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Vierter Teil.
Das Ende

51.
Anna Quangel im Verhör

Es war vierzehn Tage nach der Verhaftung bei einem der ersten Verhöre von Anna Quangel, die wieder gesund geworden war, als sich Anna entschlüpfen ließ, daß ihr Sohn Otto einmal mit einer gewissen Trudel Baumann verlobt gewesen war. Zu jener Zeit hatte Anna es noch nicht erfaßt, daß jede Namensnennung gefährlich war, gefährlich für den Genannten. Denn mit einer pedantischen Genauigkeit wurde der Bekannten- und Freundeskreis jedes Verhafteten nachgeprüft, jeder Spur wurde nachgegangen, damit »die Eiterbeule auch ganz ausgebrannt« werde.

Der Vernehmende, der Kommissar Laub, der Nachfolger Escherichs, ein kurzer, gedrungener Mann, der es liebte, seine knochigen Finger wie eine Peitsche dem Vernommenen ins Gesicht zu schlagen, war nach seiner Gewohnheit erst über diese Mitteilung, ohne von ihr Notiz zu nehmen, weggegangen. Er fragte Anna Quangel lange und tödlich ermüdend über die Freunde und Arbeitgeber des Sohnes aus, fragte Dinge, die sie nicht wissen konnte, aber wissen sollte, fragte und fragte, und dazwischen peitschte er ihr rasch einmal die Finger ins Gesicht.

Kommissar Laub war ein Meister in der Kunst solcher Vernehmungen, ohne Ablösung hielt er es zehn Stunden aus, so mußte es die Vernommene auch aushalten. Anna Quangel schwankte auf ihrem Schemel vor Müdigkeit. Die kaum überstandene Krankheit, die Angst um das Schicksal Ottos, von dem sie nichts wieder gehört hatte, die Schmach, wie ein unaufmerksames Schulkind geschlagen zu werden, all dies machte sie zerstreut, unaufmerksam, und wieder schlug Kommissar Laub zu.

Anna Quangel ächzte leise und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen.

»Nehmen Sie die Hände runter!« rief der Kommissar. »Sehen Sie mich an! Na, wird's bald?«

Sie tat es, sie sah ihn an mit einem Blick, in dem Angst war. Aber nicht vor ihm, sondern Angst, sie könne schwach werden.

»Wann haben Sie diese sogenannte Braut Ihres Sohnes zum letztenmal gesehen?«

»Das ist sehr lange her. Ich weiß doch nicht. Schon seit wir die Karten schreiben. Über zwei Jahre ... Oh, schlagen Sie nicht schon wieder! Denken Sie an Ihre eigene Mutter! Sie möchten auch nicht, daß Ihre Mutter geschlagen wird.«

Zwei, drei Schläge trafen sie kurz hintereinander.

»Meine Mutter ist kein hochverräterisches Aas wie Sie! Nennen Sie noch einmal meine Mutter, und ich werde Ihnen zeigen, wie ich schlagen kann! Wo hat dies Mädchen gewohnt?«

»Ich weiß doch nicht! Mein Mann hat mir mal gesagt, sie hat seitdem geheiratet! Sie wird sicher weggezogen sein.«

»So, Ihr Mann hat sie also gesehen? Wann war das?«

»Ich weiß nicht mehr! Da schrieben wir schon die Karten.«

»Und sie hat mitgemacht, was? Hat sie dabei geholfen?«

»Nein! Nein!« rief Frau Quangel. Mit Schrecken sah sie, was sie angerichtet hatte. »Mein Mann«, sagte sie eilig, »hat die Trudel bloß auf der Straße getroffen. Da hat sie ihm erzählt, daß sie geheiratet hat und nicht mehr in die Fabrik geht.«

»Na – und weiter? In welche Fabrik ist sie denn gegangen?«

Frau Quangel nannte die Adresse der Uniformfabrik.

»Und weiter?«

»Das ist alles. Das ist wirklich alles, was ich weiß. Bestimmt, Herr Kommissar!«

»Finden Sie das nicht ein bißchen komisch, daß die Braut vom Sohn nicht einmal mehr zu den Schwiegereltern kommt, nicht mal nach dem Tode des Bräutigams?«

»Aber mein Mann war doch so! Wir haben schon nie Verkehr gehabt, und seit wir die Karten schrieben, hat er überhaupt alles abgebrochen.«

»Da lügen Sie schon wieder! Mit den Heffkes haben Sie erst beim Kartenschreiben den Verkehr angefangen!«

»Ja, das ist wahr! Das hatte ich vergessen. Aber Otto war es auch gar nicht recht, er hat's nur erlaubt, weil es mein Bruder ist. Und wie hat er immer auf die Verwandtschaft geschimpft!« Sie sah den Kommissar traurig an. Sie sagte schüchtern: »Darf ich jetzt auch was fragen, Herr Kommissar?«

Kommissar Laub knurrte: »Fragen Sie nur! Wer viel fragt, kriegt viel Antwort.«

»Stimmt es ...« Sie unterbrach sich. »Ich glaube, ich habe meine Schwägerin gestern morgen unten auf dem Flur gesehen ... Stimmt es, daß Heffkes auch verhaftet sind?«

»Das lügen Sie wieder!« Ein scharfer Schlag. Und noch einer. »Die Frau Heffke, die ist ganz woanders. Die können Sie gar nicht gesehen haben. Das hat Ihnen eine verpfiffen. Wer hat Ihnen das verpfiffen?«

Aber Frau Quangel schüttelte den Kopf. »Nein, keiner hat's. Ich hab die Schwägerin von weitem gesehen. Ich war nicht mal sicher, daß sie's war.« Sie seufzte. »Nun sitzen die Heffkes also auch und haben gar nichts getan und von nichts gewußt. Die armen Menschen!«

»Die armen Menschen!« höhnte der Kommissar Laub. »Von nischt nischt gewußt! Das sagt ihr alle! Aber ihr seid alle Verbrecher, und so wahr ich der Kommissar Laub bin, ich leire euch die Gedärme aus dem Leib, bis ihr die Wahrheit sagt! Wer liegt bei Ihnen mit auf der Zelle?«

»Ich weiß nicht, wie die Frau heißt. Ich sage einfach Berta zu ihr.«

»Wie lange liegt die Berta bei Ihnen auf der Zelle?«

»Seit gestern abend.«

»Also die hat's Ihnen verpfiffen, das mit den Heffkes. Gestehen Sie es nur ein, Frau Quangel, sonst hole ich die Berta rauf und schlage sie in Ihrem Beisein so lange, bis sie gesteht.«

Frau Quangel schüttelte wieder den Kopf. »Ob ich nun ja oder nein sage, Herr Kommissar«, sagte sie, »Sie holen die Berta doch rauf und schlagen sie. Ich kann nur sagen, ich habe die Frau Heffke unten auf dem Flur gesehen ...«

Kommissar Laub sah ihr höhnisch grinsend ins Gesicht. Und plötzlich schrie er: »Mist seid ihr! Mist seid ihr alle! Und ich ruhe nicht eher, bis ihr alle als Mist unter der Erde liegt! Alle müßt ihr hin werden! Alle! Ordonnanz, bringen Sie die Berta Kuppke herauf!«

Eine Stunde verbrachte er damit, die beiden Frauen zu ängstigen und zu schlagen, trotzdem Frau Berta Kuppke sofort zugab, der Frau Quangel von Frau Heffke erzählt zu haben. Sie hatte bisher mit Frau Heffke auf einer Zelle gelegen. Aber das genügte dem Kommissar Laub nicht. Er wollte genau jedes Wort wissen, was zwischen den beiden gesprochen war, und sie hatten einander doch nur ihr Leid geklagt, wie es Frauen gerne tun. Er aber witterte überall Verschwörung und Hochverrat und ließ nicht ab mit Schlagen und Fragen. Schließlich war die heulende Kuppke in den Keller abgeschoben worden und Anna Quangel wieder das alleinige Opfer des Kommissars Laub. Sie war jetzt so müde, daß sie seine Stimme nur noch wie aus weiter Ferne hörte, seine Gestalt verschwamm vor ihren Blicken, und die Schläge schmerzten sie nicht mehr.

»Was ist also vorgefallen, daß die sogenannte Braut Ihres Sohnes nicht mehr zu Ihnen gekommen ist?«

»Nichts ist vorgefallen. Mein Mann mochte keine Besuche.«

»Sie haben doch gestanden, daß er mit dem Besuch der Heffkes einverstanden war.«

»Die Heffkes waren eine Ausnahme, weil der Ulrich mein Bruder ist.«

»Und warum ist die Trudel nicht mehr ins Haus gekommen?«

»Weil mein Mann es nicht wollte.«

»Wann hat er es ihr denn gesagt?«

»Ich weiß doch nicht! Herr Kommissar, ich kann nicht mehr. Lassen Sie mir eine halbe Stunde Ruhe. Eine Viertelstunde!«

»Erst wenn du's gesagt hast. Wann hat Ihr Mann dem Mädchen das Haus verboten?«

»Wie mein Sohn gefallen war.«

»Na also! Und wo ist das geschehen?«

»Bei uns in der Wohnung.«

»Und was hatte er als Grund gesagt?«

»Weil er keinen Verkehr mehr will. Herr Kommissar, ich kann wirklich nicht mehr. Nur zehn Minuten!«

»Na schön. In zehn Minuten werden wir eine Pause machen. Was hat denn Ihr Mann als Grund gesagt, daß die Trudel nicht mehr kommen soll?«

»Weil er keinen Verkehr mehr haben wollte. Da hatten wir das mit den Postkarten doch schon vor.«

»Da hat er ihr also als Grund gesagt, daß er das mit den Postkarten vorhat?«

»Nein, darüber hat er nie mit einem Menschen gesprochen.«

»Was hat er ihr denn als Grund gesagt?«

»Daß er keinen Verkehr mehr will. Oh, Herr Kommissar!«

»Wenn Sie mir den wirklichen Grund sagen, mache ich für heute sofort Schluß!«

»Aber das ist der wirkliche Grund!«

»Nein, das ist er nicht! Ich sehe doch, daß Sie lügen. Wenn Sie mir nicht die Wahrheit sagen, so vernehme ich sie noch zehn Stunden. Was hat er also gesagt? Wiederholen Sie mir die Worte, die er zu der Trudel Baumann gesagt hat.«

»Die weiß ich nicht mehr. Er war so wütend.«

»Warum war er denn so wütend?«

»Weil ich die Trudel Baumann bei mir habe schlafen lassen.«

»Aber er hat's ihr doch erst hinterher verboten, oder er hat sie gleich weggeschickt?«

»Nein, erst am Morgen.«

»Und am Morgen hat er es ihr verboten?«

»Ja.«

»Warum war er denn so wütend?«

Frau Anna Quangel gab sich einen Stoß. »Ich will es Ihnen sagen, Herr Kommissar. Ich tue keinem einen Schaden mehr damit. Ich habe auch die alte Jüdin, die Rosenthal, die sich nachher aus einem Fenster totgesprungen hat, in der Nacht heimlich bei mir versteckt gehabt. Darüber war er so wütend, und da hat er die Trudel gleich mit rausgeschmissen.«

»Warum hat sich denn die Rosenthal bei Ihnen versteckt?«

»Weil sie Angst gehabt hat so allein in ihrer Wohnung. Die hat über uns gewohnt. Der haben sie den Mann weggeholt. Da hat sie Angst gehabt. Herr Kommissar, Sie haben mir versprochen ...«

»Gleich. Gleich sind wir soweit. Also die Trudel hat gewußt, daß Sie eine Jüdin versteckt hatten?«

»Aber das war doch nicht verboten.«

»Natürlich war das verboten! Ein anständiger Arier nimmt keine Judensau auf, und ein anständiges Mädchen geht hin und meldet so was der Polizei. Was hat denn die Trudel dazu gesagt, daß die Jüdsche in eurer Wohnung war?«

»Herr Kommissar, jetzt sage ich nichts mehr aus. Jedes Wort verdrehen Sie mir. Die Trudel hat nichts verbrochen, sie hat von nichts was gewußt!«

»Aber daß eine Jüdin bei euch geschlafen hat, das hat sie doch gewußt!«

»Das war nichts Schlechtes!«

»Da denken wir anders darüber. Morgen werde ich mir mal die Trudel vorknöpfen.«

»O lieber Gott, was habe ich da wieder angerichtet!« weinte Frau Quangel los. »Nun habe ich auch die Trudel ins Unglück gestürzt. Herr Kommissar, der Trudel dürfen Sie nichts tun, die ist jetzt in andern Umständen!«

»Ach nee, das wissen Sie plötzlich doch, wo Sie die Trudel angeblich zwei Jahre nicht gesehen haben! Woher wissen Sie denn das?«

»Aber das habe ich Ihnen doch gesagt, Herr Kommissar, daß mein Mann sie noch mal auf der Straße getroffen hat.«

»Wann war denn das?«

»Das wird ein paar Wochen her sein. Herr Kommissar, Sie haben mir eine kleine Pause versprochen. Nur eine kleine Pause, bitte. Ich kann wirklich nicht mehr.«

»Nur noch einen Augenblick! Gleich sind wir soweit. Wer hat denn angefangen zu sprechen, die Trudel oder Ihr Mann, wo sie doch beide miteinander verkracht waren?«

»Sie waren doch nicht verkracht, Herr Kommissar.«

»Wo ihr dein Mann das Haus verboten hat!«

»Das hat die Trudel ihm doch nicht übelgenommen, die kennt doch meinen Mann!«

»Wo haben sie sich denn getroffen?«

»Ich glaube, in der Kleinen Alexanderstraße.«

»Was hat denn dein Mann in der Kleinen Alexanderstraße gemacht? Sie haben doch gesagt, er ist immer nur zur Fabrik und zurück gegangen.«

»Das ist auch so.«

»Und was hat er in der Kleinen Alexanderstraße zu tun? Wohl 'ne Postkarte wegbringen, was, Frau Quangel?«

»Nein, nein!« rief sie angstvoll und erbleichte plötzlich. »Die Postkarten habe ich immer verteilt! Immer ich allein, er nie!«

»Warum sind Sie denn eben so blaß geworden, Frau Quangel?«

»Ich bin doch nicht blaß geworden. Doch ich bin. Weil mir nämlich schlecht ist. Sie wollten doch eine Pause machen, Herr Kommissar!«

»Gleich, sobald wir das klar haben. Also, Ihr Mann hat eine Postkarte weggebracht und hat dabei die Trudel Baumann getroffen? Was hat die denn zu den Karten gesagt?«

»Aber sie hat doch gar nichts davon gewußt!«

»Hat Ihr Mann denn, als er die Trudel sah, die Karte noch in der Tasche gehabt, oder hatte er sie schon abgelegt?«

»Die hatte er schon abgelegt.«

»Sehen Sie, Frau Quangel, jetzt kommen wir der Sache schon näher. Nun sagen Sie mir nur noch, was die Trudel Baumann zu der Karte gesagt hat, und wir machen für heute Schluß.«

»Aber sie kann doch nichts gesagt haben, er hatte die Karte doch schon vorher abgelegt.«

»Überlegen Sie sich das man noch mal! Ich sehe Ihnen doch an, daß Sie lügen. Wenn Sie dabei bleiben, werden Sie morgen früh noch hier sitzen. Warum wollen Sie sich denn unnötig so quälen? Ich sage es ja morgen doch der Trudel Baumann auf den Kopf zu, daß sie von den Postkarten gewußt hat, und die wird's auch gleich zugeben. Warum wollen Sie sich also Schwierigkeiten machen, Frau Quangel? Sie werden auch froh sein, wenn Sie auf Ihre Pritsche kriechen dürfen. Also, wie steht's, Frau Quangel? Was hat die Trudel Baumann zu den Postkarten gesagt?«

»Nein! Nein! Nein!« schrie Frau Quangel, verzweifelt aufspringend. »Ich sage kein Wort mehr! Ich verrate niemanden! Sie können sagen, was Sie wollen, Sie können mich totschlagen: ich rede nichts mehr!«

»Setzen Sie sich nur ruhig wieder hin«, sagte der Kommissar Laub und versetzte der Verzweifelten ein paar Schläge. »Wann Sie aufstehen dürfen, bestimme ich. Und wann das Verhör zu Ende ist, das bestimme ich auch. Jetzt wollen wir erst mal die Sache mit der Trudel Baumann zu Ende bequatschen. Nachdem Sie mir eben gestanden haben, daß sie Hochverrat begangen hat ...«

»Das habe ich nicht gestanden!« rief die gequälte, verzweifelte Frau.

»Sie haben gesagt, Sie wollen die Trudel nicht verraten«, sagte der Kommissar gleichmütig. »Und nun laß ich nicht eher nach, bis Sie mir gesagt haben, was es da zu verraten gibt.«

»Nie sage ich das, nie!«

»Na also! Sehen Sie, Frau Quangel, Sie sind dumm. Sie müssen sich doch selbst sagen, daß ich das, was ich wissen will, morgen in fünf Minuten der Trudel Baumann glatt und bequem aus der Nase ziehe. So 'ne schwangere Frau, die hält doch solch Verhör nicht lange aus. Wenn ich der ein paar runterhaue ...«

»Sie dürfen die Trudel nicht schlagen! Sie dürfen das nicht! O lieber Gott, hätte ich doch nie ihren Namen genannt!«

»Sie haben ihn aber genannt! Und Sie machen es Ihrer Trudel viel leichter, wenn Sie alles gestehen. Nun, wie ist es, Frau Quangel? Was hat die Trudel zu den Karten gesagt?«

Und später: »Ich könnt's von der Trudel erfahren, aber grade will ich, daß Sie es mir jetzt sagen. Ich laß nicht eher nach! Sie sollen's lernen, daß Sie einfach ein Dreck sind vor mir. Sie sollen's lernen, daß alle Ihre Vorsätze, den Mund zu halten, Mist sind vor mir. Sie sollen lernen, daß Sie gar nichts wert sind, Sie mit all Ihrem Gerede von Treue und Nichtverratenwollen. Nichts sind Sie! Nun, Frau Quangel, wetten, daß ich zwischen jetzt und einer Stunde aus Ihrem Munde höre, was die Trudel mit den Postkarten zu tun hat?! Wetten?«

»Nein! Nein! Nie!«

Aber natürlich erfuhr es der Kommissar Laub, und es dauerte nicht mal eine Stunde.


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