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Zwanzigstes Kapitel.

Am Sonntagmorgen hatte der Regen aufgehört, und Janet sah, als sie zum Fenster hinausblickte, über den Häusern eine glänzende Masse weißer Wolken unter dem fernen blauen Himmel dahinziehen. Es würde ein lieblicher Apriltag werden. Die frische Luft, jetzt klar und ruhig nach der langen Beunruhigung durch Wind und Regen, vermischte ihren besänftigenden Einfluß mit Janets neuen Gedanken und Ansichten. Sie fühlte einen leichten heiteren Muth, der sie selbst überraschte nach dem kalten, erdrückenden Gewicht der Verzagtheit, das sie am gestrigen Tage bedrückt hatte: sie konnte selbst an ihres Gatten Wuth denken ohne die alte überwältigende Furcht. Denn eine köstliche Hoffnung – die Hoffnung auf Reinigung und inneren Frieden – war in Janets Seele eingezogen und bewirkte dort ebensowohl eine Frühlingszeit, wie in der äußeren Welt.

Während ihre Mutter ihr dickes schwarzes Haar lockte und bürstete – eine Lieblingsbeschäftigung von ihr, weil sie ihrer Tochter Mädchenjahre zu erneuern schien – erzählte Janet. wie sie dazu kam, nach Mr. Tryan zu senden, wie sie sich an ihre Begegnung bei Sally Martin im Herbst erinnert und ein unwiderstehliches Verlangen gefühlt hätte, ihn zu sprechen und ihm ihre Sünden und Nöthen zu erzählen.

»Ich erkenne jetzt Gottes Güte darin, Mutter, daß er es so gefügt, daß wir uns so begegnen mußten, um mein Vorurtheil gegen ihn zu überwinden und mich erkennen zu lassen, daß er gut sei; und daß er es mir dann in den Sinn brachte in der Tiefe meiner Noth. Sie wissen, wie thöricht ich sonst über ihn sprach, da ich nichts von ihm wußte. Und doch war er der Mann, der mir Trost und Hilfe bringen sollte, als alles Andere mich im Stiche ließ. Es ist wunderbar, daß ich mit ihm sprechen kann, wie ich vorher mit Niemandem gesprochen habe; und wie jedes Wort, das er sagt, mir zu Herzen geht und eine neue Bedeutung für mich hat. Ich glaube, das kommt daher, weil er das Leben tiefer empfunden hat als Andere und weil er einen festeren Glauben hat. Ich glaube Alles, was er sagt, sogleich. Seine Worte fallen auf mich wie Regen auf das dürre Erdreich. Es ist mir immer vorgekommen, als könnte ich hinter der Leute Worte sehen, wie man hinter einen Vorhang sieht: aber bei Mr. Tryan spricht die Seele selbst.«

»Nun, liebes Kind, ich segne ihn um Deinetwillen, wenn er Dir Trost gebracht hat. Ich glaubte das Böse nie, das die Leute von ihm sagten, wenn ich auch keinen Wunsch hatte ihn zu hören, denn ich bin zufrieden mit dem altmodischen Brauch. Ich finde mehr gute Lehren, als ich ausüben kann, wenn ich zu Hause in meiner Bibel lese und Mr. Crewe in der Kirche höre. Aber Deine Bedürfnisse sind ganz anderer Art, meine Liebe, und wir werden nicht alle denselben Weg geführt. Das war gewiß ein guter Rath von Mr. Tryan, wovon Du mir gestern Nacht erzähltest – daß wir mit Jemand berathschlagen sollten, der statt Deiner mit Deinem Manne verhandeln könnte; ich habe es mir überlegt, während ich wachend im Bette lag. Ich denke, Niemand würde dazu so gut passen als Mr. Benjamin Landor, denn wir müssen einen Mann haben, der die Gesetze kennt und den Robert einigermaßen fürchtet. Und vielleicht könnte er eine Einigung für Dich dahin erzielen, daß ihr getrennt lebtet. Dein Mann ist verpflichtet, Dich zu unterhalten, wie Du weißt; und wenn Du es gern sähest, könnten wir von Milby wegziehen und irgendwo anders leben.«

»O Mutter, wir dürfen jetzt noch nichts thun; ich muß noch ein wenig mehr darüber nachdenken. Ich habe diesen Morgen eine ganz andere Empfindung, als ich gestern hatte. Ein gewisses Etwas scheint mir zu sagen, daß ich seinerzeit zu Robert zurückkehren muß – nach einer kleinen Weile. Ich liebte ihn einst mehr als alle Welt, und ich hatte nie Kinder zum Lieben. Es war manches Unrechte in mir vorhanden, und ich möchte das gerne gut machen, wenn ich kann.«

»Gut, meine Liebe, ich will Dich nicht drängen. Denke noch eine Weile darüber nach. Aber irgend etwas muß bald geschehen.«

»O, wie ich wünsche, daß ich meinen Hut und Shawl und mein schwarzes Kleid hier hätte!« sagte Janet nach einer Pause von einigen Minuten. »Ich möchte gern die Paddiforder Kirche besuchen und Mr. Tryan hören. Ich brauchte nicht zu fürchten, Robert zu begegnen, denn er geht nie an einem Sonntag des Morgens aus.«

»Ich fürchte, es würde sich nicht für mich schicken, ins Haus zu gehen und Deine Kleider zu holen«, sagte Mrs. Raynor.

»O nein, nein! Ich muß ruhig hier bleiben, während ihr beide zur Kirche geht. Ich werde Mrs. Pettifers Magd spielen und das Diner zubereiten, bis sie zurückkommt. Die liebe gute Frau! Sie war so gütig gegen mich, als sie mich in der Nacht aufnahm, Mutter, und den ganzen nächsten Tag hindurch, wo ich kein Wort zu ihr sagen konnte, um ihr zu danken.«



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