Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Geschichten von Bisthümern und Klöstern.

Die chronistischen Werke, die einzelnen Gebieten gewidmet sind, betreffen in dieser Periode nur geistliche: Bisthümer oder Klöster, indem sich die Darstellung unter geringerer oder grösserer Einmischung des biographischen Elements, an die leitenden Persönlichkeiten reiht, die Bischöfe und Aebte. Das älteste und wichtigste dieser Werke, das den andern zum Vorbilde gedient hat, ist der Liber pontificalis oder Gesta , auch Vitae pontificum Romanorum betitelt. Ed. Bianchini. Rom 1718. 4 Tom. fol., danach in: Muratori, Rerum italicar. Scriptores T. III. – – Piper, Einleitung in die monumentale Theologie. Gotha 1867. S. 315 ff. – Duchesne, Etude sur le libre pontificalis. Paris 1877. – Waitz, Ueber die verschiedenen Texte des liber pontif. im N. Archiv Bd. IV. – S. über den heutigen Stand der Frage nach dem Alter und dem Verhältniss der verschiedenen Texte: Waitz in der Histor. Zeitschr. 1880. S. 135 ff. Es enthält zunächst die Geschichte der einzelnen Päpste bis Stephan VI. (incl.), der von 885 bis 891 den römischen Stuhl einnahm. Zwei Theile lassen sich aber in dieser ersten Hauptpartie – dem Grundwerk, das später eine Fortsetzung fand – unterscheiden, von 375 welchen der erste mit Conon (686 bis 687) abschliesst. Dieser ist auf Grund eines Papstcatalogs aus der Mitte des vierten Jahrhunderts, und unter Benutzung der Aufzeichnungen des päpstlichen Archivs, der Inschriften und mündlicher Tradition ausgeführt. Die Vitae sind kurz, annalistisch in der Darstellung, obwohl meist nur ganz allgemeine Zeitangaben – abgesehen von der Dauer des Pontificats – sich finden; annalistisch auch in der Art der Auswahl des Stoffes: kurze persönliche Angaben, die wichtigsten politischen Ereignisse, die das Papstthum und Rom betreffen, Häresien, Naturereignisse; eine ganz besondere Berücksichtigung aber wird den ausgeführten Bauten und erworbenen Kirchengeräthen zu Theil. Der zweite Theil ist das Werk verschiedener Verfasser, die den ersten successive fortsetzten, zum Theil selbst als Zeitgenossen. Die Vitae sind hier umfangreicher, manche, wie die Hadrians, Leo's III. und Leo's IV., selbst sehr ausführlich, indem jetzt auch auswärtige Begebenheiten, die in keiner näheren Beziehung zu dem Papstthum stehen, berichtet werden. Die Darstellung gewinnt zugleich an Lebendigkeit und individueller Färbung. Früher nahm man irrthümlich als Verfasser des ganzen oben betrachteten Grundwerks den römischen »Bibliothekar« Anastasius an (der um 886 starb und verschiedene Werke aus dem Griechischen übersetzt hat), ihm ist aber höchstens die Vita Nicolaus' I. beizulegen.

 

Wie schon dem Paulus Diaconus bei seinen Gesta pontificum Mettensium das römische Pontificalbuch Vorbild war, so ist dies ingleichen der Fall gewesen bei einem weit bedeutenderen Werke Italiens, dem Liber pontificalis ecclesiae Ravennatis des Agnellus. Ed. Holder-Egger in: Monum. German. histor., Script. rer. Langobard. saec. VI–IX. p. 265 ff. (Praef.) – – Piper a. a. O. S. 349 ff. Agnellus, der auch Andreas hiess, stammte aus einer edlen und reichen Familie Ravenna's und war um d. J. 805 geboren. Schon als Kind zum geistlichen Stande bestimmt, kam er früh für Geld und durch Erbschaft in den Besitz von ein paar Klöstern und wurde Presbyter der Kirche seiner Vaterstadt. Durch seine Gelehrsamkeit angesehn, wurde er von seinen geistlichen Brüdern (den andern Presbytern) um Abfassung des Werkes gebeten, das er vor d. J. 838 376 begann und allmählich es fortführend Indem er es stückweis den Brüdern, die ihn fortwährend um die Fortsetzung drängten, vorlas, s. z. B. c. 38 u. 39, c. 62., erst nach 846 etwa beendete, da er mit dem Erzbischof Georgius schliesst. Von dem man annimmt, dass er um d. J. 846 gestorben ist.

Bei der Ausführung seiner Aufgabe die Wirksamkeit der einzelnen Bischöfe von Ravenna zu schildern, verfährt Agnellus zwar in ähnlicher Weise, als das römische Pontificalbuch, indem er in chronologischer Reihenfolge einen Bischof nach dem andern vorführend, die Handlungen derselben berichtet und dabei namentlich auch der Bauten und des Schmuckes wie der Geräthe der Kirchen gedenkt, aber er unterscheidet sich schon in dieser Beziehung von seinem Vorbilde insofern er nicht auf blosse Angaben jener sich beschränkt, sondern die Gebäulichkeiten und Kunstwerke beschreibt, wo nicht selbst, doch durch Mittheilung schildernder Gedichte, die sich, wie es ja schon lange Sitte war, als Inschriften daran fanden; ja er geht noch weiter und benutzt, wohl der erste, die Werke der monumentalen Kunst als Geschichtsquelle, wie er dies auch selbst sagt. S. unten Anm. 5 die im Druck hervorgehobenen Worte. So gibt er auch nicht selten nach Portraits ein Bild des Aeussern der Bischöfe. Auch ist die mündliche Tradition, auf die er sich häufig beruft Allerdings mitunter auch unwahrer Weise, da wo eine schriftliche Quelle ihm vorlag, wie dies in Betreff der Ravennater Annalen von Holder-Egger nachgewiesen ist., in weit ausgedehnterer Weise seine Quelle gewesen, wie er denn gern selbst ganz lange fromme Sagen und Anekdoten seiner Darstellung einflicht. Ja er scheut sich sogar nicht (was er offen eingesteht) da, wo das Material ihm ganz fehlt, ein Charakterbild aus der Phantasie zu entwerfen. S. De s. Exuperantio (p. 297), wo er sich zugleich gelegentlich über seine Quellen äussert: Et ubi inveni quid illi (fratres) certius fecerunt, vestris (legentium) aspectibus allata sunt, et quod per seniores et longaevos audivi, vestris oculis non defraudavi; et ubi istoriam non inveni aut qualiter eorum vita fuisset, nec per annosos et vetustos homines, neque per haedificationem, neque per quamlibet auctoritatem, ne intervallum sanctorum pontificum fieret, secundum ordinem, quomodo unus post alium hanc sedem optinuerunt, vestris orationibus me Deo adiuvante, illorum vitam composui, et credo non mentitum esse, quia et horatores fuerunt castique et eleemosinarii et Deo animarum hominum acquisitores. De vero illorum effigie si forte cogitatio fuerit inter vos, quomodo scire potui: sciatis, me pictura docuit, quia semper fiebant imagines suis temporibus ad illorum similitudinem. 377 Von Büchern hat er nur wenige benutzt; dagegen hat er vieles aus den Urkunden des Ravennatischen Archivs geschöpft.

Wie er selbst einen regen Sinn für Kunst und Poesie besass, so theilt er auch Inschriften in Versen mit, wo sie auch nicht zur Beschreibung dienen, wie auf Gräbern und auch sonst. Hierdurch erhält sein Werk noch ein besonderes literarhistorisches Interesse. Er selbst hat auch zwei eigene Gedichte in dem Werke gegeben. Das eine, an der Spitze desselben, enthält ein Gespräch in Hexametern zwischen dem Dichter und seinen Mitpresbytern, worin sich jener nach einigem Sträuben bereit erklärt, ihre Bitte zu erfüllen und das Werk zu verfassen; es schliesst mit einigen adonischen Versen. Das andre Gedicht, das dem Vorworte folgt, wie das erste ihm vorausgeht, ist ein Acrostichon von zehn Distichen auf den heiligen »Apolinaris«, mit welchem, als einem Schüler des Apostels Petrus, die Reihe der Bischöfe Ravenna's sich eröffnet. – Wie die ganze Darstellung des Agnellus einen recht subjectiven Charakter hat, indem er manches persönliche einmischt und von Parteilichkeit sich durchaus nicht frei hält, so auch sein Stil; er ist ungleich, in der Erzählung im Ganzen einfach und natürlich, zuweilen aber durch poetische Ausdrücke und Phrasen, die namentlich dem Virgil entlehnt sind, schwülstig und geziert. Daneben finden sich auch episodisch Betrachtungen im salbungsvollen Kanzelstil. Bei der sehr schlechten Ueberlieferung lässt sich über die Sprache kaum ein Urtheil fällen.

 

Um dieselbe Zeit wurde nach demselben Vorbilde in Westfrancien auch die Geschichte eines Klosters geschrieben in den Gesta abbatum Fontanellensium In: Monum. German. histor., Script. T. II, p. 270 ff. Ed. Pertz. (Praef.).; es ist das Kloster Fontanelle oder St. Vandrille. Der Verfasser, dessen Namen unbekannt, war ein Mönch desselben und führt sein Werk bis zum Tode des Ansegis 833. Bei dem Leben dieses wie bei dem des Stifters verweilt er am längsten. Das Kloster wurde von Wandregisil, einem Vetter des älteren Pippin, der zuerst 378 Laie, Pfalzgraf und Herzog, war, dann sich dem asketischen Leben weihte, in der Nähe von Rouen gegründet (645). Die Geschichte dieser Aebte, die auch einiger merkwürdiger Mönche besonders gedenkt Leider ist sie nur mit einer Lücke überliefert, indem die Gesta der drei auf den Stifter folgenden Aebte, sowie der Schluss des Lebens des Wandregisil in der Handschrift fehlen., gibt ein anschauliches Bild von den Schicksalen eines Klosters im Frankenreiche im siebenten und achten Jahrhundert. Merkwürdig ist, wie oft Fontanelle von Bischöfen (von Rouen und von Reims) und Aebten anderer Klöster regiert wurde. Auch Laien fehlten unter seinen Rectoren nicht. Den Hauptinhalt dieser Gesta bildet die Mittheilung der Erwerbungen des Klosters an Grundbesitz und andrerseits ihrer Verluste vornehmlich in Folge von Säcularisation Vgl. Roth, Die Säcularisation des Kirchengutes, im Münchener histor. Jahrbuch für 1865., ferner der von den Aebten geschenkten und vererbten Kirchengeräthe, Gewänder und auch Bücher, sowie ihrer Bauten. In beiden Beziehungen zeichnete sich namentlich der sehr reiche und hochgebildete Ansegis aus, der seit 823 dem Kloster vorstand, und zugleich noch ein paar andre besass. Wie er unter Einhards Oberleitung die königlichen Bauten in Achen ausgeführt hatte, so restaurirte er und errichtete auch neu manche Gebäude des Klosters und liess sie auch mit Wand- und Deckengemälden schmücken; andrerseits verbesserte er den Landbau und stellte die Regel Benedicts wieder her; er schenkte auch diesem Kloster, wie einem andern, eine nicht geringe Zahl Bücher Er muss eine bedeutende Bibliothek gehabt haben, wie man sieht, wenn man die nicht einmal vollständige Liste der dem Kloster Flaviacum geschenkten Bücher (p. 295) mit den Fontanell gegebenen verbindet., namentlich Werke des Augustin, Ambrosius, Hieronymus und Beda, welche im Verein mit einer früheren Schenkung, des Abtes Wando in den vierziger Jahren des achten Jahrhunderts S. c. 13 (p. 287). Unter diesen Büchern, die selbstverständlich grösstentheils theologische waren, werden doch auch genannt die » Historia Jordani, episcopi Ravennatis ecclesiae, de origine Getarum« und, was noch interessanter, die » Historia Apollonii regis Tyri«., eine stattliche Büchersammlung schon bildeten. Dazu kamen noch eine Anzahl Bände, welche unter dem Vorgänger des Ansegis ein Mönch des Klosters, der in 379 einer Cella desselben einsiedlerisch lebte, der Presbyter Harduin selbst geschrieben hatte. Dieser machte sich auch durch seinen Unterricht in der Arithmetik und in der Schreibkunst verdient zu derselben Zeit, wo sein Abt Gervold die Klosterschule für die ganz ungebildeten Mönche gründete, und selbst recht musikalisch, sie im Gesang unterrichtete (c. 16, p. 292). Politische Nachrichten finden sich wenige und diese sind – von solchen abgesehen, die das Kloster unmittelbar berührten – fast alle bekannten Werken, wie Fredegar, den Reichsannalen u. s. w. entlehnt. Die Hauptquellen, aus denen der Verfasser schöpfte, sind Klosterurkunden und mündliche Tradition Dieser wird umständlich gedacht bei der Erzählung von einem Einsiedler Milo (aus dem Anfang des achten Jahrhunderts), wo es heisst: Audivi nempe narrantem quendam venerabilem senem, qui ab eo didicit, qui ipsum Milonem multo tempore vidit – – c. 4 (p. 278)., wozu dann noch die alte Vita des Stifters kommt. Herausgeg. von Arndt in: Kleine Denkmäler aus der Merovingerzeit. Hannover 1875.

Auch eine kurze Chronik dieses Klosters vom Jahre 841 bis 859 hat sich erhalten. Monum. Germ. hist. l. l. p. 301 ff.

 

Noch ist aus dieser Periode die Geschichte eines Klosters Italiens zu erwähnen, des im Sabinerlande zwischen Rom und Reate gelegenen, der heil. Jungfrau gewidmeten Farfa – so genannt nach einem Flusse in seiner Nähe. Diese Geschichte von Farfa geht bis zum Jahre 857, und ist wohl nicht lange danach verfasst worden. Den grössten Raum nimmt in ihr die ausführliche Erzählung von der Gründung des Klosters und dem ersten Abte Thomas ein; daher ist denn die Schrift Constructio Farfensis betitelt worden. Ed. Bethmann in Monum. German. histor., Script. T. XI, p. 519 ff. (Praef.) Thomas (starb 720), ein Presbyter Galliens, hatte eine Pilgerfahrt nach Jerusalem unternommen: dort wird ihm, während er am heil. Grabe Gott anfleht, ihm den Weg des Heiles zu zeigen, eine Erscheinung der Jungfrau, die einen Ort im Sabinerlande bezeichnet, wo mitten im Walde bei drei hohen Cypressen eine ihr geweihte Basilika steht; dort solle er leben, um seinen Wunsch erfüllt zu sehen. Nach manchem vergeblichen Versuche gelingt es 380 Thomas auch den Ort zu finden, wo er denn, unterstützt von dem Herzog von Spoleto, ein Kloster gründet. Noch wird von ihm eine Cella desselben am Vulturnus zunächst für drei edle junge Beneventer, die sich der Askese weihen, errichtet. – Der andern Aebte bis zum vierzehnten, der 857 starb, wird meist nur in wenigen Zeilen gedacht, in kurzer Charakteristik, ähnlich wie in den libri pontificales. Sie waren fast alle Franken. Einer, Alanus (759–69) war ein Gelehrter, der viele Jahre als Eremit lebend mit Abschriften von Codices sich beschäftigte, die er »wundervoll« ausführte; aber er war kein Menschenkenner, denn zu seinem Nachfolger erwählte er einen Angelsachsen Wigbert, der bei seinen rohen Sitten die Mönche so tyrannisirte, dass sie die weltliche Macht zu Hülfe riefen, ihn zu vertreiben.

 


 << zurück weiter >>