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24.
Kommissar Escherich bearbeitet die Sache Klabautermann

»Da, lesen Sie!« sagte der Kommissar Escherich zu dem Assistenten Schröder und gab ihm das Protokoll in die Hand.

»Tja«, antwortete Schröder und reichte die Bogen zurück. »Da hat er es also doch gestanden und ist nun reif für den Volksgerichtshof und den Scharfrichter. Ich hätte es nicht gedacht.« Er setzte nachdenklich hinzu: »Und so was läuft frei auf der Straße rum!«

»Jawohl!« sagte der Kommissar, legte das Protokoll in einen Aktendeckel und den Aktendeckel wieder in seine Ledertasche. »Jawohl, so was läuft nun frei auf der Straße rum – aber doch wohl ordentlich beschattet von unseren Leuten?«

»Selbstverständlich!« beeilte sich Schröder zu versichern. »Ich habe mich selbst davon überzeugt: sie waren ihm beide gut auf der Spur.«

»Und da läuft er rum«, fuhr der Kommissar Escherich, nachdenklich seinen Schnurrbart streichelnd, fort, »läuft und läuft, und unsere Leute laufen hinter ihm drein! Und eines Tages – heute oder in einer Woche oder in einem halben Jahr – läuft unser kleiner, fieser Herr Kluge zu seinem Kartenschreiber, zu dem Mann, der ihm den Auftrag gab: Leg sie da und dort ab. Zu dem führt er uns so sicher, wie das Amen in der Kirche kommt. Und da mache ich schnapp, und dann erst sind die beiden richtig reif für die Plötze und so weiter und so fort.«

»Herr Kommissar«, sagte der Assistent Schröder, »ich kann's noch immer nicht ganz glauben, daß der Kluge die Karte hingelegt hat. Ich hab's doch gesehen, wie ich sie ihm in die Hand gab, der hat noch nie was von der Karte gewußt! Das hat sich alles bloß dieses hysterische Frauenzimmer, die Sprechstundenhilfe, ausgedacht.«

»Aber es steht doch im Protokoll, daß er sie hingelegt hat«, wandte der Kommissar ein, doch ohne besonderen Nachdruck. »Im übrigen möchte ich Ihnen raten, in Ihrem Bericht nichts vom hysterischen Frauenzimmer zu schreiben. Keine persönlichen Vorurteile, rein sachlich. Wenn Sie wollen, können Sie ja noch den Arzt wegen der Glaubwürdigkeit seiner Hilfe befragen. Ach nein, lassen Sie das man auch lieber. Das wird auch wieder so ein persönliches Urteil, das können wir dem Untersuchungsrichter überlassen, wie er die einzelnen Aussagen bewertet. Wir arbeiten nur rein sachlich, nicht wahr, Schröder, ohne jedes Vorurteil.«

»Selbstverständlich, Herr Kommissar.«

»Wenn da eine Aussage steht, so steht da eben eine Aussage, und an die halten wir uns. Wie und warum sie zustande gekommen ist, das geht uns nichts an. Wir sind ja keine Psychologen, wir sind Kriminalisten. Crime, Verbrechen zu deutsch, Schröder, nur das Verbrechen interessiert uns. Und wenn einer gesteht, er hat ein Verbrechen begangen, so genügt uns das. Das ist wenigstens meine Ansicht von der Sache, oder denken Sie anders darüber, Schröder?«

»Aber selbstverständlich nicht, Herr Kommissar!« rief der Assistent Schröder aus. Es klang, als sei er maßlos erschrocken über den Gedanken, er könne irgend etwas anders auffassen als sein Vorgesetzter. »Genau, was ich denke! Immer gegen das Verbrechen!«

»Ich wußte es ja«, sagte der Kommissar Escherich und streichelte seinen Bart. »Wir alten Kriminalisten sind doch immer einer Meinung. Wissen Sie, Schröder, es arbeiten jetzt viele Außenseiter in unserm Beruf, aber wir halten doch stets zusammen, und davon haben wir ja denn auch manches Gute. Also, Schröder«, dieses rein dienstlich, »ich bekomme dann heute noch Ihren Bericht über die Verhaftung des Kluge und das Protokoll mit den Aussagen der Sprechstundenhilfe und des Arztes. Ja, richtig, Sie hatten ja auch einen Wachtmeister mit, Schröder ...«

»Oberwachtmeister Dubberke hier vom Revier ...«

»Kenn ich nicht. Soll aber auch einen Bericht machen über das Ausreißen des Kluge. Kurz, sachlich, kein Geschwafel, keine persönlichen Urteile, verstanden, Herr Schröder?«

»Zu Befehl, Herr Kommissar!«

»Also denn, Schröder! Wenn Sie die Berichte abgegeben haben, werden Sie ja mit dieser Sache nicht mehr befaßt werden, höchstens mal irgendeine Aussage vor einem Richter oder bei uns auf der Gestapo ...« Er betrachtete seinen Untergebenen sinnend. »Wie lange sind Sie schon Assistent, Herr Schröder?«

»Schon dreieinhalb Jahre, Herr Kommissar.«

Das Auge des »Bullen«, wie es jetzt auf dem Kommissar lag, hatte etwas Rührendes.

Aber der Kommissar sagte nur: »Ja, dann wird's ja auch allmählich Zeit«, und verließ das Revier.

In der Prinz-Albrecht-Straße ließ er sich dann sofort bei seinem direkten Vorgesetzten, dem SS-Obergruppenführer Prall, melden. Er mußte fast eine Stunde warten; nicht, daß Herr Prall grade sehr beschäftigt gewesen wäre, oder doch, er war grade sehr beschäftigt. Escherich hörte das Klirren von Gläsern, das Schnalzen der Pfropfen, er hörte Gelächter und Geschrei: eine der häufigen Zusammenkünfte höherer Führer also. Geselligkeit, Umtrunk, heitere Zwanglosigkeit, Erholung nach der schweren Mühe, Mitmenschen zu quälen und an den Galgen zu bringen.

Der Kommissar wartete ohne Ungeduld, obwohl er an diesem Tage noch viel vorhatte. Er kannte die Vorgesetzten im allgemeinen, und er kannte diesen Vorgesetzten im besonderen. Da half kein Drängeln, und wenn halb Berlin in Flammen stand, wenn der saufen wollte, so soff er erst mal. Das war so!

Nach einem Stündchen wurde Escherich dann aber doch vorgelassen. Das Zimmer mit den deutlichen Spuren eines Trinkgelages sah ziemlich wüst aus, und der Herr Prall, dunkelrot von Armagnac glühend, sah auch ziemlich wüst aus. Aber er sagte leutselig: »Da, Escherich! Schenken Sie sich doch auch ein Glas ein! Das sind die Früchte unseres Sieges über Frankreich: echter Armagnac: zehnmal besser als Kognak. Zehnmal? Hundertmal! Warum trinken Sie nicht?«

»Bitte um Verzeihung, Herr Obergruppenführer, ich habe heute noch ziemlich viel zu tun, möchte einen klaren Kopf behalten. Übrigens bin ich das Trinken nicht mehr gewohnt.«

»Ach was, nicht gewohnt! Klarer Kopf, Flausen! Wozu brauchen Sie einen klaren Kopf? Lassen Sie jemand anders Ihre Arbeit tun und schlafen Sie sich aus. Prost, Escherich – auf unsern Führer!«

Escherich prostete mit, weil er mußte. Er prostete auch noch ein zweites und ein drittes Mal mit, und dachte dabei, wie die Gesellschaft seiner Kameraden, zusammen mit dem Alkohol, diesen Mann verändert hatte. Prall war sonst eigentlich immer ganz erträglich, nicht halb so schlimm wie hundert andere Burschen, die mit ihren schwarzen Uniformen in diesem Bau herumliefen, sondern eher ein bißchen zweiflerisch, eben nur »kommandiert«, wie er mal gesagt hatte, keineswegs von allem überzeugt.

Aber unter dem Einfluß von Kameraden und Alkohol wurde er wie die: unberechenbar, brutal, sprunghaft und bereit, jede andere Ansicht sofort mit Stumpf und Stiel auszurotten, und sei es nur eine andere Ansicht über das Trinken von Schnaps. Hätte ihm Escherich das Anstoßen ernstlich verweigert, so wäre er so sicher verloren gewesen, wie wenn er den schlimmsten Verbrecher hätte laufenlassen. Ja, eigentlich wäre so was noch unverzeihlicher gewesen, weil es an eine persönliche Beleidigung grenzte, wenn der Untergebene nicht so viel und so oft mit dem Vorgesetzten anstieß, wie der wünschte.

Escherich stieß also an, stieß mehrmals an und trank mit.

»Also, was gibt's, Escherich?« sagte dann Prall und versuchte, an seinem Schreibtisch möglichst grade zu stehen, an ihm und durch ihn. »Was haben Sie denn da?«

»Ein Protokoll«, erklärte Escherich. »Von mir aufgenommen in Sachen meines Klabautermanns. Ein paar andere Berichte und Protokolle folgen noch, aber dieses ist das wichtigste. Bitte, Herr Obergruppenführer.«

»Klabautermann?« fragte Prall, scharf nachdenkend. »Das ist doch der Kerl mit den Karten. Na, ist Ihnen da doch was eingefallen, Escherich, wie ich Ihnen befohlen habe?«

»Zu Befehl, Herr Obergruppenführer. Wenn Herr Obergruppenführer das Protokoll lesen würde?«

»Lesen? Nee, nicht jetzt. Später vielleicht mal. Lesen Sie jetzt mal vor, Escherich!«

Aber er unterbrach die Vorlesung nach den ersten drei Sätzen. »Wollen erst noch mal einen genehmigen. Prost, Escherich! Heil Hitler!«

»Heil Hitler, Herr Obergruppenführer!«

Und nachdem er ausgetrunken hatte, fing Escherich wieder mit Vorlesen an.

Aber nun war dem alkoholisierten Prall ein neckisches Spiel eingefallen. Immer, wenn Escherich drei, vier Sätze gelesen hatte, unterbrach er ihn mit einem »Prost!«, und Escherich mußte, nachdem er auch geprostet hatte, wieder von vorn anfangen. Nie ließ Prall ihn über die erste Seite hinauskommen, schon unterbrach er ihn mit einem neuen »Prost!« Er sah wohl – trotz all seiner Besoffenheit –, wie es in dem Manne arbeitete, wie das scharfe Getränk ihm widerstand, daß er zehnmal die Lust hatte, das Protokoll hinzulegen und fortzugehen, und wie er es nicht wagte, weil der andere eben der Vorgesetzte war, wie er kuschen mußte, sich den Zorn nicht merken lassen durfte ...

»Prost, Escherich!«

»Danke gehorsamst, Herr Obergruppenführer! Prost!«

»Na, nun lesen Sie doch weiter, Escherich! Nee, fangen Sie noch mal wieder von vorne an. Die eine Stelle ist mir noch nicht ganz aufgegangen. Immer ein langsamer Denker gewesen ...«

Und Escherich las. Ja, jetzt wurde er genauso gequält, wie er vor zwei Stunden den schmächtigen Kluge gequält hatte, genau wie den plagte auch ihn nur das Verlangen, aus der Tür herauszukommen. Aber er mußte lesen, lesen und trinken, trinken und lesen, solange das dem andern beliebte. Er fühlte schon, wie es flockig, wolkig in seinem Kopf zog – seine gute Arbeit, ade! Verdammte Zucht!

»Prost, Escherich!«

»Prost, Herr Obergruppenführer!«

»Na, denn lesen Sie noch mal von Anfang an!«

Bis dieses Spiel dem Prall plötzlich langweilig wurde, bis er grob sagte: »Ach, lassen Sie doch diese blöde Vorleserei! Sie sehen doch, ich bin besoffen, wie soll ich denn da das Zeugs kapieren? Wollen sich wohl mit Ihrem geistreichen Protokoll dicketun, was? Andere Berichte folgen, sind nicht so wichtig wie der vom großen Kriminalisten Escherich! Wenn ich schon so was höre! Kurz und Furz: Haben Sie den Kartenschreiber geschnappt?«

»Zu Befehl, nein, Herr Obergruppenführer. Aber ...«

»Und warum kommen Sie denn da zu mir? Warum stehlen Sie mir meine kostbare Zeit und saufen mir den schönen Armagnac weg?« Dies war nun schon reines Gebrüll. »Sie sind wohl ganz wahnsinnig geworden, Herr? Aber mit Ihnen werde ich jetzt in einem andern Ton reden, Herr! Bin viel zu gutmütig gewesen, habe Sie zu frech werden lassen, verstanden?«

»Zu Befehl, Herr Obergruppenführer!« Und rasch, ehe das Geschrei von neuem losging, stieß Escherich hervor: »Aber ich habe jemanden gefaßt, der die Karten verteilt hat. Ich denke wenigstens.«

Diese Nachricht besänftigte Prall ein bißchen. Er sah den Kommissar mit stieren Augen an und sagte: »Vorführen den Mann! Soll mir sagen, wer ihm die Karten gegeben hat. Werde ihn zwiebeln – bin grade in der Stimmung dazu!«

Einen Augenblick schwankte Escherich. Er hätte sagen können, daß der Mann noch nicht in der Prinz-Albrecht-Straße war, daß er ihn holen würde – und dann würde er ihn wirklich holen, nämlich von der Straße her oder aus seiner Wohnung, mit Hilfe der Beschatter. Oder aber er würde ruhig aus der Ferne abwarten, bis der Obergruppenführer seinen Rausch ausgeschlafen hatte. Dann würde er wahrscheinlich alles vergessen haben.

Aber weil Escherich eben der Escherich war, nämlich ein in seinen Sünden gesottener Kriminalist, nämlich nicht feige, sondern er war mutig, und aus dem Mut heraus sagte er (es komme, was da wolle): »Ich habe den Mann wieder auf freien Fuß gesetzt, Herr Obergruppenführer!«

Gebrüll – nein, du lieber Himmel, was für ein tierisches Gebrüll! Der sonst wirklich für einen höheren Führer recht gesittete Prall vergaß sich doch so weit, daß er seinen Kommissar vor der Brust faßte, ihn hin und her schüttelte und dabei schrie: »Freigelassen? Freigelassen? Weißt du, was ich nun mit dir machen werde, du Schwein? Jetzt werde ich dich einstecken, jetzt sollst du mal sitzen! Warte, eine Tausendwattlampe hänge ich dir vor deinen Schnurrbart, und wenn du einschläfst, lasse ich dich wachprügeln, du Aas ...«

So ging es noch eine ganze Weile weiter. Escherich ließ sich schütteln und beschimpfen, er hielt ganz still. Jetzt war es vielleicht doch ganz gut, daß er Alkohol getrunken hatte. Ein wenig betäubt durch den Armagnac empfand er alles, was geschah, nur undeutlich, als sei es mehr ein Traumgeschehen.

Schrei du nur! dachte er. Je lauter du schreist, um so eher wirst du heiser. Mach's nur so weiter, gib's dem alten Escherich tüchtig!

Und wirklich, nachdem er sich heiser geschrien, ließ Prall seinen Untergebenen los. Er goß sich ein weiteres Glas Armagnac ein, musterte Escherich mit bösem Blick und krächzte: »Nun melden Sie gefälligst, warum Sie diese Riesendummheit gemacht haben!«

»Zuerst möchte ich melden«, sagte Escherich leise, »daß der Mann ständig durch zwei unserer besten Leute vom Präsidium beschattet wird. Ich denke, früher oder später wird er doch seinen Auftraggeber, den Kartenschreiber, aufsuchen. Jetzt leugnet er, ihn zu kennen. Der bekannte große Unbekannte.«

»Ich hätte den Namen schon aus ihm rausgepreßt. Diese Beschatterei – womöglich verlieren die noch den Mann!«

»Die nicht! Die tüchtigsten Leute vom Alex!«

»Na, na!« Aber ersichtlich zog bei Prall wieder besseres Wetter auf. »Sie wissen, ich will diese Eigenmächtigkeiten nicht haben! Ich hätte den Mann lieber in meinen Fingern!«

Das möchtest du! dachte Escherich. Und in einer halben Stunde hast du raus, daß der gar nichts mit den Karten zu tun hat, und fängst wieder an, mich zu hetzen ...

Laut aber sagte er: »Das ist ein so verängstigtes kleines Geschöpf, Herr Obergruppenführer. Wenn Sie den zwiebeln, der sagt Ihnen alles aus, was Sie wollen, und wir laufen hinter hundert Lügen her. So führt er uns glatt zum Kartenschreiber.«

Der Obergruppenführer lachte: »Na ja, Sie oller Fuchs, also trinken wir noch einen!«

Also tranken sie noch einen.

Der Obergruppenführer sah den Kommissar prüfend an. Sichtlich hatte sein Zornesausbruch ihm gutgetan, hatte ihn etwas nüchterner gemacht.

Er überlegte, dann sagte er: »Von dem Protokoll da, Sie wissen schon ...«

»Zu Befehl, Herr Obergruppenführer!«

»... von dem Protokoll da lassen Sie mir ein paar Abschriften anfertigen. Stecken Sie Ihr geistreiches Machwerk wieder ein.« Beide grinsten. »Hier gerät es womöglich doch noch in den Armagnac ...«

Escherich tat das Protokoll wieder in den Aktendeckel und den Deckel in die Mappe.

Unterdes hatte sein Vorgesetzter in einer Schreibtischschublade gekramt und kam jetzt zurück, eine Hand auf dem Rücken. »Sagen Sie mal, Escherich, haben Sie eigentlich schon das Kriegsverdienstkreuz?«

»Nein, Herr Obergruppenführer.«

»Irrtum, Escherich! Da haben Sie's!« Und er streckte überraschend die bisher verborgene Hand aus, auf deren Fläche das Kreuz lag.

Der Kommissar war so überwältigt, daß er nur einzelne Worte stammeln konnte. »Aber, Herr Obergruppenführer! Nicht verdient ... Finde keine Worte ...«

Alles hatte er während des Anpfiffs fünf Minuten zuvor erwartet, sogar ein paar Tage und Nächte im Bunker hatte er für möglich gehalten, aber daß ihm direkt darauf das Verdienstkreuz überreicht werden würde ...

»... Jedenfalls danke ich gehorsamst.«

Der Obergruppenführer Prall weidete sich an der Überraschung des Dekorierten.

»Na ja, Escherich«, sagte er dann. »Sie wissen ja, ich bin gar nicht so. Und schließlich sind Sie ja doch ein ganz tüchtiger Beamter. Man muß Sie nur manchmal ein bißchen auf den Trab bringen, sonst schlafen Sie mir noch ganz ein. Wollen noch mal einen genehmigen. Prost, Escherich, auf Ihr Kreuz!«

»Prost, Herr Obergruppenführer! Und nochmals meinen gehorsamsten Dank!«

Der Obergruppenführer fing an zu schwatzen: »Eigentlich war das Kreuz gar nicht für Sie bestimmt, Escherich. Eigentlich sollte es Ihr Kollege, der Rusch, kriegen, für eine ganz zackige Sache, die er mit einer ollen Jüdin gedreht hat. Aber Sie kamen eben eher.« Er schwatzte noch eine Weile weiter, drehte dann das Rotlicht über seiner Tür an, was bedeutete: »Wichtige Besprechung! Nicht stören!«, und legte sich zum Schlafen auf eine Couch.

Als Escherich, das Verdienstkreuz noch immer in der Hand, sein Büro betrat, saß da sein Vertreter am Apparat und rief: »Was denn? Fall Klabautermann? Ist das kein Irrtum? Hier liegt kein Fall Klabautermann vor!«

»Geben Sie her!« sagte Escherich und faßte nach dem Hörer. »Und verdimensionieren Sie sich schleunigst!«

Er rief in den Apparat: »Ja, hier, Kommissar Escherich! Was ist mit Klabautermann? Wollen wohl Meldung erstatten?«

»Melde gehorsamst, Herr Kommissar, daß wir den Mann leider aus den Augen verloren haben, nämlich ...«

»Was haben Sie?«

Escherich war nahe daran, einen Zornesausbruch folgen zu lassen, wie ihn eine Viertelstunde zuvor sein Vorgesetzter gehabt hatte. Aber er bezwang sich: »Wie hat denn das geschehen können? Ich denke, Sie sind ein tüchtiger Mann, und der Observierte ist doch bloß ein Männeken!«

»Ja, das sagen Sie so, Herr Kommissar. Aber er kann laufen wie ein Wiesel, und in dem Gedränge auf dem U-Bahnhof Alexanderplatz war er plötzlich weg. Er muß gemerkt haben, daß wir ihn beschatteten!«

»Auch das noch!« stöhnte Escherich. »Hat's gemerkt! Ihr Hornochsen habt mir meinen ganzen Film verkorkst! Nun kann ich euch nicht mehr schicken, er kennt euch ja. Und neue kennen ihn wieder nicht!« Er überlegte: »Also schnellstens zurück aufs Präsidium! Jeder von euch beiden holt sich einen Ersatzmann. Und der eine von euch nimmt irgendwo in der nächsten Nähe seiner Wohnung Posto, aber gut bedeckt, wohlverstanden?! Daß er euch nicht noch mal ausreißt! Ihr habt nur die Aufgabe, euerm Ersatzmann den Kluge zu zeigen, und dann schwirrt ihr ab. Der andere geht zur Fabrik, wo er arbeitet, und meldet sich dort bei der Leitung. Warten Sie doch, Sie großer Held, Sie müssen doch erst die Adresse von der Wohnung haben!« Er suchte sie heraus und gab sie durch. »So, und nun schnellstens auf eure Posten! In die Fabrik kann übrigens der Ersatzmann allein gehen, und das erst morgen früh. Da werden sie ihm den Mann schon zeigen! Ich sage dort Bescheid. Und in einer Stunde bin ich selbst in seiner Wohnung ...«

Er hatte aber so viel zu diktieren und zu telefonieren, daß er erst sehr viel später zur Wohnung der Eva Kluge kam. Seine Leute sah er nicht, und an der Tür klingelte er umsonst. So blieb auch ihm nur die Nachbarin, die Gesch.

»Der Kluge? Sie meinen den Kluge? Nee, der wohnt hier nich. Hier wohnt bloß seine Frau, lieber Mann, die läßt den schon längst nicht mehr in die Wohnung. Die ist aber verreist. Wo er wohnt? Wie soll ich das wissen, lieber Mann? Der treibt sich doch nur so rum, immer mit Weibern. Ich hab wenigstens mal so was gehört, aber ich will nischt gesagt haben. Die Frau hat mir schon Vorwürfe genug gemacht, weil ich dem Mann mal in ihre Wohnung geholfen habe.«

»Hören Sie mal, Frau Gesch«, sagte Escherich und war in den Flur der Wohnung eingetreten, da sie ihm die Tür vor der Nase zuschlagen wollte. »Nun erzählen Sie mir mal reineweg alles, was Sie von den Kluges wissen!«

»Wie komm ich denn dazu, lieber Mann, und wie kommen Sie dazu, hier einfach in meine Wohnung ...«

»Ich bin nämlich der Kommissar Escherich von der Geheimen Staatspolizei, und wenn Sie meinen Ausweis sehen wollen ...«

»Nee, nee!« rief die Gesch abwehrend und war erschrocken bis an die Wand der Küche zurückgewichen. »Nischt will ich sehn, nischt will ich hören! Und von den Kluges habe ich Ihnen schon alles gesagt, was ich weiß!«

»Nun, ich denke, das werden Sie sich noch überlegen, Frau Gesch, wenn Sie mir hier nämlich nichts erzählen wollen, dann müßte ich Sie nach der Prinz-Albrecht-Straße auf die Gestapo einladen zu einem richtigen Verhör. Das würde Ihnen bestimmt keinen Spaß machen. Hier unterhalten wir uns doch nur ein bißchen in aller Gemütlichkeit, nichts wird aufgeschrieben ...«

»Ja doch, Herr Kommissar. Aber ich habe wirklich nichts mehr zu erzählen. Ich weiß doch von denen gar nichts.«

»Wie Sie wollen, Frau Gesch. Machen Sie sich dann fertig, ich habe unten ein paar Leute, Sie können gleich mitkommen. Und legen Sie Ihrem Mann – Sie haben doch einen Mann? Aber natürlich haben Sie einen Mann! –, also legen Sie Ihrem Mann mal einen Zettel hin: ›Bin auf der Gestapo. Rückkunft unbestimmt.‹ Also los, Frau Gesch! Schreiben Sie den Zettel!«

Die Gesch war blaß geworden, ihre Glieder flogen, die Zähne klapperten in ihrem Mund.

»So was werden Sie doch nicht tun, lieber, lieber Herr!« fleht sie.

Er antwortete mit gespielter Grobheit: »Natürlich werde ich so was tun, Frau Gesch, wenn Sie mir nämlich weiter eine selbstverständliche Auskunft verweigern. Also seien Sie vernünftig, setzen Sie sich hierher und erzählen Sie mir alles, was Sie von den Kluges wissen. Wie ist denn die Frau?«

Natürlich nahm die Gesch Vernunft an. Im Grunde war er ein sehr lieber Herr, dieser Herr von der Gestapo, ganz anders, als sie sich solche Herren vorgestellt hatte. Und natürlich erfuhr Kommissar Escherich alles, was es eben bei der Gesch zu erfahren gab. Sogar von dem SS-Mann Karlemann hörte er, denn was die Eckkneipe wußte, das wußte die Gesch natürlich auch. Der tüchtigen Ex-Briefträgerin Eva Kluge hätte es das Herz abgedrückt, wenn sie gehört hätte, wie sehr sie und ihr ehemaliger Liebling Karlemann in der Leute Munde waren.

Als Kommissar Escherich von der Gesch schied, ließ er nicht nur ein paar Zigarren für den Mann zurück, sondern er hatte auch der Gestapo eine eifrige, unbezahlte und unbezahlbare Spionin gewonnen. Sie würde nicht nur auf die Wohnung der Kluges ständig ein Auge haben, sondern auch überall im Haus und in den Schlangen vor den Geschäften lauschen und den lieben Kommissar stets sofort anrufen, wenn sie was erfuhr, was er brauchen konnte.

In Verfolg dieser Unterhaltung rief Kommissar Escherich seine beiden Leute wieder ab. Die Wahrscheinlichkeit, daß man den Kluge in der Wohnung seiner Frau erwischte, war nach dem Erfahrenen ganz gering, außerdem paßte die Gesch auf die Wohnung auf. Dann ging Kommissar Escherich noch auf das Postamt und zu der Parteidienststelle und zog weitere Erkundigungen über diese Frau Kluge ein. Nie konnte man wissen, wozu so was gut war.

Escherich hätte denen auf der Post und Partei ganz gut sagen können, daß er einen Zusammenhang zu kennen glaubte zwischen dem Parteiaustritt der Frau Kluge und den Schandtaten ihres Sohnes in Polen. Er hätte auch die Adresse von Frau Kluge im Ruppinschen verraten können, hatte er sich doch von dem Brief von der Kluge an die Gesch, als sie die Schlüssel schickte, die Anschrift notiert. Aber Escherich tat das nicht, er fragte viel, aber Auskünfte gab er nicht. Wohl war das die Partei und das Postamt, also etwas Amtliches, aber die Gestapo ist nicht dafür da, andern in ihren Geschäften zu helfen. Dafür ist sie sich zu gut – und in diesem Punkte wenigstens teilte Kommissar Escherich die allgemeine Gestapo-Einbildung vollkommen.

Das mußten auch die Herren in der Fabrik erfahren. Sie trugen Uniform, und sie waren in der Rangstufe und auch vom Gehalt aus gesehen sicher etwas sehr viel Höheres als der farblose Kommissar. Aber er blieb dabei: »Nein, meine Herren, was gegen den Kluge vorliegt, das ist allein Sache der Geheimen Staatspolizei. Darüber sage ich nichts. Ihnen eröffne ich nur, daß Sie den Kluge anstandslos kommen und gehen lassen, wie er Lust hat, daß es keine Anschnauzereien und Verängstigungen mehr gibt, und daß Sie den durch mich ausgewiesenen Beamten anstandslos Zulaß in Ihrem Betrieb geben und ihre Arbeit, soweit das in Ihrer Macht steht, unterstützen werden. Haben wir uns nun verstanden?«

»Ich bitte um eine schriftliche Bestätigung dieser Anordnungen!« rief der Offizier. »Und das heute noch!«

»Heute noch? Das wird ein bißchen spät. Aber vielleicht morgen. Vor morgen kommt der Kluge bestimmt nicht. Wenn er überhaupt wieder hierher kommt! Also dann, Heil Hitler, meine Herren!«

»Gottverdammich!« knirschte der Offizier. »Diese Kerle werden immer anmaßender! Die ganze Gestapo soll der Henker holen! Die denken, weil sie jeden Deutschen einstecken können, dürfen sie sich alles erlauben. Aber ich bin Offizier, ich bin sogar Berufsoffizier ...«

»Was ich noch sagen wollte ...« der Kopf Escherichs erschien wieder im Türspalt, »hat der Mann vielleicht hier noch Papiere, Briefe, persönliches Eigentum?«

»Da müssen Sie seinen Meister nach fragen! Der hat einen Schlüssel zu seinem Schrank ...«

»Also schön«, sagte Escherich und sank auf einen Stuhl. »Da fragen Sie denn also den Meister danach, Herr Oberleutnant! Aber wenn es Ihnen nicht zuviel Mühe macht, ein bißchen schnell, ja?«

Einen Augenblick tauschten die beiden Blicke. Die Augen des spöttischen farblosen Escherich und die vor Zorn dunklen des Oberleutnants führten einen Kampf miteinander. Dann schlug der Offizier die Hacken zusammen und verließ eilig den Raum, die gewünschte Auskunft zu besorgen.

»Ulkige Kruke das!« sagte Escherich zu dem plötzlich eifrig an seinem Schreibtisch beschäftigten Parteibonzen. »Wünscht die Gestapo zum Henker. Möchte gerne wissen, wie lange ihr hier noch sicher sitzen würdet, wenn wir nicht wären. Letzten Endes: der ganze Staat, das ist die Gestapo. Ohne uns bräche alles zusammen – und ihr ginget alle zum Henker!«


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