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Neuntes Kapitel.

Mr. Tryan zeigte keine derartigen Symptome der Schwäche am kritischen Sonntag. Er verwarf ohne Zögern den Rath, man solle ihn in Mr. Landors Wagen zur Kirche bringen – ein Vorschlag, den jener Herr als Verbesserung zu dem ursprünglichen Plan machte, als die Gerüchte von beabsichtigten Insulten beunruhigend wurden. Mr. Tryan erklärte, er wolle keine Vorsichtsmaßregeln treffen, sondern einfach auf Gott und seine gute Sache vertrauen. Einige seiner furchtsameren Freunde hielten dieses Verfahren eher für herausfordernd als klug, und da sie bedachten, daß ein Pöbelhaufe großes Talent zur Improvisation habe und daß gerichtliche Hülfe nur eine unvollkommene Genugthuung ist, wenn einem ein Ziegelstück ein Loch in den Kopf geschlagen hat, begannen sie nach und nach ihr Gewissen sehr genau zu erforschen, ob es nicht eine Pflicht wäre, die sie ihren Familien schuldeten, am Sonntag Abend zu Hause zu bleiben. Die furchtsamen Personen waren indeß bedeutend in der Minorität, und der überwiegend größere Theil von Mr. Tryans Freunden und Zuhörern frohlockte eher über eine Gelegenheit, einer Insulte zu trotzen um eines Predigers willen, dem sie sowohl aus persönlichen als aus doctrinären Gründen zugethan waren. Miß Pratt sprach von Cranmer, Ridley und Latimer Die Häupter der Reformation unter Heinrich VIII. in England; nach Marias Thronbesteigung (1553) wurden dieselben verhaftet, zum Tode verurtheilt und – Latimer und Ridley am 16. Oktober 1555, Cramner am 21. März 1556 – zu Oxford verbrannt; Cranmer ließ sich im Gefängniß zum Widerruf verleiten, erklärte aber vor seinem Tode öffentlich, die Todesfurcht habe ihn dazu getrieben. und bemerkte, daß die gegenwärtige Krisis eine Gelegenheit biete, deren Heldenthum selbst in diesen entarteten Zeiten nachzuahmen, während weniger hochgebildete Personen, deren Gedächtniß mit derartigen Beispielen nicht gut versehen war, einfach, wie Mr. Jerome gethan, ihren Entschluß ausdrückten, dem Prediger und seiner Sache, die sie für die »Sache Gottes« hielten, »beizustehen.«

Am Sonntag Abend also um 6¼ Uhr brach Mr. Tryan mit einem Theil seiner Freunde von Mr. Landors Haus auf; bald darauf schlossen sich ihm zwei andere Gruppen an, die von Mr. Pratts und Mr. Dunns Hause kamen, und da einzelne Personen auf ihrem Weg zur Kirche von selbst sich in Reihen setzten, bildete Mr. Tryans Anhang, bis man den Eingang zur Gartenstraße erreicht hatte, eine beträchtliche Procession, in welcher man zu je Dreien oder Vieren neben einander ging. In der Gartenstraße, gegen die Kirchenthüren zu, war der größte Pöbelhaufe angesammelt; und am Fenster von Mr. Dempsters Besuchszimmer im obern Stockwerk war eine auserlesenere Gesellschaft von Anti-Tryaniten beisammen, um das unterhaltende Schauspiel mit anzusehen, wie die Tryaniten unter dem Hohn und Geschrei der Menge zur Kirche gingen. Um dem Volkswitz mit geeigneten Spitznamen nachzuhelfen, waren zahlreiche Abdrücke von Mr. Dempsters Theaterzettel in entsprechend großem und kräftigem Druck an den Mauern angeschlagen. Da es möglich ist, daß der fleißigste Sammler von Mauerliteratur nicht glücklich genug war, sich in Besitz dieses Erzeugnisses zu setzen, das unter allen Umständen aufbewahrt werden sollte unter den Materialien zu unserer provinziellen religiösen Geschichte, lasse ich hier eine getreue Copie desselben folgen:

 

Große Unterhaltung!!!

Veranstaltet zu Milby nächsten Sonntag Abend, von dem berühmten Comödianten Dreh'-an!
Und seiner ausgezeichneten Gesellschaft, die umfaßt: nicht nur
Ein unvergleichliches Ensemble für die Comödie!
Sondern auch eine große Sammlung von gebesserten und bekehrten Thieren:

Unter anderem
Einen Bären, der früher tanzte!
Einen Papagei, der einst dem Fluchen ergeben war!!
Ein polygamistisches Schwein!!!

und
Einen Affen, der an den Sonntagen Flöhe zu fangen pflegte!!!!

Zusammen mit einem
Paar wiedergeborener Hänflinge! Linnet = Hänfling.
Mit einem ganz neuen Lied und Gefieder.

Mr. Dreh'an
Wird zuerst in feierlichem Aufzug die Straßen durchziehen, mit seiner unvergleichlichen Gesellschaft, für welche garantirt wird, daß sie die Augen höher aufschlagen und die Mundwinkel tiefer herabziehen werden, als irgend eine andere Gesellschaft von Gauklern in dieser Umgegend!

Darauf
wird das Theater eröffnet werden und die Unterhaltung beginnen.

Um halb sieben Uhr
wird aufgeführt werden Ein Stück, das bis jetzt auf keiner Bühne gegeben worden, betitelt

Der Wolf im Schafskleide
oder
Der Methodist in der Maske.

Mr. Leisetreter Mr. Dreh'an.
Der alte Zehnprozent Fromm Mr. Ganser. Ganser (Gander): Landor.
Dr. Füttersauf Mr. Tonica.
Mr. Leimruth Weiberfänger Mr. Dreh'an.
Miß Beiß-am-Haken Frömmigkeit Miß Tonica.
Angelika Miß Seraphine Tonica.

Hierauf
Ein musikalisches Potpourri als Zwischenspiel, beginnt mit dem Klagelied des Jerome-yah!
In näselndem Recitativ.

Gefolgt von dem
Beliebten Schnatter-Quartett
von
Zwei Vogelweibchen, die keine Hühnchen sind!
Dem wohlbekannten Contor-Tenor Mr. Dunns und einem Ganser, der direkt abstammt von der Gans, die goldene Eier legte!

Zu dessen Beschluß folgt
Ein großes Finale,
Ausgeführt vom ganzen Orchester der bekehrten Thiere!!

In Folge der unvermeidlichen Abwesenheit (wegen Krankheit) des Bulldogg, der das Beißen aufgegeben, hat sich Mr. Tonica sogleich bereit erklärt, das nöthige »bark« bark, Wortspiel, heißt »Bellen« und »Chinarinde«. zu liefern.


Zum Beschluß des Ganzen:
Eine Posse zum Todtlachen:

Der Kanzelwegschnapper.

Mr. Heilig Glattgesicht Mr. Dreh'an!
Mr. Kriecher-Schleicher Mr. Dreh'an!!
Mr. Lautergnade Keinewerke Mr. Dreh'an!!!
Mr. Auserlesen- und -Erwählter Maulaffe Mr. Dreh'an!!!!
Mr. Böswilliger-Gebetevoll Mr. Dreh'an!!!!!
Mr. Dräng'Dichein Ueberall Mr. Dreh'an!!!!!!
Mr. Spotte-der-Alten Grünschnabel Mr. Dreh'an!!!!!!!

Zutritt frei. Ein Collekte wird an den Thüren veranstaltet werde.

Es lebe der König

 

Diese Satire macht Dir, lieber Leser, wie ich glaube, durchaus nicht den Eindruck des Zerschmetternden, obgleich sie die schärfste Schneide des Milbyer Witzes zeigt. Aber Haß ist wie Feuer – er macht selbst leichten Plunder tödtlich. Und Mr. Dempsters Sarkasmen waren nicht blos an der Mauer sichtbar; sie spiegelten sich in den höhnischen Blicken und machten sich hörbar in den stichelnden Worten der Menge. Durch diesen wüsten Schauer von Spitznamen und schlechten Witzen, mit einer Begleitung ad libitum von Knurren, Heulen, Pfeifen und Hallohen, aber keinen schwereren Geschossen, schritt Mr. Tryan bleich und gefaßt, Mr. Landor, dessen Gang unsicher war, am Arme führend. An seiner andern Seite ging Mr. Jerome, der noch immer sicher einherschritt, wenn auch sein Rücken leicht gebeugt war.

 

Äußerlich war Mr. Tryan gefaßt, aber innerlich litt er schmerzlich unter diesen Tönen des Hasses und des Hohnes. Wie stark auch das Bewußtsein des Rechten in ihm war, er fand, daß es kein stärkerer Panzer war gegen Waffen wie höhnische Blicke und giftige Worte, als gegen Steine und Knüttel: sein Gewissen war in Ruhe, aber sein Gefühl war schwer verletzt.

Nur einmal noch passirte der evangelische Curat die Gartenstraße, gefolgt von einem Geleite von Freunden; nur einmal noch war dort eine Menge versammelt, um seinen Eintritt durch die Kirchthüren mitanzusehen. Aber jenes zweite Mal hörte man keine Stimme außer einem Flüstern, und das Geflüsterte waren Worte des Schmerzes und des Segens. Jenes zweite Mal sah Janet Dempster nicht zu mit Hohn und Lachen; ihre Augen waren eingesunken vor Kummer und Wachen, und sie folgte ihrem geliebten Freund und Seelsorger zum Grabe.



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