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28.
Hübsche kleine Erpressung

Es war bereits berichtet worden, daß Frau Hete Häberle und Enno Kluge an diesem Morgen fast ohne Worte miteinander frühstückten und im Laden arbeiteten, beide blaß von einer fast durchwachten Nacht und stark mit ihren Gedanken beschäftigt. Frau Häberle dachte daran, daß Enno morgen unbedingt aus dem Hause müsse, Enno, daß er sich keinesfalls fortschicken lassen würde.

In diese Stille trat als erster Kunde ein langer Mann und sagte zu Frau Häberle: »Hörense mal, Sie haben da so ein paar Wellensittiche im Fenster. Was soll denn ein Paar von denen kosten? Es müßte aber ein Pärchen sein, ich bin immer für Pärchen gewesen ...« Und Borkhausen fuhr herum, in gespieltem Erstaunen, in absichtlich schlecht gespieltem Erstaunen rief er den Kluge an, der sich eben sachte in die Hinterstube des Ladens verdrücken wollte: »Aber das bist du doch, Enno! Nanu, ich rede, ich kieke, ich denke, das kann doch nicht der Enno sein, was soll denn der Enno in so 'nem kleinen Tierzoo? Und nun bist du es doch, Kumpel! Na, was machste denn noch so, Kumpel?«

Enno war, die Klinke in der Hand, wie gebannt auf seinem Platz stehengeblieben, gleich unfähig, fortzulaufen und zu antworten.

Frau Hete aber starrte den langen Mann, der so freundlich auf Enno einredete, mit großen Augen an, ihre Lippen fingen an zu zittern und die Knie wurden ihr weich. Da war sie also doch, die Gefahr, alles war also nicht gelogen, was Enno erzählt hatte von seiner Bedrängnis durch die Gestapo. Denn, daß dieser Mann mit dem ebenso feigen wie brutalen Gesicht ein Spitzel der Gestapo war, daran zweifelte sie keinen Augenblick.

Aber als nun diese Gefahr wirklich geworden war, da zitterte nur der Körper von Frau Hete. Ihr Geist war ruhig, und dieser Geist sagte ihr: Jetzt, in dieser Gefahr, kannst du den Enno unmöglich im Stich lassen, er mag sein wie er will.

Und Frau Hete sagte zu diesem Mann mit dem stechenden Blick, der immer wieder abirrte, sie sagte zu diesem Mann, der wie ein richtiger Achtgroschenjunge aussah: »Vielleicht trinken Sie eine Tasse Kaffee mit uns, Herr – wie ist doch Ihr Name?«

»Borkhausen, Emil Borkhausen«, stellte der Spitzel sich vor. »Bin ein alter Freund von dem Enno, Sportsfreund. Was sagen Sie nun, Frau Häberle, zu dem großartigen Coup, den er gestern auf Adebar gelandet hat? Wir haben uns in der Sportkneipe getroffen – hat er es Ihnen nicht gesagt?«

Frau Hete warf einen raschen Blick auf Enno. Da stand er noch immer, die Hand auf der Klinke, genau wie ihn die vertrauliche Ansprache Borkhausens überrascht hatte. Ein Bild hilfloser Angst. Nein, er hatte ihr nichts von diesem Treffen mit dem alten Bekannten gesagt, er hatte sogar behauptet, er hätte niemanden Bekanntes gesehen. Er hatte sie also wieder mal belogen – und sehr zu seinem eigenen Schaden hatte er das getan, denn nun war ja ganz klar, wie dieser Spitzel seine Zuflucht bei ihr gefunden hatte. Hätte er gestern abend schon etwas von diesem Bekannten gesagt, so hätte man ihn noch fortschaffen können ...

Aber dies war nicht der Augenblick, mit Enno Kluge zu hadern oder ihm seine Lügen vorzuwerfen. Dies war der Augenblick, zu handeln. Und so sagte sie denn noch einmal: »Also trinken wir eine Tasse Kaffee, Herr Borkhausen. Jetzt kommt noch nicht so viel Kundschaft, Enno, du paßt auf den Laden auf. Ich werde zuerst einmal mit deinem Freund reden ...«

Jetzt war Frau Hete auch über das Zittern des Körpers hinaus. Sondern sie dachte nur daran, wie es damals mit ihrem Walter gegangen war, und diese Erinnerungen gaben ihr Kraft. Sie wußte, diesen Leuten gegenüber half kein Zittern, Klagen, Anrufen des Mitleids, sie hatten kein Herz, diese Henkerslieferanten von Hitler und Himmler. Sondern wenn eines half, so war es Mut, Nichtfeigesein, Nieangsthaben. Die glaubten, alle Deutschen seien feige, wie es jetzt der Enno war; aber sie war es nicht, Frau Hete, verwitwete Häberle, war es nicht.

Sie erreichte durch ihr ruhiges Auftreten auch, daß die beiden Männer sich ihr widerspruchslos fügten. Im Abgehen zur Stube sagte sie noch: »Und keine Dummheiten, Enno! Kein sinnloses Fortlaufen! Denke daran, dein Mantel hängt in der Stube, und Geld wirst du auch kaum in der Tasche haben.«

»Sie sind 'ne kluge Frau«, sagte Borkhausen, indem er sich an den Tisch niedersetzte und zusah, wie sie ihm eine Kaffeetasse hinstellte. »Und energisch sind Sie auch, hätte ich gar nicht gedacht, wie ich Sie gestern abend zum erstenmal sah.«

Ihre Blicke begegneten sich.

»Na ja«, setzte Borkhausen dann schnell hinzu, »eigentlich waren Sie gestern abend auch energisch, wie er da auf den Knien vor Ihnen rumrutschte, und Sie schlossen ihm die Tür vor der Nase ab. Sie werden sie ja wohl über Nacht nicht wieder aufgeschlossen haben – oder?«

Ein wenig Rot war bei dieser schamlosen Anspielung in Frau Hetes Wangen gestiegen, die beschämende, die ekelhafte Szene von gestern abend hatte also sogar einen Zeugen gehabt, und solch widerlichen dazu! Aber sie faßte sich rasch und sagte: »Ich nehme an, Sie sind auch ein kluger Mann, Herr Borkhausen, wir wollen doch jetzt gar nicht von Nebensachen reden, sondern nur vom Geschäft. Ich nehme an, es kann ein Geschäft werden?«

»Vielleicht, vielleicht sicher ...« beeilte sich Borkhausen zu beteuern, unwillkürlich eingeschüchtert von dem Tempo, das diese Frau vorlegte.

»Sie wollen also«, fuhr Frau Hete fort, »ein Paar Wellensittiche kaufen. Ich nehme an, um sie dann fliegen zu lassen. Denn wenn sie weiter im Käfig bleiben, haben die Sittiche doch nichts davon ...«

Borkhausen kratzte sich den Kopf. »Frau Häberle«, sagte er dann, »das mit den Sittichen, das wird mir zu kompliziert. Ich bin bloß ein einfacher Mensch, wahrscheinlich sind Sie viel schlauer als ich. Hoffentlich legen Sie mich nicht rein.«

»Und Sie mich nicht!«

»Keine Ahnung! Ich will ganz offen mit Ihnen reden, nichts von Sittichen und so. Ich sage Ihnen alles, wie es ist, die ganze Wahrheit. Ich habe nämlich von der Gestapo den Auftrag, von dem Kommissar Escherich habe ich ihn, wenn der Ihnen ein Begriff ist?« Frau Hete schüttelte den Kopf. »Also ich hab den Auftrag, zu ermitteln, wo der Enno steckt. Weiter nichts. Warum und wieso, davon habe ich keine Ahnung. Ich will Ihnen was sagen, Frau Häberle, ich bin ein ganz einfacher, offener Mensch ...«

Er neigte sich zu ihr hinüber; sie sah ihm in die Augen, die stechend waren. Sein Blick irrte ab, der Blick des einfachen, offenen Menschen.

»Ich habe mich eigentlich über den Auftrag gewundert, Frau Häberle, das will ich Ihnen ehrlich sagen. Denn wir beide wissen doch, was der Enno für ein Mensch ist, nämlich ein Garnichts, nur mit ein bißchen Rennwetten und Weibergeschichten im Kopf. Und nach diesem Enno jagt jetzt die Gestapo, und sogar noch die Politische Abteilung, wo alles Hochverrat und Kohlrübe ab wird. Ich versteh das nicht – verstehen Sie das?« Er sah sie erwartungsvoll an. Wieder begegneten sich ihre Blicke, und wieder geschah es wie vorhin: er konnte sie nicht ansehen.

»Erzählen Sie ruhig weiter, Herr Borkhausen«, fuhr sie fort. »Ich hör zu ...«

»Kluge Frau!« nickte Borkhausen. »Verdammt kluge Frau und energisch. Das gestern abend mit der Knierutscherei ...«

»Wir wollten nur vom Geschäft reden, Herr Borkhausen!«

»Na gewiß doch! Ich bin nämlich ein braver, richtig offener deutscher Mensch, und da werden Sie sich vielleicht wundern, daß ich bei der Gestapo bin. Das denken Sie vielleicht. Nee, Frau Häberle, ich bin nicht bei der Gestapo, ich arbeite nur manchmal für sie. Der Mensch will leben, nicht wahr, und ich habe fünf Gören zu Haus, der Älteste grade erst dreizehn. Alle muß ich sie ernähren ...«

»Das Geschäft, Herr Borkhausen!«

»Nee, Frau Häberle, ich bin nicht bei der Gestapo, ich bin ein ehrlicher Mensch. Und wie ich das hörte, daß sie meinen Freund Enno suchen und sogar hohe Belohnungen auf ihn aussetzen, und ich kenne doch den Enno von früher und bin sein richtiger Freund, wenn wir uns auch mal gestritten haben da habe ich also gedacht, Frau Häberle: Kieke da, den Enno suchen sie! Den kleinen Garnichts. Wenn ich ihn nur fände, hab ich gedacht, verstehen Sie, Frau Häberle, dann könnte ich ihm vielleicht einen Wink geben, daß er abhaut, solange es noch Zeit ist. Und ich hab zu dem Kommissar Escherich gesagt: ›Wegen dem Enno machen Sie sich man keine Mühe, den schaff ich Ihnen, weil er nämlich ein alter Freund von mir ist.‹ Und da habe ich denn den Auftrag gekriegt, Frau Häberle, und der Enno wirtschaftet im Laden, und es ist alles eigentlich in bester Butter ...«

Eine Weile schwiegen beide, Borkhausen abwartend, Frau Häberle nachdenklich.

Dann sagte sie: »Die Gestapo hat also noch keine Nachricht von Ihnen bekommen?«

»I wo, mit denen habe ich es doch nicht eilig, mir das ganze Geschäft zu vermasseln!« Er verbesserte sich: »Erst wollte ich meinem alten Freund Enno doch mal einen Wink geben ...«

Und wieder schwiegen sie. Und wieder fragte Frau Hete schließlich: »Und was hat Ihnen denn die Gestapo für eine Belohnung versprochen?«

»Tausend Mark! Ist 'ne Masse Geld für so einen Garnichts, gebe ich zu, Frau Häberle, ich war selbst ganz ganz verblüfft. Aber der Kommissar Escherich hat zu mir gesagt: ›Bringen Sie mir mal den Kluge, und ich zahle Ihnen tausend Mark.‹ Das hat der Escherich gesagt. Und hundert Mark Spesen hat er mir auch bewilligt, die habe ich schon gekriegt, die kämen zu den tausend Mark Belohnung noch dazu.«

Sie saßen lange nachdenklich da.

Dann fing Frau Hete wieder an: »Ich habe das vorhin mit den Wellensittichen nicht ohne Absicht gesagt, Herr Borkhausen. Denn wenn ich Ihnen tausend Mark zahle ...«

»Zweitausend Mark, Frau Häberle, unter Freunden immer zweitausend Mark. Und dann kämen noch die hundert Mark Spesen dazu ...«

»Nun also, selbst wenn ich Ihnen das zahlen würde, und Sie wissen doch, der Herr Kluge hat kein Geld, und mich bindet an ihn nichts ...«

»Na, Frau Häberle, na! Sie, 'ne hochanständige Frau! Sie werden doch Ihren Freund, der auf den Knien zu Ihnen gerutscht ist, nicht um so 'n bißchen Geld der Gestapo ausliefern? Wo ich Ihnen extra gesagt habe, es ist alles da, Hochverrat und Kohlrübe ab? Das werden Sie doch nicht tun, Frau Häberle!«

Sie hätte ihm ja sagen können, daß er, der schlichte, ehrliche deutsche Mann, grade das zu tun im Begriff war, was sie als hochanständige Frau keinesfalls tun durfte, nämlich den Freund verkaufen. Aber sie wußte es ja, derartige Bemerkungen hatten keinen Zweck, für so was besaßen diese Herren keinen Sinn.

Und so sagte sie denn: »Ja, also wenn ich selbst die zweitausendeinhundert zahlen würde, wer garantiert mir denn dafür, daß die Wellensittiche nicht doch im Käfig bleiben?« Sie entschloß sich, da sie sah, wie er schon wieder den Kopf verwirrt kratzte, auch ganz schamlos zu werden: »Also, wer garantiert mir dafür, daß Sie nicht meine zweitausendeinhundert nehmen und gehen dann doch zu dem Escherich und nehmen auch noch seine tausend?«

»Aber ich garantiere Ihnen dafür, Frau Häberle! Ich gebe Ihnen mein Wort darauf; ich bin ein einfacher, offener Mensch, und wenn ich was verspreche, dann halte ich das auch. Sie haben's ja gesehen, ich bin gleich zu dem Enno gelaufen und habe ihn gewarnt, auf die Gefahr hin, daß er aus dem Laden einen Flitzer macht. Und dann ist das ganze Geschäft doch Essig.«

Frau Hete sah ihn mit einem schwachen Lächeln an. »Das ist ja alles schön und gut, Herr Borkhausen«, sagte sie dann. »Aber grade weil Sie ein so guter Freund von dem Enno sind, werden Sie verstehen, daß ich jede Sicherheit für ihn haben muß. Wenn ich das Geld überhaupt auftreiben kann.«

Borkhausen machte eine beschwichtigende Bewegung, die sagen sollte, daß es daran bei einer Frau, wie sie war, nie fehlen könnte.

»Nein, Herr Borkhausen«, fuhr Frau Hete fort, denn sie sah ja, für Ironie war er nicht empfänglich, sie mußte schon ganz offen mit ihm reden, »wer steht mir denn dafür, daß Sie mein Geld jetzt nicht nehmen ...«

Borkhausen wurde ganz aufgeregt bei dem Gedanken, er könne die schwindelnde, die nie gesehene Summe von zweitausend Mark jetzt gleich bekommen ...

»... und vor der Tür steht ein Gestapoagent und nimmt den Enno fest? Da muß ich schon andere Garantien von Ihnen haben!«

»Es steht aber keiner vor der Tür, das schwöre ich Ihnen, Frau Häberle! Ich bin doch ein ehrlicher Mensch, wozu soll ich Sie denn belügen?! Ich komme direkt von Haus, da können Sie auch meine Otti danach fragen!«

Sie unterbrach den Aufgeregten: »Also überlegen Sie mal, was für eine Garantie Sie mir sonst noch geben können – außer Ihrem Wort?«

»Aber da gibt's doch gar keine! Das ist doch so 'n Geschäft, das beruht ganz allein auf Vertrauen. Und Vertrauen werden Sie doch zu mir haben, Frau Häberle, jetzt, wo ich so offen mit Ihnen gesprochen habe?«

»Ja, das Vertrauen ...« antwortete Frau Häberle gedankenlos, und dann versanken sie beide in ein langes Schweigen, er einfach abwartend, was sie wohl beschließen würde, sie sich den Kopf zergrübelnd, wie sie wenigstens ein Minimum von Sicherheit erreichen könnte.

Im Laden wirtschaftete unterdes der Enno Kluge. Er bediente die nun schon reichlicher strömende Kundschaft rasch und nicht ungeschickt, sogar zu Witzchen verstieg er sich schon wieder. Der erste Schreck, den er bei Borkhausens Anblick empfunden, war schon wieder verflogen. Die Hete saß in der Stube und sprach mit Borkhausen, sie würde die Sache schon in Ordnung bringen. Aber daß sie die Sache in Ordnung brachte, das bewies, daß es ihr gar nicht ernst gewesen war mit der Drohung, ihn fortzuschicken. So war er nur erleichtert jetzt, und darum reichte es auch schon wieder zu Witzchen!

Hinten in der Stube brach Frau Häberle das lange Schweigen. Sie sagte entschlossen: »Also, Herr Borkhausen, ich habe mir das so überlegt. Ich will das Geschäft unter folgenden Bedingungen mit Ihnen abschließen ...«

»Ja ...? Sagen Sie doch!« drängte gierig Borkhausen. Er sah seinen Lohn jetzt schon nahe.

»Ich gebe Ihnen zweitausend Mark, aber ich gebe sie Ihnen nicht hier. Ich gebe sie Ihnen in München.«

»In München?« Er glotzte dämlich. »Ich komme doch nie nach München! Was soll ich denn in München?«

»Wir gehen«, fuhr sie fort, »jetzt zusammen auf das Postamt, und ich zahle eine Postanweisung auf zweitausend Mark an Sie ein: Hauptpostlagernd München. Und dann bringe ich Sie auf die Bahn, und Sie fahren mit dem nächsten Zug nach München und holen sich dort das Geld. Auf dem Anhalter-Bahnhof werde ich Ihnen noch zweihundert Mark für die Reise geben außer der Fahrkarte ...«

»Nee!« rief Borkhausen erbittert. »So was mache ich nicht! Auf so was lasse ich mich nicht ein! Nachher fahre ich runter nach München, und Sie haben sich Ihre Anweisung von der Post zurückgeholt!«

»Ich werde Ihnen bei der Abfahrt die Einzahlungsquittung geben, dann kann ich das nicht tun.«

»Und München?« rief er wieder. »Wozu denn München? Wir sind doch ehrliche Menschen! Warum denn nicht hier, gleich jetzt hier im Laden, und es hat geschnappt! Nach München und zurück, da brauche ich doch mindestens zwei Tage und eine Nacht, und unterdes ist der Enno hier natürlich getürmt!«

»Aber, Herr Borkhausen, das hatten wir doch abgemacht, deswegen gebe ich Ihnen doch das Geld! Der Wellensittich sollte doch nicht in seinem Käfig bleiben. Ich meine, der Enno soll sich doch verstecken können, dafür zahle ich Ihnen doch die zweitausend Mark!«

Mürrisch sagte Borkhausen, der darauf nichts Rechtes zu entgegnen hatte: »Und hundert Mark Spesen kriege ich auch noch!«

»Die kriegen Sie auch noch. In bar. Auf dem Anhalter.«

Aber auch diese Zusage konnte Borkhausens Stimmung nicht verbessern. Er blieb mürrisch. »München, ich hab noch nie so 'n Quatsch gehört! Es wäre alles so schön einfach gewesen – und nun München! Ausgerechnet München! Warum sagen Sie nicht gleich London – da kann ich ja dann nach dem Kriege hinfahren! Und alles vermasselt! Es ginge so schön einfach, aber nee, es muß kompliziert sein! Und warum? Weil Sie kein Vertrauen zu Ihren Mitmenschen haben, weil Sie ein mißtrauischer Mensch sind, Frau Häberle! Ich bin so ehrlich zu Ihnen gewesen ...«

»Und ich bin ehrlich zu Ihnen! So mache ich dies Geschäft und anders nicht!«

»Na denn!« sagte er. »Denn kann ich ja gehen.« Er stand auf, nahm seine Schiebermütze. Aber er ging nicht. »München kommt für mich gar nicht in Frage ...«

»Es wird eine ganz interessante kleine Reise für Sie sein«, redete ihm Frau Häberle zu. »Die Fahrt ist hübsch, und in München soll es noch sehr gut zu essen und zu trinken geben. Sehr viel stärkeres Bier als hier bei uns, Herr Borkhausen!«

»Ich mach mir nichts aus Trinken«, sagte er wieder, aber nicht so sehr mürrisch wie gedankenvoll.

Frau Hete sah ihm an, daß er seinen Kopf zergrübelte nach einem Ausweg, wie er das Geld nehmen und den Enno trotzdem ausliefern könnte. Sie prüfte nochmals ihren Vorschlag. Er schien ihr gut. Er schaffte den Borkhausen für mindestens zwei Tage aus dem Wege, und wenn das Haus wirklich nicht unter Bewachung stand (wovon sie sich schnell genug überzeugen würde), so war das Zeit genug, den Enno unterdes fortzuschaffen.

»Na ja«, sagte Borkhausen schließlich und sah sie an. »Sie tun's nicht anders, Frau Häberle?«

»Nein«, sagte Frau Hete. »So sind meine Bedingungen, von denen gehe ich nicht ab.«

»Dann muß ich's wohl tun«, sagte Borkhausen. »Ich kann doch nicht einfach die zweitausend Eier in den Wind schlagen.«

Das hatte er mehr zu sich, zu seiner eigenen Rechtfertigung vor sich selbst gesagt.

»Dann werde ich also nach München fahren. Und Sie gehen jetzt gleich mit mir aufs Postamt.«

»Gleich«, sagte Frau Häberle gedankenvoll. Nun, da er doch zugesagt hatte, war sie noch immer nicht zufrieden. Sie war ganz überzeugt, er plante eine neue Gemeinheit. Sie mußte rauskriegen, welche ...

»Ja, wir gehen gleich«, sagte sie noch einmal. »Das heißt: erst muß ich mich ein bißchen zurechtmachen und den Laden schließen.«

Er sagte rasch: »Wozu wollen Sie denn den Laden zumachen, Frau Häberle? Der Enno ist doch hier!«

»Der Enno geht mit uns«, sagte sie.

»Wozu denn das nu wieder? Der Enno hat doch mit dem ganzen Geschäft nichts zu tun!«

»Weil ich es so haben will. Es könnte sonst nämlich sein«, setzte sie hinzu, »daß der Enno gerade in dem Augenblick verhaftet wird, wenn ich das Geld an Sie einzahle. Solche Versehen können vorkommen, Herr Borkhausen.«

»Aber wer soll ihn denn verhaften?«

»Na, zum Beispiel der Spitzel vor der Tür ...«

»Ist ja gar kein Spitzel vor der Tür!« Sie lächelte. »Sie können sich überzeugen, Frau Häberle. Gehen Sie doch rum, sehen Sie sich alle Leute an. Ich habe keinen Spitzel vor der Tür! Ich bin ein ehrlicher Mensch ...«

Sie sagte beharrlich: »Ich will den Enno bei mir haben. Es ist schon sicherer.«

»Sie sind hartmäulig wie ein oller Maulesel!« rief er wütend. »Na also schön, soll der Enno auch mitgehn. Aber nun machen Sie auch ein bißchen fix!«

»So große Eile haben wir nicht«, sagte sie. »Der Münchner Zug geht erst um zwölf herum. Wir haben alle Zeit. Und nun entschuldigen Sie mich für eine Viertelstunde, ich möchte mich ein bißchen zurechtmachen.« Sie sah ihn, wie er da am Tisch saß, immer das Auge aufmerksam auf die Glasscheibe gerichtet, durch die er den Laden beobachten konnte, prüfend an. »Und eine Bitte noch, Herr Borkhausen: Reden Sie jetzt nicht mit dem Enno, er hat reichlich im Laden zu tun, und überhaupt ...«

»Was ich mit dem Idioten wohl reden soll!« sagte Borkhausen ärgerlich. »Mit so 'nem Quatschkopf rede ich doch überhaupt kein Wort!«

Aber er setzte sich gehorsam anders, so daß er jetzt ihre Stubentür und das Hoffenster vor Augen hatte.


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