Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebenzehntes Kapitel.

Als Dempster Morgens erwachte, war er durchaus nicht im Zweifel, wie er sich die Thatsache zu erklären habe, daß Janet nicht an seiner Seite war. Die Stunden seiner Trunkenheit waren von seinen übrigen Stunden durch keine Mauer der Vergessenheit getrennt; er erinnerte sich, wodurch Janet ihn am Abend vorher gereizt hatte, er erinnerte sich, was er ihr in mitternächt'ger Stunde gethan, gerade so wie er sich erinnert haben würde, wenn man ihn wegen eines Wegrechts zu Rathe gezogen hätte.

Die Erinnerung gab ihm einen bestimmten Grund für die außergewöhnlich schlechte Laune, die in dieser Woche jeden Morgen seinem Erwachen gefolgt war, aber er wollte sich nicht zugestehen, daß sie ihm Unruhe bereitete. »Pah«, sagte er sich innerlich, »sie wird geradewegs zu ihrer Mutter gegangen sein. Sie ist so furchtsam wie ein Hase; und sie wird nie Jemand etwas davon wissen lassen. Sie wird vor Abend wieder zurück sein.«

Aber die Dienstboten brauchten von der Sache ebensowenig etwas zu wissen; so raffte er denn die Kleider zusammen, die sie in der vorigen Nacht ausgezogen hatte und warf sie in ein feuerfestes Schränkchen, zu dem er den Schlüssel stets bei sich trug. Als er die Stiege hinabging, sagte er zu der Hausmagd: »Mrs. Dempster ist zu ihrer Mutter gegangen; bringen Sie das Frühstück herein.«

Die Dienstboten, an häusliche Zwistigkeiten gewöhnt, hatten es schon oft erlebt, daß ihre Herrin hastig ihr Barett aufsetzte und zu ihrer Mutter ging; sie dachten nur, es sei etwas schlimmer als gewöhnlich, weil sie in Folge eines heftigen Zanks entweder um Mitternacht oder früh am Morgen, ehe sie aufgestanden waren, fortgegangen sein mußte. Die Hausmagd erzählte der Köchin, was ihrer Meinung nach geschehen sei; die Köchin schüttelte den Kopf und sagte: »Du lieber Gott, du lieber Gott!« aber beide erwarteten, daß ihre Herrin in einer oder zwei Stunden zurückkehren würde.

Dempster hatte am Abend vorher, auf dem Heimweg, seinem Bedienten, der außer dem Hause wohnte, befohlen, um zehn Uhr mit seinem Gefährt vor dem Hause zu sein. Nach dem Frühstück sagte er zu der Hausmagd: »Es braucht heute Abend Niemand auf mich zu warten; ich werde erst morgen Abend wieder heimkommen;« dann ging er auf sein Bureau, in der Erwartung, bei seiner Rückkehr seinen Bedienten mit dem Gig vor dem Hause zu finden. Aber obgleich es Zehn geschlagen, war kein Gig da. In Dempsters Stimmung war dies mehr als genug, um ihn zu erbittern. Er ging hinein, um vor der Abfahrt sein gewohntes Glas Brandy zu trinken, wobei er sich die Genugthuung versprach, sogleich auf Dawes loszuwettern, weil er sich einige Minuten verspätet hatte. Ein Zornesausbruch gegen seinen Bedienten war nichts Gewöhnliches bei ihm; denn Dempster hatte, wie die meisten gewaltthätigen Menschen, jene feige Art von Selbstbeherrschung, die ihn befähigte, sein Naturell zu bezähmen, wo dies seiner Bequemlichkeit zuträglich war; und da er den Werth Dawes', eines soliden und pünktlichen Mannes, kannte, zahlte er ihm nicht bloß einen hohen Lohn, sondern behandelte ihn auch gewöhnlich mit ausnehmender Höflichkeit. Diesen Morgen jedoch bekam die üble Laune die Oberhand über die Klugheit, und Dempster war entschlossen, ihn gehörig zu schelten, ein Entschluß, zu dem ihm Dawes viel besseren Grund gab, als er erwartete. Fünf Minuten, zehn Minuten, eine Viertelstunde war verflossen, und Dempster wollte sich eben auf den Weg machen, nach den in einer Seitengasse gelegenen Ställen, zu sehen, was die Ursache des Verzugs sei, als Dawes mit dem Gig erschien.

»Für was, zum Teufel! lassen Sie mich hier warten?« donnerte Dempster, mit den Absätzen aufstampfend, wie ein bettelhafter Schneider, der auf einen Botenwagen wartet. »Ich befahl Ihnen, um zehn Uhr da zu sein. Wir hätten während dieser Zeit bis Whitlow fahren können.«

»Ei, einer von den Strängen war entzwei, und ich mußte ihn zu Brady zum Ausbessern thun, und er brachte ihn nicht zur rechten Zeit fertig.«

»Warum brachten Sie ihn dann nicht gestern Abend hin? Wegen Ihrer verdammten Faulheit, denk' ich. Meinen Sie, ich zahle Ihnen dafür Ihren Lohn, daß Sie kommen, wenn es Ihnen beliebt, und eine Viertelstunde später daher trotteln, wie ich befohlen habe?«

»Geben Sie mir gute Worte, gelt?« sagte Dawes mürrisch. »Ich bin nicht faul, und kein Mensch soll mich faul nennen. Ich weiß recht gut, wofür Sie mir Lohn geben: weil ich thue, was wenig andere Menschen thun möchten.«

»Was, Sie unverschämter Spitzbube!« sagte Dempster einsteigend, »Sie glauben wohl, ich könnte Sie nicht entbehren? Als ob ein viehischer, eimertragender Tölpel wie Sie nicht alle Tage zu haben wäre! Dann schauen Sie sich nach einem neuen Herrn um, der Sie dafür zahlt, daß Sie nicht thun, was man Ihnen befiehlt.«

Dawes Blut war jetzt hübsch in Wallung. »Ich werde mich nach einem Herrn umschauen, der in besserem Ruf steht, als ein lügnerischer, plärrender Trunkenbold, und da werde ich wohl nicht weit zu gehen brauchen!«

Dempster riß wüthend die Peitsche aus der Scheide und versetzte Dawes einen Hieb, der über die Schultern fallen sollte, indem er sagte: »Nehmen Sie das, und fahren Sie zur Hölle!«

Dawes drehte sich eben mit den Zügeln in der Hand um, als die Peitsche herniederfiel, und so traf ihn der Schlag mitten ins Gesicht. Mit bleichen Lippen sagte er: »Ich werde mein Recht bekommen gegen Sie, wenn Sie auch ein Rechtsgelehrter sind,« und warf die Zügel dem Pferde über den Rücken.

Dempster lehnte sich vorwärts, ergriff die Zügel und fuhr ab.

»Ei, da fährt Ihr Freund Dempster wieder ohne seinen Kutscher fort,« sagte Mr. Luke Byles. der mit Mr. Budd in der Brückenstraße plauderte. »Was ist er für ein Narr, in diesem zweirädrigen Ding zu fahren! er wird einmal kopfüber herausgeschleudert werden, ehe lange Zeit vergeht.«

»Er nicht,« sagte Mr. Budd, dem eben vorbeifahrenden Dempster zunickend: »er hat neun Leben in sich.«



 << zurück weiter >>