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44.
Kriminalrat Zott gestürzt

Der Brief des Reviervorstehers war zwar ganz richtig an Herrn Kriminalrat Zott bei der Geheimen Staatspolizei, Berlin, adressiert gewesen. Aber das hatte noch nicht zur Folge, daß dieser Brief auch direkt bei dem Kriminalrat Zott eintraf. Sondern dessen Vorgesetzter, der SS-Obergruppenführer Prall, hatte ihn in den Händen, als er beim Kriminalrat eintrat.

»Was ist das für eine Sache, Herr Kriminalrat?« fragte Prall. »Hier ist wieder so 'ne Karte vom Klabautermann und daran angeheftet ein Zettel: Häftlinge laut telefonischer Weisung der Gestapo, Kriminalrat Zott, wieder entlassen. Was sind das für Häftlinge? Warum ist mir davon nichts gemeldet?«

Der Kriminalrat sah schräg durch die Brille zu seinem Vorgesetzten hin: »Ach so! Ja, jetzt erinnere ich mich. Das war vorgestern oder noch einen Tag früher. Jetzt weiß ich es wieder genau: am Sonntag war es. Abends. Zwischen sechs oder sieben, achtzehn und neunzehn Uhr wollte ich sagen, Herr Obergruppenführer.« Und er sah, stolz auf sein ausgezeichnetes Gedächtnis, den Obergruppenführer an.

»Und was war da am Sonntag zwischen achtzehn und neunzehn Uhr? Wieso gab es da Häftlinge? Und warum wurden sie wieder entlassen? Und weshalb ist mir davon nichts gemeldet? Es ist zwar sehr beruhigend, daß Sie es jetzt wieder wissen, Zott, aber ich möcht's auch gerne wissen.«

Dieses ohne alle Titelei hervorgestoßene »Zott« klang wie ein erster Kanonenschuß.

»Aber eine ganz belanglose Geschichte!« Der Kriminalrat machte beruhigende Bewegungen mit seinem aktengelben Händchen. »Ein Unsinn auf dem Revier. Die hatten da als Kartenschreiber oder Kartenverteiler ein paar Leutchen festgenommen, ein Ehepaar, natürlich blanker Unsinn mal wieder von der Schupo. Ehepaar – da wir doch wissen, der Mann muß allein leben! Und dann, jetzt fällt mir auch das noch ein, von Beruf war der Mann Tischler, und wir wissen doch, er muß etwas mit der Straßenbahn zu tun haben!«

»Wollen Sie damit sagen, Herr«, antwortete, nur noch mühsam an sich haltend, der Obergruppenführer (das »Herr« war der zweite und weitaus schärfere Schuß in diesem Kriege), »wollen Sie damit sagen, daß Sie die Enthaftung dieser Leute angeordnet haben, ohne sie überhaupt zu sehen, ohne sie zu vernehmen – bloß weil es zwei waren statt einer, und bloß weil der Mann sich für einen Tischler ausgab? Herr!«

»Herr Obergruppenführer«, antwortete der Kriminalrat Zott und stand auf. »Wir Kriminalisten arbeiten nach einem bestimmten Plan und weichen davon nicht ab. Ich suche einen einsam lebenden Mann, der was mit der Straßenbahn zu tun hat, und keinen Ehemann, der Tischler ist. Der interessiert mich nicht. Wegen dem gehe ich keinen Schritt.«

»Als wenn ein Tischler nicht auch für die BVG arbeiten könnte, zum Beispiel Bahnwagen reparieren!« schrie jetzt Prall. »So eine Hornsdummheit!«

Zuerst wollte Zott beleidigt sein, aber die treffende Bemerkung seines Vorgesetzten machte ihn doch bedenklich. »Freilich«, sagte er betreten, »daran habe ich freilich nicht gedacht.« Er sammelte sich. »Aber ich suche einen einsam lebenden Menschen«, sagte er wieder. »Und dieser Mann hat eine Frau.«

»Haben Sie eine Ahnung, was die Weiber für gemeine Biester sein können!« knurrte Prall. Aber er hatte noch etwas in Bereitschaft: »Und haben Sie, Herr Kriminalrat Zott« (der dritte und schärfste Schuß), »vielleicht auch daran nicht gedacht, daß diese Karte an einem Sonntagnachmittag abgelegt ist, in der Nähe des Nollendorfplatzes, der gehört nämlich zu dem Revier! Sollte auch dieser kleine, belanglose Umstand Ihrem kriminalistischen Scharfblick entgangen sein?«

Diesmal war der Kriminalrat Zott ehrlich bestürzt, sein Spitzbart zuckte, über seine dunklen, scharfen Augen zog es wie ein Schleier.

»Sie sehen mich in der größten Verlegenheit, Herr Obergruppenführer! Ich bin verzweifelt, wie konnte mir das nur geschehen? Ach ja, ich habe mich verrannt. Ich habe immer nur an diese Bahnhöfe von der Elektrischen gedacht, ich war so stolz auf diese Entdeckung. Zu stolz ...«

Der Obergruppenführer sah mit bösen Augen auf dieses Männchen, das in ehrlicher Bekümmernis, aber ohne Kriecherei seine Sünden bekannte.

»Es war ein Fehler von mir, ein schwerwiegender Fehler«, fuhr der Kriminalrat eifrig fort, »diese Ermittlungen überhaupt zu übernehmen. Ich tauge nur für die stille Arbeit am Schreibtisch, nicht für den Fahndungsdienst. Kollege Escherich macht so etwas zehnmal besser als ich. Nun habe ich auch noch das Unglück gehabt«, fuhr er beichtend fort, »daß einer meiner Leute, den ich mit der Ermittlung in einem dieser Häuser beauftragt hatte, verhaftet worden ist, ein gewisser Klebs. Wie mir mitgeteilt wird, soll er an einem Diebstahl beteiligt sein, an der Ausräuberung eines Dipsomanen. Übrigens ist er schwer verletzt. Eine sehr häßliche Geschichte. Der Mann wird bei der Verhandlung nicht den Mund halten, er wird sagen, wir haben ihn geschickt ...«

Der Obergruppenführer Prall zitterte vor Zorn, aber der traurige Ernst, mit dem Kriminalrat Zott sprach, und seine völlige Unbekümmertheit um das eigene Schicksal hielten ihn noch im Zaum.

»Und wie denken Sie sich die Fortsetzung der Sache, Herr?« fragte er kalt.

»Ich bitte Sie, Herr Obergruppenführer«, bat Zott mit flehend erhobenen Händen, »ich bitte Sie, entbinden Sie mich! Entbinden Sie mich von diesem Dienst, dem ich in keiner Weise gewachsen bin! Holen Sie den Kommissar Escherich wieder aus seinem Keller, er wird es besser machen als ich ...«

»Ich hoffe«, sagte Prall und schien alles eben Gesagte nicht gehört zu haben, »ich hoffe, Sie haben wenigstens die Anschriften der beiden inhaftiert Gewesenen notiert?«

»Ich habe es nicht! Ich habe mit sträflichem Leichtsinn gehandelt, von meiner Lieblingsidee verführt. Aber ich werde mich mit dem Revier verbinden lassen, man wird mir die Adressen geben, wir werden sehen ...«

»Also lassen Sie sich verbinden!«

Das Gespräch war nur sehr kurz. Der Kriminalrat sagte zu dem Obergruppenführer: »Auch dort hat man die Adressen nicht notiert.« Und auf eine zornige Bewegung seines Vorgesetzten: »Ich bin schuld, ich ganz allein! Nach dem Telefongespräch mit mir mußte man dort die Angelegenheit für endgültig erledigt ansehen. Ich allein bin schuld, daß nicht einmal eine Aktennotiz gemacht wurde!«

»So daß wir jetzt keinerlei Spur mehr haben?«

»Keinerlei Spur!«

»Und wie denken Sie über Ihr Verhalten?«

»Ich bitte, Herrn Kommissar Escherich aus dem Keller zu holen und mich an seiner Stelle festzusetzen!«

Obergruppenführer Prall sah den kleinen Mann eine Weile sprachlos an. Dann sagte er, zitternd vor Wut: »Wissen Sie, daß ich Sie in ein KZ schicken werde? Sie wagen, mir einen solchen Vorschlag ins Gesicht hinein zu machen, und Sie zittern und heulen nicht vor Angst? Aus dem Zeug, wie Sie sind, sind auch die Roten, die Bolschewiken, gemacht! Sie bekennen Ihre Schuld, aber Sie scheinen noch stolz darauf!«

»Ich bin nicht stolz auf meine Schuld. Aber ich bin bereit, die Folgen zu tragen. Und ich hoffe, ich werde es ohne Zittern und Heulen tun!«

Obergruppenführer Prall lächelte verächtlich zu diesen Worten. Er hatte unter den Schlägen der SS-Männer schon viel Würde zerfallen gesehen. Aber er hatte auch den Blick in den Augen mancher Gemarterten gesehen, diesen Blick, der in aller Qual von einer kühlen, fast spöttischen Überlegenheit sprach. Und die Erinnerung an diesen Blick machte es, daß er, statt zu schreien und zu schlagen, nur sagte: »Sie halten sich in diesem Zimmer zu meiner Verfügung. Ich muß erst Bericht erstatten.«

Kriminalrat Zott neigte zustimmend den Kopf, und der Obergruppenführer Prall ging.


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