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Zweites Kapitel.

Walafrid Strabo.

Wohl der bedeutendste Schüler Rabans ist der Hauptvertreter der schönen Literatur in Ostfrancien damals, Walafrid Strabo Walafridi Strabi opera omnia ex editione Duacensi et collectionibus Mabillonii, Dacherii etc. nunc primum in unum coadunata. Accur. Migne. 2 Tom. Paris 1852. ( Patrol. lat. T. 113–114). – Bibliotheca Patrum maxima. Lugdun. 1677. T. XV. – *Canisius, Lectiones antiquae. Ed. Basnage Tom. II, Pars 2. Antwerpen 1725. p. 186 ff. (Enthält die meisten der Gedichte). – Versus in Aquisgrani palatio editi anno Hludovici imperatoris XVI de imagine Tetrici, herausgeg. von Dümmler, in: Zeitschr. f. deutsch. Alterth. Bd. XII, S. 461 ff. – Walafridi Strab. Hortulus, auctore Reuss, Würzburg 1834. – Macer Floridus De viribus herbarum una cum Walafridi etc. carm. ed. Choulant. Leipzig 1832. – – König, Ueber Walafrid Strabo von Reichenau, in: Freiburger Diöcesanarchiv. Bd. 3. 1860. – Bock, Die Reiterstatue des Ostgothen Theodorich, in: Jahrbücher des Vereins v. Alterthumsfreunden im Rheinlande Heft V (1844) (Geht auch auf die Biographie W.s ein). – Ebert, Zu der Lebensgeschichte Walahfrid Strabo's, in: Sitzungsber. d. k. sächs. Gesellsch. d. Wiss. 1878, S. 100 ff. – Dümmler, N. A. S. 270 ff., der allerdings seine erste Ausbildung einer 146 andern Kulturstätte Deutschlands in jener Zeit, dem Kloster Reichenau auf einer Insel des Bodensees verdankte. Walahfrid führte seinen Beinamen, der auch in der Form Strabus sich findet, weil er schielte: er hatte ihn aber ganz adoptirt und zwar vornehmlich in der letzteren Form S. die Schlussdistichen der Versus de imag. Tetrici, worin er dies selbst sagt und scherzend motivirt., so dass er selbst sich so, ohne weiteren Zusatz S. z. B. die Praefatio zur Epitome der Commentare Rabans zum Leviticus: ego Strabus, tradenti etc. und seine Gedichte., nennt. Er stammte aus Alamannien und war von geringer Herkunft. Er war, was mir am wahrscheinlichsten dünkt, um das Jahr 809 geboren. S. meinen Aufsatz S. 100. Ebenso für die andern Zeitbestimmungen. Nach Reichenau kam er unter Abt Haito, der von 806–823 dem Kloster vorstand. Dort war zuerst der Neffe Haito's, Erlebald, ein sehr gebildeter Mann, der mit seinem Oheim auch Byzanz besucht hatte, sein Hauptlehrer, dann als dieser 823 dem abdankenden Haito in der Abtwürde folgte, Wettin, »der berühmte Magister«, wie ihn Walahfrid selbst nennt; er war einst zugleich mit Erlebald zu seiner weitern wissenschaftlichen Ausbildung von Haito zu einem gelehrten Schotten So sagt Walahfrid in De visionibus Wettini, wo er ausführlich seiner Lehrer gedenkt (s. weiter unten):
        Mittitur (Erleb.) ad quemdam, socio comitatus, ab inde,
        Cuius multa viret sapientia dogmate, Scottum.

Ganz unbegreiflich ist, wie noch König S. 357 unter diesem Schotten Alcuin verstehen kann. Wo ist derselbe je ein Schotte genannt worden! Eher wäre an Clemens, den damaligen Lehrer der Hofschule Karls, zu denken; der war wenigstens ein Schotte. Zweifel erweckt aber, dass hier speciell die theologische Gelehrsamkeit des Schotten betont wird.
gesandt 147 worden. Walahfrid wurde Wettins Lieblingsschüler: ihm dictirte derselbe seinen letzten Willen, während er dem Lehrer das schönste Denkmal in einer Dichtung setzte, die seinen Namen der Nachwelt erhielt. Neben und nach Wettin unterrichtete ihn Tatto, der zuerst in Reichenau, dann auf der Hofschule gebildet war; kürzere Zeit auch der spätere Erzcapellan Ludwigs des Deutschen Grimald, der noch Alcuins Schüler gewesen sein soll. Monachus Sangall. I, c. 9. Trotz dieser Ausbildung durch so viele tüchtige und angesehene Lehrer begab sich Walahfrid doch noch nach Fulda (um 827), um Rabans Schüler zu werden – ein neues Zeichen, welche hohe Autorität dieser besass. Hier schloss er mit Gottschalk ein Freundschaftsbündniss, wovon noch ein späteres an diesen gerichtetes Gedicht Walahfrids zeugt. Eine Zeitlang scheint er auch in einer einsamen Cella des Klosters Fulda gelebt zu haben, vielleicht um ganz ungestört zu studiren.

Nachdem Walahfrid aber Fulda verlassen, gerieth er, arm wie er von Haus aus war, in die bedrängteste Lage, da er, man weiss nicht aus welchem Grunde, nach Reichenau nicht zurückkehrte. Aus dieser Lage wurde er, wie er selbst in einem Gedichte sagt, mit einem Male durch den Erzkanzler Hilduin herausgerissen und zu einer Ehrenstelle erhoben. Dies geschah meines Erachtens offenbar nachdem Walahfrid in Achen 829 durch Hilduin dem Kaiser empfohlen worden war. Seinen Dank zollte er damals durch eine Dichtung, worin er Ludwig den Frommen, seine Familie – vor allen Judith – und seinen Hof preist, auch des Hilduin selbst gedenkt. Walahfrid kam in die Dienste der Judith und ihres Sohnes, des Knaben Karl, dessen Erzieher er wurde. S. darüber meinen Aufsatz S. 103 ff. An ihren wie an des Kaisers Schicksalen in den folgenden stürmischen Jahren nahm er den innigsten Antheil. Die schöne geistvolle Frau, die er hübsch des Lichtes Freundin Lucis amica in dem auf die Versus de imag. Tetrici folgenden Gedicht: Ad Judith imperatricem. in einem Gedichte nennt, die Kunst und Wissenschaft liebte und selbst pflegte, musste der poetischen Natur des jungen Gelehrten ungemein sympathisch sein. Ludwig der Fromme verlieh denn auch Walahfrid zum Lohne seiner Treue und Dienste die Abtei Reichenau nach 148 Erlebalds Tode i. J. 838. Aber er verlor sie schon ein paar Jahre darauf wieder, als er nach dem von ihm sehr beklagten Tode des alten Kaisers in dem neu entbrannten Bürgerkriege Partei ergreifen musste, und dem Grundsatz der Reichseinheit treu bleibend an Lothar sich anschloss. Durch Ludwig den Deutschen von Reichenau vertrieben, floh er nach Speier. Aus dieser Verbannung wurde er aber 842 erlöst und in seine Abtei wieder eingesetzt, wohl durch den Einfluss seines Freundes und Lehrers Grimald, der, Kanzler Ludwigs des Deutschen, ihn mit dem neuen Landesherrn versöhnt haben wird. Indess nur sieben Jahre war es dann noch Walahfrid vergönnt, in seiner angesehenen Stellung, in welcher er auch als ausgezeichneter Lehrer thätig war Nach der Gelehrsamkeit seines Schülers Ermanrich zu urtheilen; s. über ihn weiter unten., zu wirken; schon 849, also im besten Mannesalter, starb er auf einer Reise, die er zu seinem Schüler Karl im Auftrage seines Königs Ludwig unternahm, beim Uebergang über die Loire. Seine Gebeine aber wurden in Reichenau bestattet.

Ganz im Gegensatz zu seinem Lehrer Raban besass Walahfrid eine wahre poetische Begabung, die sich zunächst schon in früher Jugend in einer nicht geringen Befähigung zur lateinischen Versification kundgab; er hat viel in Versen geschrieben, offenbar mehr noch als uns erhalten: aber er war nicht, wie so viele andre jener Zeit, ein blosser Versemacher, sondern er bewährt sich in einzelnen kleineren Gedichten wie in manchen Partien seiner grösseren Dichtungen auch als wahrer Poet. Er zeigt eine wirklich ästhetische Empfindung, er hat nicht bloss ein lebhaftes reiches Gefühl für sittliche Grösse, sondern auch einen feinen Sinn für Naturschönheit; er hat nicht bloss geistliche, sondern auch weltliche Dichtungen verfasst, wie er in der Schule der heidnischen klassischen lateinischen Dichter nicht minder als in der der christlichen sich gebildet hatte: so setzt er die humanistischen Bestrebungen und auch die weltliche Hofpoesie der ersten Renaissance, des Zeitalters Karls des Grossen, fort. Einzelne seiner Poesien bieten noch ein besonderes literarhistorisches Interesse, wie wir sehen werden, dar.

Dies gilt sogleich und vor allem von der wohl ältesten 149 seiner grösseren Dichtungen: De visionibus Wettini , über die Gesichte, welche Wettin, sein geliebter Lehrer, kurz vor seinem Tode (Nov. 824) von der jenseitigen Welt hatte. Dieses Werk ist die erste Darstellung einer solchen Vision in Versen, mit welcher diese besondere Species mittelalterlicher Dichtungen beginnt, die ihre höchste Vollendung in Dante's göttlicher Komödie findet; mit dieser selbst theilt das Werk aber auch manche einzelne Züge Ich habe sie bei der folgenden Analyse besonders berücksichtigt; zu ihnen gehört namentlich die Rolle des Führers ( ductor ), die Art wie die Strafe die Sünde malt, das Zeitgenössisch-persönliche, die himmlische Hierarchie des Paradieses; was das Locale anlangt, der bis in den Himmel sich erhebende Berg des Fegefeuers., was seine literarhistorische Bedeutung nicht wenig vermehrt. Es ist übrigens nur zu einem geringern Theile dem Inhalt nach ein Originalwerk, vielmehr zum grössern eine blosse Uebertragung einer Prosaschrift des Abts Haito in Vers und poetischen Stil, gleich den damals so gewöhnlichen Versificationen der Prosalegenden. Vgl. oben S. 24. Haito's Schrift findet sich in Mabillons Acta SS. ord. S. Bened. Saec. IV, pars 1 und bei Migne, Patrol. lat. Bd. 105, p. 770 ff. Der eigentliche Autor aber ist Wettin selbst, dessen Erzählung, sogleich nach seinem Erwachen von den Mönchen aufgezeichnet Auf Wettins dringende Bitte, in der Voraussicht seines baldigen Todes, s. c. 19 der Schrift Haito's., die Grundlage der Schrift des Abtes bildete. Das Gedicht, das gegen 1000 Hexameter zählt, ist wohl nicht vor dem Jahre 826 verfasst S. meinen Aufsatz S. 101. und Grimald von Walahfrid gewidmet, der, wie er selbst im Vorwort sagt, damals fast sein achtzehntes Jahr vollendet hatte. In Anbetracht dieser Jugend ist schon der leichte Fluss des Verses ein Zeugniss der besondern Begabung und Bildung des frühreifen Autors. Aber Walahfrid hat sich nicht auf eine blosse Versification beschränkt, sondern er hat auch eigene grössere und kleinere Zusätze gemacht: so hat er eine kulturgeschichtlich interessante Einleitung von über 150 Hexametern vorausgesandt, worin er, nach Aufzählung der Aebte Reichenau's von der Gründung des Klosters an bis auf Haito, von dessen und seines Nachfolgers Erlebald Leben ein eingehendes, liebevoll ausgeführtes Bild entwirft.

Walahfrid geht dann zu Wettin über, dessen 150 Gelehrsamkeit und Charakter er hoch rühmt, und erzählt, wie derselbe nach dreitägigem Kranksein – offenbar im Fieber – zunächst das Gesicht von dem bösen Geist in Gestalt eines Klerikers hat, dem sich dann eine ganze Schaar von bewaffneten Teufeln, den Kranken zu bedrängen, anschliesst. Aber ein paar himmlische Gestalten in Mönchsgewand erscheinen und verscheuchen die bösen Geister, und ein Engel – wie derselbe später selbst sagt, Wettins Schutzengel         – – – Ego sum qui te servare iubebar,
        Angelus et custos rerum persisto tuarum.

Canisius p. 216. Migne T. II, p. 1077 B.
– kommt ihn zu trösten. In der Unterhaltung mit ihm erwacht Wettin; er bittet dann die sein Lager umstehenden Brüder, für ihn zu beten und aus den Dialogen des heil. Gregor ihm vorzulesen – und wie Haito bemerkt, geschieht dies mit den ersten neun bis zehn Blättern des letzten Buchs, in diesem werden aber gerade Visionen erzählt; eben diesen Abschnitt hatte wohl auch der Kranke selbst verlangt, der sich also gleichsam zum Empfang eines neuen Gesichtes vorbereitete. Dieses bleibt denn in der That nicht aus, nachdem Wettin wieder entschlummert ist. Der Engel, der ihm früher erschienen, kehrt zurück und führt ihn auf einem reizenden Wege, dort sieht er ungeheuere Berge von unglaublicher Schönheit als wären sie von Marmor. Sie umgibt ein feuriger Fluss, in welchem unzählige Verdammte sich befinden, die die verschiedenste Folter erdulden; unter ihnen gewahrt Wettin sehr viele Priester, höheren wie niederen Ranges, die zugleich mit Weibern, mit welchen sie Umgang gehabt, bestraft werden. Manche der Priester erkennt er auch. Den Betrachtungen, die Haito darauf über die Unsittlichkeit der Priester anstellt, schliesst Walahfrid hier eine eigene lebhafte Mahnrede an sie an.

Nachdem Wettin also die Hölle geschaut, welche offenbar nach dem Vorgang Gregors Vgl. Bd. I, S. 522 u. 616; aber auch der Apocalypse c. 21, v. 8. der feurige Fluss – der Phlegethon der Alten – bedeutet, lernt er nun auch das Purgatorium kennen: so sieht er einmal einen furchtbaren mit Rauch angefüllten Thurm, worin Mönche der Reinigung halber sich aufhalten         Vidit et horrendum ligni lapidisque opus illic
        Materia exstructum, castelli more locatum,
        Ordine confuso, summo atque vapore repletum.
        Territus his frater quaerens, qui mansor inesset,
        Audiit inclusam monachum pro sorte catervam
        Purgandi variis patriisque locisque manentum.

Canisius p. 211.   Migne l. l. p. 1071 C.
, wie er auf seine Frage von dem Engel 151 erfährt, der einen besonders nennt, welcher wegen seiner Habgier in einer bleiernen Kiste eingeschlossen, den jüngsten Tag erwarten muss; danach aber erblickt Wettin einen bis zum Himmel hohen Berg, worauf sein »Führer« ( ductor ) sagt, auf der Spitze desselben verweile zu seiner Reinigung ein Abt, der vor einem Decennium gestorben, der Wuth der Stürme und des Regens ausgesetzt – Wind und Wasser also reinigen hier –: dieser Abt aber ist Waldo von Reichenau, wie ein Acrostichon an dieser Stelle der Dichtung anzeigt.         His visis, celsum coelo montemque propinquum
        Aspiciunt, tum ductor ait: hac arce tenetur
        Abbas, ante decem corpus qui liquerat annos.
        Ventorum incursus tempestatumque furores,
        Vim pluviae, multumque (ferens?) discrimen ibidem,
        Abluit incauto quidquid neglexerat actu. – –

Canisius l. l.   Migne l. l. p. 1072 A.
Auch ein Bischof, der von solchen Visionen nichts wissen wollte, sie vielmehr deliramenta nannte, weilt dort; auch sein Name wie der von andern, die hier büssen, wird durch ein Acrostichon angegeben. Ein paar der Acrosticha hat zuerst Bock entdeckt a. a. O. L, S. 68. Durch solche Angabe von Namen unterscheidet sich das Gedicht auch von der Prosa, die sie verschweigt. Zu ihnen gesellt sich kein Geringerer, als der grosse Karl selbst, der hier, wie Wettin mit Schrecken schaut, für seine Ausschweifungen büsst, denen er selbst bis zum Tode sich hingab.         Contemplatur item quemdam lustrante pupilla,
        Ausoniae quondam qui regna tenebat et altae
        Romanae gentis, fixo consistere gressu,
        Oppositumque animal lacerare virilia stantis,
        Laetaque per reliquum corpus lue membra carebant.
        Viderat haec, magnoque stupens terrore profatur:
        Sortibus hic hominum, dum vitam in corpore gessit,
        Iustitiae nutritor erat saecloque moderno
        Maxima pro Domino fecit documenta vigere,
        Protexitque pio sacram tutamine plebem;
        Et velut in mundo sumpsit speciale cacumen,
        Recta volens dulcique volans per regna favore.
        Ast hic quam saeva sub conditione tenetur,
        Tam tristique notam sustentat peste severam,
        Oro, refer. Tum ductor: In his cruciatibus, inquit,
        Restat ob hoc, quando bona facta libidine turpi
        Foedavit
etc.
Canisius p. 212.   Migne l. l. p. 1073 B.
Der Dichter widmet ihm aber im übrigen 152 schöne Worte des Lobs, denn auch der Engel versichert, dass Karl zum ewigen Leben bestimmt sei. – Dort sah dann Wettin auch prachtvolle Geschenke von dem Teufel zugerüstet, kostbare Gewänder, reich geschmückte Rosse u. s. w.; es sind die Mittel der Bestechung der Grafen, welche die hierher kommenden Sünder dort vorfinden. Gegen diese untreuen Beamten flicht hier der Dichter eine heftige Invective ein. Darauf führt aber die Erzählung Wettin zu den Mauern Der Visionär hat wohl an die Mauern des himmlischen Jerusalem gedacht. Apocalyps. c. 21, v. 12. Vgl. auch Bd. I, S. 616. einer prachtvollen Besitzung ( sedes) mit Bogen von Gold und Silber – die Beschreibung der Oertlichkeit ist wenig klar –: es ist das Paradies, und hier verkündigt der Engel seinem Begleiter, dass derselbe am Tage darauf das irdische Leben verlassen werde, und nun erstreben möge, noch sich der Gnade Christi zu versichern. Wettin sucht sie dann durch die Fürbitte der Heiligen zu erlangen, zunächst der Priester, dann der Märtyrer, die zum Throne Christi deshalb hinziehen, aber vergeblich durch diese; erst die Fürsprache der heiligen Jungfrauen hilft ihm. Hier folgt nun ein Preis der Jungfräulichkeit von Seiten des Dichters, dann eine heftige Strafpredigt des Engels gegen deren ärgste Feindin, die Sodomie Vgl. Prudentius' Psychomachia (v. 40 ff.), wo mit der Pudicitia die Sodomita libido kämpft. S. auch Bd. I, S. 272. – und der Engel fordert, dass Wettin, ins Leben zurückgekehrt, seine Worte mittheile – ferner weitere Ermahnungen an die Mönche und Nonnen; und zum Schluss seiner Rede rühmt der Engel einen grossen Wohlthäter des Klosters, Gerold, den Bruder der Gemalin Karls, Hildegard. – Hiermit schliesst die Geschichte der Vision; der Dichter erzählt dann noch, wie Wettin nach seinem Erwachen sie mittheilte, und das Ende desselben, wobei er einzelnes interessante zu Haito's Darstellung hinzufügt.

Ausser der eben betrachteten hat Walahfrid noch mehrere andre grössere erzählende oder beschreibende Dichtungen in 153 Hexametern verfasst, von welchen zwei noch der geistlichen Poesie angehören. Es sind zwei Heiligenleben, die stofflich interessanter als viele sind und einen gewissen poetischen Reiz besitzen. Das eine, kürzer und früher verfasst, ist die Vita S. Blaitmaici (10 Capp. und gegen 200 V.). Der Held ist ein irischer Königssohn und Thronerbe, der, von Jugend auf zur Askese geneigt, heimlich in ein Kloster geht. Vergeblich sendet der Vater die weltlichen und geistlichen Grossen ihn zurückzuführen. Blaitmaic glänzt dann bald durch seine Tugenden wie seine Gelehrsamkeit. Aber er wünscht sich noch die Palme des Martyrthums und so begibt er sich deshalb nach der Insel Hy bei Schottland, die den Angriffen der Normannen so sehr ausgesetzt war. Bei einem solchen findet er denn auch den ersehnten Tod, indem er den kostbaren Sarg des Columba auszuliefern verweigerte. – Die Katastrophe ist mit grosser Lebendigkeit erzählt, wie sich denn überhaupt diese Vita durch Kürze der Darstellung und einen kräftigen Versbau auszeichnet.

Weit umfangreicher (26 Capp. und gegen 650 V.), aber in der Ausführung weniger zu loben ist das andre Gedicht, die Vita S. Mammae . Ihm geht ein Vorwort in einem besondern Metrum, dem kleineren asklepiadeischen, voraus, demselben welches Prudentius zu seiner Praefatio des ersten Buches Contra Symmachum verwandte. Hier, wie schon in einem Prolog zu der andern Vita, stellt Walahfrid diese poetischen Heiligenleben den antiken Epen gegenüber, die Heiligen sind die christlichen Heroen, eine ja alt überlieferte Anschauung. – Der Held dieser Dichtung ist eine originelle Persönlichkeit. Mammes aus Caesarea ist auch schon als Kind der Askese ergeben. Früh verwaist, flüchtet der zwölfjährige bei der Christenverfolgung unter Aurelian ins Gebirge, wo er Schafe hütet und von ihrer Milch lebt. In wunderbarer Weise erhält er dort die besondere Gnade, das Evangelium den Thieren des Waldes zu predigen, die in einer kleinen Kapelle um ihn sich versammeln, seinem Vortrag der Bibel zu lauschen, und kniend adoriren.         Dumque sacros versus depromeret ore beato,
        Silvestres venere greges, animalia iussu
        Acta Dei, fixoque genu patienter adorant.
        Quo recitante tacent et acutis auribus adstant
etc. c. 4.
Es sind die wilden Schaf- oder Ziegenherden. Sie 154 lassen sich dann nach diesem Gottesdienst von dem Heiligen melken, der von der Menge der Milch Käse bereitet und ihn den Armen verschenkt. Neidische Bürger, die das Wunder mit ansahen, klagen Mammes der Zauberei an. Der Präses sendet Häscher aus ihn vorzuführen, aber sie wagen nicht ihn anzutasten. Mammes stellt sich freiwillig. Er läugnet, auf Zauberei sich zu verstehen, aber er verweigert, dies bei Caesar und Fortuna zu beschwören, oder den Göttern zu opfern. So wird er gefoltert und in das Gefängniss gesetzt; dorthin bringen ihm Tauben Speise. Vergeblich wird er dann in einen feurigen Ofen geworfen: eine Taube vom Himmel gesandt, löscht die Flamme. Nun soll er im Amphitheater von wilden Thieren zerrissen werden, aber sie schmeicheln ihm, ja einer der Löwen zerreisst statt seiner die zuschauenden Heiden und Juden. Auch gesteinigt, bleibt Mammes unverletzt. Nachdem er so über seine Feinde triumphirt, wird er durch eine himmlische Stimme abberufen: er bittet für jene und entschläft. Der Dichter schliesst mit seinem Lobe, indem er ihn mit andern Frommen vergleicht.

Die Wahl des Stoffes zeigt den Dichter, denn in jenem steckt in der That ein poetischer Kern, aber er ist zu wenig herausgearbeitet, dabei ist die Darstellung zu weitläufig und das Pathos hält sich nicht überall frei von Schwulst. Andrerseits finden sich aber auch manche anziehende Stellen, und für jene Zeit war selbst das Ganze in seinem leicht fliessenden Vers immerhin keine geringe Leistung. Doch verschmäht auch Walahfrid nicht ganz den Effect formeller Künsteleien, wie hier und da einmal die Alliteration in übertriebener Weise, z. B. c. 9:
        Flectere, frange fidem, facilis fuga, forte furoris
und kurz vorher:
        Nec poteris poenas penitus perferre paratas.

Von besonderem Interesse sind dagegen die beiden grösseren weltlichen Dichtungen. Die ältere ist jenes Gedicht, durch welches Walahfrid in Achen 829 seine erste Huldigung darbrachte und seine erste Begegnung mit dem Kaiser und seinem Hofe erzählt, die Versus de imagine Tetrici Die vollständige Ueberschrift s. oben S. 145 Anm. 2. – S. darüber namentlich Bock, Die Reiterstatue des Ostgothenkönigs Theodorich vor dem Palaste Karls d. Gr. zu Achen, in: Jahrbücher des Vereins von Alterthumsfreunden im Rheinlande. Hft. L. Bonn 1871. u. vgl. damit die frühere Arbeit Bocks (s. S. 145 Anm. 2.) und H. Grimm, Das Reiterstandbild des Theodorich zu Achen und das Gedicht des Walahfrid darauf. Berlin 1869., 268 Hexameter 155 mit einem Nachwort von 3 Distichen. Dieses literargeschichtlich wie historisch interessante Werkchen hat auch eine originelle Einkleidung. Es beginnt nämlich mit einem Zwiegespräch des Strabus und seiner Scintilla, d. h. seinem poetischen Genius, während der Dichter neben der vor dem kaiserlichen Palast zu Achen aufgestellten Reiterstatue des grossen Theoderich sich befindet, die Karl der Grosse 801 von Ravenna entführt hatte. Strabus fragt die Scintilla, warum sie in dieser holden Frühlingszeit – die er kurz schildert – seinem Rufe nicht antworte. Scintilla erwiedert: er werde wohl wissen, wie die alten Dichter um zu singen die Natureinsamkeit aufgesucht hätten; hier aber sei kein Ort zum Dichten, hier wo eine schmutzige Menge sich dränge, wo Bettler und Kläger laut lärmten. Er möge deshalb verzeihen, wenn sie nur wenig rede, da sie ihm doch antworten wolle. Der Dichter fragt nun nach der Bildsäule, neben der er sich befindet, und Scintilla erklärt sie ihm, die Einzelheiten deutend. Tetricus – Dietrich – wird hier im Geiste der römisch-klerikalen wie römisch-nationalen Ueberlieferung S. Bd. I, S. 521 Anm. 2., indem namentlich auch Boëtius Dessen Consolatio philosophiae Walahfrid in diesem Gedicht benutzt hat. Walahfrids Urtheil beeinflusste, als der abscheuliche, der Hölle überlieferte Tyrann betrachtet, zugleich aber als ein Typus der Avaritia und Superbia, in welchem Sinne Einzelheiten des Kunstwerks gedeutet werden. Dieses Gespräch über die Statue des Tyrannen bildet aber nur die Folie für die folgende Darstellung, einen Panegyricus auf Kaiser Ludwig, der das vollkommene Gegentheil von Dietrich ist. Den Uebergang bilden die Worte des Strabus v. 89 f.:
        Dignum est, ut video, praemissis tristibus ergo
        Debita principibus laudum persolvere vota.
Durch Ludwig, sagt Scintilla, ihn apostrophirend, sei das goldene Zeitalter zurückgekehrt; was etwa noch fehle, ergänze er durch seine Frömmigkeit. Wenn andre durch Schätze, so möge er durch Verdienste geschmückt sein, er gefalle durch Güte, während andre der Tyrannei sich erfreuen. Nur mit Moses sei er zu vergleichen, indem er die Völker der Finsterniss 156 entreisse und die ihm verliehenen Gaben Christi allen gemein mache. – Die Ausbreitung des Christenthums meint hier der Dichter, vielleicht im besondern Hinblick auf die Taufe Haralds (826) und die nordischen Missionen. – Und so übertrifft Ludwig noch Moses, denn: »jener hatte nur den Schatten, du den Leib.« Der Dichter vergleicht dann die Stiftshütte mit dem Tempel der Pfalz und seinen goldenen Bildwerken; wurde jene in einer Einöde errichtet, so dieser in der anmuthigsten Umgebung, in der Nähe des Parkes, wo wilde Thiere Gewiss keine blosse Phantasie, wie schon Bock a. a. O. L, S. 38 richtig bemerkt, da ja schon Karl d. Gr. manche Geschenke von wilden Thieren erhielt. mit zahmen spielen, und von dem höchsten Gipfel der luftigen Eiche die Vögel singen und zwitschern.

Aber da ertönt von der andern Seite liebliches Orgelspiel, und das Getäfel der von der Pfalz zur Kirche führenden Halle dröhnt von der grossen prächtigen Schaar, die dem herrlichen Moses folgt. Der Dichter sieht Ludwig, zwei Söhne neben sich, zur Rechten die beste Hoffnung des Reichs, ein Josua, dem nichts von Sitten, Tugend und Ehre fehlt, es ist Lothar; zur Linken Jonathan, der friedfertige, brave, immer siegreiche, des väterlichen Namens würdige, es ist Ludwig der Deutsche: ist sein Besitz geringer, so bietet die Eintracht Ersatz. Nec doleas, quod gaza negat, concordia praestat v. 173. Damit wird wohl auf die einheitliche Nationalität Deutschlands hingewiesen. Des abwesenden Pippin wird nur flüchtig gedacht: desto ausführlicher der »schönen Rachel«, die Benjamin führt, so wird die Kaiserin Judith nach der zweiten Gattin Jakobs genannt. Trotz der zarten Jugend zeigt Karl schon reifen Verstand: er soll in Thaten, Charakter, Tugend, Triumphen dem nachfolgen, dessen Namen er trägt. Die Kaiserin aber wird dann nicht bloss mit der biblischen Judith, sondern auch mit der Pauken schlagenden Maria verglichen, denn sie spielt die Orgel vortrefflich. Was das Geschlecht ihr versagte, ersetzt sie durch ihre Bildung, die des Dichters Verwunderung errege. Ihren Verstand, ihre Güte, ihren muthigen Sinn, ihre witzige Rede preist er, indem er mit Begeisterung ihr Glück wünscht.         Quicquid enim tibimet sexus subtraxit egestas,
        Reddidit ingeniis culta atque exercita vita,
        In qua multa simul nobis miranda videmus:
        Semine stat locuples, apparet dogmate dives,
        Est ratione potens, est cum pietate pudica,
        Dulcis amore, valens animo, sermone faceta:
        Laeta cubans, sit laeta sedens, sit laeta resurgens
        Laeteturque poli felix in sede locata.
v. 204 ff.
157 Nun folgt an der Spitze der Grossen, im prachtvollen hohenpriesterlichen Gewande Aaron, der aber keine Götzenbilder giesst, d. h. hier zugleich, frei von Geiz ist: auch ihm – es ist Hilduin – bringt der Dichter seine Glückwünsche dar. Nicht minder verehrt er den folgenden: es ist Beseleel (Einhard), der in seiner kleinen Gestalt zeigt, wie Gott das Schwache erkiest, und das Starke verachtet. Zuletzt gedenkt Walahfrid noch des Grimald, seines Lehrers, der im verborgenen den Musen huldige; denn alle die Grossen würdig zu feiern, sei ihm unmöglich, auch wenn er noch so viel Zungen hätte.

Während der Dichter aber in dieses Anschauen und diese Betrachtungen versunken ist, wird er plötzlich gefragt – nach dem Folgenden offenbar von dem Kaiser S. meinen Aufsatz S. 105. – woher er wäre und auf wessen Sendung er da sei. Zitternd gibt er ausführliche Antwort; einmal möge er diesen Anblick gehabt haben, aber beständige Liebe dränge ihn zu preisen: die göttliche Gnade möge den Kaiser mit seinen Nachkommen die Trophäen und den Ruhm der Väter behalten lassen, und sie einst in den Senat des Himmels aufnehmen. Wie das Wild den Bogen Ludwigs fürchte, so sollen die wilden Völker, Bulgaren, Sarazenen, Britten, Dänen u. s. w. sich ihm unterwerfen. Heil dem Staate, wenn die Könige weise sind und die Weisen herrschen. Zum Schluss nimmt der Dichter von dem thörichten Dietrich Abschied, der ihn zum Singen veranlasste: da sei es freilich kein Wunder, wenn das Gedicht mangelhaft sei.

Diese Dichtung, die in ihrer durchaus originellen Anlage das schöpferische Talent Walahfrids recht zeigt, hat noch die literargeschichtliche Bedeutung, dass in ihr die höfische Poesie des Zeitalters Karls des Grossen eine Fortsetzung findet; sie erinnert an die Eklogenpoesie eines Naso, wie an das dem Angilbert beigelegte epische Gedicht; zugleich ist leicht zu erkennen, dass an der Stelle des kaiserlichen Kunstfreunds, jetzt die hochbegabte, ihren Gemal weit überragende und 158 beherrschende Judith es ist, welche Poesie und Wissenschaft begünstigt.

Die letzte der grösseren Dichtungen Walahfrids, auch beschreibender, dabei aber zugleich didactischer Natur, ist die bekannteste von allen, da sie nicht bloss den Beifall des Mittelalters Auch wurde sie nachgeahmt, und zwar in grösserem Massstab, schon im 10. Jahrh. von einem Autor der sich Macer Floridus nennt, in der Dichtung De viribus herbarum ., sondern auch den der Humanisten gewann, wie sie denn auch im 16. Jahrhundert nicht weniger als achtmal im Drucke erschien (zuerst 1510): es ist der Hortulus , ein Gedicht von 444 Hexametern, worin Walahfrid als Abt sein Klostergärtchen beschreibt, und zwar zunächst seinem alten Lehrer Grimald, der damals selbst Abt von St. Gallen war, denn ihm ist das Werkchen gewidmet. Wie dasselbe so recht als der Ausdruck eines sorgenfreien Gemüthes erscheint, so beginnt auch der Verfasser einleitend mit dem Satze, dass unter den Merkmalen eines friedlichen Lebens nicht das geringste die Gartenkultur sei. Und überall, auf jedem Boden, liesse ein Garten sich herstellen, wenn man es nur versteht, die Arbeit nicht scheut und den Dünger nicht spart. Das weiss der Dichter nicht bloss aus alten Büchern oder von Hörensagen, sondern aus eigener Erfahrung. Er erzählt dann im ersten Kapitel, wie er den kleinen Hofraum urbar machte, von Nesseln und Maulwürfen gereinigt, eingezäunt und bestellt habe. Im Folgenden will er nun die Ernte, die Frucht dieser Bemühungen berichten, indem er in einzelnen Kapiteln alle die Pflanzen und Blumen vorführt, die er in dem Gärtchen gezogen. Es sind im Ganzen 23, eine jede in einem Kapitel behandelt, nämlich Salvei, Raute, Stabwurz, Gurke, Melone, Absinth, Andorn, Fenchel, Schwertlilie, Liebstöckel, Körbel, Lilie, Mohn, Sclarea, Minze, Polei, Eppich, Betonica, Ackermennig, Meertraube, Katzenminze, Rettig und Rose. Sie werden mehr oder weniger ausführlich, öfters wirklich poetisch geschildert, und ihre heilkräftigen Eigenschaften gerühmt Um ein Beispiel zu geben, wähle ich ein kürzeres Kapitel, das sich ganz mittheilen lässt: c. III. Ruta (v. 83 ff.).
        Hoc nemus umbriferum pingit viridissima Rutae
        Silvula caeruleae, foliis quac praedita parvis,
        Umbellas iaculata breves, spiramina venti
        Et radios Phoebi caules transmittit ad imos,
        Attactuque graves leni dispergit odores;
        Haec cum multiplici vigeat virtute medelae,
        Dicitur occultis adprime obstare venenis,
        Toxicaque invasis incommoda pellere fibris.
, ja 159 es wird selbst ihre medicinische Verwendung genauer gelehrt. S. z. B. cap. IX. Apium. Vor allem war also der Garten ein pharmaceutischer, welcher der Apotheke des Klosters zum Vortheil gereichte.

Die Dichtung hat einen durchaus weltlichen Charakter, wie denn auch die antike Mythologie als ästhetisches Mittel hier ohne Bedenken verwandt wird, so finden sich nicht bloss Priapus, Bacchus, Erato als allegorische Ausdrücke, sondern es wird auch antiker Fabeln wie des Hyacinth, der Latona nach Ovids Metamorphosen S. v. 221 f. u. 261 ff. gedacht. Nur das letzte, der Rose gewidmete Gedicht erhält ein geistliches Gepräge, indem diese »Blume der Blumen« mit der Lilie verglichen wird: beide bezeichnen die höchsten Palmen der Kirche, wie die eine der Märtyrer Blut, so die andere die glänzende Reinheit des Glaubens; hieran reiht sich dann noch eine Apostrophe an die heil. Jungfrau. Zum Schluss folgt die Widmung, die auch in eine anmuthige Form gekleidet ist: Grimald soll das Büchlein lesen, während er unter dem Schatten des Pfirsichbaumes sitzt, und seine Schulknaben fröhlich im Spiel sich tummelnd, die grossen zartwolligen Früchte auflesen, die sie mit einer Hand kaum fassen können.

Trotz einzelner Reminiscenzen aus Virgils Georgica und aus Columella ist auch diese Dichtung Walahfrids im Ganzen durchaus originell, und weiss einer sinnigen Naturbetrachtung einen anmuthigen Ausdruck in fliessenden Versen zu geben.

Ausser diesen grösseren Dichtungen hat Walahfrid noch eine Anzahl kleinere hinterlassen. Die meisten von ihnen gehören auch der weltlichen Poesie an: es sind vornehmlich theils in Reichenau entstandene Jugendgedichte, wie sich denn eine Sammlung unter dem Titel: Versus quos post annum aetatis quintum decimum edidit de rebus humanis erhalten hat, theils an dem Hofe der Judith verfasste. Die meisten sind, in der Form von Episteln, an bestimmte Personen gerichtet, in Hexametern oder Distichen. Oft sind diese Gedichte schon durch die Persönlichkeit des Adressaten von Interesse. Unter 160 denselben finden wir Autoren, wie den Historiker Thegan – welche Epistel im Namen von Tatto, Walahfrids Lehrer, verfasst ist – den Bischof Modoin, der auch hier als Dichter gepriesen wird Vgl. oben S. 82., Agobard – in welchem Gedicht dessen Diacon Florus besonders verherrlicht wird – Raban und Gottschalk; andrerseits den Kaiser Ludwig und die Seinigen, Judith, den jungen Karl, den der Dichter als Lehrer ermahnt, Hilduin (ein Dankschreiben), die Verwandten der Judith, Graf Konrad, ihren Neffen, u. s. w. Von diesen Gedichten verdienen ein paar besondere Berücksichtigung. Das eine an Judith (50 Hex.) erzählt einen tröstenden Traum, den Walahfrid in der Zeit, wo die Lage des Kaisers eine sehr traurige war, gehabt hatte. Das Gedicht beginnt mit einem ergreifenden Zeitgemälde:
        Temporis infausta sub potestate dolendi,
        Dum fraudis commenta pios populumque patremque
        Opprimerent, sanctamque fidem delere pararent
        Praescripta exsiliis, odio, vi, carcere, ferro:
        Tunc iacuere boni nebula moeroris opaci,
        Solaque per gremium regni nutantis ineptos
        Perfidia exseruit terrore tyrannidis ausus – –

Canisius p. 234.   Migne l. l. p. 1096.
Das andre, ein längeres Gedicht von 100 Hexametern, ist ein ächt poetisches Werk, an dem Herz und Gesinnung Walahfrids ihren vollen Antheil haben; es ist an »den Laien Ruodbern« – später, wie Dümmler meint Gesch. des ostfränk. Reichs I, S. 95 u. vgl. Simson a. a. O. II, S. 99., Cubicularius Karls des Kahlen – gerichtet, dessen Treue in einer so treulosen Zeit der Dichter feiert, indem er schildert, unter welchen Schwierigkeiten und Gefahren der Alpenreise wie der Nachstellungen der Feinde Schön sagt der Dichter u. a.:
        Nox obscura diem, noctem lux ipsa timebat;
        Nulla domo campove quies, timor undique pulsans:
        Sola fides rectique sibi mens conscia tantum
        Suasit opus, docuitque aliquam sperare salutem.

Canisius p. 239.   Migne l. l. p. 1101.
dieser treue Diener des Kaisers Judith in Italien aufsuchte und ihre Befreiung vorbereitete. Aus einer späteren Zeit ist noch bemerkenswerth ein Gedicht an Lothar (84 Hex.) Von Dümmler zuerst herausgegeben in der Zeitschr. für deutsches Alterth. N. F. VII, S. 462., 161 worin ihn Walahfrid, nach seiner Vertreibung aus Reichenau, in Speier um Unterstützung bittet und dabei seiner kaiserlichen Gesinnung wie seinem Schmerze über den Tod seines Gönners, Ludwigs des Frommen, Ausdruck gibt.

Auch Epigramme, namentlich Inschriften hat Walahfrid verfasst; unter jenen finden sich auch einige scherzhafte. So ein Billet an einen Poeten, einen Schotten: Versibus atque metris par est donare poetam bei Canisius p. 242, Migne l. l. p. 1104. Er hat sich aber auch als Lyriker versucht. So haben wir von ihm ein kurzes Lobgedicht auf die Gemalin des oben erwähnten Grafen Konrad, Adelheid in phaläcischen Elfsilblern; interessanter ist ein längeres Gedicht De carnis petulantia in zehn sechszeiligen Strophen glyconischer Verse Ein Metrum, dem wir auch in Prudentius' Peristeph. VII, nur in fünfzeiligen Strophen, begegnen. (Bd. I, S. 255 ist das Metrum irriger Weise anders bestimmt, was hiernach zu ändern.) Walahfrids Gedicht beginnt:
        Quisquis tramite pendulo
        Declivique spheram loco
        Plana ponit in area,
        Ni prensum teneat manu:
        Statim cernit ad infima
        Cursu nare volubili.

Canis. p. 252, Migne l. l. p. 1114.
, worin die Nothwendigkeit, bei Zeiten jenem Fehler Einhalt zu thun, in einer Reihe von Bildern gezeigt wird: das Gedicht hat einen volksmässigen liederartigen Charakter, obgleich es in quantitativen Versen und ohne beabsichtigten Reim geschrieben ist (der sich überhaupt nur ein paarmal hier findet). Ferner ein längeres Gedicht in sapphischen Strophen, worin unser Poet, nachdem er Raban verlassen, auf einem einsamen Gute mitten im kältesten Winter, wie es scheint in einer Cella Fulda's, seine traurige Lage beklagt und seinem Heimweh nach dem schönen Reichenau, das er jetzt empfindet, einen zärtlich gefühlvollen Ausdruck gibt. Dies Gedicht habe ich zuerst herausgegeben im Anhang meines Aufsatzes S. 109 ff.

Auch Hymnen hat Walahfrid gedichtet: so ein paar auch im sapphischen Metrum, davon eine auf Christi Geburt, worin er am Schluss dessen Segen für Kaiser Ludwig, Judith und ihren Sohn erfleht; eine andre auf die Translation der 162 Gebeine des heil. Januarius nach Reichenau durch Kaiser Lothar. Die erstere bei Canis. p. 223 f. Migne l. l. p. 1085; die andre von Dümmler herausgeg. im Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. N. F. Bd. 23 (1876), S. 178 f. – Auch eine Hymne » In natalem S. Mammae« hat Walahfrid gedichtet im Ambrosianischen Metrum, die aber wenig bedeutend ist. Weit bedeutender ist eine in 33 vierzeiligen Strophen phaläcischer Verse im Stile der Peristephanon des Prudentius und offenbar nach seinem Vorbild verfasste Hymne, welche den Märtyrern von Agaunum, dem heutigen St. Moriz in Wallis, gewidmet ist, der so genannten thebaischen Legion, die dort wegen ihres Christenthums, nach einer aus dem Orient übertragenen Sage, 285 trotz bewährten Waffenruhms auf kaiserlichen Befehl vernichtet sein sollte. Namentlich sind die Reden des »Führers« ( dux) und der Soldaten vortrefflich; wie denn die Hymne überhaupt in kräftigem Stil und Vers geschrieben ist. Wie in diesem Gedichte besonders, so hat Walahfrid im allgemeinen vor andern christlichen Dichtern Prudentius sich zum Muster genommen, namentlich auch, wie schon angedeutet, in metrischer Hinsicht.

Von den Prosawerken Walahfrids ist das einzige selbständige und bedeutendere, das zugleich von allgemeinem Interesse ist, sein Buch: De ecclesiasticarum rerum exordiis et incrementis . Dasselbe ist laut der Vorrede auf den Wunsch des gelehrten Bibliothekars von Reichenau S. über ihn König a. a. O. S. 372 f., und vgl. von demselben Verf.: Die Reichenauer Bibliothek, in dem 4. Bd. des Freiburg. Diöcesan-Archiv, insbesondere S. 263 ff., Reginbert und zwar zur Ergänzung früherer Schriften über Liturgik verfasst. Walahfrid hat hier zuerst eine historisch-kritische Behandlung derselben versucht, indem er, wie er in der Vorrede sagt, anzeigen will, »woher dies oder jenes zur Gewohnheit wurde und im Verlauf der Zeit sich gestaltete«; also will er eine Entwickelungsgeschichte einzelner zum Kultus gehöriger Dinge geben. Da das Werk als Ergänzung nur auf einzelnes sich bezieht, so erklärt sich der essaiartige Charakter der Darstellung, der Mangel einer systematischen Anlage, sowie manche Abschweifungen, auch fehlt deshalb die mystische Erklärung. Der Verfasser beginnt mit den Kulturstätten, Tempeln und Altären; c. 5 handelt von den Glocken; c. 6 wird eine 163 Erklärung der lateinischen Namen der kirchlichen Gebäude und ihrer Theile gegeben; dem schliesst sich nun ein besonders interessantes Kapitel (7) an: die Erklärung des deutschen Namens des Gotteshauses. Der Verfasser thut dies, wie er sagt, auf die Gefahr hin, den Lateinern lächerlich zu erscheinen, deren Hochmuth er hier mit heiterer Ironie, in welcher Walahfrids patriotische Gesinnung sich spiegelt, verspottet. Dicam tamen etiam secundum nostram barbariem, quae est Theotisca, quo nomine eadem domus Dei appellatur: ridiculo futurus Latinis, si qui forte haec legerint, qui velint simiarum informes natos inter augustorum liberos computare. Scimus tamen et Salomoni (qui in multis typum gessit Domini Salvatoris) inter pavones simias fuisse delatas (III. Reg. c. 10). Es sollen es nur die Landsleute lesen, und erfahren, dass sie in vielen Dingen die Weisheit der Griechen und Römer nachahmen. Diese besteht nämlich hier darin, mit den Dingen auch die Namen derselben andern Völkern zu entlehnen. Wie die Griechen und Lateiner solche den Hebräern entnahmen, und die Lateiner zugleich den Griechen, so die Deutschen den Lateinern wieder. Dies gälte namentlich von fast allen kirchlichen Gegenständen, aber auch in die gemeine Sprache sei vieles aus dem Lateinischen übergegangen, das selbst wieder aus dem Griechischem stamme, wie »Vater«, »Mutter«. So wird denn Kirche von Kyriaca hergeleitet. Die Aufnahme der aus dem Griechischen stammenden Wörter in die deutsche Sprache wurde aber vermittelt durch die im römischen Kriegsdienst stehenden Barbaren und ihre Bekehrung, namentlich durch die Gothen, deren noch erhaltener Bibelübersetzung hier Walahfrid gedenkt. – Das nächste Kapitel (8) hatte ein actuelles Interesse, indem es die Bilder und ihre Verehrung zum Gegenstand hat, wo denn Walahfrid die deutsche verständige, vermittelnde Ansicht vertritt. – Ausführlich wird im weiter Folgenden (c. 14 ff.) die Messe behandelt, und dabei auch der Hymnen (c. 25) und ihrer Geschichte besonders und zwar ganz ausführlich gedacht, ein Abschnitt der recht die grosse Belesenheit des Verfassers zeigt. Beachtenswerth ist, dass auch hier metrische und rythmische, sowie Hymnen im allgemeinen Sinne neben den eigentlichen unterschieden werden. Notandum, hymnos dici non tantum qui metris vel rhythmis decurrunt – – verum etia caeteras laudationes, quae verbis convenientibus et sonis dulcibus proferuntur. Unde et liber Psalmorum apud Hebraeos liber hymnorum vocatur. Et quamvis in quibusdam ecclesiis hymni raetrici non cantentur, tamen in omnibus generales hymni, id est, laudes dicuntur. – Auch eine literarhistorische Kritik zeigt schon Walahfrid, indem er unter den hymni Ambrosiani die von Ambrosius selbst und die von seinen Nachahmern gemachten unterscheidet, welche letzteren durch Inhalt wie Sprache sich von jenen oft unterschieden. Vgl. Bd. I, S. 171. 164 Besondere Erwähnung verdient noch das eigenthümliche Schlusskapitel (31), welches für den Historiker werthvoll ist: es enthält nämlich eine Vergleichung der geistlichen Würden mit den weltlichen, so wird dem Papst der Kaiser gegenübergestellt, den Patriarchen die Patricii – wohl in Erinnerung an die Stellung der Frankenkönige vor dem Kaiserthum Karls – den Erzbischöfen die Könige, den Metropolitanen die Herzöge; und so wird die Stufenleiter hinabgeführt bis zu den Acoluthen, Lectoren, Cantoren und Psalmisten, denen auf weltlicher Seite die » Veredarii (Couriere), Commentarienses, Ludorum exhibitores, Carminum pompatici relatores« gegenüberstehen. Die beiden zuletzt genannten weltlichen dignitates sind besonders interessant, es können darunter nur Hofspielleute und Sänger vorstanden werden, namentlich Joculatores, die bei Hofe angestellt waren.

Am wenigsten selbständig erscheint unser Autor in seinem umfangreichsten, rein theologischen Werke, das ihm den meisten Ruhm eintrug und sich noch bis in das 17. Jahrhundert in Ansehen erhielt; es ist die Glossa ordinaria d. h. ein kurzer Commentar der ganzen Bibel, grossentheils aus den Commentaren des Raban gezogen, welche selbst, wie wir sahen, fast nur Compilationen sind, ein Werk erstaunlichen Fleisses, das von andern erweitert, das beliebteste Hülfsmittel für die Bibelerklärung im Mittelalter blieb. In diesem Werk bewährte sich Walahfrid recht als Schüler Rabans.

Seine humanistische Bildung aber machte ihn auch zum Bearbeiter und Herausgeber von Werken andrer. So überarbeitete er zunächst auf den Wunsch des Abtes Gozbert von St. Gallen die alte Vita des h.  Gallus, dann im Anschluss hieran zwei hagiographische Werke eines gleichnamigen Neffen jenes Abtes, des Diacon Gozbert, der es selbst verlangte, nämlich eine Fortsetzung jener Vita – ein Buch von den nach dem Tode des Heiligen geschehenen Wundern – und das Leben 165 des ersten Abtes des Klosters, des heil. Othmar. S. die beiden letzten Werke in: Monum. German. histor. Script. T. II, p. 21 ff. u. p. 41 ff., das erste in Mabillons Acta S S. ord. Bened. Saec. II. Diese Bearbeitungen geschahen aus formalen Rücksichten; es wurde einmal dem alten Werk ein neues stilistisches Gewand angelegt oder, wie bei Gozberts Schriften, dieses verbessert: wie weit Walahfrid in seiner Bemühung um den Color latinus ging, zeigt, dass er sogar die Namen der Zeugen der Wunder des heil. Gallus lieber wegliess, als durch ihre barbarischen Formen »die Ehre des lateinischen Ausdrucks« zu beschmutzen ( V. S. Galli l. II, c. 10); ferner hat Walahfrid auch gekürzt, beziehungsweise zusammengezogen, um Langweiligkeit zu verhüten, wie er selbst sagt, und endlich auch, wenigstens bei der alten Vita, eine Eintheilung in Kapitel, zum leichteren Verständniss vorgenommen. In der Vorrede des eben erwähnten Buches findet sich aber auch ein kleiner selbständiger geographisch-kritischer Excurs über unsers Autors Heimath, Alamannien. Er hatte übrigens die Absicht, das Leben des heil. Gallus auch noch metrisch zu behandeln, kam aber nicht zu ihrer Ausführung. – Von Einhards Leben Karls veranstaltete Walahfrid eine neue Ausgabe, indem er dasselbe in Kapitel eintheilte und diesen Titel gab, um das Nachschlagen, wie er sagt, zu erleichtern. Zugleich fügte er einen zwar kurzen aber inhaltreichen Prolog hinzu, worin er eine kleine, heute sehr werthvolle Lebensnotiz und treffliche Charakteristik des Autors gibt. S. Jaffé's Ausgabe oben S. 92 Anm. 1.

Bedenkt man dass Walahfrid im besten Mannesalter starb, so erscheint seine grosse und vielseitige literarische Thätigkeit doppelt bedeutend; dabei hat er zugleich als Lehrer sicher folgenreich gewirkt, indem er den einflussreichen Gönner der Wissenschaft und literarischen Kultur, Karl den Kahlen erzog und die ausgezeichnete Schule Reichenau's, der er selbst so viel verdankte, in ihrer Blüthe erhielt. Walahfrid erscheint nicht bloss als ein grosses, selbst schöpferisches Talent, das auch seine eigenen Wege zu gehen weiss, sondern auch als eine liebenswürdige Persönlichkeit, wie einzelne in seinen 166 Werken zerstreute Züge zeigen, unter welchen auch selbst der eines heitern Humors nicht fehlt.

 


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