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Zweites Kapitel.

Es war am Abend des 21. Juni 1788. Der Tag war hell und schwül gewesen, und die Sonne wird noch immer mehr als eine Stunde über dem Horizont stehen, aber ihre Strahlen, gebrochen durch das laubige Blätterkleid der Ulmen, die den Park umgeben, verhindern zwei Damen nicht mehr, ihre Polstersitze und Stickereien herauszutragen und sich auf dem freien Grasplatz in Front von Cheverel Manor zur Arbeit niederzulassen. Der weiche Rasen gibt nach unter dem elfenhaften Tritt der jüngern Dame, deren kleine, zierliche Figur auf den winzigsten aller ausgewachsenen Füßchen ruht. Sie trippelt, vor der älteren einher, die Polster tragend, die sie gerade an der Böschung bei einem Lorbeergebüsch, ihrem Lieblingsplatz zurechtlegt, wo sie die Sonnenstrahlen zwischen den Wasserlilien glänzen sehen und selbst von den Fenstern des Speisesaals aus gesehen werden können. Sie hat die Polster niedergelegt, und wendet sich jetzt um, so daß wir sie voll im Gesicht haben, wie sie dasteht, das langsamere Vorwärtskommen der älteren Dame abwartend. Wir werden sogleich gefesselt durch ihre großen, dunklen Augen, die in ihrer unaussprechlichen, unbewußten Schönheit den Augen eines Rehes gleichen; und erst bei angestrengter Aufmerksamkeit bemerken wir die Abwesenheit der Blüthe auf ihrer jungen Wange und den südlichen, gelblichen Teint ihres schlanken Halses und feinen Gesichtes, die aus dem kleinen schwarzen Spitzentuch hervorsehen, welches den allzu unmittelbaren Vergleich ihrer Haut mit ihrem weißen Musselinkleide verhindert. Ihre großen Augen scheinen um so eindringlicher, weil das dunkle Haar unter einem auf den Scheitel gesetzten Häubchen mit einer kirschfarbenen Schleife auf einer Seite aus dem Gesicht gestrichen ist.

Die ältere Dame, die auf die Polster zuschreitet, ist nach einem ganz andern Modell der Weiblichkeit geformt. Sie ist hoch gewachsen und erscheint um so größer, weil ihr gepudertes Haar rückwärts über ein Toupet gekämmt und von Schleifen und Bändern überragt ist. Sie ist nahezu fünfzig Jahre alt, aber ihr Teint ist noch immer frisch und schön, von der Schönheit einer röthlichbraunen Blondine; ihre stolzen schwellenden Lippen und ihr Kopf, den sie während des Gehens etwas zurückwirft, verleihen ihr einen stolzen Ausdruck, dem das kalte graue Auge nicht widerspricht. Das umgeworfene Tuch, das sich voll von dem tiefen, engen Schnürleibchen ihres blauen Anzugs abhub, setzte die majestätische Form ihrer Büste ins hellste Licht, und sie schritt über den Rasenplatz, als wäre sie eine von Sir Joschua Reynold's stattlichen Frauengestalten, die soeben aus ihrem Rahmen gestiegen, um die Abendkühle zu genießen.

»Lege die Polster etwas niedriger, Caterina, damit wir nicht so sehr in der Sonne sitzen«, rief sie, noch in einiger Entfernung, in autoritativem Tone aus.

Caterina gehorchte, und sie setzten sich nieder, wie zwei helle Flecke von Roth und Weiß und Blau auf dem grünen Hintergrunde der Lorbeerbüsche und des Rasens, die kein weniger hübsches Bild abgegeben haben würden, weil das eine der beiden Frauenherzen etwas kalt und das andere traurig war.

Und ein reizendes Gemälde würde Cheverel Manor an jenem Abend geliefert haben, wenn irgend ein englischer Watteau dagewesen wäre, es zu malen: das zinnenüberragte Haus von graugesprenkeltem Stein, auf das die flimmernden Sonnenstrahlen schienen, die goldene Lichtblitze quer durch die vielgestaltigen Scheiben der getheilten Fenster sandten, und eine hohe Buche, die quer über einen der flankirenden Thürme lehnte und mit ihren dunkeln, platten Ästen die allzuförmliche Symmetrie der Front unterbrach; den breiten Kiesweg, der sich zur Rechten neben einer Reihe schlanker Pinien längst des Teiches hinzog – zur Linken sich verzweigend zwischen schwellenden Grashügeln, überragt von Baumgruppen, wo der rothe Stamm der schottischen Föhre in dem schräg einfallenden Sonnenlicht glüht im Gegensatz zu dem hellen Grün der Akazien und Linden; den großen Teich, wo ein Paar Schwäne, mit einem Bein unter dem Flügel versteckt, träge umherschwimmen, und wo die geöffneten Wasserlilien daliegen und ruhig die Küsse der zuckenden Lichtstrahlen annehmen; den Rasenplatz mit seinem weichen, smaragdenen Grün, der herabfällt zu dem rauheren Graswerk des Parks, von dem er unmerklich abgegrenzt ist durch einen kleinen Strom, der sich vom Teich weg dahinwindet und unter einer hölzernen Brücke auf dem entfernten Spielplatz verschwindet; und auf diesem Rasenplatz unsre zwei Damen, deren Antheil an der Landschaft der Maler, an einem günstigen Aussichtspunkt im Park stehend, mit einigen wenigen Pinselstrichen von Roth und Weiß und Blau darstellen würde.

Von den großen gothischen Fenstern des Speisesaals aus zeigten sie viel bestimmtere Umrisse und waren deutlich sichtbar für die drei Herren, die dort ihren Burgunder schlürften, als zwei schöne Frauen, an denen alle drei ein persönliches Interesse hatten. Diese drei Herren bildeten eine Gruppe, die aufmerksamer Betrachtung werth war: aber Jemand, der jenen Speisesaal zum erstenmale betrat, würde vielleicht noch stärker gefesselt worden sein durch den Saal selbst, der so entblößt war von Möbeln, daß seine architektonische Schönheit den Eindruck einer Kathedrale machte. Eine Matte, die sich von Thür zu Thür erstreckte, ein abgenützter Teppichstreifen unter dem Eßtische und ein Seitentisch in einer tiefen Nische zogen das Auge nicht für einen Moment ab von dem hohen gothischen Gewölbe mit seinen reichgeschnitzten Hängeleuchtern, alles von rahmfarbenem Weiß, hie und da durch goldene Streifen gehoben. Auf der andern Seite wurde diese luftige Decke getragen von Pfeilern und Bogen, über welchen ein niedrigeres Gewölbe, ein Miniaturabbild des höheren, die quadratische Ausladung krönte, die mit ihren drei großen Spitzbogenfenstern den Mittelbau des Gebäudes bildete. Der Saal sah weniger aus wie ein Platz zum Speisen als ein Stück Raum, das einfach um der schönen Umrisse willen umschlossen sei; und der kleine Eßtisch mit der Gesellschaft darum schien eher ein seltsamer und unbedeutender Zufall, als irgend etwas mit der ursprünglichen Bestimmung des Gelasses Verknüpftes zu sein.

Aber, genau geprüft, war jene Gruppe weit davon entfernt, unbedeutend zu sein; denn der Älteste, der aus der Zeitung die letzten verhängnißvollen Verhandlungen des französischen Parlaments vorlas und sich gelegentlich mit Erläuterungen an seine jungen Gefährten wandte, war ein so schönes Exemplar des altenglischen Gentleman, als man nur eines in jenen ehrwürdigen Zeiten der Dreimaster und Zöpfe finden konnte. Seine dunkeln Augen blitzten unter der vorspringenden Stirn, die wegen der buschigen, graugesprenkelten Augenbrauen noch mehr vorragend erschien; aber jede Furcht vor Strenge, die jene durchdringenden Augen und eine etwas adlerartige Nase erregten, wurde gemildert durch die gutmüthigen Linien um den Mund, der noch alle seine Zähne und alle Kraft des Ausdrucks bewahrte, trotz sechzig Wintern. Der Vorderkopf stieg ein wenig an von den vortretenden Brauen und seine spitze Form wurde sichtbar gemacht durch das Arrangement des verschwenderisch gepuderten Haares, das rückwärts gekämmt und zu einem Zopf geflochten war. Er saß in einem niedrigen, harten Stuhl, der nicht die geringste Annäherung an Bequemlichkeit zuließ und die Flachheit seines Rückens, wie die Breite seiner Brust vortheilhaft zeigte. In der That, Sir Christopher Cheverel war ein prächtiger alter Herr, wie Jeder sehen kann, der den Salon zu Cheverel Manor betritt, wo sein lebensgroßes Porträt – gemalt, als er fünfzig zählte – neben dem seiner Gattin, der stattlichen Dame auf dem Rasenplatz, hängt.

Wenn man Sir Christopher ansah, war man sogleich zu der Hoffnung geneigt, daß er einen erwachsenen Sohn und Erben habe; aber vielleicht hätte man gewünscht, daß sich als solcher nicht der junge Mann zu seiner Rechten herausstelle, bei welchem eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Baronet in der Contur der Nase und Stirne auf Blutsverwandtschaft hinzudeuten schien. Wenn dieser junge Mann weniger elegant von Gestalt gewesen wäre, würde er wegen der Eleganz seiner Kleidung bemerkenswerth gewesen sein. Aber die Vorzüge seiner schlanken, wohlproportionirten Gestalt waren so in die Augen springend, daß Niemand außer einem Schneider von den Vollkommenheiten seines Sammtrocks Notiz nehmen konnte; und seine kleinen weißen Hände, mit ihren blauen Adern und Wachsfingern, verdunkelten vollständig die Schönheit seiner Spitzenmanchetten. Das Gesicht indessen war – es war schwierig zu sagen, warum – sicher nicht angenehm. Nichts konnte zarter sein, als die helle Gesichtsfarbe – deren Blüthe durch das gepuderte Haar hervorgehoben wurde – als die geäderten überhängenden Augenlider, die den haselnußbraunen Augen ein träges Aussehen gaben; nichts feiner geschnitten, als die transparenten Nasenflügel und die kurze Oberlippe. Vielleicht waren Kinn und Unterkiefer zu kurz für ein tadelloses Profil, aber der Mangel war auf Seiten jener Zartheit und Feinheit, die das unterscheidende Merkmal der ganzen Person war und durchgeführt wurde in dem reinen, braunen Bogen der Augenbrauen und der Marmorglätte der abschüssigen Stirne. Man mußte unbedingt anerkennen, daß sein Gesicht eminent hübsch sei; und doch war es für die Mehrheit sowohl der Männer als der Frauen des Reizes bar. Den Frauen mißfielen Augen, die Bewunderung träge anzunehmen statt zu zollen schienen; und die Männer, speciell wenn sie eine Neigung zur Plumpheit in der Nase oder den Knöcheln hatten, waren geneigt, diesen Antonius im Zopf für »einen verdammten Zierbengel« zu halten. Ich bilde mir ein, dies war häufig der innere Ausruf des Rev. Maynard Gilfil, der auf der entgegengesetzten Seite des Eßtisches saß, obgleich Mr. Gilfils Profil und Beine durchaus nicht von einer Art waren, um ihn besonders für die Impertinenz und Frivolität persönlicher Vorzüge empfindlich zu machen. Sein gesundes offenes Gesicht und seine kräftigen Glieder waren von einem ausgezeichneten Muster für den alltäglichen Gebrauch und nach der Meinung Mr. Bates', des nordischen Gärtners, würde eine Uniform ihm »ein gut Theil besser« gestanden haben, als den »spitzigen« Zügen und der unansehnlichen Gestalt des Capitäns Wybrow, trotzdem dieser junge Herr, als Sir Christophers Neffe und bestimmter Erbe, den stärksten erblichen Anspruch auf des Gärtners Respekt hatte und unleugbar »wohlgestaltet« war. Aber ach! menschliche Wünsche sind wunderlich eigensinnig; und es ist unnütz, dem Manne, welchem nach einem Pfirsich der Mund wässert, den größten Kürbis anzubieten. Mr. Gilfil war nicht empfindlich für Mr. Bates' Meinung, während er sehr empfindlich war für die Meinung einer andern Person, die keineswegs Mr. Bates' günstige Ansicht theilte.

Zu errathen, wer diese andere Person war, würde keinen sehr scharfen Beobachter erfordert haben, einer gewissen Begierde in Mr. Gilfils Blick zufolge, als jene kleine Gestalt in Weiß mit den Polstern über den Nasen dahin trippelte. Capitän Wybrow blickte auch nach der nämlichen Richtung, aber sein hübsches Gesicht blieb hübsch – und nichts weiter.

»Ah,« sagte Sir Christopher, von seiner Zeitung aufblickend, »da ist meine Frau. Läute nach dem Kaffee, Anthony; wir wollen gehen und uns ihr anschließen, und das kleine Äffchen Tina soll uns ein Lied singen.«

Der Kaffee erschien gleich darauf, nicht wie gewöhnlich gebracht vom Bedienten in Scharlach und Grau, sondern von dem alten Kellermeister in fadenscheinigem, aber wohl ausgebürsteten Schwarz, der, als er ihn auf den Tisch stellte, sagte –

»Wenn es Ihnen beliebt, Sir Christopher, da ist die Wittwe Hartopp draußen im Zimmer der Haushälterin und weint und bittet, Euer Ehren sprechen zu dürfen.«

»Ich habe Markham genaue Befehle gegeben in Betreff der Wittwe Hartopp«, sagte Sir Christopher in scharfem, bestimmtem Ton. »Ich habe ihr nichts zu sagen.«

»Euer Ehren«, machte der Kellermeister geltend, die Hände reibend und eine weitere Schicht von Demuth anlegend, »die arme Frau ist so schrecklich bedrängt und sagt, sie könne die ganze Nacht kein Auge zuthun, wenn sie nicht mit Ihnen sprechen könne, und bittet, ihr die große Freiheit zu verzeihen, die sie sich genommen, um die Zeit zu kommen. Sie weint, daß es einem das Herz brechen könnte.«

»Ja, ja; aber Wasser bezahlt keinen Pacht. Nun, führe sie in die Bibliothek.«

Nachdem der Kaffee in Eile getrunken, spazierten die beiden jungen Männer hinaus durch die offene Glasthür und schlossen sich den Damen auf dem Rasenplatze an, während Sir Christopher sich auf den Weg nach der Bibliothek machte, feierlich begleitet von seinem Lieblingsbluthund Rupert, der sich an seinem gewöhnlichen Platz an des Baronets rechter Seite während des Essens mit großer Urbanität betrug, aber als das Tischtuch entfernt wurde, unabänderlich unter dem Tisch verschwand, anscheinend die Burgunderflasche als eine rein menschliche Schwäche betrachtend, bei der er wohl ein Auge zudrückte, die zu sanktioniren er sich aber weigerte.

Die Bibliothek war nur drei Schritte vom Speisesaal entfernt und lag auf der andern Seite eines klösterlichen mattenbedeckten Ganges. Das Erkerfenster war von der großen Buche überschattet und diese mit der niedrigen, mit schwerem Schnitzwerk verzierten Decke und dem dunkeln Farbenton der Bücher, die die Wände umsäumten, gab dem Saal ein düsteres Aussehen, besonders wenn man ihn vom Eßsaal aus betrat. Als Sir Christopher die Thür öffnete, fiel ein hellerer Lichtbündel auf eine Frau in Wittwenkleidung, die in der Mitte des Saales stand und ihren tiefsten Knix machte, als er eintrat. Sie war eine stattliche Frau von nahezu vierzig Jahren, ihre Augen roth von Thränen, die augenscheinlich von dem Taschentuch aufgesaugt worden waren, das sie, zu einem feuchten Knäuel geballt, in der rechten Hand hielt.

»Nun Mrs. Hartopp«, sagte Sir Christopher, seine goldene Dose herausnehmend und auf den Deckel klopfend, »was haben Sie mir zu sagen? Markham hat Ihnen wohl die Kündigung eingehändigt?«

»O ja, Eurer Ehren, und das ist der Grund, warum ich gekommen bin. Ich hoffe, Euer Ehren werden sich's noch besser überlegen und mich und meine armen Kinder nicht aus der Farm vertreiben, wo mein Mann immer seine Pacht so pünktlich auf den Tag zahlte!«

»Unsinn! Ich möchte nur gern wissen, wozu es für Sie und Ihre Kinder gut ist, auf einer Farm zu bleiben und jeden Pfennig zu verlieren, den Ihr Mann hinterlassen hat, statt Ihre Vorräthe zu verkaufen und sich ein kleines Plätzchen zu suchen, wo Sie Ihr Geld zusammen halten können. Es ist allen meinen Pächtern gar wohl bekannt, daß ich nie Wittwen auf ihrer Männer Pachtungen bleiben lasse.«

»O, Sir Christopher, wenn Sie es nur überlegen wollten – wenn ich das Heu und Korn und alles Vieh verkauft und die Schulden bezahlt habe und das Geld auf Zinsen ausgeliehen, werde ich kaum genug haben, um Leib und Seele zusammenzuhalten. Und wie kann ich meine Buben aufziehen und in die Lehre geben? Sie müßten als Tagelöhner arbeiten und ihr Vater war ein Mann mit so guten Eigenschaften, wie nur einer auf Eurer Ehren Gut, und hat nie seinen Weizen gedroschen, bevor er auf dem Schober tauglich geworden war und verkaufte nie das Stroh von seiner Farm weg, oder sonst 'was. Fragen Sie alle Farmer im Umkreis, ob es einen gesetzteren, nüchternern Mann gab auf dem Ripstoner Markt als meinen Mann. Und er sagt, ›Bessie‹, sagt er und das waren seine letzten Worte – ›Du wirst Dir Mühe geben, die Farm zu bewirthschaften, wenn Dich Sir Christopher darauf belassen will.‹«

»Pah, pah«, sagte Sir Christopher, als Mrs. Hartopps Schluchzen ihre Einwände unterbrochen hatte, »nun hören Sie mich an, und versuchen Sie, ein wenig gesunden Menschenverstand anzunehmen. Sie sind etwa gerade so gut im Stand, die Farm zu bewirthschaften, wie Ihre beste Milchkuh. Sie werden gezwungen sein, einen Mann zu haben, der der Sache vorsteht, und der wird Sie entweder um Ihr Geld betrügen oder Sie überreden, ihn zu heirathen.«

»Oh, Euer Ehren, ich war nie eine solche Frau, und kein Mensch kennt mich dafür.«

»Sehr wahrscheinlich, denn Sie waren früher keine Wittwe. Eine Frau ist immer thöricht genug, aber sie ist nie eine so große Närrin als sie sein kann, bis sie eine Wittwenhaube aufsetzt. Und nun fragen Sie sich selbst, um wie viel Sie besser dran sein würden nach vier Jahren, wenn Sie Ihre Farm hätten schlechter werden lassen, und mit dem halben Pacht im Rückstand wären; oder wo Sie vielleicht irgend einen großen, verdrießlichen Kerl zum Mann hätten, der flucht und schimpft über Sie und Ihre Kinder prügelt.«

»Aber, Sir Christopher, ich verstehe einen guten Theil von der Farmerei und wurde darin aufgezogen, im dicksten Gewühl kann man sagen. Und da war meine Großtante, die bewirthschaftete eine Farm zwanzig Jahre lang und hinterließ allen ihren Neffen und Nichten Vermächtnisse, sogar meinem Mann, der damals noch ein ungebornes Kind war.«

»Pscha! eine Frau sechs Fuß hoch, mit einem schielenden Auge und spitzen Ellenbogen vermuthlich – ein Mann im Unterrock; nicht eine rothwangige Wittwe wie Sie, Mrs. Hartopp.«

»Aber, Euer Ehren, ich habe nie gehört, daß sie schielte; und man sagte, sie hätte sich oft verheirathen können mit Leuten, die es nicht nöthig hatten, nach ihrem Geld zu angeln.«

»Ja, ja, so denkt ihr alle. Jeder Mann, der euch anschaut, will euch heirathen, und würde euch um so lieber haben, je mehr Kinder und je weniger Geld ihr hättet. Aber es ist nutzlos, zu schwatzen und zu weinen. Ich habe gute Gründe zu meinen Plänen und ändere diese nie. Was Sie zu thun haben, ist, Ihre Vorräthe so gut als möglich zu verwerthen und sich nach einem Plätzchen umzusehen, wohin Sie gehen, wenn Sie die ›Höhlen‹ verlassen. Und nun gehen Sie zurück in Mrs. Bellamys Zimmer und lassen Sie sich eine Tasse Thee von ihr geben.«

Mrs. Hartopp, die aus Sir Christophers Ton merkte, daß er nicht zu erschüttern war, knixte tief und verließ die Bibliothek, während der Baronet sich an seinen Schreibtisch setzte, der in der Nische des Bogenfensters stand, und folgende Zeilen schrieb: –

 

»Mr. Markham, – Thun Sie keine Schritte zur Verpachtung von Crawsfoot Cottage, da ich beabsichtige, die Wittwe Hartopp dort unterzubringen, wenn sie ihre Farm verläßt; und wenn Sie am Samstag Morgen um eilf Uhr hier sein wollen, will ich mit Ihnen herumreiten und über einige nothwendige Reparaturen mich schlüssig machen und ihr ein Stückchen Land dazugeben, wie sie es braucht, um eine Kuh und einige Schweine zu halten. –

Aufrichtig der Ihrige,

Christopher Cheverel.«

 

Nachdem er geläutet und diesen Brief zur Besorgung übergeben hatte, spazierte Sir Christopher hinaus, um sich der Gesellschaft auf dem Rasenplatz anzuschließen. Da er aber die Kissen verlassen fand, spazierte er weiter nach der östlichen Front des Gebäudes, wo neben dem großen Eingangsthor die große Glasthüre des Salons sich befand, die sich nach dem Kiesweg öffnete, gegen eine lange, von hohen Bäumen eingesäumte Lichtung wellenförmigen Grasbodens hin, die – anscheinend mit dem Grün der Matten und einem grasbewachsenen Weg durch eine Anpflanzung sich vereinend – erst bei dem gothischen Bogen eines Thorwegs in weiter Ferne endigte. Die Glasthüre war offen, und Sir Christopher fand beim Hineintreten die Gruppe, die er suchte, wie sie den Fortgang der unvollendeten Decke prüfte. Sie war in demselben blühenden gothischen Spitzbogenstil wie der Speisesaal, aber sorgfältiger ausgearbeitet in der Verzierung, die einer versteinerten, durch zarte und mannichfaltige Färbung gehobenen Spitzenarbeit glich. Etwa ein Viertel davon war noch unbemalt, und unter diesem Theile standen Gerüste, Leitern und Werkzeuge; sonst war der geräumige Salon leer von Hausgeräth und schien ein großartiger gothischer Traghimmel zu sein für die Gruppe von fünf menschlichen Gestalten, die in der Mitte standen.

»Francesco ist etwas weiter vorwärts gekommen die letzten Tage«, sagte Sir Christopher, als er sich der Gesellschaft anschloß, »er ist ein verfluchter Faulpelz, und ich glaube, daß er die Gabe hat, im Stehen zu schlafen, mit dem Pinsel in der Hand. Aber ich muß ihn anspornen, oder wir werden vielleicht das Gerüst noch dastehen haben, wenn die Braut kommt, das heißt, wenn Du Feldherrntalent zeigst bei Deiner Werbung, he, Anthony? und Dein Magdeburg rasch einnimmst.«

»Ach, Sir, eine Belagerung ist bekanntlich eine der langweiligsten Operationen im Krieg«, sagte Capitän Wybrow mit einem leichten Lächeln.

»Nicht, wenn ein Verräther innerhalb der Mauern ist in Gestalt eines weichen Herzens. Und das wird hier der Fall sein, wenn Beatrice ihrer Mutter Weichheit ebenso geerbt hat, wie ihre Schönheit.«

»Was halten Sie davon, Sir Christopher«, sagte Lady Cheverel, die sich unter ihres Gemahls Reminiscenzen zu krümmen schien, »ich möchte Guercinos ›Sybille‹ »Die Samische Sibylle« (1644) von Giovanni Francesco Barbieri Guercino; bis heute ein in Reproduktionen oft verlangtes Bild. – Anm.d.Hrsg. über jener Thür anbringen, wenn wir die Gemälde hier aufhängen? Sie verliert sich fast ganz in meinem Wohnzimmer.«

»Sehr gut, meine Liebe«, antwortete Sir Christopher im Tone einer höflich-förmlichen Zuneigung; »wenn Sie sich gerne von dem Schmuck in Ihrem Zimmer trennen, wird es hier sich bewundernswerth gut ausnehmen. Unsere Porträts von Sir Josua werden der Glasthüre gegenüber zu hängen kommen und die ›Verklärung‹ an jenes Ende. Du siehst, Anthony, ich lasse keine schönen Plätze übrig für Dich und Deine Frau. Wir werden euch in die Gallerie versetzen, mit den Gesichtern gegen die Mauer, und ihr mögt euch dann später an uns rächen.«

Während diese Conversation sich abwickelte, wendete sich Mr. Gilfil an Caterina und sagte: –

»Mir gefällt die Aussicht von diesem Fenster besser als irgend eine andere im Hause.«

Sie gab keine Antwort, und er sah, daß ihre Augen sich mit Thränen füllten; und so fuhr er fort »Ich denke, wir gehen ein wenig spazieren; Sir Christopher und Mylady scheinen in Anspruch genommen zu sein.«

Caterina stimmte schweigend zu, und sie wendeten sich gegen einen der Kieswege hinunter, die, nach vielen Windungen zwischen hohen Bäumen und grasbewachsenen Lichtungen, zu einem großen eingehegten Blumengarten führten. Ihr Spaziergang geschah ganz stillschweigend, denn Maynard Gilfil wußte, daß Caterinas Gedanken nicht bei ihm weilten und sie hatte sich seit langem daran gewöhnt, ihn das Gewicht jener trüben Stimmungen fühlen zu lassen, die sie vor andern sorgfältig verbarg.

Sie erreichten den Blumengarten und traten mechanisch durch das Thor, das sich durch eine dichte Hecke auf eine weite Fläche von glänzenden Farben öffnete, die nach dem grünen Schatten, den sie durchwandert hatten, das Auge wie Flammen überraschten. Die Wirkung wurde unterstützt durch die wellenförmige Beschaffenheit des Bodens, der sich vom Eingangsthor nach und nach senkte und dann gegen das andere, von einer Orangerie gekrönte Ende wieder anstieg. Die Blumen glühten im abendlichen Glanz; Verbenen und Heliotropen sandten ihren feinsten Duft empor. Es schien wie eine Festschau, wo alles Glück und Glanz war und das Elend kein Mitgefühl finden konnte. Diese Wirkung äußerte es auf Caterina. Wie sie so dahinschritt zwischen den Beeten in Gold und Blau und Rosa, wo die Blumen sie mit verwunderten, elfengleichen Augen zu betrachten schienen, die nichts von Sorge wußten, überkam sie das Gefühl des Einsamseins in ihrem Elend, und die Thränen, die ihr vorher langsam über die bleichen Wangen herabgerieselt waren, stürzten jetzt hervor, von Schluchzen begleitet. Und doch stand ihr ein liebendes menschliches Wesen dicht zur Seite, dem das Herz blutete um ihretwillen! das von dem Gefühl beseelt war, daß sie unglücklich sei und er unfähig, sie zu beruhigen. Aber sie war viel zu sehr erregt durch die Idee, daß er eher die Thorheit ihrer Hoffnungen als die Wahrscheinlichkeit ihrer Enttäuschung bemitleidete, als daß sie Trost hätte finden können in seinem Mitgefühl. Caterina, wie die meisten Menschen, wandte sich hinweg von einem Mitgefühl, das sie als mit Kritik gemischt beargwöhnte, wie das Kind sich von einer Süßigkeit abwendet, in welcher es unbemerkbare Medizin vermuthet.

»Liebe Caterina, ich denke, ich höre Stimmen«, sagte Mr. Gilfil; »sie kommen vielleicht hierher.«

Sie bezwang sich wie eine, die es gewohnt ist, ihre Regungen zu verbergen, und lief eilig an das andere Ende des Gartens, wo sie mit der Auswahl einer Rose beschäftigt schien. Gleich darauf trat Lady Cheverel herein, auf den Arm des Capitäns Wybrow gestützt und von Sir Christopher gefolgt. Die Gesellschaft blieb stehen, um die Geraniumbeete neben dem Thor zu bewundern; mittlerweile trippelte Caterina mit einer Moosrose in der Hand zurück und sagte, zu Sir Christopher herantretend – »Da, Padroncello, Väterchen. da ist eine hübsche Rose für Ihr Knopfloch.«

»Ah, Du schwarzäugiges Äffchen«, sagte er, ihr zärtlich die Wange streichelnd, »da bist Du wieder davon gerannt mit Maynard, entweder um ihn zu quälen oder ihn noch einen oder zwei Zoll tiefer in Liebe zu schmeicheln. Komm, komm, Du sollst uns noch › Ho perduto‹ singen, bevor wir uns zum Piquet niedersetzen. Anthony geht morgen, wie Du weißt; Du mußt ihn in die richtige sentimentale Liebhaberstimmung hineintrillern, damit er zu Bath seine Schuldigkeit thut.« Er nahm ihren schlanken Arm in den seinen und ging mit ihr voran auf das Haus zu, indem er Lady Cheverel zurief; »Kommen Sie, Henrietta!«

Die Gesellschaft trat in's Gesellschaftszimmer, das mit seinem Spitzbogenfenster der Bibliothek im andern Flügel entsprach, und ebenfalls einen flachen, schwer mit Schnitzwerk und Wappen verzierten Plafond hatte; aber das Fenster war unbeschattet und die Wände (mit lebensgroßen Porträts von Rittern und Damen in Scharlach, Weiß und Gold behangen) hatten nicht die düstere Wirkung der Bibliothek. Hier hing das Porträt Sir Anthony Cheverels, der während der Regierung Karls II. der Erneuerer des Familienglanzes war, welcher einige Abschwächung seit jenem Ahnen Chevreuil In der Vorlage: »Cheverle.« Hier nach dem englischen Original berichtigt. – D. Hrsg., der mit Wilhelm der Eroberer herübergekommen war, erlitten hatte. Eine sehr imponirende Persönlichkeit war dieser Sir Anthony, der dastand mit einem Arm in die Seite gestemmt und einem – offenbar zum Zweck des Genusses für Mit- und Nachwelt – vorgestellten feingeformten Bein und Fuß. Man hätte ihm die prächtige Perrücke und den Scharlachmantel, den er über die Schulter zurückgeworfen trug, abnehmen können, ohne die Würde seiner Erscheinung zu vernichten. Und er hatte es auch verstanden, sich eine Gattin zu wählen, denn seine Lady, die ihm gerade gegenüber hing, mit ihrem sonnigbraunen Haar, das in Strähnen aus dem milden, ernsten Gesicht gestrichen war und in zwei großen, reichen Haarringeln über ihren schneeigen, sanft abfallenden Nacken fiel, der den harscheren Farbenton und Umriß ihrer weißen Satinrobe beschämte, war eine passende Mutter »ackerreicher« Erben.

In diesem Zimmer wurde der Thee servirt; und hier setzten sich jeden Abend, so regelmäßig als die große Glocke im Hof in bedächtigen Tönen neun Uhr schlug, Sir Christopher und Lady Cheverel zum Piquet nieder bis um halbelf Uhr, wo Mr. Gilfil vor dem versammelten Haushalt in der Kapelle Gebete vorlas.

Aber jetzt war es noch lange nicht Neun, und Caterina mußte sich an's Clavier setzen und Sir Christophers Lieblingsarien aus Glucks » Orfeo‹ singen, einer Oper, die zum Glück jener Generation damals auf der Londoner Bühne zu hören war. Es traf sich zufällig an diesem Abend, daß die Empfindungen jener Arien » Che farò senza Eurydice?« und » Ho perduto il bel sembiante«, in welchen beiden Orpheus der Sehnsucht nach der verlornen Geliebten freien Lauf läßt, Caterinas eigenen Gefühlen sehr nahe kamen. Aber ihre Erregung, statt ein Hinderniß für ihren Gesang zu sein, verlieh demselben gesteigerte Gewalt. Ihr Gesang war das Beste, was sie konnte; es war ihr einziger überlegener Vorzug, in dem sie wahrscheinlicherweise die hochgeborene Schönheit, welche Anthony freien sollte, übertreffen würde; und ihre Liebe, ihre Eifersucht, ihr Stolz, ihre Empörung gegen ihr Geschick bildeten einen Strom der Leidenschaft, die hervorquoll in den tiefen, reichen Tönen ihrer Stimme. Sie besaß einen seltenen Contrealt; und Lady Cheverel, die feinen musikalischen Geschmack besaß, hatte sorglich darüber gewacht, daß sie denselben nicht zu sehr anstrengte.

»Ausgezeichnet, Caterina«, sagte Lady Cheverel, als nach der wundervoll verketteten Anmuth des » Che farò« eine Pause eintrat. »Ich hörte Dich das nie so gut singen. Noch einmal!«

Es wurde wiederholt: und dann kam » Ho perduto«, welches Sir Christopher da capo verlangte, trotz der Glocke, die eben Neun schlug. Als die letzte Note erstarb, sagte er –

»So ist's brav, Du geschicktes, kleines Äffchen. Und nun bringe den Spieltisch zum Piquet her.«

Caterina zog den Tisch herbei und legte die Karten zurecht; dann warf sie sich, mit ihrer raschen, elfenhaften Plötzlichkeit der Regungen auf die Kniee und umklammerte Sir Christophers Knie. Er beugte sich herab, streichelte ihr die Wange, und lächelte.

»Caterina, das ist thöricht«, sagte Lady Cheverel. »Ich wünschte, Du ließest diese komödiantenhaften Possen.«

Sie sprang auf, brachte die Musikalien auf dem Clavier in Ordnung und huschte dann, als sie den Baronet und seine Lady mit dem Piquet beschäftigt sah, zum Zimmer hinaus.

Capitän Wybrow stand während des Gesangs auf das Clavier gelehnt, und der Kaplan hatte sich auf ein Sopha in einer Ecke des Zimmers geworfen. Jeder von beiden nahm jetzt ein Buch zur Hand. Mr. Gilfil wählte die letzte Nummer des » Gentleman's Magazine« Capitän Wybrow, ausgestreckt auf einer Ottomane neben der Thür, schlug den » Chevalier de Faublas« »Die Abenteuer des Chevalier Faublas« (1787-1789), Roman von Jean-Baptiste Louvet de Couvray, während der Französischen Revolution einer der Wortführer der Girondisten. – Anm.d.Hrsg. auf; und es herrschte nun vollkommenes Schweigen in dem Zimmer, das zehn Minuten vorher die leidenschaftlichen Töne Caterinas durchzitterten.

Sie war durch die einsamen Gänge, die hie und da durch eine kleine Öllampe erhellt waren, zu dem großen Stiegenhause geschritten, das direkt zu einer Gallerie führte, die um die ganze östliche Seite des Gebäudes lief und auf welcher sie auf und ab zu gehen pflegte, wenn sie allein zu sein wünschte. Das helle Mondlicht strömte durch die Fenster auf die heterogenen Gegenstände, welche die langen Wände bekleideten, seltsame Lichter und Schatten werfend. Griechische Statuen und Büsten römischer Kaiser; niedrige Cabinette, gefüllt mit naturwissenschaftlichen und antiquarischen Curiositäten; tropische Vögel und ungeheure Thiergeweihe; Hindugötzenbilder und seltsam geformte Muscheln; Schwerter und Dolche und einzelne Stahlpanzer; römische Lampen und winzige Modelle griechischer Tempel; und außer dem allem seltsame alte Familienporträts – von kleinen Knaben und Mädchen, einst die Hoffnung der Cheverels, mit glattrasirten, in steife Halskrausen gezwängten Köpfen – von verwelkten Damen mit rosigen Gesichtern, wenig entwickelten Zügen und hochentwickelten Kopfzierden – von ritterlichen Herren, mit hohen Hüften, hohen Schultern und rothen Spitzbärten.

Hier pflegten Sir Christopher und seine Lady an regnerischen Tagen zu promeniren, und hier wurde Billard gespielt; aber abends wurde die Gallerie von allen gemieden, außer von Caterina – und manchmal einer andern Person.

Sie schritt auf und ab im Mondlicht, und ihr bleiches Gesicht und weißgekleidete Gestalt ließen sie aussehen wie den Geist einer früheren Lady Cheverel, die gekommen war, um wieder einmal den Glanz des Mondes zu sehen.

Zeitweilig hielt sie dem breiten Fenster über dem Portikus gegenüber an und blickte hinaus auf die lange Flucht von Rasen und Bäumen, die jetzt kühl und trauriger im Mondschein sich ausdehnte.

Plötzlich schien ein warmer, rosiger Duft ihr entgegen zu fluthen, und ein Arm legte sich sanft um ihre Taille, während eine weiche Hand ihre winzigen Finger ergriff. Caterina fühlte einen elektrischen Schlag und war für einen langen Moment regungslos; dann stieß sie den Arm und die Hand weg und erhob sich umwendend zu dem Gesicht, das sich über sie beugte mit Augen voll Zärtlichkeit und Vorwurf. Die rehgleiche Unbewußtheit war fort, und in jenem einen Blick lagen die Grundtöne des Wesens der armen, kleinen Caterina – heftige Liebe und wüthende Eifersucht.

»Warum stößest Du mich von Dir, Tina?« sagte Capitän Wybrow halb lispelnd: »zürnst Du mir wegen dessen, was ein hartes Schicksal mir auferlegt? Wolltest Du haben, daß ich meinem Onkel – der soviel für uns beide gethan hat – in seinem Herzenswunsch widerstrebe? Du weißt, ich habe Pflichten – wir beide haben Pflichten – vor welchen das Gefühl verstummen muß.«

»Ja, ja«, sagte Caterina, mit den Füßen stampfend und den Kopf abwendend; »sage mir nicht, was ich bereits weiß.«

In Caterinas Herzen sprach eine Stimme, der sie bis jetzt noch nie freien Lauf gelassen. Jene Stimme sprach unaufhörlich: »Warum machte er, daß ich ihn lieben muß – warum ließ er mich's wissen, daß er mich liebt, wenn er allezeit wußte, daß er um meinetwillen nicht Allem trotzen könne?« Dann antwortete die Liebe: »Er wurde fortgerissen von dem Gefühl des Augenblicks, wie Du, Caterina; und jetzt solltest Du ihm thun helfen, was recht ist.« Dann fiel die Stimme wieder ein: »Es war ihm eine geringfügige Sache. Es liegt ihm nicht viel daran, Dich aufzugeben. Er wird bald jene schöne Dame lieben und ein armes, kleines, blasses Ding wie Dich vergessen.«

So stritten Liebe, Eifersucht und Zorn in jener jungen Seele.

»Übrigens, Tina«, fuhr Capitän Wybrow in noch sanfteren Tönen fort, »wird es mir nicht gelingen. Miß Asher zieht sehr wahrscheinlich irgend einen Andern vor; und Du weißt, ich habe den besten Willen von der Welt, nicht zu reüssiren. Ich werde als unglücklicher Junggesell zurückkommen, um Dich vielleicht schon verheirathet zu sehen mit dem hübschen Kaplan, der bis über die Ohren in Dich verliebt ist. Der gute Sir Christopher will durchaus haben, daß Du Gilfil nehmen sollst.«

»Wie magst Du nur so sprechen? Das kommt daher, weil es Dir an Gefühl fehlt. Geh fort von mir.«

»Laß uns nicht im Zorn scheiden, Tina. All dies kann vorübergehen. Es ist eben so wahrscheinlich als nicht, daß ich überhaupt gar nicht heirathen werde. Dieses ewige Herzklopfen rafft mich vielleicht hinweg und Du kannst die Genugthuung erhalten, zu wissen, daß ich nie irgend Jemand's Bräutigam sein werde. Wer weiß, was geschieht? Ich bin vielleicht mein eigener Herr, ehe ich in die Fesseln des Ehestands gerathe, und fähig, meinen kleinen Singvogel zu wählen. Weshalb sollten wir uns selbst vor der Zeit quälen?«

»Du kannst leicht so reden, da Du nichts fühlst«, sagte Tina mit strömenden Thränen. »Es ist schlecht jetzt zu dulden, was auch kommen möge. Aber Du kümmerst Dich nicht um mein Elend.«

»Glaubst Du, Tina?« sagte Anthony in seinen zärtlichsten Tönen, seine Hand wieder um ihre Taille legend und sie an sich ziehend. Die arme Tina war die Sklavin dieser Stimme und dieser Berührung. Schmerz und Groll, Rückblick und Vorahnung verschwanden, die ganze Vergangenheit und Zukunft schmolz dahin in der Wonne jenes Moments, da Anthony, seine Lippen auf die ihren preßte,

Capitän Wybrow dachte: »Arme kleine Tina! Es würde sie sehr glücklich machen, wenn sie mich bekäme. Aber sie ist ein verrücktes, kleines Ding.«

In diesem Augenblick schreckte ein lauter Glockenton Tina aus ihrem wonnigen Entzücken auf. Es war der Ruf zur Abendandacht in der Kapelle, und sie hastete hinweg, den Capitän Wybrow zurücklassend, der ihr langsam folgte.

Es war ein hübscher Anblick, jene zum Gottesdienst in der kleinen Kapelle versammelte Familie, auf deren knieende Gestalten ein Paar Wachslichter ein mildes schwaches Licht warfen. Im Chorpult stand Mr. Gilfil, das Gesicht um eine Schattirung ernster als gewöhnlich. Zu seiner Rechten knieten der Herr und die Frau des Hauses auf ihren rothen Sammtkissen, in ihrer ältlichen, würdevollen Schönheit. Zu seiner Linken die jugendliche Anmuth Anthonys und Caterinas, in all dem schlagenden Gegensatz ihres Colorits – er, in seinen tadellosen Umrissen und seiner gerundeten Schönheit, wie ein olympischer Gott: sie, brünett und schmächtig, wie ein Zigeunerwechselkind. Dann kniete da die Dienerschaft auf rothgedeckten niedrigen Bänkchen – an der Spitze der Frauen Mrs. Bellamy, die nette, kleine alte Haushälterin, in schneeweißer Haube und Schürze und Mrs. Sharp, die Kammerfrau, von etwas saurem Aussehen und prunkendem Anzug; an der Spitze der Männer Mr. Bellamy, der Kellermeister und Mr. Warren, Sir Christophers ehrwürdiger Kammerdiener.

Einige Stellen aus dem »Abendgottesdienst« waren es, was Mr. Gilfil gewöhnlich vorlas, indem er mit der einfachen Bitte schloß: »Erleuchte unsre Dunkelheit.«

Und dann standen sie alle auf, die Dienstboten sich umwendend und knixend und sich verbeugend, wie sie hinausgingen. Die Familienglieder kehrten in das Gesellschaftszimmer zurück, sagten einander Gute Nacht und gingen auseinander – alle zu heilsamem Schlummer, zwei ausgenommen, Caterina weinte sich erst in Schlaf, als die Glocke schon Zwölf geschlagen hatte. Mr. Gilfil lag noch länger wach und dachte, daß Caterina sehr wahrscheinlich weine.

Capitän Wybrow, der um elf Uhr seinen Kammerdiener entlassen hatte, lag bald darauf in sanftem Schlummer, und sein Gesicht sah auf dem etwas eingedrückten Kissen aus wie eine schöne Camee.



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