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II.
Mr. Gilfils Liebesgeschichte.


Erstes Kapitel.

Als vor dreißig Jahren der alte Mr. Gilfil starb, war allgemeine Trauer in Shepperton, und wäre nicht auf Anordnung seines Neffen und Haupterben Kanzel und Chorpult mit schwarzem Tuch verhängt worden, so würden gewiß die Eingepfarrten die hiezu nöthige Summe aus ihren eigenen Taschen zusammengeschossen haben, ehe sie zugelassen hätten, daß ein solcher Achtungstribut gänzlich fehle. Alle Farmersfrauen holten ihre schwarzen, geköperten Seidenkleider hervor; und Mrs. Jennings erregte die strengste, abfälligste Kritik dadurch, daß sie am ersten Sonntag nach Mr. Gilfils Tod in lachsfarbenen Bändern und grünem Shawl erschien. Gewiß, Mrs. Jennings war erst vor kurzem hiehergekommen und in der Stadt erzogen worden, so daß man von ihr sehr klare Begriffe über das, was schicklich war, kaum erwarten konnte; aber, wie Mrs. Higgins im Flüstertone gegen Mrs. Parrot bemerkte, »ihr Mann, der im Pfarrsprengel geboren wurde, hätte ihr's besser sagen können.« Ein Mangel an Bereitwilligkeit, bei jeder passenden Gelegenheit schwarze Kleider an-, oder eine zu große Raschheit, solche abzulegen, bewies nach Mrs. Higgins' Meinung eine gefährliche Leichtfertigkeit des Charakters, und einen unnatürlichen Mangel an Gefühl für das wesentlich Schickliche.

»Gewisse Leute können sich nicht dazu bringen, ihre farbigen Kleider abzulegen«, bemerkte sie, »aber das war nie in meiner Familie der Fall. Ja, Mrs. Parrot, von der Zeit an, wo ich mich verheirathete bis Mr. Higgins starb, kommende Lichtmeß vor neun Jahren, habe ich niemals auf zwei Jahre nacheinander die Trauerkleider abgelegt!«

»Ja«, sagte Mrs. Parrot, die sich ihrer Inferiorität in dieser Beziehung bewußt war, »es giebt nicht viele Familien, die soviele Todesfälle gehabt haben, wie die Ihrige, Mrs. Higgins.«

Mrs. Higgins, eine ältliche, gutsituirte Wittwe, dachte wohlgefällig, daß Mrs. Parrots Bemerkung nicht mehr als billig wäre, und daß Mrs. Jennings wahrscheinlich einer Familie angehöre, die keine nennenswerthen Leichenbegängnisse aufzuweisen hätte.

Selbst die schmutzige Dame Fripp, die eine sehr seltene Kirchgängerin war, hatte sich zu Mrs. Hackit begeben, um ein Stück alten Kreppflors zu erbetteln, und man hatte sie mit diesem auf ihre kleine, wie ein Kohlenkasten aussehende Haube gehefteten Zeichen des Schmerzes gegenüber dem Chorpult ihren Knix machen sehen. Diese Bezeigung von Respekt vor Mr. Gilfils Andenken von Seiten der Dame Fripp hatte indessen keinerlei theologische Tendenz. Sie war auf Rechnung eines Vorfalls zu setzen, der sich vor einigen Jahren zugetragen hatte und der – es thut mir leid, das sagen zu müssen – jene schmutzige alte Dame so gleichgültig gegen die Gnadenmittel gelassen hatte als je. Dame Fripp hielt Blutegel, und man schrieb ihr einen so starken Einfluß auf jene muthwilligen Thiere zu (in der Richtung, daß sie dieselben dazu brachte, unter den verheißungslosesten Umständen anzubeißen), daß sie – obgleich man ihre eigenen Blutegel gewöhnlich aus einem Argwohn, dieselben hätten ihren Appetit verloren, zurückwies – stets herbeigerufen wurde, um die lebhafteren, aus Mr. Pilgrims Hausapotheke gelieferten Individuen anzusetzen, so oft einer von den zahlenden Patienten jenes geschickten Mannes von einer Entzündung heimgesucht war. So hatte Dame Fripp, außer einem »Besitz«, der ihr, wie man annahm, wöchentlich nicht weniger als eine halbe Krone abwarf, ärztliche Honorare, deren hoher Betrag von ihren Nachbarn unbestimmt auf »Pfunde über Pfunde« geschätzt wurde. Ferner trieb sie einen lebhaften Handel in Malzzucker mit epikuräischen kleinen Bälgen, die sorglos jenen Luxusartikel zum doppelten Preise kauften. Trotz all dieser offenkundigen Einnahmequellen schützte das schamlose alte Weib stets Armuth vor und erbettelte sich Brosamen bei Mrs. Hackit, welche – obgleich sie immer sagte, Mrs. Fripp wäre »so schlimm wie zwei« und nichts besseres, als ein Geizkragen und eine Heidin – doch eine Neigung zu ihr als einer alten Nachbarin hatte.

»Da kommt die alte verhärtete Vettel wieder nach den Theeblättern«, pflegte Mrs. Hackit zu sagen, »und ich bin thöricht genug, sie ihr zu geben, wenn sie auch Sally alleweile zum Fußbodenscheuern braucht.«

So war Dame Fripp, die Mr. Gilfil an einem schönen Sonntag Nachmittags, als er gemächlich in Stulpenstiefeln und Sporen vom Gottesdienst in Knebley nach Hause ritt, in dem vertrockneten Graben neben ihrem Häuschen sitzen sah und neben ihr ein großes Schwein, das mit der Ruhe und dem Vertrauen vollkommener Freundschaft seinen Kopf in ihrem Schooße ruhen ließ und außer einem gelegentlichen Grunzen keine Anstrengungen machte, den Angenehmen zu spielen.

»Ei, Mrs. Fripp«, sagte der Vicar, »ich wußte nicht, daß Sie ein so hübsches Schwein hätten. Da werden Sie zu Weihnachten ein Paar ausgezeichnete Speckseiten bekommen.«

»Ach, Gott behüte! Mein Sohn hat mir's vor zwei Jahren geschenkt, und es hat mir seitdem immer Gesellschaft geleistet. Ich könnte es nicht über's Herz bringen, mich von ihm zu trennen, und sollte ich nie mehr den Geschmack von Schinken kosten.«

»Ei, es wird sich selbst den Kopf abfressen, und den Ihrigen dazu. Wie können Sie denn ein Schwein so fortfüttern und nie Gebrauch davon machen?«

»O, es wühlt sich immer etwas auf und ich kann mich nicht enthalten, ihm auch ein Bischen zu geben. Ein wenig Gesellschaft ist Essen und Trinken dazu, und es folgt mir überall herum und grunzt, wenn ich's anrede, gerade wie ein Christenmensch.«

Mr. Gilfil lachte, und ich muß zugeben, daß er Dame Fripp Adieu sagte, ohne sie zu fragen, warum sie nicht in der Kirche gewesen sei, oder die geringste Anstrengung zu ihrer geistlichen Erbauung zu machen. Aber am nächsten Tag ließ er seinen Bedienten ein großes Stück Schinken ihr überbringen, mit einer Botschaft, die besagte, der Pfarrer wolle sich vergewissern, daß Mrs. Fripp noch einmal den Geschmack von Schinken koste. Und so bezeugte Mrs. Fripp, als Mr. Gilfil starb, ihre Dankbarkeit und Ehrerbietung in der oben erwähnten Weise.

Du argwöhnst bereits, lieber Leser, daß der Vikar nicht glänzte in den mehr geistigen Funktionen seines Amtes; und wirklich, das Äußerste, was ich in dieser Hinsicht zu seinen Gunsten sagen kann, ist, daß er jene Funktionen mit unentwegter Aufmerksamkeit auf Kürze und Schnelligkeit erfüllte. Er hatte einen hohen Stoß kurzer Predigten, ziemlich vergilbt und abgenutzt an den Ecken, von welchen er jeden Sonntag zwei nahm und sich vollkommene Unparteilichkeit in der Auswahl dadurch sicherte, daß er sie nahm wie sie kamen, ohne Rücksicht auf die Themata; und nachdem er eine dieser Predigten vormittags zu Shepperton gehalten hatte, bestieg er sein Pferd und ritt hastig, mit der andern in der Tasche, nach Knebley, wo er Gottesdienst hielt in einer wundervollen kleinen Kirche, mit einem gewürfelten Pflaster, das einst widerhallt hatte von dem ehernen Tritt kriegerischer Mönche, mit einer Gruppe von Panzern und Wappenschildern auf dem luftigen Dach, marmornen Kriegern und ihren Frauen ohne Nasen, die einen großen Theil des Raumes im Lichten einnehmen und endlich die auf der Mauer al fresco gemalten zwölf Apostel, die ihre Köpfe stark nach einer Seite neigten und mit belehrenden Inschriften versehene Bänder in Händen hielten. Hier pflegte Mr. Gilfil manchmal, in einer Art von Geistesabwesenheit, zu der er geneigt war, das Abnehmen seiner Sporen vor dem Anlegen seines Chorrocks zu vergessen; und er wurde diese Unterlassung erst dann gewahr, wenn er ein geheimnißvolles Zerren an den Säumen jenes Gewandes verspürte, während er zum Chorpult hinaufschritt. Aber die Farmer zu Knebley dachten ebensowenig daran, ihren Pastor als den Mond zu kritisiren. Er gehörte zum Laufe der Welt, wie Märkte und Zollhäuser und schmutzige Banknoten; und seit er Vicar war, hatte er nie seinem Anspruch auf ihre Achtung durch erbitternde Ansprüche an ihre Taschen entgegengewirkt. Einige von ihnen, die nicht im Luxus eines gedeckten Wägelchens ohne Federn schwelgten, hatten eine halbe Stunde früher als gewöhnlich zu Mittag gegessen – daß heißt um zwölf Uhr – um Zeit zu haben für ihren Weg durch schmutzige Gassen und sich, wie sich's gebührte, um zwei Uhr an ihren Plätzen einzufinden, wo Mr. Oldinport und Lady Felicia, für welche die Kirche zu Knebley eine Art von Familientempel war, sich ihren Weg bahnten, unter den Verbeugungen und Knixen ihrer Abhängigen, zu einem geschnitzten und gepolsterten Kirchenstuhl beim Altar, einen feinen Duft von indischen Rosen an die unempfänglichen Nasenflügel der Gemeinde verschwendend, während sie dahinschritten.

Die Frauen und Kinder der Farmer saßen auf den dunkeln, eichenen Bänken, ihre Männer aber wählten sich gewöhnlich die unterscheidende Würde eines Stiftsherrenstuhls unter einem der zwölf Apostel, wo man, nachdem die Abwechslung zwischen Gebeten und Erwiederungen der angenehmen Monotonie der Predigt Platz gemacht hatte, den Paterfamilias in einen behaglichen Schlummer konnte versinken sehen, aus dem er unfehlbar bei den ersten Worten des beschließenden Glaubensbekenntnisses erwachte. Und dann gingen sie ihren Weg zurück durch die schmutzigen Gassen, vielleicht ebensosehr gebessert durch diesen einfachen wöchentlichen Tribut an das, was sie für gut und recht erkannten, als manche viel aufmerksamere und kritischere Gemeinde der jetzigen Zeit.

Auch Mr. Gilfil pflegte in den letzten Jahren seines Lebens sich jetzt auf den Heimweg zu machen, denn er hatte die Gewohnheit, Sonntags in der Knebley-Abtei zu speisen, aufgegeben, da er, es thut mir leid, dies sagen zu müssen, ein sehr heftiges Zerwürfniß mit Mr. Oldinport, dem Vetter und Vorgänger des Mr. Oldinport gehabt hatte, der zu des Rev. Amos Barton Zeiten florirte. Und das war Schade, denn die Zweie hatten manchen guten Tag mit einander gejagt, als sie noch jünger waren, und zu jener Zeit beneideten nicht wenige Jagdgenossen Mr. Oldinport, weil er auf so ausgezeichnetem Fuße mit seinem Vicar stand; denn, wie Sir Jasper Sitwell bemerkte, »außer unsern Weibern gibt es Niemand, der uns so höllisch plagen kann, als einen Pfaffen, den wir auf unsrem Gut immer unter der Nase haben.«

Ich glaube, die anfängliche Differenz, welche zum Bruch führte, war sehr geringfügig; aber Mr. Gilfil war von äußerst kaustischer Gemüthsanlage, und seine Satire hatte einen originalen Beigeschmack, der seinen Predigten gänzlich abging: und da Mr. Oldinport's Rüstung selbstbewußter Tugend manche beträchtliche und recht bemerkbare Mäkel darbot, machten wahrscheinlich des Vicar's scharfkantige Vorwürfe einige Einschnitte, die zu tief gingen, um vergeben zu werden. So wenigstens war die von Mr. Hackit gegebene Darstellung des Sachverhalts: und Mr. Hackit wußte ebensoviel davon, als irgend eine dritte Person. Denn gerade in der Woche nach dem Zerwürfniß, als er bei dem jährlichen Festessen der »Association zur Verfolgung der Verbrecher« im »Oldinport-Wappen« präsidirte, verlieh er der Fidelität bei jener Gelegenheit eine weitere Würze, indem er die Gesellschaft benachrichtigte, daß »der Pastor dem Gutsherrn mit der rauhen Seite seiner Zunge einen ›Lecker‹ gegeben habe. Die Entdeckung der Person, die Mr. Parrots Füllen weggetrieben, hätte der Pächterschaft kaum willkommener sein können, bei der Mr. Oldinport im schlimmsten Geruch stand, da er den Pacht trotz der fallenden Preise in der Höhe hielt und nicht im geringsten zum Wetteifer aufgestachelt wurde durch Artikel in den Provinzialblättern, die constatirten, daß der Hon. Augustus Purwell, oder Viscount Blethers beim letzten Zinstag zehn Prozent zurückvergütet habe. Die Sache war die, daß Mr. Oldinport nicht die geringste Absicht hatte, als Parlamentkandidat aufzutreten, während er sehr im Sinne hatte, sein nicht vererbliches Vermögen zu vermehren. Und deshalb war es den Farmern so angenehm als Citrone zu ihrem Grog zu erfahren, daß der Vicar Sarkasmen geäußert habe über des Gutsherrn Mildthätigkeit, welche wenig besser sei als die eines Menschen, welcher eine Gans gestohlen hätte und nun das Gänseklein als Almosen verschenke. Denn Shepperton war, wie man sieht, in einem Zustand attischer Kultur, verglichen mit Knebley es hatte Chausseen mit Schlagbäumen und eine öffentliche Meinung, während in dem böotischen Knebley der Menschen Geister und Wagen gleicherweise in den ausgefahrensten Geleisen sich bewegten und man über den Gutsherrn nur klagte als über ein nothwendiges und unabänderliches Übel, wie Wetter, Kornwurm und Erdfloh.

So diente zu Shepperton dieser Bruch mit Mr. Oldinport nur dazu, jenes gute Einvernehmen zu erhöhen, in welchem der Vicar stets mit seinen übrigen Pfarrkindern gestanden, von der Generation, deren Kinder er vor einem Vierteljahrhundert getauft hatte, bis herab zu jener hoffnungsvollen Generation, die repräsentirt wurde durch den kleinen Tommy Bond, der kürzlich Kinderröckchen und weite Hosen abgelegt hatte, um der strengen Einfachheit eines enganliegenden Anzugs aus Corduoy Kordsamt, ›Manchester‹. – Anm.d.Hrsg. willen, der durch zahlreiche Messingknöpfe gehoben wurde. Tommy war ein vorlauter Junge, der für alle Eindrücke von Ehrerbietung unzugänglich und den Brummkreiseln und Schussern in excessiver Weise zugethan war; mit jenen ergötzlichen Hilfsquellen pflegte er die Taschen seiner Hosen unmäßig auszudehnen. Als er eines Tags, auf dem Gartenweg seinen Kreisel drehend, den Vicar gerade auf sich zukommen sah, in jenem aufregenden Moment, wo er »einzuschlafen« anfing, rief er mit aller Kraft seiner Lungen – »Halt! wirf mir doch meinen Kreisel nicht um!« Seit jenem Tag war der »kleine Hosenträger« ein besonderer Liebling Mr. Gilfils, der sich daran ergötzte, seine schnellbereite Verachtung und Verwunderung zu erregen, indem er ihm Fragen stellte, die Tommy die geringste Meinung von seinem Verstande beibrachten.

»Nun, kleiner Hosenträger, habt Ihr heute die Gänse gemolken?«

»Die Gänse gemolken! ei, sie melken die Gänse nicht; Du bist dumm!«

»Na, mein Herzchen! wie füttert Ihr denn die jungen Gänschen?«

Da die Ernährung der jungen Gänse Tommys Erfahrungen in der Naturgeschichte ziemlich überstieg, so stellte er sich, als verstehe er diese Frage eher in ausrufendem, als fragendem Sinn und beschäftigte sich angelegentlich mit dem Aufwickeln seines Kreisels.

»Ah! ich sehe, Du weißt nicht, wie man die Gänschen füttert! Aber hast Du bemerkt, wie es gestern Zuckerbohnen regnete?« (Hier wurde Tommy aufmerksam.) »Na, sie fielen mir in die Tasche, wie ich heimritt. Sieh nur in meine Tasche, ob sie nicht drin sind.«

Tommy, ohne eine Diskussion des angeführten Vorgangs abzuwarten, verlor keine Zeit, sich der Wirklichkeit des angenehmen Ereignisses zu vergewissern, denn er hatte einen wohlbegründeten Glauben an die Vortheile, die ein Hinabtauchen in des Vicars Tasche gewährte. Mr. Gilfil nannte sie seine wunderbare Tasche, weil, wie er den »jungen Rasirern« und »Zweischuhen« zu erzählen liebte – so nannte er alle kleinen Knaben und Mädchen – Pfennigstücke, die er hineinsteckte, sich stets in Zuckerbohnen oder Ingwerbrödchen oder andere gute Sächelchen verwandelten. Und ein kleiner flachshaariger »Zweischuh«, die kleine Bessie Parrot, hatte immer die bewundernswerthe Geradheit und Aufrichtigkeit, ihn mit der Frage zu begrüßen – »Was hast Du denn in Deiner Tasche?«

Man kann sich also wohl denken, daß die Taufschmäuse um der Anwesenheit des Pfarrers willen nicht weniger lustig waren. Die Farmer fanden großen Geschmack an seiner Gesellschaft, denn er konnte nicht nur seine Pfeife rauchen und die Details der Kirchspielsangelegenheiten mit einer Fülle kaustischer Witze und Sprüchwörter würzen, sondern – wie Mr. Bond oft sagte – kein Mensch verstand mehr von der Rinder- und Pferdezucht als der Vicar. Er besaßt,etwa fünf Meilen entfernt, eigenes Weideland das ein Verwalter, scheinbar ein Pächter, unter seiner Leitung, farmte; und hin- und zurückzureiten und nach dem An- und Verkauf der Vorräthe zu sehen, war des alten Herrn Haupterholung, jetzt da die Zeit des Jagens bei ihm vorüber war. Wenn man ihn die respektiven Vorzüge der devonshirer Race und der Kurzhörner diskutiren hörte oder die letzte thörichte Entscheidung der Friedensrichter betreffs eines Armen, so hätte ein oberflächlicher Beobachter vielleicht – außer seiner überlegenen Klugheit – wenig Unterschied zwischen dem Vicar und seinen ländlichen Pfarrkindern bemerkt; denn es war seine Gewohnheit, seine Aussprache und Redeweise der ihrigen anzunähern, zweifellos weil er es für eine reine Vereitelung des Zwecks der Sprache hielt, von »Schafen« und »Lämmern« zu Leuten sprechen, die gewohnheitsmäßig »Schofe« und »Lömmern« sagten. Nichtsdestoweniger waren sich die Farmer selbst des Unterschiedes zwischen ihnen und dem Pastor genau bewußt, und setzten nicht weniger Vertrauen in ihn als Gentleman und Geistlichen wegen seiner ungezwungenen Rede und familiären Manieren. Mrs. Parrot glättete ihre Schürze und rückte ihre Haube mit der größten Ängstlichkeit zurecht, wenn sie den Vicar kommen sah, machte ihren tiefsten Knix und hatte zu Weihnachten stets einen fetten Kapaun bereit, um ihn mit ihrer »Ehrerbietung« zu senden. Und in den geschwätzigsten Unterredungen mit Mr. Gilfil konnte man merken, daß Männer und Frauen »auf ihre Worte achteten« und nie gegen seine Billigung gleichgiltig waren.

Derselbe Respekt begleitete ihn bei seinen streng geistlichen Funktionen. Die Wohlthaten der Taufe waren, wie man vermuthete, irgendwie mit Mr. Gilfils Persönlichkeit verknüpft, da eine so metaphysische Unterscheidung wie die zwischen einem Mann und seinem Amt dem Geiste eines guten Sheppertoner Pfarrkinds ganz fremd war und, nach dessen Ansicht, schon von weitem wie Dissens ausgesehen hätte. Miß Selina Parrot verschob lieber ihre Hochzeit um einen ganzen Monat, als Mr. Gilfil einen Anfall von Rheumatismus hatte, als daß sie sich von dem Curaten zu Milby nur so obenhin hätte trauen lassen.

»Das war eine sehr gute Predigt diesen Morgen«, war die häufige Bemerkung, nachdem man eine aus der alten vergilbten Serie und zwar mit desto mehr Befriedigung, weil schon zum zwanzigsten Male, gehört hatte; denn für Gemüther vom Niveau der Sheppertoner ist es die Wiederholung und nicht die Neuheit, die den größten Eindruck macht, und Phrasen wie Töne brauchen eine lange Zeit, um sich heimisch zu machen im Gehirn.

Mr. Gilfils Predigten waren, wie man sich denken kann, nicht hochdoktrinärer, noch weniger polemischer Art. Sie drangen vielleicht nicht sehr kräftig ins Gewissen; denn Du erinnerst Dich, lieber Leser, daß Mrs. Patten, die ihnen 30 Jahre lang gelauscht hatte, die Ankündigung, daß sie eine Sünderin sei, als eine unhöfliche Ketzerei betrachtete: aber andererseits stellten sie kein unbilliges Verlangen an das Shepperton'sche Verständniß, indem sie sich in Wirklichkeit nicht weiter als zu einer Erweiterung der kurzen These verstiegen, daß es am schlimmsten für uns selbst ist, wenn wir Unrecht, am besten, wenn wir Recht thun, wobei das Wesen des Unrechts weiter erläutert wurde in speciellen Predigten gegen Lüge, Verleumdung, Zorn, Trägheit und dergleichen, das Recht thun als Ehrlichkeit, Wahrheitsliebe, Barmherzigkeit, Fleiß und andere gemeine Tugenden, die ganz an der Oberfläche des Lebens liegen und wenig mit tiefgeistlicher Lehre zu thun haben. Mrs. Patten verstand, daß wenn sie schlechtgequetschte Käse fertigte, eine gerechte Wiedervergeltung sie erwartete, wenn sie auch, wie ich fürchte, von der Predigt über die Verleumdung keine besondere Nutzanwendung machte. Mrs. Hackit erklärte, sie wäre höchst erbaut von der Predigt über die Ehrlichkeit, da die Anspielung auf das ungerechte Gewicht und Maß für sie – Dank einem kürzlich stattgehabten Disput mit ihrem Krämer – äußerst durchsichtig war; aber ich kann nicht sehen, daß sie jemals von der Predigt über den Zorn sehr betroffen worden wäre.

Und was den Argwohn betrifft, daß Mr. Gilfil nicht das lautere Evangelium verkünde, oder kritische Bemerkungen über seine Lehre und Vortragsweise, so wurden die Gemüther der Sheppertoner Pfarrkinder nie von solchen Gedanken heimgesucht – jene selben Pfarrkinder, die zehn oder fünfzehn Jahre später sich äußerst kritisch zeigten über Mr. Bartons Diskurse und Benehmen. Aber in der Zwischenzeit hatten sie jene gefährliche Frucht vom Baume der Erkenntniß gekostet – die Neuerung – die bekanntlich die Augen öffnet, oft in sehr unbequemer Weise. Ein Tadel der Predigt galt zu dieser Zeit als fast gleich bedeutend mit einem Tadel der Religion selbst. Eines Sonntags gab Mr. Tom Stockes, ein loser Stadtjüngling, seinen vortrefflichen Verwandten großes Ärgerniß, indem er erklärte, er könne eine ebenso gute Predigt schreiben wie Mr. Gilfil; worauf Mr. Hackit den anmaßenden Jüngling in die äußerste Verlegenheit zu bringen dachte, indem er ihm einen Sovereign versprach, wenn er seine Prahlerei erfülle. Die Predigt wurde indessen geschrieben; und wenn sie auch nicht annähernd als gleichwerthig mit der Mr. Gilfils erklärt wurde, war sie doch einer Predigt so ähnlich – da sie einen Text, drei Abtheilungen, und eine Schlußvermahnung enthielt, die begann »Und nun, Geliebte in dem Herrn« – daß der Sovereign, wenn auch der Formalität wegen verweigert, ohne Formalität ausgefolgt wurde; zudem wurde die Predigt, als Mr. Stockes den Rücken gewendet hatte, als »ein ungewöhnlich geschicktes Ding« erklärt.

Der Rev. Mr. Pickard von der Independentengemeinde hat zwar in einer zu Rotherby gehaltenen Predigt zum Besten der Verringerung einer Schuld auf ihrer Kapelle Zion, die sie mit einem Überfluß an Glauben und Mangel an Kapital erbaut hatten, behauptet, daß er in einem Sprengel lebe, wo der Vicar sehr »finster« wäre, und er hatte die Gewohnheit, in den Betstunden, die er vor seiner Gemeinde hielt, sehr deutlich auf die Pfarreiangehörigen außerhalb der Kapellenmauern anzuspielen, die »in Finsterniß und Schatten des Todes säßen.« Aber ich brauche wohl kaum zu sagen, daß kein Kirchgänger jemals Mr. Pickard bis auf Hörweite nahe kam.

Nicht nur den Sheppertoner Farmern war Mr. Gilfils Gesellschaft angenehm; er war ein willkommener Gast in einigen der besten Häuser in jenem Theile des Landes. Der alte Sir Jasper Sitwell wäre sehr erfreut gewesen, ihn jede Woche bei sich zu sehen; und wenn Du, lieber Leser, ihn hättest Lady Sitwell zum Diner geleiten sehen oder mit altmodischer, aber anmuthiger Ritterlichkeit mit ihr plaudern hören, würdest Du geschlossen haben, daß er seine frühere Lebenszeit in einer vornehmeren Gesellschaft, als man in Shepperton finden konnte, zugebracht habe, und daß sein nachlässiges Geplauder und seine familiären Manieren nur wie Wetterflecken auf einem schönen alten Marmorblock aussahen, die uns noch immer erlaubten, hie und da die Feinheit des Korns und die Zartheit der ursprünglichen Färbung zu erkennen. Aber in seinen spätern Jahren wurden diese Besuche dem alten Herrn ein wenig zu beschwerlich, und man sah ihn Abends selten außerhalb der Grenzen seiner Pfarrei – am häufigsten aber am Kaminfeuer in seinem eignen Wohnzimmer, wo er seine Pfeife rauchte und den angenehmen Gegensatz zwischen Trockenheit und Feuchtigkeit durch einen gelegentlichen Schluck von »Wachholder mit Wasser« aufrechterhielt.

Hier werde ich gewahr, daß ich riskire, mir alle meine verfeinerten Leserinnen zu entfremden, und alle Neugier zu vernichten, die sie vielleicht verspürten, Mr. Gilfils Liebesgeschichte detaillirt zu erfahren. Wachholder mit Wasser! puh! Du kannst unser Interesse ebensogut für den Roman eines Talglichterziehers beanspruchen, der das Bild seiner Geliebten mit kurzen Nachtlichtern und Gießformen vermengt.

Aber in erster Linie, meine werthen Damen, erlauben Sie mir geltend zu machen, daß »Wachholder mit Wasser« sowie Fettleibigkeit, Kahlheit oder Gicht eine große Summe vorhergegangener Romantik ebensowenig ausschließt, als die nett arrangirten »Stirnhaare,« die Sie vielleicht eines Tages tragen, Ihren gegenwärtigen Besitz weniger kostbarer Flechten ausschließen werden. Ach, ach! wir armen Sterblichen sind oft wenig besser, als Holzasche – es sind nur geringe Zeichen von dem Saft noch da, und von der Frische der Blätter und den hervorbrechenden Knospen, die einst vorhanden waren; aber wo wir auch Holzasche sehen, wissen wir, daß all jene frühe Lebensfülle vorhanden sein mußte. Ich wenigstens blicke selten auf einen alten gebeugten Mann, oder eine zusammengeschrumpfte alte Frau, ohne zugleich mit meinem geistigen Auge jene Vergangenheit wahrzunehmen, deren zusammengeschwundene Überbleibsel sie sind, und der unvollendete Roman rosiger Wangen und glänzender Augen erscheint manchmal wenig interessant und bedeutend im Vergleich zu jenem Drama der Hoffnung und Liebe, das schon lange seine Katastrophe erreicht und die arme Seele zurückgelassen hat, wie eine finstere und verstaubte Bühne, deren duftige Gartenscenen und prächtige Prospekte alle umgekehrt und vom Auge abgewandt sind.

Und in zweiter Linie dürfen Sie sich versichert halten, daß Mr. Gilfils Verbrauch an »Wachholder mit Wasser« sehr mäßig war. Seine Nase war nicht geröthet; im Gegentheil, sein weißes Haar umrahmte ein blasses und ehrwürdiges Gesicht. Er trank ihn hauptsächlich, weil er billig war, und hier merke ich, daß ich auf eine andere Schwäche des Vicars zu sprechen komme, die ich vielleicht verschwiegen hätte, wenn es mir mehr darum zu thun wäre, ein schmeichelhaftes als ein treues Bild zu entwerfen. Es ist unleugbar, daß Mr. Gilfil, je weiter er an Jahren vorrückte, – wie Mrs. Hackit bemerkte – immer »kärger« wurde, wenn auch dieser zunehmende Hang sich mehr in der Einschränkung seiner persönlichen Bedürfnisse, als in der Verweigerung von Unterstützungen an Bedürftige sich zeigte. Er sparte – so stellte er sich selbst die Sache vor – für einen Neffen, den Sohn einer Schwester, die ihm, nächst Einer, das Theuerste auf Erden gewesen. »Der Bursche«, dachte er, »wird ein hübsches, kleines Vermögen haben, um damit seine Existenz zu beginnen und wird eines Tags sein hübsches, junges Weib herbringen, um die Stelle zu sehen, wo sein alter Onkel liegt. Es ist vielleicht um so besser für seinen Herd, daß der meine einsam war.«

Mr. Gilfil war also ein Junggeselle?

Zu diesem Schluß würdest Du wahrscheinlich gelangt sein, lieber Leser, wenn Du sein Wohnzimmer betreten hättest, wo die bloßen Tische, die großen altmodischen Roßhaarsessel und der fadenscheinige türkische Teppich, fortwährend vom Tabaksdampf beräuchert, eine Geschichte von einem frauenlosen Dasein zu erzählen schienen, der durch kein Porträt, keine Stickerei, keine verblaßte Kleinigkeit, die auf zarte Finger und weiblichen Ehrgeiz deutete, widersprochen wurde. Und hier brachte Mr. Gilfil seine Abende zu, selten mit anderer Gesellschaft als seinem alten braunen Hühnerhund Ponto, der, in voller Länge, die Nase zwischen den Vorderpfoten, auf seiner Decke ausgestreckt lag und hie und da seine Augenbrauen runzelte oder seine Augenlieder erhob, um einen Blick gegenseitigen Verständnisses mit seinem Herrn auszutauschen. Aber im Sheppertoner Pfarrhaus war ein Zimmer vorhanden, das eine ganz andere Geschichte erzählte, als jenes leere und freudlose Wohnzimmer – ein Zimmer, das nie Jemand betrat außer Mr. Gilfil und der alten Haushälterin Martha, die nebst ihrem Gatten David – als Reitknecht und Gärtner – des Vicars ganze Dienerschaft bildete. Die Rouleaux in diesem Zimmer waren stets herabgelassen, ausgenommen einmal vierteljährlich, wo Martha es betrat, um es zu lüften und zu reinigen. Sie verlangte stets den Schlüssel von Mr. Gilfil, der ihn in seinem Schreibtisch verschlossen hielt, und gab ihm denselben zurück, wenn sie fertig war.

Es war ein rührender Anblick, auf welchen das Tageslicht hereinströmte, wenn Martha die Rouleaux auf- und die dicken Vorhänge beiseitezog und die Flügel des gothischen Erkerfensters öffnete! Auf dem kleinen Toilettentisch stand ein zierlicher Spiegel in geschnitztem und vergoldetem Rahmen; in den Armleuchtern zur Seite standen noch kleine Stümpchen von Wachslichtern, und an einem der Arme hing ein kleines schwarzes Spitzentuch; ein verblichenes Satinnadelkissen mit den darin verrosteten Nadeln, ein Riechfläschchen und ein großer grüner Fächer lagen auf dem Tisch, und auf dem Toilettenkästchen neben dem Spiegel stand ein Arbeitskorb, in welchem ein vom Alter vergilbtes, unvollendetes Kinderhäubchen lag. Zwei Frauenröcke, einer längst vergessenen Mode angehörig, hingen an Nägeln an der Thür, und ein Paar winzige, rothe Pantoffeln mit etwas verschossener Silberstickerei stand zu Füßen des Bettes. Zwei oder drei Aquarellskizzen, Ansichten von Neapel, hingen an den Wänden, und über dem Kaminsims, über einigen Stücken seltenen alten Porzellans, zwei Miniaturbilder in ovalen Rahmen. Eines dieser Miniaturbilder stellte einen jungen, etwa siebenundzwanzigjährigen Mann dar, von gesunder Gesichtsfarbe, mit vollen Lippen und klaren, treuherzigen, blauen Augen. Das andere war das Bildniß eines Mädchens, wahrscheinlich nicht mehr als achtzehn Jahre alt, mit feinen Zügen, zarten Wangen, blassem, südlichem Teint und großen, dunklen Augen. Der Herr war gepudert; die Dame hatte das dunkle Haar aus dem Gesicht gestrichen und ein Häubchen mit kirschfarbener Schleife auf den Scheitel gesetzt – ein koketter Kopfputz, aber die Augen verriethen eher Traurigkeit als Koketterie.

Das waren die Dinge, die Martha jährlich viermal abgestäubt und der Luft ausgesetzt hatte, seit sie ein blühendes Mädchen von zwanzig Jahren war; und sie war jetzt, in dieser letzten Dekade Mr. Gilfils, unfraglich über die fünfzig hinaus. Das war die verschlossene Kammer in Mr. Gilfils Hause; eine Art sichtbaren Symbols der geheimen Kammer in seinem Herzen, wo er schon lange den Schlüssel umgedreht hatte hinter frühen Hoffnungen und frühem Leid, alle Leidenschaft und Poesie seines Lebens für immer abschließend.

Es gab außer Martha nicht viele Leute in der Pfarrei, die irgend eine ganz bestimmte Erinnerung an Mr. Gilfils Gattin hatten oder überhaupt etwas von ihr wußten außer der Thatsache. daß sich über dem Vicariatskirchenstuhl ein marmornes Täfelchen mit einer lateinischen Inschrift zu ihrem Andenken befand. Die Pfarreiangehörigen, die alt genug waren, um sich ihrer Ankunft zu erinnern, hatten durchaus kein besonderes Talent zur Beschreibung, und das Äußerste, was man aus ihnen herausbekommen konnte, war, daß Mrs. Gilfil aussah wie »eine Fremde mit Augen, wie ihr euch gar nicht vorstellen könnt, und einer Stimme, die einem durchaus ging, wenn sie in der Kirche sang.« Die einzige Ausnahme war Mrs. Patten, deren starkes Gedächtniß und starke Neigung zur Personalbeschreibung sie zu einer Hauptquelle der mündlichen Überlieferung in Shepperton machten. Mr. Hackit, der erst zehn Jahre nach Mrs. Gilfils Tod in die Pfarrei gekommen war, stellte oft alte Fragen an Mrs. Patten, um stets die alten Antworten zu bekommen, die ihn ebenso ergötzten, wie Stellen aus einem Lieblingsbuch oder die Scenen eines bekannten Stücks feingebildetere Leute erfreuen.

»Sie erinnern sich doch wohl noch an den Sonntag, als Mrs. Gilfil das erste Mal in die Kirche kam, nicht wahr, Mrs. Patten?

»O gewiß. Es war ein so schöner, heiterer Sonntag als nur je einer war, gerade am Anfang der Heuernte. Mr. Tarbett predigte an jenem Tag, und Mr. Gilfil saß mit seiner Frau im Kirchenstuhl. Ich denke, ich sehe ihn vor mir, wie er sie den Chorgang hinauf führte und ihr Kopf ihm nicht viel über den Ellenbogen reichte: ein kleines, blaßes Weibchen, mit Augen so schwarz wie Schlehen und doch schaute sie ganz leer drein, als ob sie nichts damit sähe.

»Sie hatte doch ganz sicher ihre Hochzeitskleider an?« sagte Mr. Hackit.

»Nichts besonders Feines – nur eine weiße Haube, die unter'm Kinn zusammengebunden war, und ein weißes Kleid von indischem Musselin. Aber Sie wissen nicht, wie Mr. Gilfil in jener Zeit aussah. Er war blaß und verändert, als Sie in die Pfarrei kamen. Damals hatte er eine frische Farbe und einen hellen Blick, der einem im Herzen wohlthat. Er sah vortrefflich aus und glücklich, aber ich hatte so ein Gefühl, daß es nicht lang dauern würde. Ich habe keine gute Meinung von den Fremden, Mr. Hackit, denn ich bin zu meiner Zeit mit meiner Lady in ihrem Lande gereist und habe genug gesehen von ihren Lebensmitteln und schlechten Wegen.«

»Mrs. Gilfil kam aus Italien, nicht wahr?«

»Ich halte dafür, konnte das aber nie recht genau herausbringen. Mit Mr. Gilfil konnte man darüber nicht reden, und sonst wußte Niemand hier herum 'was davon. Sie mußte aber schon ganz jung herüber gekommen sein, denn sie sprach so gut Englisch wie Sie und ich. Und die Italienerinnen haben so schöne Stimmen und Mrs. Gilfil sang, so 'was haben Sie nicht gehört. Er brachte sie eines Nachmittags zu mir her zum Thee und sagte in seiner fröhlichen Weise: ›Nun, Mrs. Patten, soll Mrs. Gilfil das netteste Haus sehen und den besten Thee trinken in ganz Shepperton; Sie müssen ihr den Milchkeller und die Käsekammer zeigen, und dann soll sie Ihnen ein Lied vorsingen!‹ Und das that sie auch; und ihre Stimme schien manchmal das ganze Zimmer zu erfüllen; und dann ging's sanft und leise, gerade, als wisperte es dicht an unserem Herzen.«

»Sie haben sie nicht mehr singen gehört, vermuth' ich?«

»Nein; sie war damals schon kränklich und starb ein paar Monate darnach. Sie war im ganzen nicht viel mehr als ein halbes Jahr in der Pfarrei. Sie schien an jenem Nachmittag nicht sehr lebhaft, und ich sah, daß sie sich gar nichts aus dem Milchkeller und den Käsen machte; sie that nur so, ihm zu Gefallen. Und was ihn angeht, ich habe mein Lebtag keinen Mann so in eine Frau verschossen gesehen. Er sah sie an, als ob er sie anbetete und sie in jedem Augenblick aufheben wollte, um ihr die Mühe des Gehens zu sparen. Der arme brave Mann! Es hätte ihn beinahe getödtet, als sie starb, wenn er's auch nicht merken ließ, sondern immer fort herum ritt und predigte. Er war aber zusammengeschrumpft zu einem Schatten, und seine Augen sahen aus wie todt – Sie hätten ihn gar nicht wiedererkannt.«

»Sie hat ihm kein Vermögen zugebracht?«

»Gar keins. Mr. Gilfils Vermögen kam alles von mütterlicher Seite, Da war Blut da und Geld dazu. Es ist jammerschade, daß er so heirathete – ein schöner Mann wie er, der die Auswahl in der ganzen Grafschaft gehabt hätte und jetzt seine Enkelkinder um sich sehen könnte. Und er ist dazu so ein Kinderfreund.«

In dieser Weise pflegte Mrs. Patten ihre Erinnerungen an des Vikars Gattin zu beschließen, von der sie, wie man sieht, sehr wenig wußte. Es war klar, daß die mittheilsame alte Dame nichts zu erzählen wußte von dem, was Mrs. Gilfils Ankunft in Shepperton vorherging, und daß sie unbekannt war mit Mr. Gilfils Liebesgeschichte.

Aber ich, lieber Leser, bin eben so mittheilsam wie Mrs. Patten und viel besser unterrichtet, so daß Du, wenn Du mehr über des Vikars Liebeswerbung und Heirathen zu erfahren wünschest, nur Deine Phantasie zurück auf den letzten Theil des letzten Jahrhunderts und Deine Aufmerksamkeit vorwärts auf das nächste Kapitel zu richten brauchst.



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