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42.
Borkhausen zum drittenmal geprellt

Die beiden Herren hatten in dem verwüsteten Wohnzimmer Platz genommen; jetzt saß der »Hausverwalter« auf dem Platz der Ratte, und Klebs saß auf dem Stuhl Persickes. Nein, der alte Persicke hatte nicht einmal eine Auskunft geben können, aber die Sicherheit, mit der sich Klebs in der Wohnung bewegte, die Ruhe, in der er mit Persicke sprach und ihm zu trinken gab, hatte den »Hausverwalter« doch zu einiger Vorsicht gemahnt.

Jetzt zog Klebs wieder seine abgegriffene Brieftasche aus einem Kunststoff, der einmal schwarz gewesen war und nun an den Kanten rostrot schimmerte, hervor. Er sagte: »Wenn ich dem Herrn Hausverwalter vielleicht meine Papiere zeigen darf? Es ist alles in Ordnung, ich bin von der Partei beauftragt ...«

Aber sein Gegenüber wies die Papiere zurück, er lehnte auch den Schnaps ab, nur eine Zigarette nahm er. Nein, jetzt trank er keinen Schnaps, er erinnerte sich zu gut, wie damals bei der Rosenthal oben der Enno ihm ein glänzendes Geschäft mit Kognaktrinken vermasselt hatte. Das sollte ihm nicht noch einmal passieren. Borkhausen, denn niemand anders als Borkhausen ist es, der dort als »Hausverwalter« sitzt, denkt nach, wie er seinem Gegenüber beikommen kann. Er hat diesen Bruder sofort durchschaut: ob der nun tatsächlich ein Bekannter vom alten Persicke ist oder nicht, ob er im Auftrag der Partei hier sitzt oder nicht – ganz egal: der Kerl hat klauen wollen! Was er in den Koffern hatte, war geklaute Ware – sonst wäre er nicht so erschrocken gewesen bei Borkhausens Anblick, sonst wäre er jetzt nicht so ängstlich und betulich. Niemand der was Rechtes vorhat, kriecht so vor einem andern; das weiß Borkhausen aus eigenster Erfahrung.

»Vielleicht jetzt ein Schnäpschen gefällig, Herr Hausverwalter?«

»Nein!« Borkhausen brüllt das fast. »Halten Sie den Mund, ich muß noch was überlegen ...«

Die Ratte ist zusammengezuckt und schweigt.

Borkhausen hat ein sehr schlechtes Jahr hinter sich. Nein, die damals von Frau Häberle gesandten zweitausend Mark hat er auch nicht bekommen. Die Post hat ihm auf seinen Nachsendungsantrag hin mitgeteilt, daß die Gestapo das Geld für sich, als aus einem Verbrechen stammend, angefordert habe, er möge sich mit der Gestapo in Verbindung setzen. Nein, Borkhausen hatte das nicht getan. Er wollte nie wieder etwas mit diesem wortbrüchigen Escherich zu. tun haben, und Escherich schickte auch nie wieder nach Borkhausen.

Das war also ein Reinfall gewesen; viel schlimmer aber war es noch, daß der Kuno-Dieter nicht wieder nach Haus gekommen war. Zuerst hatte Borkhausen noch gedacht: Na, warte du! Wenn du erst wieder zu Hause bist! Hatte sich mit der Ausmalung von Prügelszenen ergötzt und die angstvollen Fragen Ottis nach dem Ausbleiben ihres Lieblings mit Grobheiten abgewimmelt.

Aber als dann Woche um Woche verging, war die Lage ohne Kuno-Dieter doch ziemlich unerträglich geworden. Die Otti wurde zu einer wahren Giftschlange und machte ihm das Leben zur Hölle. Ihm war es schließlich egal, mochte der Bengel ganz wegbleiben, um so besser: ein unnützer Fresser weniger im Haus! Aber Otti stellte sich reineweg toll an wegen ihres Lieblings, es war, als könnte sie keinen Tag mehr ohne Kuno-Dieter leben, und früher hatte sie doch auch bei ihm nie mit Schelten und Prügeln gespart.

Schließlich war die Otti ganz meschugge geworden, sie war zur Polizei gelaufen und hatte den eigenen Mann wegen Mordes am Sohne angezeigt. Mit solchen Leuten wie mit Borkhausen machte man bei der Polizei nicht viel Umstände, er stand dort in gar keinem Rufe, weil er nämlich im allerschlechtesten stand, sie setzten ihn sofort auf dem Kriminalgericht fest.

Elf Wochen hatten sie ihn dort behalten, er hatte tüchtig Tüten kleben und Tauwerk zupfen müssen, sonst zogen sie ihm noch von dem Essen ab, von dem er sowieso nicht satt wurde. Das Schlimmste aber waren die Nächte gewesen, wenn Fliegerangriffe erfolgten. Borkhausen hatte eine gewaltige Angst vor Fliegerangriffen. Er hatte mal eine Frau in der Schönhauser Allee gesehen: eine Brandbombe war in sie gefahren und in ihr steckengeblieben – nie in diesem Leben würde Borkhausen den Anblick vergessen.

Er hatte also Angst vor Fliegern, und wenn die immer näher dröhnten, und die ganze Luft war voll von ihrem Geräusch, und dann kamen die ersten Einschläge, und seine Zellenwand war rot beleuchtet vom Flackerschein ferner und naher Brände ... Nein, sie ließen die Gefangenen nicht aus der Zelle, sie ließen sie nicht in den Keller, in dem sie sicher gesessen hätten, die Speckjäger, die! In solchen Nächten wurde das ganze riesige Zellengefängnis Moabit hysterisch, an den Fenstern hingen sie und schrien – oh, wie sie schrien! Und Borkhausen hatte mitgeschrien! Er hatte geheult wie ein Tier, er hatte den Kopf auf seiner Schlafpritsche verborgen, und dann war er mit diesem Kopf gegen die Zellentür gerannt, immer mit dem Schädel voran gegen die Zellentür, bis er dann vor Betäubung am Boden liegengeblieben war ... Das war seine Art Narkose, durch die er diese Nächte überstand!

Aber er war nach diesen elf Wochen Untersuchungshaft natürlich nicht in sehr freundlicher Stimmung nach Haus zurückgekehrt. Selbstverständlich hatten sie ihm nicht das geringste nachweisen können, das wäre ja auch gelacht; aber diese elf Wochen hätte er sich ersparen können, wenn Otti nicht so ein Aas gewesen wäre! Und wie ein Aas behandelte er sie nun auch, sie, die mit ihren Freunden kein schlechtes Leben in seiner Wohnung geführt hatte (deren Miete sie regelmäßig bezahlte), während er hatte Taue zupfen und vor Angst halb wahnsinnig werden müssen.

Von da an hagelte es Schläge in der Borkhausenschen Wohnung. Bei dem geringsten Mucks schlug der Mann zu, ganz gleich, was er in der Hand hatte; er schmiß es ihr in die Fresse, dem Aas, dem verdammten, das ihn so ins Unglück gebracht hatte.

Aber auch Otti setzte sich zur Wehr. Nie war Essen für ihn da, nie Geld, nie was zu rauchen. Sie schrie unter seinen Schlägen, daß die Hausbewohner zusammenliefen, und alle nahmen sie Partei gegen Borkhausen, wo sie doch genau wußten, sie war nichts als eine gemeine Nutte. Und dann eines Tages, als er ihr büschelweise die Haare vom Kopf gerissen hatte, tat sie das allergemeinste: sie verschwand auf Nimmerwiedersehen aus der Wohnung und ließ ihn sitzen mit den restlichen vier Gören, von denen bei keinem seine Vaterschaft sicher war. Verdammt noch mal, Borkhausen hatte richtig auf Arbeit gehen müssen, sonst wären sie alle verhungert, und die zehnjährige Paula führte nun die Wirtschaft.

Ein bescheidenes Jahr, ein wahrhaft beschissenes Jahr war das gewesen! Und dazu dieser immer weiterbohrende Haß auf die Persickes, denen er nichts auswischen konnte noch durfte, die ohnmächtige Wut und Eifersucht, als im Hause bekannt wurde, der Baldur käme auf eine Napola, und schließlich das kleine, dünne Wiederaufglimmen von Hoffnung, als er den Suff des alten Persicke beobachtete – vielleicht – vielleicht doch ...

Und nun saß er in der Wohnung der Persickes, da auf dem Tischchen unter dem Fenster stand der Radioapparat, den Baldur der alten Rosenthal geklaut hatte. Borkhausen war nahe am Ziel, und nun kam es nur noch darauf an, wie er diese Wanze da unverdächtig wegkriegte ...

Borkhausens Augen leuchten auf, wenn er daran denkt, wie Baldur toben würde, wenn er den Borkhausen da am Tisch sitzen sähe. Dieser schlaue Fuchs, der Baldur, aber immer noch nicht schlau genug. Geduld ist manchmal mehr wert als Schlauheit. Und plötzlich fällt Borkhausen ein, wie es der Baldur mit ihm und dem Enno Kluge hatte treiben wollen, damals, als sie in die Wohnung der Rosenthal eingebrochen waren, das heißt, ein richtiger Einbruch war es ja gar nicht gewesen, sondern eine bestellte Sache ... Borkhausen schiebt die Unterlippe vor, er betrachtet sein während des langen Schweigens sehr zappelig gewordenes Gegenüber nachdenklich und sagt: »Na, dann zeigen Sie mir mal was Sie in den Koffern haben!«

»Hören Sie mal«, die Ratte versucht sich zu widersetzen, »ich glaube, das ist ein bißchen viel verlangt. Wenn mir mein Freund, der Herr Persicke, erlaubt hat – das überschreitet doch Ihre Rechte als Hausverwalter ...«

»Ach, quasseln Sie nicht!« sagt Borkhausen. »Entweder zeigen Sie mir hier was Sie in den Koffern haben, oder wir beide gehen gemeinsam zur Polizei.«

»Ich brauche es nicht«, stellt die Ratte quiekend fest, »aber ich zeige es Ihnen freiwillig. Mit der Polizei hat man immer bloß Scherereien, und wo jetzt mein Parteigenosse Persicke so krank geworden ist, kann es vielleicht noch Tage dauern, bis er meine Angaben bestätigt.«

»Los! Los! Aufmachen!« sagt Borkhausen plötzlich wild und hat nun doch einen Schluck aus der Flasche genommen.

Die Ratte Klebs sieht ihn an, plötzlich kommt ein hämisches Lächeln in das Gesicht des Spitzels. Los! ›Los! Aufmachen!‹ Durch diesen Ruf hat Borkhausen seine Gier verraten. Er hat auch verraten, daß er nicht der Hausverwalter ist und wenn er es doch sein sollte, so ist er ein Hausverwalter, der die Absicht hat, ungetreu zu sein.

»Na, Kumpel?« sagt die Ratte plötzlich in einem ganz andern Ton. »Wollen wir nicht Halbe-Halbe machen?«

Und ein Faustschlag schickt ihn zu Boden. Der Sicherheit halber gibt Borkhausen dem Klebs noch zwei, drei Schläge mit einem Stuhlbein nach. So, der wird nicht mucksen die nächste Stunde!

Und dann fängt Borkhausen an, einzupacken, umzupacken. Wieder wechselt die ehemals Rosenthalsche Wäsche den Besitzer. Borkhausen arbeitet rasch und völlig ruhig. Diesmal soll keiner zwischen ihn und den Erfolg treten. Lieber macht er alle hin, und wenn er die Kohlrübe dafür hergeben muß! Er läßt sich nicht noch einmal neppen.

Und es war dann, eine Viertelstunde später, doch nur ein ganz kurzer Kampf mit den beiden Schupos, als Borkhausen aus der Wohnung trat. Ein bißchen Getrampel und Gezerre nur, dann war Borkhausen gebändigt und gefesselt.

»So!« sagte der kleine Herr Kammergerichtsrat a. D. Fromm zufrieden. »Und damit, glaube ich, ist es mit Ihrer Wirksamkeit in diesem Hause für immer vorbei, Herr Borkhausen. Ich werde nicht vergessen, Ihre Kinder der Fürsorge zu übergeben. Aber das interessiert Sie wohl weniger. So, meine Herren, und nun müssen wir noch in die Wohnung. Ich will hoffen, Herr Borkhausen, daß Sie mit dem kleinen Herrn, der vor Ihnen die Treppe hinaufging, nichts gar zu Schlimmes angestellt haben. Und dann werden wir ja wohl auch noch den Herrn Persicke finden, Herr Wachtmeister, letzte Nacht hatte der einen Anfall von Delirium tremens.«


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