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45.
Kommissar Escherich wieder frei

Der Kommissar Escherich ist wieder im Amt. Der Totgeglaubte ist aus den Kellern der Gestapo wieder zum Leben auferstanden. Ein wenig beschädigt und zerknittert sitzt er doch wieder an seinem Schreibtisch, und seine Kollegen beeilen sich, ihn ihrer Sympathie zu versichern. Sie hätten immer an ihn geglaubt. Sie hätten alles gerne für ihn getan, was in ihrer Macht stand. »Nur, weißt du, wenn erst die höhere Führung jemanden in Verschiß tut, kann unsereiner nichts mehr machen. Da verbrennt man sich nur die Pfoten. Nun, das weißt du ja alles selbst, das verstehst du ja, Escherich.«

Escherich versichert, daß er alles versteht. Er verzieht den Mund zu einem Lächeln, das ein wenig unglücklich aussieht, vermutlich weil Escherich noch nicht gelernt hat, mit einigen Zahnlücken im Munde zu lächeln.

Nur zwei Reden haben auf ihn bei seinem Diensteintritt Eindruck gemacht. Die eine kam vom Kriminalrat Zott.

»Kollege Escherich«, hatte der gesagt. »Ich werde nicht statt Ihrer in den Bunker gesandt, obwohl ich es zehnmal mehr als Sie verdient hätte. Nicht nur wegen der Fehler, die ich gemacht habe, sondern weil ich mich wie ein Schwein Ihnen gegenüber benommen habe. Meine einzige Entschuldigung ist, ich glaubte, Sie hätten schlecht gearbeitet ...«

»Nun reden Sie nicht mehr davon«, hatte Escherich mit seinem zahnlückigen Lächeln gesagt. »Im Fall Klabautermann haben bisher alle schlecht gearbeitet. Sie, ich, alle. Es ist komisch, ich bin wirklich gespannt darauf, diesen Mann kennenzulernen, der so viel Unglück mit seinen Karten über seine Mitmenschen gebracht hat. Es muß ein seltsamer Vogel sein ...«

Er sah den Kriminalrat gedankenvoll an.

Der gab ihm seine kleine aktengelbe Hand. »Denken Sie nicht zu böse von mir, Kollege Escherich«, sagte er leise. »Und noch eins: ich habe da so eine neue Theorie aufgestellt, daß der Täter irgend etwas mit der Straßenbahn zu tun hat. Sie werden es bei den Akten finden. Bitte verlieren Sie diese Theorie bei Ihren Ermittlungen nicht ganz aus dem Auge. Ich wäre sehr glücklich, wenn wenigstens dieser Punkt meiner Erwägungen sich als wahr erwiese! Ich bitte Sie darum!«

Und damit entschwand der Kriminalrat Zott auf sein abgelegenes, stilles Zimmer, nur noch seinen Theorien hingegeben.

Die zweite denkwürdige Ansprache hielt natürlich der Obergruppenführer Prall. »Escherich«, sagte er mit erhobener Stimme, »Kommissar Escherich! Sie fühlen sich doch ganz wohl?«

»Völlig wohl!« antwortete der Kommissar. Er stand hinter seinem Schreibtisch, unwillkürlich lagen die Hände mit eng angepreßten Daumen an der Hose, wie er es unten in der Zelle gelernt hatte. So sehr er dagegen ankämpfte, der Kommissar zitterte. Sein Auge war aufmerksam auf den Vorgesetzten gerichtet. Diesem Manne gegenüber erfaßte ihn nichts wie Angst, besinnungslose Angst, jeden Augenblick konnte der ihn wieder in den Keller schicken.

»Wenn Sie sich also völlig wohl fühlen, Escherich«, fuhr Prall fort, der sehr wohl die Wirkung seiner Worte spürte, »so können Sie doch auch arbeiten. Oder nicht?«

»Ich kann arbeiten, Herr Obergruppenführer!«

»Wenn Sie arbeiten können, Escherich, so können Sie doch auch den Klabautermann fangen! Das können Sie doch?«

»Das kann ich, Herr Obergruppenführer!«

»In kürzester Zeit, Escherich!«

»In kürzester Zeit, Herr Obergruppenführer!«

»Sehen Sie, Escherich«, sagte der Obergruppenführer Prall gnädig und weidete sich an der Angst seines Untergebenen. »Wie gut so 'n kleiner Ferienaufenthalt im Bunker tut! So liebe ich meine Leute! Sie fühlen sich mir nicht mehr sehr überlegen, Herr Escherich?«

»Nein, Herr Obergruppenführer, gewiß nicht. Zu Befehl, Herr Obergruppenführer!«

»Sie denken nicht mehr, daß Sie der allerschlaueste Hund in der ganzen Gestapo sind und daß alle andern bloß aus Hundedreck gemacht sind – das denken Sie doch nicht mehr, Escherich?«

»Zu Befehl, nein, Herr Obergruppenführer, das denke ich nicht mehr.«

»Sehen Sie, Escherich«, fuhr der Obergruppenführer fort und gab dem angstvoll zurückfahrenden Escherich einen kräftigen, aber scherzhaften Nasenstüber, »und wenn Sie sich nun mal wieder sehr schlau fühlen, oder wenn Sie Eigenmächtigkeiten begehen, oder wenn Sie denken, der Obergruppenführer Prall ist bloß ein doofes Aas, dann sagen Sie mir das rechtzeitig. Dann schicke ich Sie gleich, ehe es noch zu schlimm wird, zu einer kleinen Kur in den Keller. Na, na?«

Der Kommissar Escherich sah seinen Vorgesetzten nur starr an. Jetzt konnte es ein Blinder hören, so stark zitterte der Kommissar.

»Nun, was wird, Escherich, werden Sie's mir rechtzeitig sagen, wenn Sie mal wieder mächtig schlau sind?«

»Zu Befehl, Herr Obergruppenführer!«

»Oder wenn die Arbeit nicht vorangeht, damit ich Ihnen ein bißchen Beine mache?«

»Zu Befehl, Herr Obergruppenführer.«

»Na, dann sind wir uns ja einig, Escherich!«

Der hohe Herr gab dem genugsam Geduckten plötzlich ganz überraschend die Hand. »Freut mich, Escherich, Sie wieder im Dienst zu sehen. Hoffe, wir werden wieder ausgezeichnet miteinander arbeiten. Was wollen Sie also als nächstes tun?«

»Mir von den Beamten des Reviers am Nollendorfplatz eine genaue Personalbeschreibung verschaffen. Die werden wir jetzt endlich bekommen! Der Mann, der die beiden Angezeigten vernahm, vielleicht hat er doch noch eine leise Erinnerung an den Namen. Die Suchaktion des Kollegen Zott fortsetzen ...«

»Schön, schön. Das ist also jedenfalls ein Anfang. Sie erstatten mir täglich Bericht ...«

»Zu Befehl, Herr Obergruppenführer!«

Ja, dies war die zweite Unterredung bei Wiederaufnahme seines Dienstes, die einigen Eindruck auf den Kriminalkommissar Escherich machte. Im übrigen sah man ihm nichts mehr von seinen Erlebnissen an, nachdem auch die Zahnlücke wieder geschlossen war. Die Kollegen fanden sogar, Escherich sei sehr viel netter geworden seitdem. Das machte, daß er den Ton spöttischer Überlegenheit völlig verloren hatte. Keinem Menschen konnte er sich noch überlegen fühlen.

Kommissar Escherich arbeitet, macht Recherchen, nimmt Vernehmungen vor, fertigt Personalbeschreibungen an, liest in Akten, telefoniert – Escherich arbeitet wie eh und je. Aber wenn ihm auch keiner was ansieht, und wenn er auch hofft, eines Tages wieder ohne Zittern mit seinem Vorgesetzten Prall reden zu können, Escherich weiß, er wird nie wieder der alte. Er ist bloß noch eine Arbeitsmaschine, was er tut, ist Routinearbeit. Mit dem Überlegenheitsgefühl schwand auch die Freude an der Arbeit, der Dünkel war der Dünger, der seine Früchte reifte.

Escherich hat sich immer sehr sicher gefühlt. Er hat immer geglaubt, ihm könne nichts geschehen. Er hat angenommen, er sei ein ganz anderer Mensch als die andern. Und Escherich hat all diese Selbsttäuschungen aufgeben müssen, eigentlich in den paar Sekunden, als ihm der SS-Mann Dobat die Faust in den Mund schlug und er Angst lernte. Escherich hat in wenigen Tagen so gründlich Angst gelernt, daß er sie in seinem ganzen Leben nicht wieder verlernen wird. Er weiß, er kann aussehen wie er will, er kann das Unmögliche erreichen, er kann geehrt und gefeiert werden – er weiß, er ist gar nichts. Ein Faustschlag kann ihn in ein heulendes, zitterndes, angstvolles Garnichts verwandeln, nicht viel besser als der kleine, stinkende, feige Taschendieb, mit dem er tagelang die Zelle geteilt hat und dessen eiligst geleierte Gebete ihm jetzt noch im Ohr sind. Nicht so sehr viel besser. Nein, gar nicht besser!

Aber eines hält den Kommissar Escherich noch aufrecht, das ist der Gedanke an den Klabautermann. Den Kerl muß er noch fassen, hinterher kann seinethalben werden, was will. Er muß diesem Mann ins Auge sehen, er muß mit diesem Mann sprechen, der die Ursache seines Unglücks geworden ist. Er will es ihm ins Gesicht sagen, diesem Fanatiker, welch Unheil, Sorge, Not er über viele Menschen gebracht hat. Er wird ihn zerschmettern, diesen Feind im Dunkeln.

Hätte er ihn doch schon!


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