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Siebzehntes Kapitel.

Einer der ersten Gedanken Mrs. Sharps am nächsten Morgen war auf Caterina gerichtet, die sie am Abend vorher nicht hatte besuchen können und die sie durchaus nicht gern – aus einer nahezu gleichheitlichen Mischung von Zuneigung und Selbstgefühl – Mrs. Bellamys Sorge überließ. Um halb neun Uhr ging sie hinauf nach Tinas Zimmer, geneigt zu wohlwollenden Vorschriften über Dosen, Diät und Bettliegen. Aber beim Öffnen der Thür fand sie das Bett glatt und leer. Augenscheinlich hatte Tina nicht darin geschlafen. Was konnte das bedeuten? War sie die ganze Nacht auf gewesen und jetzt spazieren gegangen? Das arme Ding war vielleicht ganz verstört durch die gestrigen Vorfälle; es war eine solche Erschütterung – Capitän Wybrow so zu finden; sie war vielleicht nicht bei Sinnen. Mrs. Sharp blickte besorgt nach der Stelle, wo Tina ihren Hut und Mantel bewahrte; sie waren nicht da, sie hatte also zum mindesten so viel Geistesgegenwart gehabt, sie anzuziehen. Noch immer fühlte sich die gute Frau sehr beunruhigt, und sie eilte, um Alles Mr. Gilfil zu erzählen, der, wie sie wußte, in seinem Studirzimmer war.

»Mr. Gilfil«, sagte sie, sobald sie die Thüre hinter sich geschlossen hatte, »mir ahnt Schlimmes betreffs Miß Sarti.«

»Was giebt's?« sagte der arme Maynard in schrecklicher Furcht, daß Caterina etwas über den Dolch verrathen habe.

»Sie ist nicht in ihrem Zimmer und hat diese Nacht nicht in ihrem Bette geschlafen, und ihr Hut und Mantel sind fort.«

Mr. Gilfil war einige Minuten unfähig zum Sprechen. Er war überzeugt, daß das Schlimmste geschehen war: Caterina hatte sich selbst entleibt. Der starke Mann sah plötzlich so krank und hilflos aus, daß Mrs. Sharp über die Wirkung ihrer Uebereilung zu erschrecken begann.

»O, Sir, es thut mir im Herzen weh, Sie so zu erschüttern; aber ich wußte nicht, wo ich sonst hin gehen sollte.«

»Nein, nein, Sie thaten ganz recht.«

Er sammelte einige Kraft gerade aus seiner Verzweiflung. Es war Alles vorbei, und er hatte jetzt nichts zu thun, als zu leiden und den Leidenden zu helfen. Er fuhr mit festerer Stimme fort:

»Lassen Sie ja Niemand eine Silbe davon erfahren. Wir dürfen Lady Cheverel und Sir Christopher nicht alarmiren. Miß Sarti geht vielleicht nur im Garten spazieren. Sie war schrecklich erregt von dem, was sie gestern sah, und vielleicht nur aus Ruhelosigkeit unfähig, sich niederzulegen. Gehen Sie jetzt ruhig durch die leeren Zimmer und sehen Sie, ob sie im Hause ist. Ich will gehen und im Park nach ihr suchen.«

Er ging hinunter und sogleich – um im Hause keinen Lärm zu erregen – auf das Moosland zu, um Mr. Bates zu suchen, den er auf dem Rückweg von seinem Frühstück traf. Dem Gärtner vertraute er seine Furcht betreffs Caterina an, indem er als Grund für diese Befürchtung die Wahrscheinlichkeit angab, daß die Erschütterung, die sie gestern erlitten, ihren Geist verwirrt habe, und indem er ihn bat, Leute auszusenden, um sie im Park und Garten zu suchen und nachzufragen, ob man sie nicht in den Parkhäuschen gesehen habe; und wenn man auf diese Weise nichts von ihr fände oder höre, solle man keine Zeit verlieren, und die Wasser rings um das Manor ablassen.

»Gott verhüte, daß es so sei, aber wir werden uns erleichtert fühlen, wenn wir überall nachgesucht haben.«

»Verlassen Sie sich auf mich, Mr. Gilfil. Ich würde aber lieber den Rest meines Lebens im Tagelohn arbeiten, als daß ihr etwas geschehen sein sollte.«

Der gute Gärtner schritt in tiefer Betrübniß zu den Ställen, um die Pferdeknechte zu Pferde durch den Park zu senden.

Mr. Gilfils nächster Gedanke war, das Krähennest zu durchsuchen; sie mochte vielleicht den Schauplatz von Capitän Wybrows Tode aufsuchen. Er ging hastig über jeden Hügel, blickte hinter jeden dicken Baum und folgte jeder Windung der Wege. In Wirklichkeit hatte er wenig Hoffnung, sie dort zu finden; aber die bloße Möglichkeit wehrte für einige Zeit der fatalen Ueberzeugung, daß Caterinas Körper im Wasser gefunden werden würde. Als das Krähennest vergeblich durchsucht war, schritt er schnell zu dem Ufer des kleinen Flusses, der eine Seite der Parkgründe begrenzte. Der Fluß war fast überall zwischen Bäumen verborgen und hatte eine Stelle, wo er breiter und tiefer als sonst irgendwo war – sie würde wahrscheinlich eher hierher gekommen sein, als zu dem Teich. Er eilte vorwärts mit angestrengten Augen, vor denen er in der Einbildung immer sah, was er zu sehen fürchtete.

Da liegt etwas Weißes hinter jenem überhängenden Ast. Die Kniee zittern ihm. Er scheint einen Theil ihres Anzugs zu sehen, der an einem Zweige hängen geblieben, und ihr liebes, todtes Antlitz aufwärts gewendet. O Gott, gieb Kraft Deinem Geschöpfe, dem Du diese tödtliche Pein auferlegt! Er ist nahe bei dem Ast, und der weiße Gegenstand bewegt sich. Es ist ein Wasservogel, der seine Schwingen ausbreitet und kreischend fortfliegt. Er weiß kaum, ob es eine Erleichterung oder Enttäuschung, daß sie nicht da ist. Die Ueberzeugung, daß sie todt sei, drückt deshalb nicht weniger schwer mit ihrem kalten Gewicht auf ihn.

Als er den großen Teich im Angesicht des Manor erreichte, fand er dort Mr. Bates mit einer Gruppe von Männern, die sich vorbereiteten zu der schrecklichen Suche, die ihre unbestimmte Verzweiflung nur durch ein entsetzliches Etwas ersetzen konnte; denn der Gärtner war in seiner ruhelosen Angst unfähig gewesen, dies zu verschieben, bis andere Nachforschungen sich als vergeblich erwiesen hätten. Der Teich lag jetzt nicht da im lachenden Sonnenlicht: er sah schwarz und unfreundlich aus unter dem bewölkten, düstern Himmel, als ob seine kalten Tiefen unbarmherzig alle Lebenshoffnung und Lebensfreude Maynard Gilfils festhielten.

Gedanken über die traurigen Folgen sowohl für Andere als für ihn selbst strömten auf seinen Geist ein. Die Rouleaux und Läden in der Front des Manor waren alle geschlossen, und es war nicht wahrscheinlich, daß Sir Christopher etwas von dem gewahre, was sich draußen zutrug; aber Mr. Gilfil fühlte, daß Caterinas Verschwinden ihm nicht lange verborgen bleiben konnte. Die Todtenschau würde in kurzem gehalten werden; man würde nach ihr fragen, und dann war es unvermeidlich, daß der Baronet Alles erfuhr.



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