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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Nationalgeschichte: Nennius, Erchanbert.

Die vierte Hauptgattung der Historiographie in dieser Periode, die Nationalgeschichte ist auch nur durch zwei Werke vertreten, von welchen eins allein von einer gewissen Bedeutung, selbst für die Geschichte der Nationalliteraturen des Mittelalters, und von noch grösserem Rufe ist. Es ist die unter dem Autornamen des Nennius bekannte Historia Britonum Nennii historia Britonum, ad fid. codic. mss. recens. J. Stevenson. London 1838. Abdruck davon in: Nennius und Gildas, herausgeg. v. San-Marte. Berlin 1844. – Ferner in: Monum. historica Britannica. Ed. Petrie. T. I. London 1848. p. 47 ff. – – Schöll, De ecclesiasticae Britonum Scotorumque historiae fontibus. Berlin 1851., welche, wie sich aus dem Inhalt selbst ergibt, im Jahre 822 verfasst ist. S. Schöll S. 35. Dies Buch, das uns nur in einer mehrmals interpolirten Gestalt überliefert ist, enthält in Handschriften späterer Zeit Von denen die älteste aus dem Ende des 12. Jahrh. ist; in einigen Mss. ist auch nur der zweite Prolog gegeben. zwei offenbar von Abschreibern hinzugefügte Prologe, von welchen der zweite ein Excerpt des ersten ist. In ihnen nennt sich als Verfasser des Werks Nennius, ein Geistlicher, Schüler des heil. Elbod (welcher letztere 809 als Bischof von Venedotia in Wales starb). Der Autor bittet hier in der schwülstig blumigen Sprache, die seiner Nation eigen, gar demüthig um Nachsicht für seinen Stil, indem er zugleich die Quellen, aus denen er seine Geschichte compilirt habe, und das Motiv, das ihn zur Abfassung derselben bewog, anzeigt. So wenig durch diese fingirten Prologe die Autorschaft des Nennius beglaubigt wird, wie denn das Werk in andern Handschriften Andern, namentlich auch dem älteren Historiker der 388 Britten, Gildas S. über ihn Bd. I, S. 536 ff. beigelegt wird, so enthalten doch die Angaben über die Quellen und das Motiv der Abfassung wahres und treffendes; der Verfasser des ersten Prologs hatte das Werk offenbar gründlich studirt. Wie er den Autor, der ohne Zweifel ein Waliser war, in dem Prolog sagen lässt, hat denselben nur eine »innere Herzenswunde« bewogen die Geschichte zu schreiben, der Kummer, »den einst berühmten und ausgezeichneten Namen seines Volkes von der Vergessenheit zernagt in Dunst aufgehen« zu sehen. Attamen internum vulnus circum praecordia volvens aegre ferebam, si propriae gentis nomen, quondam famosum et insigne, oblivione corrosum fumatim evanesceret. Prol. I, §. 1. Es ist also derselbe patriotische Grund, der auch einen andern, noch berühmteren walisischen Autor des Mittelalters, den Gottfried von Monmouth zur Abfassung der Geschichte seines Volkes bestimmte und zwar, um dasselbe weltgeschichtlich gross erscheinen zu lassen, in einer ganz phantastischen Gestalt auf Kosten aller historischen Wahrheit.

Das Werk, so wie es vorliegt, beginnt mit einer kurzen allgemeinen Chronologie nach den Weltaltern, die manches eigenthümliche enthält, aber dem Werk ursprünglich nicht angehörte. Diese Chronologie enthält auch Widersprüche. Eigenthümlich ist, dass statt bis zur Geburt Christi, vielmehr zu seiner Passion (§. 5) oder auch (§. 6) bis zu Johannes dem Täufer gerechnet wird. Es folgt dann (§. 7) eine kurze Beschreibung von Britannien, welche offenbar den eigentlichen Anfang bildet. An sie schliesst sich (§. 10) die Erzählung von dem Ursprung des brittischen Volkes, der nach dem Vorgang der Trojanersage der Franken Vielleicht auf eine Anmerkung des Ethicus hin. S. Bd. I, S. 575, Anm. 1. auch von den Trojanern hergeleitet wird, die im Gefolge des Urenkels des Aeneas, Brutus nach Britannien kamen, das nach diesem selbst seinen Namen erhalten hat. Obgleich dies §. 10 ausdrücklich gesagt wird, so heisst es doch §. 7: Britannia insula a quodam Bruto consule romano vocatur. Es ist dies bezeichnend für die Art der Abfassung des Buchs, denn als Interpolation kann diese Stelle, womit das Buch erst in der That begann, nicht angesehen werden. Brutus hatte seinen Vater Silvius, den Sohn des Ascanius, durch 389 Zufall im Spiel mit einem Pfeilschuss getödtet, und war deshalb aus Italien verbannt worden, und erst nach manchen Abenteuern schliesslich nach England gelangt. – Der Verfasser gedenkt dann auch (§. 13 ff.) ausführlich der Herkunft der Schotten, die nach Irland aus Spanien eingewandert sein sollen, wohin ihre Vorfahren aus Aegypten gekommen waren! So will er von sehr kundigen Männern dieses Volkes gehört haben. – Nachdem dann (§. 17 f.) der Autor noch einen andern Stammbaum der Britten aus alten Büchern derselben mitgetheilt, wonach sie von Britto, einem Enkel des Alanus, eines Abkömmlings des Japhet, abstammen Hisitio (Sohn des Alanus) habuit filios quatuor: Francus, Romanus, Britto, Alemannus (al. Albanus). – – Ab Hisitione autem ortae sunt quatuor gentes, Franci, Latini, Alemanni (al. Albani) et Britti., gibt er in sehr abgerissener und fehlerhafter Weise Nachricht von der römischen Herrschaft seit Caesar in Brittanien (§. 19–31).

Darauf folgt die interessanteste Partie des Buches, die sagenhafte Geschichte des Königs Guorthigirn, der von den Picten und Scoten bedrängt und in Furcht vor den Römern die Sachsen unter Hors und Hengist aufnimmt. Hier ergeht sich der Verfasser in ausführlicherer Erzählung, indem er berichtet, wie der brittische König in die Tochter des Hengist, die bei einem von diesem gegebenen Gastmahle aufwartet, sich verliebt und sie um den Preis der Landschaft Kent zur Ehe erkauft (§. 37 f.). Von ihm wird insbesondere noch erzählt, wie er mit der eigenen Tochter einen Sohn erzeugte und dieser dem heil. Germanus Von dessen Wundern schon §. 32–35 erzählt wird – eine Partie die weder mit dem Vorausgehenden noch mit dem Folgenden in äusserer oder innerer Verbindung steht, und daher mir auch interpolirt scheint, und um so eher, als die dort erzählte Geschichte, wie der Heilige vergeblich den Tyrannen Benli zu sprechen sich bemüht, und dann die Burg desselben durch Feuer vom Himmel zerstört wird, sich in ihren Hauptzügen §. 47 wiederholt, wo ganz ähnliches in Bezug auf Vortigirn von dem Heiligen erzählt wird. übergeben ward (§. 39), sowie ganz ausführlich die Sage von einem merkwürdigen Burgbau (§. 40 ff.). Nach der Weisung seiner Magier will der König nämlich am Ende seines Reichs diese Burg als letzte Zuflucht bauen, aber der Grund weicht, und sie stürzt ein; die Magier verkünden nun, dass nur durch Besprengung mit 390 dem Blut eines vaterlosen Kindes der Bau sich erhalten werde; ein solches Kind, ein Knabe, wird gefunden, aber er erweist sich als ein besserer Kenner des Verborgenen als die Magier, er zeigt, dass ein Sumpf unter dem Baugrund ist: dort finden sich auch zwei Drachen, von denen der eine roth, der andre weiss ist, sie bekämpfen sich und der weisse vertreibt den rothen; jener bedeutet aber die Sachsen, dieser die Britten. Doch sollen in späterer Zeit die letzteren wieder die andern über das Meer verjagen (§. 42). Man sieht leicht, dass Gottfried von Monmouth hier seine Prophezeiung des Merlin im siebenten Buche geschöpft hat, wie er denn im sechsten die Erzählung des Nennius zum Theil selbst wörtlich aufgenommen.

Im weiteren Verlauf der Geschichte des Guorthigirn wird dann auch wieder der Legende des h. Germanus gedacht und darauf die des heil. Patricius eingeschaltet (§. 50 ff.), der selbst mit Moses verglichen wird (§. 55). – Zum Schluss gedenkt dann noch der Verfasser ganz kurz (§. 56) der späteren Kämpfe der Britten mit den Sachsen, in welchen Arthur als Feldherr Der hier nicht als König erscheint; es heisst vielmehr: Tunc Arthur pugnabat contra illos (sc. Saxones) in illis diebus cum regibus Brittonum, sed ipse dux erat bellorum. Indem die im Druck hervorgehobenen Worte im Gegensatz zu den regibus Brittonum durch das sed stehn, wird ausdrücklich angezeigt, dass Arthur kein König war. sich auszeichnete; es sind nicht weniger als zwölf Treffen, das letzte auf dem Berge Badon, worin er allein 960 Feinde an dem einen Tage niederwarf. Duodecimum fuit bellum in monte Badonis, in quo corruerunt in uno die nongenti sexaginta viri de uno impetu Arthur; et nemo prostravit eos nisi ipse solus, et in omnibus bellis victor exstitit. Die also besiegten Sachsen aber riefen aus Germanien Hülfstruppen und Könige, die über sie herrschten bis zur Zeit des Ida, welcher der erste König von Bernicia war. – Hiermit endete das Werk, dem spätere Abschreiber Genealogien der Dynastien der sächsischen Reiche hinzugefügt haben, welche alle ihre Abstammung auf Wodan zurückführen. Andre spätere Anhänge sind ein Büchlein von den Wundern Britanniens und ein Namensverzeichniss seiner Städte.

Die Hauptquellen, aus denen der Autor schöpfte, sind ausser brittischen und irischen Traditionen Hieronymus' Weltchronik mit der Fortsetzung des Prosper, Beda's 391 Kirchengeschichte, Orosius und ein »Buch vom heil. Germanus«, das so von dem Verfasser selbst (§. 47) citirt wird. Nur durch seinen sagenhaften nationalen Inhalt, der auch in formalen Zügen sich kundgibt So in der Rolle, welche die Dreizahl in Zahlenangaben spielt. S. San-Marte S. 16., ist das Buch wichtig, ein Inhalt der in Gottfrieds von Monmouth Werk aufgenommen, auch von literarhistorischer Bedeutung wurde. Auch in der Behandlung des Stoffes verläugnet sich der keltische Nationalcharakter nicht. Der geringe Sinn für die Wahrheit, den schon Gildas als ein Nationallaster seines Volkes bezeichnete, und eine Prahlsucht, um die ganz in den Hintergrund gedrängte Nation wenigstens in der Vergangenheit gewaltig erscheinen zu lassen, zeigen, dass der Verfasser über sein Volk, wie es damals war, sich nicht erhob, das bei starker Sinnlichkeit mehr von der Phantasie und dem Gefühl, als von dem Verstand geleitet erscheint.

 

Das andre Werk dieser Gattung der Historiographie ist ein äusserst unbedeutendes und werthloses. Es ist eine 826 verfasste Nationalgeschichte der Franken, welche nach einer handschriftlichen Notiz einem Erchanbert Erchanberti Breviarium in: Ussermann, Prodromus Germaniae sacrae, Sangall. 1790. T. I, p. XXXIX ff. – Auszüglich mit dem letzten Abschnitt in: Monum. German. histor., Script. II, p. 327 f. – – S. über die Handschr. Hänel in den Berichten d. k. sächs. Ges. d. Wiss. 1865. S. 1 ff., insbesondere S. 12. beigelegt wird. Sie ist bis zum Jahr 720 durchaus auf Grund der Gesta Francorum S. darüber Bd. I, S. 573., von ein paar Zusätzen abgesehen, geschrieben; danach gibt sie nur wenige und dürftige Nachrichten, in welchen selbst die wichtigsten Ereignisse nicht erwähnt werden: nur der Absetzung der merowingischen Dynastie wird ausführlicher nach der sagenhaften Ueberlieferung gedacht. 392

 


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