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Elftes Kapitel.

Da der folgende Sonntag regnerisch war, so wurde beschlossen, daß die Familie nicht wie gewöhnlich nach Cumbermoor zur Kirche gehen, sondern daß Mr. Gilfil, der nur einen Nachmittagsgottesdienst in seiner Curatie zu halten hatte, den Morgengottesdienst in der Kapelle leiten solle.

Etwas vor der bestimmten elften Stunde kam Caterina in's Gesellschaftszimmer herab; sie sah so sehr unwohl aus, daß sie eine besorgte Frage Lady Cheverels hervorrief, die, nachdem sie erfahren, daß sie heftiges Kopfweh habe, darauf bestand, daß sie dem Gottesdienst nicht beiwohnen solle, und sie sogleich auf einem Sopha nächst dem Feuer sorglich einhüllte: dann gab sie ihr einen Band von Tillotson's Predigten als geeignete Lektüre in die Hand, wenn Caterina sich zu diesem Mittel der Erbauung stark genug fühlen sollte.

Ausgezeichnete Medicin für die Seele sind des guten Erzbischofs Predigten, aber eine Medicin, die unglücklicherweise nicht zu Tinas Zustand paßte. Sie saß da mit dem offenen Buch auf den Knieen, ihre dunkeln Augen gedankenlos auf das Porträt jener hübschen Lady Cheverel, Gattin des berühmten Sir Anthony, geheftet. Sie blickte auf das Gemälde, ohne daran zu denken, und die schöne blonde Dame schien auf sie herabzublicken mit jener wohlwollenden Ruhe, jener milden Verwunderung, mit welcher glückliche, sich selbst beherrschende Frauen so leicht auf ihre erregteren und schwächern Schwestern niederschauen.

Caterina dachte an die nahe Zukunft – an die Hochzeit, die so bald gefeiert werden sollte – an Alles, was sie in den nächsten Wochen zu durchleben haben würde.

»Ich wünschte, ich könnte recht krank werden und sterben vorher«, dachte sie. »Wenn Leute sehr krank werden, bekümmern sie sich um nichts mehr. Die arme Patty Richards sah so glückselig aus, als ihre Kräfte abnahmen. Sie schien sich gar nicht mehr um ihren Liebhaber zu kümmern, mit dem sie versprochen war und liebte den Duft der Blumen so sehr, daß ich sie ihr mit Gewalt nehmen mußte. O, wenn ich nur irgend etwas lieb haben könnte – wenn ich nur an etwas Anderes denken könnte! Wenn jene schrecklichen Gefühle wichen, ich machte mir nichts daraus, nicht glücklich zu sein. Ich würde nichts verlangen – und ich könnte Alles thun, was Sir Christopher und Lady Cheverel Freude machen würde. Aber wenn jene Wuth und jener Zorn über mich kommt, weiß ich nicht, was ich thun soll. Ich fühle den Grund nicht unter mir; ich fühle nur das Pochen in Kopf und Herz, und es ist mir, als müsse ich etwas Schreckliches thun. O! ich möchte nur wissen, ob Jemand vor mir jemals wie ich fühlte. Ich muß sehr schlecht sein. Aber Gott wird Mitleid mit mir haben; Er weiß Alles, was ich zu ertragen habe.«

In dieser Weise verging die Zeit, bis Tina den Schall von Stimmen auf dem Gang hörte und bemerkte, daß der Band von Tillotson auf den Boden geglitten war. Sie hatte ihn kaum aufgehoben und mit Bestürzung bemerkt, daß sie ihn verkehrt in die Hand genommen, als Lady Asher, Beatrice und Capitän Wybrow eintraten, alle mit jener muntern und heitern Miene, die, wie man oft bemerkt, häufig durch den Schluß einer Predigt hervorgerufen wird.

Lady Asher kam sogleich herzu und setzte sich neben Caterina. Mylady war bedeutend erfrischt worden durch einen Schlummer, und war voller Kraft zu einem Monolog.

»Nun, meine liebe Miß Sarti, wie geht es Ihnen jetzt? – ein wenig besser, seh' ich. Ich dachte es mir, wenn Sie ruhig dasäßen. Dieses Kopfweh, wissen Sie, kommt alles von Schwäche her. Sie dürfen sich nicht überanstrengen und müssen Bitterwasser trinken. Ich hatte das nämliche Kopfweh, als ich in Ihrem Alter war, und der alte Doktor Samson sagte immer zu meiner Mutter: ›Madame, was Ihre Tochter leidet, kommt von Schwäche.‹ Er war ein so seltsamer, alter Mann, der Dr. Samson. Aber ich wünschte, Sie hätten diesen Morgen die Predigt gehört. So eine ausgezeichnete Predigt! Sie handelte von den zehn Jungfrauen: fünf von ihnen waren thöricht, und fünf waren klug, wie Sie wissen; und Mr. Gilfil legte das Alles aus. Was für ein angenehmer junger Mann er ist! – so ruhig und anständig, und ein so ausgezeichneter Whistspieler. Ich wünschte, wir hätten ihn zu Farleigh, Sir John würde ihn über alle Maßen gern gehabt haben: er ist so ruhig beim Kartenspiel, und Sir John war ein so tüchtiger Spieler, ja das war er. Und unser Rektor ist ein sehr jähzorniger Mann; er kann's nicht ertragen, wenn er beim Kartenspiel Geld verliert. Ich meine, ein Geistlicher sollte sich nichts daraus machen, wenn er Geld verliert: was meinen Sie dazu? – nun?«

»O bitte, Lady Asher«, fiel Beatrice in ihrem gewohnten überlegenen Ton ein, »ermüden Sie doch die arme Caterina nicht mit solchen uninteressanten Fragen. Ihr Kopf scheint Sie noch immer sehr zu schmerzen, Theure«, fuhr sie in bedauerndem Ton, zu Caterina gewendet fort; »nehmen Sie doch mein Essigfläschchen, und behalten Sie's in ihrer Tasche. Es wird Sie vielleicht hie und da erfrischen.«

»Nein, ich danke Ihnen«, antwortete Caterina: »ich will es Ihnen nicht wegnehmen.«

»Aber, meine Liebe, ich benütze es nie; Sie müssen es nehmen,« bestand Miß Asher, es Tina s Hand dicht nähernd. Sie erröthete tief, stieß das Fläschchen mit einiger Ungeduld weg und sagte: »Ich danke Ihnen, ich gebrauche diese Sachen nie. Ich liebe den Geruch nicht.«

Miß Asher steckte das Fläschchen in erstauntem und hochmüthigem Schweigen wieder in ihre Tasche, und Capitän Wybrow, der in einiger Unruhe zugesehen hatte, sagte hastig: »Sehen Sie! es ist jetzt ganz hell draußen. Es ist noch Zeit zu einem Spaziergang vor dem Frühstück. Kommen Sie, Beatrice, nehmen Sie Hut und Mantel und lassen Sie uns ein halbes Stündchen im Park spazieren gehen.«

»Ja, thue das, meine Liebe«, sagte Lady Asher, »und ich will gehen und sehen, ob Sir Christopher seine Promenade in der Gallerie macht.«

Sobald sich die Thüre hinter den beiden Damen geschlossen, wendete sich der Capitän, der mit dem Rücken gegen das Feuer stand, zu Caterina und sagte in einem Ton ernsthaften Vorwurfs: »Meine liebe Caterina, ich möchte Sie bitten, Ihre Gefühle mehr zu beherrschen: Sie sind wirklich grob gegen Miß Asher, die ganz verletzt ist, wie ich sehe. Bedenken Sie nur, wie seltsam Ihr Benehmen ihr erscheinen muß. Sie wird wissen wollen, was die Ursache davon sein kann. Kommen Sie, liebe Tina«, fügte er hinzu, indem er sich ihr näherte und ihre Hand ergreifen wollte; »um Ihrer selbst willen lassen Sie mich Sie bitten, ihre Aufmerksamkeiten höflich aufzunehmen. Sie ist Ihnen wirklich sehr freundlich gesinnt, und ich würde so glücklich sein, wenn ich Sie als Freundinnen sähe.«

Caterina war bereits in einem solchen Zustand krankhafter Empfindlichkeit, daß die unschuldigsten Worte Capitän Wybrow's aufregend auf sie gewirkt hätten, wie das Schwirren der zartesten Schwinge auf einen nervösen Kranken zu wirken pflegt. Aber dieser Ton wohlwollenden Vorwurfs war unerträglich. Er hatte ihr ein großes und ungesühntes Unrecht zugefügt, und jetzt maßte er sich ihr gegenüber eine wohlwollende Miene an. Das war ein neuer Schimpf. Seine Versicherung des Wohlwollens war eine Unverschämtheit.

Caterina riß ihre Hand weg und sagte empört: »Lassen Sie mich allein, Capitän Wybrow! Ich störe Sie nicht.«

»Caterina, warum wollen Sie so heftig sein – so ungerecht gegen mich? Für Sie bin ich besorgt. Miß Asher hat bereits bemerkt, wie seltsam Ihr Betragen gegen sie und mich ist, und es bringt mich in die größte Verlegenheit. Denn was kann ich ihr darauf sagen?«

»Sagen?« brach Caterina mit größter Bitterkeit aus, indem sie aufstand und auf die Thür zuschritt; »sagen Sie ihr, daß ich ein thörichtes Mädchen bin, mich in Sie verliebt habe und auf sie eifersüchtig bin, aber daß Sie nie ein anderes Gefühl als Mitleid gegen mich gehegt hätten – Sie haben sich nie anders als freundschaftlich gegen mich benommen. Sagen Sie ihr das, und sie wird vielleicht eine noch bessere Meinung von Ihnen bekommen.«

Tina äußerte dies mit dem bittersten Sarkasmus, den ihre Gedanken ihr eingaben, ohne den geringsten Argwohn, daß dieser Sarkasmus einen Theil seiner Bitterkeit der Wahrheit entlehnte. Unter all dem Bewußtsein erlittenen Unrechts, das eher instinktiv als reflexiv war – unter all der Raserei der Eifersucht und den unbezähmbaren Eingebungen des Grolls und der Rachsucht – unter all' dieser glühenden Leidenschaft lag noch ein verborgener Krystalltropfen von Vertrauen, Selbstanklage und Glauben, daß Anthony sich bemühe, das Rechte zu thun. Die Liebe war noch nicht ganz dahin, um die Feuer des Hasses zu nähren. Tina glaubte noch immer, daß Anthony mehr für sie fühle, als er zu fühlen schien; sie war noch weit davon entfernt, ihn wegen eines Unrechts in Verdacht zu haben, worüber ein Weib noch mehr als über Unbeständigkeit grollt. Und sie sprudelte diesen Hohn nur hervor als den schärfsten Ausdruck, den sie für ihren augenblicklichen Zorn finden konnte.

Als sie nahezu in der Mitte des Zimmers stand – ihr kleiner Körper zitternd unter dem für sie zu starken Anprall der Leidenschaften, mit bleichen Lippen und blitzenden Augen – öffnete sich die Thür und Miß Asher zeigte sich, schlank, blühend und strahlend in ihrem Promenadecostüm. Als sie eintrat, trug ihr Gesicht das Lächeln, das dem Auf- und Abtreten einer jungen Dame angemessen ist, die fühlt, daß ihre Anwesenheit eine interessante Thatsache ist: aber im nächsten Augenblick sah sie mit ernstem Staunen auf Caterina und warf dann einen Blick zornigen Argwohns auf Capitän Wybrow, der mit müder und unruhiger Miene dastand.

»Sie sind wohl zu sehr engagirt, um auszugehen, Capitän Wybrow? Ich will allein gehen.«

»Nein, nein, ich komme schon«, antwortete er, auf sie zueilend und sie aus dem Zimmer führend, indem er die arme Caterina mit der Reaction von Scham und Selbstanklage allein ließ, die ihrem Ausbruch der Leidenschaft folgte.



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