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Siebentes Kapitel.

Caterina riß sich von Anthony los mit der verzweifelten Anstrengung Einer, die gerade noch Fassung genug hat, um sich bewußt zu sein, daß die Kohlendämpfe ihre Sinne bemeistern werden, wenn sie sich nicht einen Weg an die frische Luft bahnt; aber als sie ihr Zimmer erreichte, war sie noch zu betäubt von jenem momentanen Wiederaufleben alter Regungen, zu sehr erregt durch die plötzliche Rückkehr der Zärtlichkeit in ihrem Geliebten, um zu wissen, ob Schmerz oder Lust vorherrschte. Es war, als ob ein Wunder in ihrer kleinen Gefühlswelt sich ereignet und die Zukunft ganz vage gemacht hätte – zu einem trüben Morgennebel von Möglichkeiten an Stelle des düstern Wintertageslichts und des klaren, scharfen Umrisses schmerzlicher Gewißheit,

Sie fühlte das Bedürfniß rascher Bewegung, Sie mußte trotz des Regens hinaus. Glücklicherweise zeigte sich eine schmale Stelle in dem Wolkenvorhang, die zu versprechen schien, daß jetzt, gegen Mittag, der Himmel sich aufklären wolle. Caterina dachte bei sich: »Ich will zum Moosland gehen und Mr. Bates den Halswärmer bringen, den ich ihm gefertigt, dann wird Lady Cheverel sich nicht so sehr über meinen Ausgang wundern.« Bei der Saalthür fand sie Rupert, den alten Bluthund, auf der Matte gelagert, mit dem Entschluß, daß der ersten Person, die verständig genug wäre, einen Spaziergang zu machen, die Ehre seiner Billigung und Gesellschaft zu Theil werden solle. Wie er seinen großen schwarz und gelbbraunen Kopf unter ihre Hand schob und mit kräftiger Beredsamkeit schweifwedelte und endlich den Gipfel der Bewillkommnung dadurch erreichte, daß er in die Höhe sprang, ihr das Gesicht zu lecken, war Caterina dem alten Hund für seine Freundlichkeit ganz dankbar. Thiere sind so angenehme Freunde – sie stellen keine Fragen, sie machen keine kritischen Bemerkungen.

Das »Moosland« war ein entlegener Theil der Parkgründe, umzirkelt von dem kleinen Strom, der dem Teich entfloß; an einem nassen Tag hätte Caterina sicherlich kaum einen weniger passenden Weg wählen können: denn obgleich der Regen nachließ und bald darauf ganz aufhörte, so fiel doch noch immer ein starker Schauer von den Bäumen, die sich über dem größten Theil ihres Weges wölbten. Aber sie fand gerade die erwünschte Erleichterung von ihrer fieberischen Erregung darin, sich auf den nassen Pfaden mit einem Regenschirm abzumühen, der ihrem Arm Schmerz verursachte.

Diese Anstrengung war für ihren winzigen Körper etwa was ein Jagdtag für Mr. Gilfil, der zu Zeiten seine Anfälle von Eifersucht und Traurigkeit loszuwerden hatte und weise seine Zuflucht nahm zu dem unschädlichen Opium der Natur – Anstrengung.

Als Caterina die hübsche hölzerne Bogenbrücke erreichte, die den einzigen Zugang zu dem »Moosland« für Nicht-Schwimmfüße bildete, hatte die Sonne die Wolken bemeistert und schien durch die Zweige der hohen Ulmen, die ein tiefes Nest für des Gärtner's Häuschen bildeten – die Regentropfen in Diamanten verwandelnd und die Kressen bluten, die über die Vorhalle und das flache Strohdach krochen, einladend, ihre feuerfarbenen Köpfe wieder zu erheben. Die Raben krächzten in vielstimmiger Eintönigkeit, offenbar – in bemerkenswerther Annäherung an menschliche Intelligenz – große Hilfsquellen der Konversation im Witterungswechsel findend. Der moosige Rasenboden, geziert mit den breiten Blättern sumpfliebender Pflanzen, erzählte, daß Mr. Bates' Nest beim besten Wetter ziemlich feucht war: aber er war der Meinung, daß ein wenig äußere Feuchtigkeit keinem Menschen schade, der nicht verkehrterweise jenes naheliegende und vorbeugende Gegengift »Rum mit Wasser« verabsäume.

Caterina liebte dieses Nest. Jeder Gegenstand darin, jeder Ton, der es heimsuchte, war ihr vertraut gewesen seit den Tagen, da sie auf Mr. Bates' Arm hierher getragen wurde, der leise krächzende Töne, die Krähen nachahmend, hervorbrachte, wobei sie in die kleinen Hände klatschte aus Freude über die grünen Frösche, die in dem feuchten Grase hüpften, und ernsten festen Auges auf des Gärtner's Geflügel blickte, das in den Hühnerhäusern gluckste. Und jetzt erschien ihr der Fleck hübscher denn je: er lag Miß Asher mit ihrer glänzenden Schönheit, ihren persönlichen Ansprüchen und kleinen höflichen Bemerkungen so ganz aus dem Wege. Sie dachte, Mr. Bates wäre vielleicht noch nicht zum Essen hereingekommen, und so wollte sie sich niedersetzen und ihn erwarten.

Aber sie irrte sich. Mr. Bates saß in seinem Armsessel, sein Taschentuch über's Gesicht geworfen, die beste Art, jene überflüssigen Stunden zwischen den Mahlzeiten zu verbringen, wenn einen das Wetter an's Haus fesselt. Aufgeschreckt durch das wüthende Bellen seines angeketteten Bulldoggs, erspähte er seinen sich nähernden kleinen Liebling und zeigte sich sogleich im Thürrahmen, unverhältnißmäßig groß erscheinend im Vergleich mit der Höhe seines Häuschens. Mittlerweile begann der Bulldogg, nachlassend in der Strenge seines amtlichen Benehmens, einen freundschaftlichen Ideenaustausch mit Rupert.

Mr. Bates' Haar war jetzt grau, aber seine Gestalt nichtsdestoweniger stramm, und sein Gesicht sah um so röther aus, da es im malerischen Contrast stand mit dem tiefen Blau seines baumwollenen Taschentuchs und seiner leinenen Schürze, die er als Gürtel um seine Taille gedreht hatte.

»Ei, hol's der Henker, Miß Tiny!« rief er aus. »wie kommen Sie dazu, herauszukommen und sich die Füße zu durchnässen wie eine kleine Bisamente an einem solchen Tag wie heute? Aber deswegen freut's mich doch, Sie zu sehen. Hier, Esther«, rief er seiner alten buckligen Haushälterin zu, »nehmen Sie des Fräuleins Regenschirm und spannen Sie ihn auf zum Trocknen. Und Sie, Miß Tiny, kommen Sie herein, setzen Sie sich zum Feuer und trocknen Sie Ihre Füße und nehmen Sie etwas Warmes zu sich, daß Sie nicht den Schnupfen bekommen.«

Mr. Bates ging, unter der Thüröffnung sich tief bückend, voran in sein kleines Wohnzimmer und rückte seinen Armsessel, nachdem er dessen gemustertes Kissen aufgeschüttelt, so nahe ans Feuer, daß er Tina ganz hübsch hätte braten können.

»Ich danke Ihnen, Onkel Bates« (Caterina behielt ihre kindlichen Beinamen für ihre Freunde – und das war einer von ihnen – bei); »nicht ganz so dicht an's Feuer, denn es ist mir warm vom Gehen,«

»Ja, aber Ihre Schuhe sind dünn und naß, und Sie müssen Ihre Füße auf's Kamingitter stellen. Hübsch große Füße wahrhaftig – etwa von der Größe eines hübschen großen Löffels. Möchte nur wissen, wie Sie's fertig bringen, darauf zu stehen. Und nun, was wollen Sie haben, um sich innerlich zu wärmen? einen Tropfen heißen alten Wein?«

»Nein, nichts zum Trinken, danke Ihnen; es ist noch nicht lang seit dem Frühstück,« sagte Caterina, den Halswärmer aus ihrer tiefen Tasche hervorziehend. Die Taschen waren geräumig in jenen Tagen. »Sehen Sie her, Onkel Bates; da bringe ich Ihnen etwas. Ich machte ihn extra für Sie. Sie müssen ihn diesen Winter tragen und ihren rothen dem alten Brooks geben.«

»Ah, Miß Tiny, aber der ist schön! Und Sie haben ihn extra mit ihren kleinen Fingerchen für einen alten Burschen gemacht, wie ich einer bin! Das ist sehr freundlich von Ihnen und ich sage Ihnen, ich will ihn tragen und stolz darauf sein. Diese Streifen da, blau und weiß, machen ihn selten schön.«

»Ja, er wird zu Ihrer Gesichtsfarbe passen, besser wie der alte scharlachrothe, wissen Sie. Ich weiß Mrs. Sharp wird noch verliebter werden, wenn sie sich vor ihr in dem neuen zeigen.«

»Meine Gesichtsfarbe, Sie kleine Spitzbübin! Sie machen sich über mich lustig. Aber weil wir von der Gesichtsfarbe reden, was hat doch die zukünftige junge Frau für hübsche rothe Wangen! hol's der Henker! sie sieht hübsch und schön aus zu Pferde – sitzt so gerade wie ein Pfeil, mit einer Figur wie eine Statue! Mrs. Sharp hat versprochen, mich hinter einer der Thüren zu verstecken, wenn die Damen hinuntergehen zum Diner, so daß ich die Junge in vollem Putz sehen kann, mit allen Locken u. s. w. Mrs. Sharp sagt, sie ist beinahe schöner als Mylady in ihrer Jugend war; und ich meine, Sie werden nicht viele im Land finden, die daran hin können.«

»Ja, Miß Asher ist sehr hübsch,« sagte Caterina ziemlich schwach, da sie das Gefühl ihrer Unbedeutendheit bei dieser Schilderung des Eindrucks, den Miß Asher auf Andere machte, zurückkehren fühlte.

»Nun, ich hoffe, sie ist gut dazu und wird Sir Christopher und Mylady eine gute Nichte sein. Mrs. Griffin, die Kammerfrau, sagt, daß sie ziemlich herbe und heikel in ihren Kleidern sei. Aber sie ist jung – sie ist jung; das wird sich geben, wenn sie einen guten Mann hat und Kinder und an etwas Anderes zu denken. Sir Christopher ist fröhlich und vergnügt, soviel ich sehe. Er sagte zu mir neulich: ›Nun Bates‹, sagte er, ›was denken Sie von Ihrer zukünftigen jungen Frau?‹ Und ich sagte: ›Ei, Euer Ehren, ich meine sie ist ein so hübsches Mädchen, als ich nur eins gesehen: und ich wünsche dem Capitän Glück zu einer hübschen Familie, und Euer Ehren Leben und Gesundheit, um es zu sehen!‹ Mr. Warren sagt, daß der Herr dafür ist, daß bald Hochzeit gehalten wird, und so wird's wohl geschehen, ehe der Herbst aus ist.«

Während Mr. Bates so fortsprach, fühlte Caterina ihr Herz sich schmerzlich zusammenziehen. »Ja«, sagte sie aufstehend, »so glaube ich auch. Sir Christopher liegt sehr viel daran. Aber ich muß gehen, Onkel Bates; Lady Cheverel wird mich brauchen, und es ist jetzt Ihre Dinerzeit.«

»Na, mein Diner hat gar nichts zu bedeuten; aber ich darf Sie nicht aufhalten, wenn Mylady Sie braucht, wenn ich Ihnen auch noch nicht halb genug für den Halswärmer gedankt habe. Wirklich, er ist wunderschön. Aber Sie sehen ganz weiß und traurig aus, Miß Tiny; ich glaube fast, Sie sind krank; und das Spazierengehen bei der Nässe ist nicht gut für Sie.«

»O, das schadet mir nichts«, sagte Caterina, hinauseilend und ihren Regenschirm aus der Küche holend. »Ich muß jetzt wirklich fort; also leben Sie wohl.«

Sie trippelte fort, Rupert zu sich rufend, während der gute Gärtner, die Hände tief in die Taschen gesteckt, dastand und ihr kopfschüttelnd mit ziemlich melancholischer Miene nachsah.

»Sie ist hübscher und zarter wie je«, sagte er halb zu sich und halb zu Esther. »Sollte mich nicht wundern, wenn sie hinwelkte wie die Cyclamen, die ich verpflanzt habe. Sie gemahnt mich ein wenig daran, wie die an ihren dünnen Stengelchen hängen, so weiß und zart.«

Das arme kleine Ding hungerte auf dem Rückweg nicht mehr nach der kalten, feuchten Luft als Gegenmittel für innere Erregung, sondern sie hatte eine Kälte im Herzen, welche die äußere Kälte nur niederdrückender machte. Das goldene Sonnenlicht strahlte durch die triefenden Aeste wie ein sichtbar anwesender Gott, und die Vögel sangen und trillerten ihre neuen Herbstlieder so lieblich, daß es schien, als wären ihre Kehlchen jetzt, ebenso wie die Luft, nach dem Regen nur um so reiner; aber Caterina bewegte sich durch all diese Lust und Schönheit, wie ein armes verwundetes Häschen sich durch die süßen Kleebüsche schleppt. Mr. Bates' Worte über Sir Christophers Freude, Miß Ashers Schönheit und das nahe Bevorstehen der Hochzeit waren über sie gekommen, wie der Druck einer kalten Hand, der sie aus verwirrten Träumen zur Empfindung einer harten greifbaren Wirklichkeit emporschreckte. So ist es bei den Gefühlsmenschen, deren Gedanken nicht mehr sind als die vom Gefühl geworfenen Schatten; bei ihnen sind Worte Thatsachen und haben, selbst wenn ihre Unwahrheit auf der Hand liegt, eine Herrschaft über ihr Lächeln und ihre Thränen. Caterina trat wieder in ihr Zimmer, mit keiner Veränderung ihres früheren verzweifelten und unglücklichen Gemüthszustands als einem verschärften Gefühl der von Anthony ihr zugefügten Unbill. Sein Benehmen am Morgen gegen sie war ein neues Unrecht. Eine Liebkosung zu erhaschen, wo sie mit Recht einen Ausdruck der Reue, des Bedauerns, des Mitgefühls beanspruchte, hieß sie geringer schätzen als je.



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