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III.
Janet's Reue.


Erstes Kapitel.

» Nein!« sagte der Advocat Dempster in lautem, raspelndem, oratorischem Ton, gegen chronische Heiserkeit ankämpfend, »so lange mein Schöpfer mir Kraft der Stimme und des Verstandes gewährt, werde ich jedes gesetzliche Mittel anwenden, um der Einschleppung der demoralisirenden, methodistischen Methodisten: die Angehörigen einer von Wesley 1729 gestifteten Religionsgesellschaft, die sich durch Fasten, Beten, allsonntägliche Abendmahlsfeier, überhaupt durch eine methodische äußerliche Frömmigkeit auszeichnen, die man mit dem Namen Methodismus belegte; streng in der von Vorstehern geübten Kirchenzucht. – (Die Anmerkung des Übersetzers verzichtet auf den Hinweis, dass seit John Wesley soziales Engagement für Methodisten und methodistische Kirchen unverzichtbar zum Christsein und zur Kirche hinzugehört. Erwähnt sei auch, dass George Eliot, die in der Figur der Dinah Morris in ihrem ersten Roman »Adam Bede« (1859) ein recht sympathisches Bild des Methodismus zeichnet, sich 1834 unter dem Einfluss ihrer Lehrerin vorübergehend dem Evangelikalismus zugewandt hatte, bevor sie in den 1840er Jahren schrittweise ihren Glauben ablegte. – D. Hrsg.) Lehre in diesem Kirchsprengel zu widerstreben; ich werde nicht träge unserem ehrenwerthen Seelenhirten, der uns ein halbes Jahrhundert lang die wahre Lehre verkündet, einen Schimpf zufügen lassen.«

Es war an jenem Abend überall sehr warm, besonders aber in dem Schenkstübchen des »Rothen Löwen« zu Milby, wo Mr. Dempster saß und sein drittes Glas »Branntwein mit Wasser« mischte. Er war ein großer und ziemlich stämmiger Mann und die vordere Hälfte seiner großen Oberfläche war so gut mit Schnupftabak bestreut, daß die Katze, die ihm unbedacht nahe gekommen, von einem heftigen Nießanfall ergriffen wurde – ein Zwischenfall, der, grausam mißverstanden, ihre schimpfliche Verjagung aus dem Schenkstübchen verursacht hatte. Mr. Dempster hielt das Kinn gewöhnlich eingezogen und ließ das Haupt vorwärtshängen, niedergedrückt vielleicht von dem überwiegenden Hinterhaupt und der vorspringenden Stirn, zwischen welchen sein ziemlich glatt geschorener Scheitel wie ein frischgemähtes Tafelland lag. Die einzigen sonst bemerkbaren Züge waren aufgedunsene Wangen und ein hervorragender, doch lippenloser Mund. Von seiner Nase kann ich nur sagen, daß sie voll Schnupftabak war, und da Mr. Dempster nie dabei betroffen wurde, daß er auf irgend etwas besonders sein Augenmerk richtete, so würde es schwierig gewesen sein, auf die Farbe seiner Augen zu schwören.

»Nun! ich werde mir kein Gewissen draus machen und mich selbst damit quälen, so scheinheiliges Gewinsel zu unterdrücken,« sagte Mr. Tomlinson, der reiche Müller. »Ich weiß recht gut, wozu Eure Betstunden am Sonntag Abend gut sind, – damit die Weibsbilder ihre Liebhaber treffen und Unheil anzetteln. Man hat seine liebe Noth jetzt mit den Mägden – dergleichen hat man zu meiner Mutter Zeit niemals gehört, und das kommt alles von dem In die Schübe laufen und den neumodischen Plänen. Ich lobe mir eine Magd, die nicht lesen und schreiben kann und nicht weiß, in welchem Jahr sie geboren ist. Ich möchte nur wissen, was diese Sonntagsschulen Gutes gestiftet haben sollen. Ei, sonst suchten die Buben Vogelnester am Sonntag in der Frühe; und das war etwas Kapitales – fragt nur einen Farmer; und sehr nett waren die Schnüre von Eierschalen anzuschauen, die in den Häusern der armen Leute aufgehängt waren. Jetzt werdet Ihr das nirgends sehen.«

»Pah!« sagte Mr. Luke Byles, der sich viel auf seine Belesenheit zu gute that und gewohnt war, zufällige Bekannte zu fragen, ob sie etwas von Hobbes Hobbes, Th. (1688-1679), berühmter engl. Philosoph, Verfechter des monarchischen Absolutismus. wüßten; »es ist ganz in der Ordnung, daß die unteren Klassen unterrichtet werden. Aber dieses Sektenwesen innerhalb der Kirche sollte unterdrückt werden. Genau betrachtet sind diese Evangeliker gar keine Hochkirchler mehr; sie sind nicht besser als Presbyterianer.«

»Presbyterianer? was ist das?« forschte Mr. Tomlinson, der oft sagte, sein Vater hätte ihm keine »Büßerhaltung« gegeben, und er kümmere sich nicht darum, wenn man's wisse; er könne die meisten der »gebülteten« Menschen aufkaufen, die ihm je in die Quere gekommen wären.

»Die Presbyterianer«, sagte Mr. Dempster in beträchtlich lauterem Tone als vorher, in der Annahme, daß jedes Verlangen nach Auskunft naturgemäß an ihn gerichtet sein müsse, »sind eine unter der Regierung Karls I. gegründete Sekte, gegründet von einem Manne Namens John Presbyter, der die ganze Brut des dissentirenden Otterngezüchts ausheckte, das in schmutzigen Gassen umherkriecht und den Gutsherrn überlistet, um einige Quadratschuhe Land für ihre Taubenhaus-Conventikel zu bekommen.«

»Nein, nein, Dempster«, sagte Mr. Luke Byles, »da sind Sie im Irrthum. Presbyterianismus ist abgeleitet von dem Wort presbyter, was einen Kirchenältesten bedeutet.«

»Widersprechen Sie mir nicht, Sir!« stürmte Dempster. »Ich sage, das Wort presbyterianisch ist abgeleitet von John Presbyter, einem elenden Fanatiker, der lederne Kleider trug und umherging, von Stadt zu Dorf, und von Dorf zu Weiler, und den Pöbel mit dem Eselsgiftstoff des Dissentismus ansteckte.«

»Hören Sie, Byles, das scheint ein gut Theil wahrscheinlicher,« sagte Mr. Tomlinson in versöhnendem Tone, scheinbar der Meinung, die Geschichte wäre ein Proceß genialer Muthmaßungen.

»Es ist das keine Frage der Wahrscheinlichkeit; es ist eine bekannte Thatsache. Ich könnte Ihnen meine Encyclopädie holen und es Ihnen zeigen.«

»Ich scheere mich den Teufel um Sie, Sir, und um Ihre Encyklopädie«, sagte Mr. Dempster; »ein Mischmasch falscher Auskünfte, von dem Sie eine schlechte Copie aus einem Haufen Makulatur zusammenklaubten. Wollen Sie mir sagen, Sir, daß ich den Ursprung des Presbyterianismus nicht kenne? Ich, Sir, ein Mann, der in der ganzen Grafschaft bekannt ist und betraut mit den Geschäften von einem Dutzend Gemeinden; während Sie, Sir, nicht einmal die Flöhe kennen, die das Gäßchen, in dem Sie geboren sind, plagen.«

Ein lautes und allgemeines Lachen, mit Bemerkungen wie »Es wäre besser, Sie ließen ihn in Ruhe« und »Sie werden Dempster nicht sobald unterkriegen« erstickten die Erwiderung des zu gut unterrichteten Mr. Byles, der, weiß vor Wuth, aufstand und das Schenkstübchen verließ.

»Ein händelsüchtiger, hitziger, revolutionärer Kerl, meine Herren«, fuhr Mr. Dempster fort. »Ich wollte ihn los werden. Wozu braucht er sich in unsere Gesellschaft zu drängen? Ein Mann, der etwa eben so viel Grundsätze hat als Vermögen, d. h. meines Wissens beträchtlich weniger als gar keine. Ein insolventer Atheist, meine Herren. Ein deistischer Schwätzer, der fähig ist, sich in die Kaminecke eines Bierhauses zu setzen und gotteslästerliche Bemerkungen zu machen zu der einzigen, von biervertilgenden Kesselflickern abgegriffenen Zeitung. Ich werde in meiner Gesellschaft keinen Menschen dulden, der leichtfertig über Religion spricht. Die Unterschrift eines Kerls wie Byles würde ein Schandfleck auf unserem Protest sein.«

»Und wie geht's denn vorwärts mit Ihren Unterschriften?« sagte Mr. Pilgrim, der Doktor, dessen große, gestiefelte Person im Schenkzimmer erschienen war, während Mr. Dempster sprach. Mr. Pilgrim war gerade von seiner langen Tagesrunde in den Farmhäusern zurückgekehrt, in deren Verlauf er sich zu zwei herzhaften Mahlzeiten gesetzt hatte, die man vielleicht irrthümlich für Diners gehalten haben würde, wenn er sie nicht für »Bissen« erklärt hätte; und da jedem Bissen einige Gläser »Mixtur« gefolgt waren, die einen weniger freigebigen Procentsatz Wasser enthielten als die Artikel, die er selbst mit jenem dehnbaren Gattungsnamen bezeichnete, war er in jenem Zustand, den sein Pferdeknecht mit poetischer Doppelsinnigkeit andeutete, indem er sagte, daß sein Herr »im Sonnenschein« gewesen sei. Unter diesen Umständen, nach einem schweren Tag, an dem er wirklich kein regelrechtes Mahl gehabt hatte, schien es eine natürliche Erholung, in's Schenkstübchen zum »Rothen Löwen« zu treten, wo er, da es Samstag Nachmittag war, gewiß Dempster treffen und die neuesten Nachrichten über den Protest gegen die abendlichen Betstunden hören würde.

»Haben Sie Ben Landor noch geangelt?« fuhr er fort, während er zwei Stühle nahm, einen für seinen Körper, den andern für sein rechtes Bein.

»Nein«, sagte Mr. Budd, der Kirchenvorsteher, kopfschüttelnd, »Ben Landor hat so seine Art, sich in allem neutral zu halten, und er opponirt seinem Vater nicht gern. Der alte Landor ist ein regelrechter Tryanit. Aber wir haben Ihren Namen noch nicht, Pilgrim.«

»Bah, bah, Budd«, sagte Mr. Dempster sarkastisch, »Sie werden doch nicht erwarten, daß Pilgrim unterschreibt? Er hat ein Dutzend tryanitische Lebern in Behandlung. Nichts bringt solchen Ueberfluß an Galle hervor, wie Scheinheiligkeit und Methodismus.«

»O, ich dachte, da Pratt sich für einen Tryaniten erklärt hat, würden wir gewiß Pilgrim auf unsere Seite bringen.«

Mr. Pilgrim war nicht der Mann, der auf einen Sarkasmus die Antwort schuldig blieb, da die Natur ihn mit einem beträchtlichen Antheil selbstvertheidigenden Witzes begabt hatte. Er stieß in seinen nüchternen Momenten mit der Zunge an, und da reichlicher »Wachholder mit Wasser« zwar nicht die Rede, aber jenes Hinderniß verstärkte, so hatte er Zeit, seine Erwiderung genügend bitter zu machen.

»Nun, um Ihnen die Wahrheit zu sagen, Budd,« sprudelte er, »es geht da ein Gerücht durch die ganze Stadt, daß Deb Traunter schwört, Sie würden sie als Delegatin mit sich nehmen, und man sagt, es wird vor Ihrer Thür, an dem Morgen, wo Sie aufbrechen, einen hübschen Auflauf geben von Leuten, die sich den Ulk anschauen wollen. Da ich Ihre Zärtlichkeit für jenes Mitglied des schönen Geschlechts kenne, dachte ich, Sie würden ihr das unmöglich abschlagen können. Und deshalb halte ich noch etwas zurück mit meiner Unterschrift, da Prendergast den Protest vielleicht nicht gut aufnehmen würde, wenn Deb Traunter mit Ihnen ginge.«

Mr. Budd war ein kleiner, glattköpfiger Junggeselle von fünfundvierzig Jahren, dessen scandalöses Leben seinen moralischeren Nachbarn lange Stoff zu einem Spaß nach dem Diner geliefert hatte. Er hatte kein anderes auffälliges Merkmal, als daß er ein Gerber von cholerischem Temperament war, so daß Ihr Euch hättet wundern können, warum er zum Kirchenvorsteher gewählt worden, wenn ich Euch, liebe Leser, nicht sagte, daß er erst kürzlich durch Mr. Dempsters Anstrengungen erkoren worden war, damit sein Eifer gegen die drohenden Abendbetstunden durch die Würde des Amtes unterstützt würde.

»Geh'n Sie, geh'n Sie, Pilgrim«, sagte Mr. Tomlinson, Mr. Budd's Rückzug deckend, »ich weiß, Sie tragen gern des Ausrufers Rock, auf der einen Seite grün, auf der andern roth. Sie waren zu Paddiford Common, um Tryan predigen zu hören – Sie können's nicht leugnen.«

»Thue ich auch nicht; und eine prächtige Predigt war's. 's ist schade, daß Sie nicht dort waren. Die Predigt war gerichtet an die ›Armen im Geist.‹«

»Nein, nein, mich kriegen Sie nicht dorthin«, erwiederte Mr. Tomlinson, nicht im geringsten verletzt, »er predigt ohne Buch, sagen sie, gerade wie ein Dissenter. Muß eine confuse Geschichte sein.«

»Das ist nicht das Schlimmste«, sagte Mr. Dempster, »aber er predigt gegen die guten Werke; sagt, gute Werke sind nicht nöthig zur Seligkeit – eine satirische, antinomistische, anabaptistische Lehre. Sagt einem Menschen, er werde nicht selig durch seine guten Werke, und ihr öffnet der Immoralität Thor und Thür. Man sieht es an diesen heuchlerischen Neuerern; sie sind Alle im geheimen schlecht; heuchlerische, winselnde Kerle mit glatten Gesichtern, die vorgeben, Ingwer sei nicht heiß in ihrem Munde, und alle unschuldigen Vergnügen verschreien; ihre Herzen sind nur um so schlechter wegen ihres scheinheiligen Aeußeren. Sind wir nicht gewarnt worden vor Jenen, die die Außenseite der Kanne und der Schüssel rein machen? Da ist nun dieser Tryan, der geht herum und betet mit alten Weibern und singt mit den Findelkindern; aber worauf hat er während der ganzen Zeit sein Augenmerk gerichtet? Ein herrschsüchtiger, ehrgeiziger Jesuit, meine Herren; Alles was er verlangt, ist, seine Beine weit genug in's Kirchspiel hereinzustrecken, damit er in Crewes Schuhe schlüpfen kann, wenn der alte Herr stirbt. Verlassen Sie sich darauf, so oft Sie sehen, daß ein Mensch besser sein will als seine Nebenmenschen, der Mann hat entweder ein geheimes Ziel im Auge, oder sein Herz ist angefressen von geistlichem Dünkel.«

Als wolle er sich selbst gegen diese schreckliche Sünde schützen, ergriff Mr. Dempster die Branntweinflasche und goß eine größere Menge als gewöhnlich heraus.

»Haben Sie sich über Ihren dritten Delegirten schon schlüssig gemacht?« sagte Mr. Pilgrim, dessen Geschmack eher für's Detail als für die Dissertation war.

»Da sitzt der Mann«, antwortete Dempster, auf Mr. Tomlinson zeigend. »Wir brechen am Dienstag Morgen nach der Rektorei zu Elmstoke auf; wenn Sie uns also Ihre Unterschrift geben wollen, müssen Sie sich ziemlich rasch entschließen, Pilgrim.«

Mr. Pilgrim wollte das keineswegs, er sagte also nur: »Alles in Allem, es sollte mich nicht wundern, wenn sich Tryan als zu stark für Sie erweisen sollte. Er hat eine gut geölte Zunge, und hat vielleicht Prendergast zu dem Entschluß überredet, ihm beizustehen.«

»Keine Furcht deshalb«, sagte Dempster in zuversichtlichstem Ton, »ich will ihn schon herumkriegen. Tryan hat einen Gegner, der ihm gewachsen ist. Habe eine Menge Ruthen im Salzwasser für Tryan.«

In diesem Augenblick betrat der Hausknecht das Schankstübchen und gab dem Advokaten einen Brief in die Hand, indem er sagte: »da ist eben Trowers Bedienter mit einem Gig in den Hof gefahren und hat diesen Brief gebracht.«

Mr. Dempster las den Brief und sagte: »Sagen Sie ihm, er solle den Wagen umwenden – ich werde in einer Minute bei ihm sein. Da, laufen Sie zu Gruby und lassen Sie die Dose füllen – rasch!«

»Trower ist schlechter »Trower's worse, I suppose«: ›Trower geht's schlechter‹ … – Anm.d.Hrsg., vermuth' ich; he, Dempster? Will haben, daß Sie sein Testament ändern, he?« sagte Mr. Pilgrim.

»Geschäft – Geschäft – Geschäft – weiß nicht genau, was«, antwortete der vorsichtige Dempster, indem er bedachtsam von seinem Stuhl sich erhob, seinen niedrigen Hut aufsetzte und mit langsamen, aber nicht schwankenden Schritten das Schenkstübchen verließ.

»Sah nie seinesgleichen, oder ich laß' mich todtschießen«, sagte Mr. Tomlinson, dem Advokaten bewundernd nachblickend. »Er trank fast eine ganze Flasche Branntwein, seit wir dasitzen; und ich will eine Guinee wetten, wenn er zu Trowers kommt, ist sein Kopf so klar wie der meine. Er weiß mehr von den Gesetzen, wenn er betrunken ist, als alle die Andern, wenn sie nüchtern sind.«

»Ja, und von anderen Dingen außer den Gesetzen«, sagte Mr. Budd. »Haben Sie bemerkt, wie er Byles abtrumpfte wegen der Presbyterianer? Wahrhaftig, er weiß aber auch Alles. Er studirte äußerst angestrengt, als er ein junger Mann war.«



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