Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel.

Der Rev. Amos Barton, dessen traurige Schicksale ich zu erzählen unternommen habe, war, wie man sieht, in keiner Hinsicht ein Ideal oder ein exceptioneller Charakter und ich begehe vielleicht eine Kühnheit, wenn ich Dein Mitgefühl, lieber Leser, für einen Mann in Anspruch nehme, der weit entfernt ist, bemerkenswerth zu sein – einen Mann, dessen Tugenden nicht heroisch waren und der kein unentdecktes Verbrechen in seiner Brust verbarg; der nicht das geringste Geheimniß an sich hatte, sondern handgreiflich und unverkennbar ein gewöhnlicher Mensch war; der nicht einmal verliebt war, sondern jene Krankheit glücklicherweise schon vor vielen Jahren überstanden hatte. »Ein äußerst uninteressanter Charakter!« hör' ich, wie ich glaube, eine schöne Leserin ausrufen – Frau Reifrock z. B., die das Ideale in der Dichtung vorzieht; für welche Tragödie Hermelinpelzkragen, Ehebruch und Mord bedeutet und Comödie die Abenteuer einer gewissen Persönlichkeit, die durchaus ein »Charakter« ist.

Aber, meine Gnädige, eine so übergroße Majorität Ihrer Landsleute trägt dieses unscheinbare Gepräge. Mindestens 80 Prozent Ihrer erwachsenen englischen Brüder sind weder außerordentlich thöricht, noch außerordentlich verrucht, noch außerordentlich weise; ihre Augen sind weder tief und schwimmend aus Gefühl, noch glänzend von unterdrücktem Witz; sie haben vielleicht kein »Entweichen mit knapper Noth« und keine halsbrechenden Abenteuer gehabt; ihr Gehirn ist gewiß nicht überreich an Genie und ihre Leidenschaften haben sich durchaus nicht nach der Weise eines Vulkans offenbart. Es sind einfach Menschen von mehr oder weniger dunkler Gesichtsfarbe, deren Unterhaltung mehr oder weniger platt und unzusammenhängend ist. Doch diese gewöhnlichen Menschen – viele von ihnen – haben ein Gewissen und haben den erhabenen Antrieb gefühlt, das Rechte zu thun, auch wenn es schmerzlich; sie haben ihre unausgesprochenen Sorgen und ihre geheiligten Freuden; ihre Herzen haben sich vielleicht erschöpft gegen ihr Erstgebornes, und sie haben getrauert um einen nicht zurückzurufenden Todten. Ja, liegt nicht ein Pathos selbst in ihrer Unbedeutendheit – in unserem Vergleich ihres düstern und beschränkten Daseins mit den glänzenden Möglichkeiten jener menschlichen Natur, an der auch sie Theil haben?

Verlassen Sie sich darauf, Sie würden unsäglich gewinnen, wenn Sie mit mir lernen wollten, etwas von der Poesie und dem Pathos, der Tragik und Komik zu sehen, welche in der Erfahrung einer menschlichen Seele liegt, die aus trüben grauen Augen hervorblickt und in einer Sprache von ganz gewöhnlichen Tönen spricht. In jenem Fall würde ich durchaus keine Befürchtung hegen, daß Sie sich nicht darum bekümmern würden, was dem Rev. Amos Barton ferner zustieß, oder daß Sie die häuslichen Details, die ich zu erzählen habe, Ihrer Aufmerksamkeit überhaupt nicht werth hielten. Wie es aber nun einmal ist, können Sie es nach Belieben ablehnen, meine Geschichte weiter zu verfolgen; und Sie werden leicht eine Lektüre finden, die mehr nach Ihrem Geschmack ist, da ich aus den Zeitungen ersehe, daß allein während des letzten Vierteljahrs viele bemerkenswerthe Romane, voll überraschender Situationen, ergreifender Vorfälle und beredter Sprache erschienen sind.

Mittlerweile werden Leser, die begonnen haben, ein Interesse für den Rev. Amos Barton und seine Frau zu fühlen, sich freuen zu hören, daß Mr. Oldinport die 20 £ darlieh. Aber 20 £ sind bald erschöpft, wenn zwölf davon dem Metzger als Rückzahlung gebühren und wenn der Besitz von 8 Extra-Sovereigns bei Februarwetter eine unwiderstehliche Versuchung bildet, einen neuen Überrock zu bestellen. Und wenn auch Mr. Bridmain sich so weit von der ihm durch der Gräfin elegante Toilette und theure Zofe auferlegten nothwendigen Sparsamkeit entfernte, daß er einen hübschen schwarzen Seidenstoff, steif von der natürlichen Stärke des Gewebes und nicht von der künstlichen Stärke des Gummi, auswählte und Mrs. Barton zusandte, um das Unglück, das sich an seinem Tische ereignet, wieder gutzumachen: – Du lieber Himmel, was bedeutet das Geschenk eines Kleides, wenn man nur mangelhaft versehen ist mit den etceteras des Anzugs und wenn ferner sechs Kinder da sind, die im Abtragen und Zerreißen von Kleidern Unglaubliches für das nicht mütterliche Gemüth leisten?

Ja, die Ausgleichung zwischen Einnahme und Ausgabe bot Mr. und Mrs. Barton immer neue und fortwährend sich häufende Schwierigkeiten dar; denn kurz nach der Geburt des kleinen Walter hatte Milly's Tante – die seit deren Heirath stets bei ihr gelebt – sich selbst mit ihrem Meublement und ihrem jährlichen Einkommen zurückgezogen zum Haushalt einer anderen Nichte; zu diesem Schritt sehr wahrscheinlich veranlaßt durch eine »Häkelei« mit dem Rev. Amos, welche vorfiel, während Milly im obern Stock war und sich als zu stark erwies für der ältlichen Dame Geduld und Hochherzigkeit. Mr. Barton's Temperament war etwas hitzig, aber andererseits sind alte Jungfern als empfindlich bekannt; und so wollen wir denn nicht annehmen, daß die Schuld ganz auf seiner Seite lag – um so weniger, als er jeden Grund hatte, um eine Hausgenossin bei gutem Humor zu erhalten, deren Gegenwart »den Wolf von der Thür fernhielt.« Es war jetzt nahezu ein Jahr seit Miß Jackson's Abwesenheit, und für ein feines Ohr war das Heulen des Wolfes bereits deutlich vernehmbar.

Auch war es eine ernste Sache, daß – als der letzte Schnee geschmolzen war, als die purpurnen und gelben Krokosblümchen im Garten aufkeimten und die alte Kirche bereits halb niedergerissen war – Milly einen Krankheitsanfall hatte, der ihre Lippen bleichte und es unumgänglich nöthig machte, daß sie sich einige Zeit vor Anstrengung hütete. Mr. Brand, der dem Dr. Pilgrim so verhaßte Arzt zu Shepperton, verordnete ihr Portwein, und es war durchaus nöthig, öfters eine Scheuerfrau zu haben, um Hannchen bei all der Extraarbeit, die ihr zufiel, zu helfen.

Mrs. Hackit, die kaum jemals anderswo als bei ihrer nächsten und ältesten Nachbarin, Mrs. Patten, einen Besuch abstattete, that jetzt den ungewöhnlichen Schritt, eines Morgens im Pfarrhause vorzusprechen: und die Thränen traten ihr in die durchaus nicht sentimentalen Augen, als sie Milly bleich und schwach im Sprechzimmer sitzen sah, unfähig, das Lätzchen, an dem sie nähte, fertig zu machen. Der kleine Dickey, ein ungestümer Junge von fünf Jahren, mit dicken rosigen Wangen und kräftigen Beinen, war an der Reihe bei Mama zu sitzen und kauerte ruhig zwischen ihren Knieen, indem er ihre zarte, weiße Hand zwischen seinen rothen Fäustchen hielt. Er war ein Knabe, den Mrs. Hackit, in einem Anfall strenger Laune »stockig« genannt (ein Wort, das etymologisch, aller Wahrscheinlichkeit nach, irgend eine Anspielung auf ein Instrument zur Bestrafung Widerspänstiger in sich schließt), aber als sie ihn so zur Güte gebändigt sah, lächelte sie ihm zu mit ihrem freundlichsten Lächeln und wollte ihn, zu ihm sich niederbeugend, küssen – eine Gunstbezeugung, die Dickey entschieden ablehnte.

»Nun, nehmen Sie denn genug nahrhafte Speisen zu sich?« war eine von Mrs. Hackit's ersten Fragen, und Milly versuchte den Schein zu erregen, daß keine Frau je so sehr in Gefahr war, überfüttert und zur Bequemlichkeit verführt zu werden, wie sie. Mrs. Hackit entnahm ihren Antworten eine Thatsache, nämlich, daß Mr. Brand Portwein verordnet hatte.

Während diese Unterhaltung vor sich ging, hatte Dickey fortgesetzt insgeheim die zarte, weiße Hand gestreichelt und geküßt, so daß endlich, als eine Pause eintrat, seine Mutter lächelnd fragte: »Warum küssest Du mir denn immer die Hand, Dickey?«

»Sie ist so schön«, antwortete Dickey, der entschieden noch in der Aussprache zurück war.

Mrs. Hackit erinnerte sich in späteren Tagen dieses kleinen Auftritts und dachte stets mit besonderer Zärtlichkeit und besonderem Mitleid an den »stockigen Jungen.«

Am nächsten Tag kam ein großer Korb mit Mrs. Hackit's Empfehlungen; und als man ihn öffnete, fand sich's, daß er ein halbes Dutzend Flaschen Portwein und zwei Paar Hühner enthielt. Auch Mrs. Farquhar war sehr gütig; sie bestand darauf, daß Mrs. Barton alles Arrow-root Das aus der Pfeilwurz bereitete Stärkemehl; mit Milch oder Fleischbrühe gekocht als Nahrungsmittel für Kranke viel gebraucht. außer dem ihren zurückwies, das echt indisches war, und nahm Sophie und Fritz mit sich zu einem 14tägigen Aufenthalt nach Hause. Diese und andere gutherzige Aufmerksamkeiten machten den Kummer über Milly's Krankheit erträglicher; aber sie konnten nicht helfen gegen das Anschwellen der Ausgaben, und Mr. Barton begann ernsthaft zu überlegen, ob er seine Lage nicht einer gewissen Wohlthätigkeitsanstalt zur Unterstützung bedürftiger Vikare vorstellen solle.

Wie die Sachen in Shepperton standen, war es sehr wahrscheinlich, daß die Pfarreiangehörigen der Überzeugung waren, ihr Seelsorger sei ihrer materiellen Beihilfe dringender bedürftig, als sie seines geistlichen Beistandes – nicht der beste Stand der Dinge in diesem Zeitalter und Land, wo der Glaube an Menschen einzig auf Grund ihrer Geistesgaben sich bedeutend verringert hat, und speciell ungünstig für den Einfluß des Rev. Amos, dessen Geistesgaben nicht einmal in einer Zeit des Glaubens eine sehr gebietende Gewalt besessen hätten.

Aber, wird man fragen, erwies denn die Gräfin Czerlaski ihren Freunden während dieser ganzen Zeit keinerlei Aufmerksamkeit? O gewiß. Sie war unermüdlich darin, ihre »süße Milly« zu besuchen, und saß oft stundenlang bei ihr; und es könnte einem auffallen, daß sie weder daran dachte, eines der Kinder zu sich zu nehmen, noch für eines von Milly's wahrscheinlichen Bedürfnissen zu sorgen; aber man kann ja, wie Du weißt, lieber Leser, nicht erwarten, daß Damen von Rang und luxuriösen Gewohnheiten die Details der Armuth genau kennen. Sie verschwendete eine Menge Eau de Cologne an Mrs. Barton's Taschentuch, machte ihr Kissen und Schemel zurecht, küßte ihr die Wangen, wickelte sie in ihren eigenen, warmen, weichen Shawl und unterhielt sie mit Geschichten von dem Leben, das sie in der Fremde geführt. Wenn Mr. Barton zu ihnen trat, sprach sie vom Tractarianismus, von ihrem Entschluß, sich nicht wieder in den Strudel des fashionabeln Lebens zu stürzen, und von ihrer Sorge, ihn in einem für seine Talente genügend großen Wirkungskreis zu sehen. Milly hielt ihre Munterkeit und warme Zärtlichkeit für ganz reizend und hatte sie sehr lieb, während es dem Rev. Amos Barton vorkam, als hätte er sich in's aristokratische Leben aufgeschwungen und verkehre mit seinen bürgerlichen Pfarrkindern nur seelsorgerlich und so beiläufig.

Indessen, wie die Tage zunahmen, so nahm auch Milly's Gesundheit zu; und in wenigen Wochen war sie fast so thätig wie je, obgleich wachsame Augen sehen konnten, daß ihr diese Thätigkeit nicht leicht wurde. Mrs. Hackit's Augen waren von jener Art, und eines Tags, als Mr. und Mrs. Barton zum ersten Male seit Milly's Krankheit bei ihr gespeist hatten, bemerkte sie zu ihrem Gemahl: – »Das arme Ding ist schrecklich schwach und zart; sie wird's nicht aushalten, wenn sie noch mehr Kinder bekommt.«

Mr. Barton war mittlerweile unermüdlich in seinem Berufe gewesen. Er hatte jeden Sonntag zwei Predigten aus dem Stegreif im Armenhaus gehalten, wo ein Saal für den Gottesdienst hergerichtet worden war für die Zeit der Änderungen an der Kirche, und war am selben Abend nach einer Hütte an dem einen oder andern Ende seines Sprengels gewandert, um dort eine weitere Predigt zu halten, noch mehr aus dem Stegreif, und in einer Atmosphäre, die erfüllt war von Frühlingsblumen und Schweiß. Man wird begreifen, daß er nach all diesen Anstrengungen um halb zehn Uhr Abends ziemlich erschöpft war und daß ein Abendessen bei einem freundlichen Pfarrangehörigen mit einem oder selbst zwei Gläsern Brandy danach eine willkommene Stärkung war. Mr. Barton war durchaus kein Ascetiker; er dachte, die Wohlthaten des Fastens wären ganz auf die alttestamentlichen Einrichtungen beschränkt; er erheiterte sich gern durch ein Plauderstündchen; wirklich, Miß Bond und andere Damen von schwärmerischen Ansichten bedauerten zuweilen, daß Mr. Barton nicht mehr ununterbrochen eine Erhabenheit über die fleischlichen Dinge zur Schau trug. Schmächtige Damen, die sich wenig Bewegung machen und deren Lebern nicht gesund genug sind, um Reizmittel zu vertragen, sind so übertrieben kritisch in Bezug auf persönliche Gewohnheiten. Und Alles wohl erwogen, der Rev. Amos Barton streifte nie die Grenzen eines Lasters. Selbst seine Fehler waren leidlich – er war nicht sehr ungrammatisch. Es lag nicht in seiner Natur, irgend etwas im höchsten Grade zu sein, wenn er nicht etwa im höchsten Grade mittelmäßig, der quintessentielle Auszug der Mittelmäßigkeit war. Wenn es einen Punkt gab, in welchem er eine Neigung zur Übertreibung besaß, so war es das Vertrauen auf seine eigene Klugheit und Geschicklichkeit in praktischen Dingen, so daß er voll war von Plänen, die seinen Zügen im Schachspiel etwas glichen – bewunderungswürdig wohlberechnet, vorausgesetzt, der Stand der Dinge wäre anders. Zum Beispiel jener bemerkenswerthe Plan, antidissentirende Bücher in seine Leihbibliothek aufzunehmen, schien dem Dissens nicht im geringsten »den Kopf zertreten« zu haben, wenn es auch ganz gewiß den Dissens geneigt gemacht hatte, den Rev. Amos Barton »in die Ferse zu stechen.« Ferner quälte er die Gemüther seiner Kirchenvorstände und einflußreichen Eingepfarrten durch seine fruchtbaren Anregungen, was sie am besten in der Sache der Kirchenreparatur und andern weltlichen Angelegenheiten thäten.

»Ich sah nie so was, wie die Pfarrer«, sagte Mr. Hackit eines Tags im Gespräch mit seinem Kollegen vom Kirchenvorstand, Mr. Bond; »sie wollen sich immer in die geschäftlichen Dinge mischen und verstehen nicht mehr davon als meine junge Rappstute.«

»Ja«, sagte Mr. Bond, »sie sind zu hoch gebildet, als daß sie viel gesunden Menschenverstand besitzen sollten.«

»Na«, bemerkte Mr. Hackit, in bescheidenem und zweifelhaftem Ton, als ob er eine Hypothese aufstelle, die man für gewagt halten könnte, »da möchte ich denn doch sagen, das ist mir eine schlimme Sorte von Bildung, die die Leute unverständig macht.«

Du merkst, lieber Leser, daß Mr. Barton's Beliebtheit in jener ungewissen Lage, in jenem niedergehenden und abschüssigen Zustand war, in welchem ein sehr leichter Anstoß von Seite eines übelwollenden Geschicks sie ganz über den Haufen werfen mußte. Jener Anstoß sollte, wie wir gleich sehen werden, nicht lange auf sich warten lassen.

An einem schönen Maimorgen, als Amos seinen geistlichen Berufsgeschäften nachging und das Sonnenlicht durch das Bogenfenster des Wohnzimmers hereinströmte, in dem Milly bei ihrer Näharbeit saß, gelegentlich aufblickend, um nach den im Garten spielenden Kindern zu sehen, hörte man plötzlich ein lautes Klopfen an der Hausthüre, welches sie sogleich als das der Gräfin erkannte, und jene wohlgekleidete Dame trat sogleich in's Wohnzimmer, den Schleier über das Gesicht herabgelassen. Milly war durchaus nicht überrascht oder betrübt über deren Kommen; aber als die Gräfin ihren Schleier zurückschlug und zeigte, daß ihre Augen roth und angeschwollen waren, war sie überrascht und betrübt zugleich.

»Was ist denn geschehen, liebe Caroline?«

Caroline warf Jet zu Boden, der ein kleines Gebelfer ausstieß; dann schlang sie ihre Arme um Milly's Nacken und begann zu schluchzen; dann warf sie sich auf's Sopha und bat um ein Glas Wasser; dann warf sie Hut und Shawl ab; und sagte endlich, nachdem sich Milly's Phantasie im Heraufbeschwören von Unheil erschöpft hatte. –

»Wie soll ich's Ihnen nur sagen, Liebste? Ich bin die unglücklichste Frau. Betrogen zu werden von einem Bruder, dem ich so ergeben gewesen – ihn sich selbst erniedrigen und ganz wegwerfen zu sehen!«

»Was kann's denn sein?« sagte Milly, die sich auszumalen begann, der nüchterne Mr. Bridmain verlege sich aufs Schnapstrinken und Wetten.

»Er ist im Begriff zu heirathen – meine eigne Zofe, jene heuchlerische Alice zu heirathen, der ich die nachsichtigste Herrin gewesen. Hörten Sie schon je etwas so Schimpfliches? so Demüthigendes? so Gemeines?«

»Und hat er Ihnen eben erst davon gesagt?« sagte Milly.

»Mir davon gesagt! er hatte nicht einmal die Gewogenheit, das zu thun. Ich kam unversehens in den Eßsaal und sah, wie er sie küßte – ekelhaft bei seinen Jahren, nicht wahr? – und als ich sie schalt, daß sie ihm solche Freiheiten erlaubte, wurde sie unverschämt und sagte, sie wäre mit meinem Bruder verlobt und sehe durchaus keine Schande darin, wenn sie sich von ihm küssen lasse. Edmund ist ein elender Feigling, wissen Sie, und sah erschreckt aus; aber als sie von ihm verlangte, er solle sagen, ob es nicht so wäre, versuchte er Muth zu fassen und sagte Ja. Ich verließ das Zimmer im Widerwillen, und diesen Morgen habe ich Edmund ausgefragt und gefunden, daß er entschlossen ist, dieses Frauenzimmer zu heirathen und daß er es vor mir verheimlicht hat – vermuthlich, weil er sich seiner selbst schämte. Ich konnte danach natürlich nicht mehr im Hause bleiben, nachdem meine Magd zur Herrin geworden war. Und nun, Milly, bin ich gekommen, mich an Ihre Liebe zu wenden für eine Woche oder zwei. Wollen Sie mich aufnehmen?«

»Das wollen wir«, sagte Milly, »wenn Sie sich mit unsrer ärmlichen Wohnung und Lebensweise begnügen wollen. Es wird reizend sein, Sie bei uns zu haben.«

»Es wird mich beruhigen, eine Weile bei Ihnen und Mr. Barton zu sein. Ich fühle mich ganz unfähig, mich jetzt sogleich zu meinen andern Freunden zu begeben. Was jene zwei erbärmlichen Menschen thun werden, weiß ich nicht – sogleich die Gegend verlassen, hoff' ich. Ich bat meinen Bruder, das zu thun, ehe er sich selbst beschimpfte.«

Als Amos nach Hause kam, schloß er sich dem herzlichen Willkommen und Mitgefühl Milly's an. Bald darauf langten der Gräfin ungeheure Koffer, die sie sorglich gepackt hatte, bevor ihre Entrüstung sie von Camp Villa wegtrieb, vor dem Pfarrhause an und wurden in dem überzähligen Schlafzimmer aufbewahrt und in zwei nicht überzähligen Cabineten, die Milly zu ihrer Aufnahme ausräumte. Eine Woche nachher waren die ausgezeichneten Zimmer von Camp Villa, bestehend aus Speise- und Empfangssalons, drei Schlafzimmern und einem Ankleidezimmer, wieder zu vermiethen, und Mr. Bridmain's plötzliche Abreise, zusammen mit der Gräfin Czerlaski Einzug als Besucherin im Sheppertoner Pfarrhaus wurde das allgemeine Gesprächsthema in der Nachbarschaft. Die scharfsichtige Tugend von Milby und Shepperton sah in alledem die Bestätigung ihrer schlimmsten Befürchtungen und bemitleidete des Rev. Amos Leichtgläubigkeit.

Aber als Woche auf Woche und Monat auf Monat verstrich, ohne von der Gräfin Abreise Zeuge zu sein – als Sommer und Herbst geflohen waren und sie noch immer, das überzählige Schlafzimmer und die beiden Cabinete und dazu einen hübschen Theil von Mrs. Barton's Zeit occupirend, hinter sich zurückgelassen hatten, traten neue Vermuthungen sehr übler Art zu den alten Gerüchten hinzu und begannen, selbst in den Gemüthern von Mr. Barton's freundlichst gesinnten Pfarreiangehörigen, die Form fester Überzeugung anzunehmen.

Und nun, hier ist eine günstige Gelegenheit für einen vollkommenen Autor, die Verleumdung zu apostrophiren, Virgil zu citiren und zu zeigen, daß er mit dem Geistreichsten, das je in der schönen Literatur über diesen Gegenstand gesagt wurde, genau bekannt ist.

Aber was ist eine günstige Gelegenheit für einen Menschen, der sie nicht benützen kann? Ein unbefruchtetes Ei, das die Wogen der Zeit in das Nichts hinwegwaschen. Und so bin ich – da mein Gedächtniß schlecht und mein Notizbuch noch schlechter ausgestattet ist – unfähig, mich als hochgebildet oder beredsam zu zeigen betreffs der Verleumdung, deren Opfer der Rev. Amos Barton wurde. Ich kann nur meinen Leser fragen, hast Du je Dein Tintenfaß umgeworfen und in hilfloser Ohnmacht der raschen Ausbreitung stygischer Schwärze über Dein schönes Manuscript oder noch schöneres Tischtuch zugesehen? Mit einer ähnlichen, tintenhaften Geschwindigkeit schwärzte jetzt das Gerücht den guten Ruf des Rev. Amos Barton, indem es die Unfreundlichen zum Schmähen und selbst die Freundlichen zum Fernestehen bewog, zu einer Zeit, wo Verlegenheiten anderer Art sich rasch um ihn aufthürmten.



 << zurück weiter >>