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30.
Emil Borkhausen und sein Sohn

Ja, Borkhausen hatte sich sehr wohl gefühlt in diesem vornehmen D-Zug im noblen Zweiter-Klasse-Abteil mit Offizieren und Generalen und Damen, die so wunderschön rochen. Es störte ihn gar nicht, daß er weder elegant noch wohlriechend war und daß seine Mitreisenden keine freundlichen Blicke auf ihn warfen, Borkhausen war es gewohnt, unfreundlich angesehen zu werden. Kaum je in seinem jämmerlichen Leben hatte ein Mitmensch einen freundlichen Blick für ihn übrig gehabt.

Borkhausen genoß sein kurzes Glück mit vollen Zügen, denn kurz war es nur. Es mußte nicht bis München währen, dieses Glück, nicht einmal bis Leipzig, wie er zuerst gefürchtet hatte, sondern nur bis Lichterfelde, denn dieser Zug hielt noch einmal in Lichterfelde. Das war der Fehler in Frau Hetes Berechnung gewesen. Man mußte, hatte man Geld in München zu bekommen, nicht gleich dorthin fahren. Man konnte es später tun, wenn man die dringendsten Geschäfte in der Stadt Berlin erledigt hatte. Und das dringendste Geschäft war jetzt, den Enno dem Escherich zu melden und fünfhundert Mark zu kassieren. Übrigens brauchte man vielleicht überhaupt nicht nach München zu fahren, man brauchte der Post nur zu schreiben, daß sie das Geld hierher nach Berlin zur Auszahlung senden sollte. Jedenfalls kam eine sofortige Reise nach München nicht in Frage.

Also stieg – nicht ohne leises Bedauern – Emil Borkhausen in Lichterfelde aus. Er hatte noch eine kleine, lebhafte Debatte mit dem Fahrdienstleiter, der nicht einsehen wollte, daß man sich im Zuge zwischen Anhalter Bahnhof und Lichterfelde noch einmal eine Reise nach München anders überlegen kann. Überhaupt kam diesem Manne der ganze Borkhausen höchst verdächtig vor.

Borkhausen aber blieb unerschütterlich:

»Rufen Sie nur auf der Gestapo an, Kommissar Escherich, und Sie werden sehen, wer recht hat, Herr Stationsvorsteher! Aber die Läuse, die Sie sich dann in den Pelz gesetzt haben! Ich bin nämlich dienstlich!«

Schließlich ließ ihm der Rotmützige achselzuckend sein Fahrgeld zurückzahlen, ihm war es egal. Möglich war alles heute, möglich war es schon, daß solche fragwürdigen Gestalten im Auftrage der Gestapo herumliefen. Um so schlimmer!

Emil Borkhausen aber machte sich auf die Suche nach seinem Sohn.

Aber vor der Tierhandlung von Hete Häberle fand er ihn nicht, obwohl das Geschäft geöffnet war und Kunden aus und ein gingen. Hinter einer Anschlagsäule verborgen, überlegte Borkhausen, immer die Augen auf die Ladentür gerichtet, was geschehen sein konnte. Hatte Kuno-Dieter einfach aus Langeweile seinen Posten verlassen? Oder war Enno weggegangen – vielleicht wieder nach »Ferner liefen«? Oder war der kleine Mann ganz fortgezogen, und die Frau wirkte nun allein im Laden?

Emil Borkhausen erwog es grade bei sich, ob er noch einmal ganz schamlos vor die überlistete Häberle treten und Auskünfte von ihr verlangen sollte, als ein vielleicht neunjähriger Bengel ihn anquatschte: »Hörense ma! Sind Sie der Vata von den Kuno?«

»Bin ich! Was ist denn?«

»'ne Mark sollnse mir jeb'n!«

»Wozu soll ich dir denn 'ne Mark geben?«

»Det ich Sie sare, wat ick weeß!«

Borkhausen tat einen raschen Griff nach dem Jungen. »Erst Ware, dann Geld!« sagte er.

Aber der Junge war schneller als er, er war ihm unter dem Arm durchgeschlüpft und rief: »Na, denn nich! Behalten Se man Ihre Mark!« Und er gesellte sich wieder zu seinen Spielgefährten, die auf der Fahrbahn direkt vor dem Laden tobten.

Dorthin konnte Borkhausen ihm nicht folgen, er wollte sich doch lieber nicht sehen lassen. Er rief und pfiff nach dem Jungen, den er zugleich mit seiner eigenen, hier so unangebrachten Sparsamkeit verfluchte. Aber der Junge ließ sich nicht so leicht listen und locken; erst eine gute Viertelstunde später tauchte er wieder bei Borkhausen auf, stellte sich vorsichtig in einiger Entfernung von dem zornigen Mann auf und verkündete frech: »Jetzt kost det zwee Märker!«

Borkhausen hätte sich den Bengel wiederum lieber gegriffen und nach Noten durchgeprügelt, aber was sollte er tun? Er war in seiner Hand, denn er konnte ihm nicht nachlaufen. »Ick wer dir 'ne Mark jeb'n«, sagte er finster.

»Nee! Zwee Mark!«

»Jut, du sollst zwee Mark haben!«

Borkhausen nahm einen Packen Scheine aus der Tasche, fand einen Zweimärker, stopfte die andern Scheine zurück und hielt dem Jungen das Geld hin.

Der schüttelte den Kopf. »Ihnen kenn ick doch!« sagte er. »Wenn ick det Jeld nehme, langen Se nach mir. Nee, legen Se's da uff't Pflaster!«

Finster, ohne ein Wort, tat Borkhausen, was der Junge ihn geheißen. »Na?« sagte er dann, richtete sich wieder auf und trat einen Schritt zurück.

Der Junge pirschte sich langsam an den Schein heran, stets wachsam das Auge auf den Mann geheftet. Als er sich nach dem Gelde bückte, konnte Borkhausen kaum der Versuchung widerstehen, sich dieses kleine Aas zu langen und abzuwackeln. Er hätte ihn fassen können, aber er widerstand dieser Versuchung, vielleicht bekam er dann überhaupt keine Auskunft, und der Bengel würde so schreien, daß die ganze Straße zusammenlief.

»Na?« fragte er noch einmal und diesmal drohend.

Der Junge antwortete: »Ich könnte ja jetzt ooch 'n Aas sind und nochma Jeld von Sie valangen und nochma und immer wieda. Aba ick bin nich so. Ick weeß jut, Sie wollten mir ebent wieda uff de Pelle, aba ick, ick bin nich so 'n Aas!« Dann, nachdem er seine moralische Überlegenheit über Borkhausen so gebührend ans Licht gestellt hatte, sagte er rasch: »Se soll'n in Ihre Wohnung uff Bescheid von Kuno'n warten!« Und der Junge war weg.

Die guten zwei Stunden, die Borkhausen in seiner Kellerwohnung auf den Bescheid von Kuno warten mußte, verminderten seinen Zorn nicht, nein, sie vermehrten ihn noch. Die Gören plärrten, Otti war im Wege, sie sparte nicht mit spitzen Bemerkungen über solche faulen Schweine, die den ganzen Tag rumsitzen, nischt tun wie Zigaretten qualmen und der Frau alle Arbeit lassen.

Er hätte einen Zehn- oder Fünfzigmarkschein hervorziehen und dadurch Ottis Stinklaune in das schönste Mützenwetter verwandeln können, aber er wollte nicht. Er wollte nicht schon wieder Geld verschenken, eben erst hatte er zwei Mark für eine dußlige Nachricht verschenkt, auf die er auch von allein hätte kommen können. Eine Wut erfüllte ihn auf den Kuno-Dieter, der ihm solch ein kleines Aas auf den Hals geschickt, der sicher was verbockt hatte! Der Kuno-Dieter sollte, dazu war Borkhausen fest entschlossen, nun die Keile beziehen, um die der Kleine sich gedrückt hatte.

Dann klopfte es gegen die Tür, und statt des erwarteten Boten von Kuno-Dieter stand dort eine Zivilfigur, der man den ehemaligen Feldwebel noch deutlich genug ansah.

»Sind Sie der Borkhausen?«

»Ja, was ist denn?«

»Sie sollen zum Kommissar Escherich kommen. Machen Sie sich fertig, ich bring Sie.«

»Ich kann jetzt nicht«, widersprach Borkhausen, »ich wart auf einen Boten. Sagen Sie dem Kommissar, ich hab den Fisch gefangen.«

»Ich soll Sie mitnehmen zum Kommissar«, sagte der ehemalige Feldwebel halsstarrig.

»Nicht jetzt! Ich laß mir mein Geschäft nicht vermasseln! Nicht von euch Brüdern!« Borkhausen war zornig, aber er bezwang sich. »Sagen Sie dem Herrn Kommissar, ich hätt den Vogel, und ich käme heute noch bei ihm vorbei!«

»Also machen Sie jetzt keine langen Geschichten und kommen Sie mit!« wiederholte stur der andere.

»Das haben Sie wohl auswendig gelernt, was anderes können Sie wohl nicht pfeifen wie das ›Kommen Sie mit!‹?« schrie Borkhausen. »Du kannst wohl nicht kapieren, was ich dir sage? Ewig ›Kommense mit‹! Das kannst du wohl nicht begreifen, daß ich dir sage, ich warte hier auf Bescheid, ich muß hier sitzen, sonst geht der Hase mir aus der Schlinge? Das ist wohl zu hoch für dich?« Er sah sein Gegenüber ein wenig atemlos an. Dann setzte er mürrisch hinzu: »Den Hasen soll ich nämlich für den Kommissar fangen, verstehen Sie?«

Der ehemalige Feldwebel sagte ungerührt: »Von all dem weiß ich nichts. Der Kommissar hat zu mir gesagt: Fritsche, hol den Borkhausen. Also kommense schon!«

»Nee!« sagte Borkhausen. »Du bist mir zu dämlich. Ich bleibe – oder willst du mich verhaften?« Er sah es dem andern an der Nase an, daß er das nicht konnte. »Also hau schon ab!« rief er und schlug dem die Tür vor der Nase zu.

Drei Minuten darauf sah er den alten Feldwebel über den Hof abtrümmern, der hatte es sich anders überlegt, das »Kommense mit«!

Und sobald der Mann durch die Toreinfahrt des Vorderhauses verschwunden war, überkam Borkhausen Angst wegen der Folgen, die sein freches Auftreten vor dem Sendboten des allmächtigen Kommissars haben konnte. Nur der Zorn über diesen Kuno-Dieter hatte ihn dazu gebracht. Es war eine Unverschämtheit, den Vater Stunden um Stunden sitzenzulassen, womöglich bis in die Nacht hinein. Überall gab es Bengels, an jeder Straßenecke gab es jemand, den man mit einer Botschaft schicken konnte! Aber er würde es dem Kuno schon zeigen, was er von seinem Benehmen hielt, er sollte sich solche Witzchen nicht ungestraft erlauben.

Borkhausen schwelgte ordentlich in Phantasien, wie er den Burschen vermöbeln wollte. Er sah sich beim Prügeln dieses kindlichen Körpers, und ein Lächeln lag auf seinem Gesicht, aber es war kein Lächeln abklingender Wut ... Er hörte ihn schreien, und er legte ihm die eine Hand auf den schreienden Mund, während die andere weiterschlug, so lange weiterschlug, bis der ganze Junge zitterte und sein Mund nur noch wimmerte ...

Borkhausen wurde es nicht müde, sich diese Bilder immer wieder vorzustellen. Dabei streckte er sich auf seinem Sofa und stöhnte wollüstig.

Beinah kam ihm der Junge, endlich der Sendbote Kuno-Dieters, störend, der jetzt klopfte. »Was ist?« fragte er kurz.

»Ich soll Sie zu Kuno bringen.«

Diesmal war es ein großer Junge von vierzehn oder fünfzehn Jahren in der HJ-Bluse.

»Aber erst geben Sie mir mal fünf Mark.«

»Fünf Mark!« grollte Borkhausen und wagte sich diesem großen Bengel im braunen Hemd doch nicht offen zu widersetzen. »Fünf Mark! Ihr Jungens könnt ja fein mit meinem Gelde rumschmeißen!« Er suchte zwischen den Scheinen.

Der große HJ-Junge sah gespannt auf den Packen Geld in der Hand des andern. »Ich hab Fahrgeld ausgegeben«, sagte er. »Und dann, was denken Sie, was ich für Zeit versäumt habe, ganz aus dem Westen bis hier?«

»Und deine Zeit kostet viel Geld, was?« Borkhausen hatte den richtigen Schein immer noch nicht gefunden. »Und Westen, das sagst du so, Westen kann nie stimmen! Was bei dir wohl Westen ist? Vielleicht meinst du Stadtmitte, das könnte noch eher passen!«

»Na, wenn die Ansbacher nicht im Westen ist ...«

Zu spät sah der Junge, daß er sich verplappert hatte. Borkhausen hatte die Scheine schon weggesteckt! »Danke!« lachte er spöttisch. »Du brauchst deine teure Zeit nicht weiter zu versäumen. Ich find jetzt schon allein. Am besten fahre ich wohl mit der Untergrundbahn zum Viktoria-Luise-Platz, was?«

»Das machen Sie nicht mit mir! So was werden Sie nicht mit mir machen!« sagte der HJ-Bengel und trat mit geballten Fäusten auf den Mann zu. Seine dunklen Augen leuchteten vor Zorn. »Ich habe Fahrgeld ausgegeben, ich habe ...«

»Du hast deine kostbare Zeit versäumt, weiß schon!« lachte Borkhausen. »Hau ab, mein Sohn, Doofheit hat immer Geld gekostet!« Plötzlich faßte ihn wieder die Wut. »Was stehst du hier noch rum in meiner Stube? Willst du mich in meiner eigenen Stube vertrimmen? Mach, daß du jetzt rauskommst, oder ich laß dich dein eigenes Geschrei hören!«

Er drängelte roh den erzürnten Jungen aus dem Zimmer, schlug die Tür vor seiner Nase zu. Und den ganzen Weg, bis sie aus der Untergrundbahn am Viktoria-Luise-Platz stiegen, hatte er abwechselnd spöttische und zornige Bemerkungen für diesen Bengel, der nicht von seiner Seite wich, der aber – obwohl blaß vor Zorn – doch nicht mehr mit einem einzigen Wort auf alle seine Anzapfungen einging.

Oben auf dem Viktoria-Luise-Platz, aus dem Schacht der U-Bahn kommend, setzte sich der Junge plötzlich in Trab und war dem Manne weit voraus. Borkhausen mußte sich entschließen, ihm so rasch, wie es nur ging, nachzueilen: allzulange wollte er die beiden Bengels nicht miteinander reden lassen. Er war sich nicht ganz sicher, für wen sich Kuno-Dieter entscheiden würde, für seinen Vater oder für diese Sautöle.

Sie standen wirklich vor einem Haus der Ansbacher. Der HJ-Junge redete eifrig auf Kuno-Dieter ein, der mit gesenktem Kopf ihn anhörte. Als Borkhausen herankam, zog sich der Bote zehn Schritte zurück und ließ die beiden allein miteinander reden.

»Was denkst du dir eigentlich, Kuno-Dieter?« fing Borkhausen zornig an. »Daß du mir ewig solche Kerle auf den Hals schickst, unverschämte Burschen, die vorneweg ihr Geld fordern?«

»Ohne Jeld tut keener wat, Vata«, antwortete Kuno-Dieter gleichmütig. »Det weeßte ja selbst. Und ick will ooch wissen, wat ick bei dem Jeschäft vadiene, ick hab Fahrjeld ausjejem ...«

»Immer dieselbe Tour, daß euch aber gar nischt anderes einfällt! Nee, Kuno-Dieter, jetzt sagste deinem Vater erst mal ordentlich, was hier eigentlich los ist in der Ansbacher, und denn wirste ja sehn, wat dein Vata für dich tut. Dein Vata ist gar nicht so, nur Drängeln, Drängeln verträgt dein Vater nicht!«

»Nee, Vata«, sagte Kuno-Dieter wieder. »Ick hab Angst, du vajißt et nachher mit dem Bezahln – det Jeld natürlich. Maulschellen wirste schon zum Bezahln haben. Du hast schon 'ne Masse Jeld in diese Sache bekommen und wirst wohl noch mehr dabei erben, denk ick. Ick stehe hier nu schon den janzen Tag for dir rum, ohne Essen, da will ick ooch ma Jeld sehn. Ick habe jedacht, fufzig Mark ...«

»Fünfzig Mark!« Es verschlug Borkhausen fast die Luft, als er diese unverschämte Forderung hörte. »Ick wer dir sagen, wat ick dir jeb'n werde. Ick wer dir fünf Mark jeb'n, jenau die fünf Mark, die der Lulatsch da haben wollte, und darüber wirste dir jefälligst noch freun! Ick bin nicht so, aba ...«

»Nee, Vata«, sagte Kuno-Dieter und sah aus seinen blauen Augen Borkhausen trotzig an. »Da vadienst 'ne Stange Jold bei det Jeschäft, ich mach nich die janze Arbeet und lasse mir mit fünf Mark abspeisen, so blau, denn sar ick dir eben jar nischt!«

»Wat willste mir denn noch jroß erzähln!« lachte Borkhausen spöttisch. »Daß der Kleene in dem Haus da drin steckt, det weeß ick nu ooch so. Und det andre wer ick schon alleene rauskriegen. Nee, jeh man jetzt nach Hause und laß dir von Mutter wat zu essen jeb'n! Für janz dumm läßt sich dein Vata doch nich vakoofen! Ihr beiden Helden!«

»Denn jeh ick da ruff«, sagte Kuno-Dieter entschlossen, »und sare dem Kleenen, det de uff ihn paßt. Denn vapfeif ick dir, Vata!«

»Du verdammter Rotzjunge, du!« schrie Borkhausen und schlug nach dem Sohne.

Aber der lief schon, lief in den Nebeneingang des Hauses hinein. Borkhausen lief ihm nach, folgte ihm über den Hof, und auf der untersten Treppe des Hinterhauses holte er ihn ein. Er schlug ihn zu Boden und fing dann an, auf den Liegenden, mit den Füßen Stoßenden einzuprügeln. Es war beinahe so, wie er es sich vorher auf dem Sofa ausgemalt hatte, nur Kuno-Dieter schrie nicht, sondern wehrte sich mit verbissener Wut. Das steigerte Borkhausens Zorn noch. Mit voller Überlegung schlug er dem Jungen ins Gesicht und trat mit den Füßen nach seinem Bauch. »Dir Aas will ick det schon weisen!« keuchte er, und ein roter Nebel schwamm vor seinen Augen.

Plötzlich fühlte er, wie ihn was von hinten packte, jemand hielt seinen Arm fest. Etwas riß an dem einen, etwas an dem andern Bein. Er sah sich hastig um; es war dieser Hitler-Junge, es war eine ganze Rotte Bengels, Halbstarke, vier oder fünf Burschen, die sich da auf ihn gestürzt hatten. Er mußte von Kuno-Dieter ablassen, er mußte sich dieser Bengels erwehren, von denen er jeden einzelnen mit einer Hand hätte niederschlagen können, die aber in ihrer Gesamtheit ihm höchst gefährlich werden konnten.

»Ihr verdammte, feige Bande!« schrie er und versuchte, den Jungen, der ihm auf dem Rücken hing, durch Rammen gegen die Wand loszuwerden. Aber sie rissen ihm die Beine unter dem Leib weg. Sie brachten ihn zu Fall.

»Kuno!« keuchte er. »Hilf deinem Vater! Die feige Bande ...«

Aber Kuno half seinem Vater nicht. Jetzt hatte er sich aufgerappelt, und er war es, der den ersten Schlag in Borkhausens Gesicht führte.

Ein murrendes Brummen, fast ein tiefes Stöhnen kam aus der Brust des Mannes. Dann rollte er sich mit den Bengels auf dem Boden, immer bestrebt, die an ihm Hängenden gegen Stufen und Wände zu stoßen, sie zu quetschen, um wieder auf die Beine zu kommen.

Jetzt war nur noch das atemlose Stöhnen der Kämpfenden zu hören, das Geräusch von Schlägen, das Scharren der Füße ... Wortlos, in wildester Erbitterung kämpften sie.

Eine alte Dame, die die Treppe hinabkam, blieb vor Entsetzen stehen, als sie den wilden Kampf zu ihren Füßen sah. Sie klammerte sich an das Geländer, sie rief hilflos: »Aber! Aber nein ...! In unserm guten Haus!«

Ihr veilchenfarbener Umhang wallte. Dann entschloß sie sich und stieß einen wilden Entsetzensschrei aus.

Die Jungen rissen sich von Borkhausen los und verschwanden. Der Mann setzte sich auf und starrte die alte Dame wild an.

»So 'ne Bande!« keuchte er. »Wollen 'nen ollen Mann versohlen, und der eigene Junge dabei!«

Auf den Schrei der alten Dame hatten sich ein paar Türen geöffnet, ein paar Nachbarn kamen ängstlich hervor und flüsterten miteinander, auf den sitzenden Mann blickend.

»Die haben sich geprügelt!« piepste die alte Veilchenfarbene. »Die haben sich in unserm guten Haus geprügelt!«

Borkhausen besann sich. Wenn Enno Kluge jetzt hier wohnte, so war es höchste Zeit für ihn, zu verschwinden. Jeden Augenblick konnte auch er auftauchen, neugierig zu sehen, was dieser Trubel bedeutete.

»Hab nur meinen Jungen ein bißchen abgewackelt«, erklärte er grinsend den ihn schweigend anstarrenden Mietern. »Hat nichts zu sagen. Alles in Ordnung. Alles in bester Butter.«

Er stand auf und ging über den Hinterhof, durch den »Garten«, wieder auf die Straße, wobei er an seinen Kleidern herumstrich und den Schlips neu band. Von den Bengels war natürlich keine Spur mehr zu sehen. Na, warte, der Kuno-Dieter sollte ihn heute abend kennenlernen! Gegen seinen eigenen Vater zu kämpfen, als erster ihm ins Gesicht zu schlagen! Keine Otti in der Welt sollte sich schützend vor ihn stellen können! Nee, die konnte auch noch eine Wucht beziehen für dieses verdammte Kuckucksei, das sie ihm da ins Nest gelegt hatte!

Während Borkhausen das Haus unter Bewachung hält, steigt sein Zorn gegen diesen Kuno-Dieter immer mehr. Er wird aber fast besinnungslos, als er entdeckt, daß die Bengels ihm beim Kampf das ganze Paket Scheine aus der Tasche gestohlen haben. Nur ein paar einzelne Mark in der Westentasche sind ihm geblieben. So ein Sauvolk, solche verdammte Zucht. Am liebsten stürzte er auf der Stelle los, sie zu finden, Gulasch aus ihnen zu machen, sich sein Geld wiederzuholen!

Und er stürzt auch schon los.

Als er sich besinnt: er kann doch nicht weg! Er muß hier stehenbleiben, sonst laufen ihm die fünfhundert Mark auch noch fort! Es ist ja klar: nie kriegt er sein Geld von diesen Bengels wieder, da will er sehen, daß er wenigstens die fünfhundert rettet!

Er geht, völlig verwüstet von ätzendem Zorn, in ein kleines Café und telefoniert von dort mit dem Kommissar Escherich. Dann geht er auf seinen Beobachtungsposten zurück und wartet ungeduldig auf das Kommen von Escherich. Ach, wie triste ihm ist! Alle diese Mühe, die er sich gegeben hat – und immer ist alles gegen ihn! Andern gelingt, was sie nur anfassen, solch kleines Biest wie der Enno kriegt 'ne Frau mit viel Geld, einen schönen Laden, so ein Garnichts setzt nur auf ein Pferd, und schon gewinnt er – aber er! Er kann tun, was er will: alles mißlingt ihm. Was für 'ne Mühe hat er sich mit dieser Häberle gegeben, hat sich gefreut, ein bißchen Geld in der Tasche zu haben – schon ist es wieder weg! Das Armband damals von der Rosenthal – weg! Der schöne Einbruch, eine ganze Handlung mit Wäsche – weg! Was er auch anfaßt, alles geht ihm schief.

Bin ein Schieflieger, das bin ich! sagt er voll Bitternis zu sich selbst. Na, wenn der Kommissar wenigstens die fünfhundert Eier mitbringt! Und den Kuno schlage ich einfach tot! Den zwiebele ich so lange, den laß ich hungern, bis er krepiert! Das vergeß ich ihm nie!

Borkhausen hat am Telefon dem Kommissar gesagt, er solle das Geld gleich mitbringen.

»Will mal sehen!« hat der Kommissar geantwortet.

Was das nun wieder heißen soll? Will der mich auch anscheißen ...? So was gibt's doch gar nicht!

Nein, an dieser ganzen Sache interessiert ihn nur das Geld. Sobald er das Geld hat, wird er abhauen, aus dem Enno mag werden, was da will! Der interessiert ihn nicht mehr! Und vielleicht fährt er dann wirklich nach München. Er hat hier alles so über! Er mag einfach nicht mehr. Kuno, der ihm in die Fresse haut und ihm Geld klaut – so was hat's noch nie gegeben, der eigene Sohn!

Nein, die Häberle hat recht: er wird nach München fahren. Wenn Escherich das Geld bringt, sonst kann er die Fahrkarte nicht kaufen. Aber ein Kommissar, der nicht Wort hält, so was kann doch einfach nicht sein! Oder?


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