen und zwischen den Kastanien und Oliven, den Weingeländen, weißen Villen und Kapellen Toscanas niederzusteigen. »Wir sind im Garten der Erde.« Ein Lachen war auch in ihren Seelen.

Florenz erschien anfangs grau, nach den leuchtenden Farben Venedigs, aber nach wenigen Tagen nahm der Reiz der Stadt sie gefangen. Sie schritten durch Kirchen und Galerien, durch die Gänge und Säle mit ihren Hunderten von Plastiken und Gemälden, jedes ein Stück Seele, ein Stück Leben, aus dem Schicksal eines nach Ausdruck ringenden Menschen geboren – jedes ein Ausschnitt und Abbild einer Welt und alle hier zusammengeschleppt ... Maria Schneider hatte an jenem Abend im Tischgespräch behauptet, »daß unsere Museen und Galerien ein Zeichen unserer Barbarei seien. Jedes Kunstwerk verlange eine bestimmte Umgebung, für die es geschaffen ward ...«

»Aber ...« Johannas Einwendungen füllten eine geraume Zeit. Sie standen bereits wieder im Freien auf der breiten sandigen Fläche vor dem Palazzo Pitti, der majestätisch in der Abendstille lag ... Wenige Minuten später schritten sie zwischen den Menschen und Wagen des Ponte Vecchio – die Sonne blitzte auf dem Strom, drüben tauchten die uralten festungsartigen grauen Häusermauern von San Jacopo ins grüne Wasser, das um ihre Keller spülte ... Kinder und Verkäufer schrieen – Fremde ohne Zahl strömten vorüber; Amerikanerinnen, graziös gekleidet, im offenen Wagen. Die sinkende Sonne gab allem etwas von ihrer stillen Glut ... Sie aber gingen den Lungarno hinab, dem Ponte delle Grazie zu, und von dem sonnigen Piazzale sahen sie auf die gradgeschnittenen Hügellinien, den weißen südlichen Glanz, die klare Luft, hoch oben das schimmernde Fiesole ... Und das Bild alter Herrlichkeit, jener nie zu definierende Zauber, der über Florenz eine intime und zitternde Schönheit gießt – die goldige vom Alter übergraute Frucht, aus dem tiefsten Purpurrot einer blutigen Geschichte geboren, von heftigen, witzigen, unergründlichen Menschen geschaffen, deren weltdurchklingende Namen auf den Gräbern in Santa Croce, in der mediceischen Kapelle, in den fernen Friedhöfen und Grabkapellen der großen Verbannten dem Eintretenden den Atem nehmen ... dies alles lag überwältigend vor ihnen, und sie fühlten

»die wachsende Vision,
fühlten die Glut, die sich aus ihr entzündet,
fühlten den Strahl, den die Glut gebiert.«

Das finstere Pathos und das ekstatische Feuer des größten Florentiners schien in dem Flammenmeer, das im Westen über den fernen Kastellen loderte, in der riesigen Wölbung der Domkuppel, in dem zinnengekrönten Turm des Palazzo Vecchio zu verweilen.

Und ihre Seelen fühlten die gemeinsame Erschütterung der nie zu vergessenden Stunde. Die Welt ward in zweien eins ... der vollkommenste aller geistigen Genüsse war ihnen zuteil geworden.

Aber es war nach einem Spaziergang in den Cascinen ganz weit draußen, am sonnigen Wasser zwischen glänzendem Laub, wo sie nicht mehr der alten Größe, sondern nur ihrer selber gedachten, daß Lux neben Johanna im Gras ruhend zu ihr sagte:

»Und das kann nie enden, Johanna!«

Leise erwiderte Johanna:

»Auch das endet, Lux!« Und im Klang ihrer Stimme lag jenes Beben, das Schicksalsbewußtsein des höchsten Glücks – jenes Todesgefühl, das das heißeste Leben durchzittert und seine schmerzliche Lust erhöht.

Über ihn ging es wie ein Eishauch, aber er glaubte ihr nicht – es kränkte ihn nur, und er rief heftig: »Johanna!« dann verstummte er – und es trat eine lange Pause ein.

Es berührte sie sonderbar, daß seine nächsten Worte Marquart galten. Leichthingeworfene Worte, weil der Mann ihm zufällig in Erinnerung kam, aber keine milden Worte; sie verrieten, daß seine Anschauung von Marquarts Wesen sich sehr verändert hatte.

Mit demselben innigen und leisen Ton, wie vorhin, als spräche sie aus weiter Ferne, sagte Johanna:

»Marquart war gegen mich anders als gegen alle andern. Ein Mensch ist nicht für jeden derselbe, Lux. Wir haben jeder viele Naturen. Ich werde Marquart immer dankbar sein.«

»Verzeih!« sagte Lux; und sie belohnte ihn für dieses Wort mit dem Blick, den er von ihr am liebsten erhielt, der ihm sagte, daß seine beste Natur aus ihm gesprochen.

»Wollen wir in Italien bleiben?« fragte sie am Tage darauf. Sie stellte die Frage wie einen Scherz, aber ihre alte Sehnsucht, in der Sonne und in Freiheit zu leben, sprach aus ihr; und der Wunsch war ihr Ernst.

Er antwortete: »Ein Leben im Genuß? nein! Dazu sind wir nicht da! Mir ist die Lust hier zu weich und üppig.«

Sie sagte nichts mehr, und sie packten ihre Koffer zur Rückreise.

 

Es ging in der Tat ärgerlich zu in Marquarts Haus. Die Eltern seiner Frau waren gestorben; sie hatten weniger hinterlassen, als man vermutet hatte, wenn auch seine schlimmste Bedrängnis für den Augenblick dadurch behoben ward, und er freier atmen konnte. Er nahm eine größere Wohnung, und die Schwester seiner Frau, die ihm früher, als sie ihn nur wenig gesehen, mit abweisender Feindseligkeit begegnet war, zog zu ihm, um Annita die Wirtschaft zu erleichtern. Es war ein dunkelhaariges, hochgewachsenes, starkhüftiges Mädchen mit glänzenden Augen und starken Lippen, nicht schön, nicht mehr ganz jung, aber leidenschaftlichsten Gemüts und Angesichts. Sie hieß Valentine, von ihm »Valla« genannt, und die »Verse an Valla«, die er später herausgab, haben Aufsehen erregt durch die rücksichtslose heiße Sinnlichkeit, die sich in ihnen aussprach. Verzweifelt und gebrochen hatte Annita mit dem Kinde das Haus verlassen, war zuerst zu ihrem alten Freunde Gribowski geflohen, dem armen Kapellmeister, der in seinem unaufgeräumten Junggesellenzimmer völlig den Kopf verlor, als die jammernde Frau mit dem erschreckten Knaben vor ihm stand. Sie verbrachte ein paar Nächte bei Hedwig Lederer. Das Mädchen, das selbst stets am Rande eines leidenschaftlichen Verhältnisses zu Marquart gestanden hatte und an dieser Qual verzehrt und verblüht war, führte Annita zur »Tante« Gielowska, – »alles keine Menschen, die scharfer Entschlüsse und ganzer Handlungen fähig waren,« sagte Johanna. Nachdem sie einen Monat lang für sich allein ein Zimmer bewohnt hatte, war Annita zu Marquart zurückgekehrt, und Valla verließ das Haus. Sie kam aber wieder zurück, Marquarts Worte mußten das Unerhörte möglich gemacht haben: im Sommer reisten alle vier, der Mann, die beiden Frauen und das Kind nach Tirol; und es kam dahin, daß in dem Ort, in dem sie wohnten, der Pfarrer gegen das Ärgernis predigte, das die Stadtleute gaben, und sie, tätlich bedroht, das Tal verlassen mußten.

Bei dem Schweigen, das in dem ganzen Freundeskreise herrschte, – Marquart selbst war der mindest Verschwiegene von allen – war auch dieses Geschehnis nicht weiter bekannt geworden, aber doch weit genug, daß Marquart seine Stellung am Museum verlor. Vor allem war er innerlich zerrüttet. Er war nervöser als je, fast arbeitsunfähig, als Lux ihn wieder sah, eine Art » tic douloreux« entstellte sein Gesicht beim Sprechen, und Annita war elend und alt geworden.

»Willensschlaffheit« und »Zuchtlosigkeit« waren die Worte, die Carl Bauer gebrauchte. Lux selbst war von diesem Urteil nicht weit entfernt – aber seine alte Freundschaft und die Anerkennung einer äußersten Freiheit ließen es ihn nicht aussprechen; und als die Schwägerin des Professors den ganzen Kreis um Marquart als »degoutant« abtun wollte, da konnte er sich nicht enthalten zu sagen: »Ich glaube, wo soviel Niedrigkeiten um Geld begangen werden und die Leute keinen Fußtritt dafür bekommen, da scheinen die Vergehen der Sinnlichkeit noch immer vornehm im Vergleich. Niemand hat das Recht zu verurteilen.«

»Wir wollen den Stein nicht aufheben ...« sagte der Direktor begütigend, aber seine Frau rief:

»Sie, mein lieber Obrist, sitzen, glaub ich, selber im Glashaus, und darum mögen Sie nicht, daß Steine geworfen werden!«

» Voyons, voyons, meine Liebe ...« sagte ihr Mann, »du machst unsern Gast erröten.«

Aber Lux war vor Ärger rot geworden. Er liebte Anspielungen nicht und bat ziemlich schroff um die Unterlassung. »Und wenn ich von der Sinnlichkeit spreche,« sagte er, »so meine ich natürlich die Leidenschaft und nicht den kleinen Schmutz – aber der macht ja gar nicht weniger salonfähig ... der wird ja auf allen Gebieten verziehen.« Vergeblich suchte die Unterhaltung einen scherzhaften Ton. Lux unterließ weitere Besuche.

 

Verbitternd wirkte die Mitteilung in Klein-Lostitz, wohin ein Brief Christine Zimmermanns an Helene sie rechtzeitig brachte. In dieser Gesellschaft lebte Lux! – Johanna hatte ihn gedrängt, an beide Eltern zu schreiben, so ruhig und kindlich als möglich war. Die Antwort des Vaters lautete: »es falle niemandem ein, seine Freiheit zu beschränken, über gewisse Dinge sei eine Verständigung nicht möglich. Im übrigen möge er trachten, seine Studien zu vollenden und seine Prüfungen zu machen. Es werde dringend nötig, daß er Geld verdiene.«


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