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Einundzwanzigstes Kapitel.

Reichsannalen. Nithard.

Die Reichsannalen erhalten in diesem Zeitraume, den Haupttheilen des karolingischen Weltreichs entsprechend, eine doppelte Fortsetzung, die eine in West-, die andre in Ostfrancien; aber die einen wie die andern beschränken sich nicht auf den Reichstheil, dem ihr Verfasser angehört, wie ja trotz aller Theilungen noch immer ein Imperium bestand; doch haben die ersteren mehr als die letzteren einen universellen Charakter. Es ist dies eine Folge theils der Lage Westfranciens, theils seiner romanischen Bevölkerung, die es mit dem grösseren Theile Lotharingiens in eine nähere Beziehung setzte, theils endlich des dort herrschenden lebhafteren dogmatischen Interesses, wobei denn, wie überhaupt, die Persönlichkeit der Autoren auch schwer ins Gewicht fällt. So ist denn die westfränkische Fortsetzung der Reichsannalen entschieden bedeutender als die Ostfranciens. Es sind dies die sogenannten Annales Bertiniani Ed. Pertz in: Monum. German. histor., Script. Tom. I, p. 419 ff. (Praef.). – – Die Annalen von St. Bertin und St. Vaast. Nach der Ausg. der Monum. Germ. übersetzt von Jasmund. Berlin 1857. (Geschichtschreiber der deutsch. Vorzeit IX. Jahrh. 11. Bd.) (Vorwort.) – Wattenbach, Deutschl. Geschichtsq. I, S. 241. Girgensohn, Prudentius etc. (s. oben S. 267 Anm. 1)., welche ihren Namen nach dem Kloster St. Bertin erhalten haben, da sie aus einer Handschrift desselben zuerst veröffentlicht wurden. Diese Annalen bestehen aus drei Theilen. Der erste ist vom Jahre 741 bis 829 fast durchaus nur eine wörtliche Abschrift der alten, oben S. 98 f. betrachteten Reichsannalen, der sogenannten Lorscher mit der Einhard beigelegten Fortsetzung, von 830 bis 835 aber eine gleichzeitige Fortsetzung eines literarisch wenig gebildeten Mannes, der ein mangelhaftes Latein schreibt, dessen Fehler aus dem Einfluss der romanischen Volkssprache sich erklären; aus ihnen ergibt sich allein schon, dass er ein Romane, und zwar Frankreichs war. So zeigt sich dies in dem Gebrauch der Tempora, indem z. B. der Conjunctiv des Plusquamperfect als Conj. Imperfect gebraucht wird; specifisch französisch (incl. provenz.) aber ist der Gebrauch von hostis in der Bedeutung von exercitus, gemein romanisch hingegen wieder: nullus in der Bedeutung von irgend einer, so p. 427, Zeile 21. Er zeigt sich durchaus als ein dem 366 »sehr religiösen Kaiser« ( religiosissimus imperator ) ergebener Diener.

Der zweite Theil, der vom Jahre 835 bis 861 sich erstreckt, hat einen weit bedeutenderen Verfasser. Dieser ist der schon oben S. 267 erwähnte Prudentius, welcher, als er die Arbeit begann, noch nicht Bischof von Troyes war, vielmehr zweifelsohne am Hofe Ludwigs des Frommen und danach Karls des Kahlen, bis zur Zeit seiner Ernennung gegen die Mitte der vierziger Jahre, lebte. Dies geht aus der Stelle eines uns erhaltenen Briefs des Prudentius mit Sicherheit hervor, in welcher es heisst: cum repente tandem a palatinis excubiis, quibus diu inservire coactus fueram, latorem – – apicum (celsitudinis) vestrae Trecas, cui me divina gratia – – praeesse dignata est, offendi. Vgl. Girgensohn S. 20. So unternahm Prudentius gewiss sein Werk, wenn nicht auf des Kaisers Geheiss, wenigstens mit seiner Billigung: dem entsprechend ist seine Darstellung eine Ludwig dem Frommen sehr günstige, indem, wie Girgensohn zeigt Seite 22., für den Kaiser peinliche Thatsachen ausgelassen, und äussere Vorgänge erzählt werden, ohne Aufdeckung der eigentlichen Motive. Auch gegen Karl den Kahlen werden die ersten zwölf Jahre nach Ludwigs Tod Rücksichten der Loyalität genommen; erst mit dem Jahre 853 – vielleicht in Folge der Synode von Quierzy – hören sie auf, so dass der Autor selbst eine scharfe Kritik der Handlungen und Gesinnungen des Königs gelegentlich sich herausnimmt. Es erklärt sich leicht, dass der officiöse Annalist, der ausserdem, wie es scheint, Ludwig dem Frommen persönlich ergeben war, unter Karl dem Kahlen als Bischof und vom Hofe fern, von den Einflüssen desselben sich emancipirt. Den Beziehungen zu diesem verdankte er aber den Reichthum des Materials, indem er auch politische Urkunden benutzen, ja mittheilen konnte. Dazu kamen natürlich auch persönliche Verbindungen, wie denn mit Recht schon hervorgehoben worden ist, dass sich in den Jahrbüchern dieses geborenen Spaniers viel mehr als sonst Nachrichten über die pyrenäische Halbinsel finden. Wenn auch der Stil des Prudentius nicht den schlichten, 367 treffenden objectiven Ausdruck zeigt, der die formell besten Annalen auszeichnet, so ist er doch klar und für jene Zeit correct.

In dieser Beziehung steht der dritte Theil zurück, welcher von 861, dem Todesjahre des Prudentius, bis 882 reicht, und dieses Annalenwerk beendet. Sein Verfasser ist der Erzbischof von Reims, Hincmar. S. über ihn oben S. 247 ff. – Als Annalist nennt ihn Richer im Prolog seiner Geschichte. Die Jahrbücher seines Vorgängers hatte Hincmar, wie er selbst in einem Schreiben an den Erzbischof Egilo von Sens sagt, von Karl dem Kahlen geliehen erhalten. Ist seine Arbeit in formeller Beziehung der seines Vorgängers nachzusetzen, so erhebt sie sich dagegen über sie noch in der Fülle des Stoffes und der Unabhängigkeit der Darstellung. Der stolze Erzbischof, der die erste geistliche Würde Westfranciens bekleidend, an der Spitze seiner kirchlichen Angelegenheiten stand und auf die politischen den grössten Einfluss ausübte, war durch Stellung und Charakter dem Zwange höfischer Rücksichten entzogen. Er schrieb auch in der Geschichte seiner Zeit zum guten Theil seine eigene, wie vieles hatte er selbst vollbracht und an wie vielem persönlich Antheil genommen! Um so mehr ist die unparteiliche Ruhe der Erzählung, zumal bei seinem heftigen Temperament, anzuerkennen: Hincmar hat ein Bewusstsein von seiner Pflicht als Historiograph gehabt, das ihn vor Entstellungen der Thatsachen behütete, andrerseits aber auch sein sittliches Urtheil rücksichtslos aussprechen oder andeuten liess. Dieses subjective Moment gibt seinen Jahrbüchern einen eigenthümlichen Reiz. Vgl. Noorden, Hinkmar S. 152 f. Durch die hervorragende Berücksichtigung der allgemeinen kirchlichen Interessen wie der Curie, durch die ausführliche Mittheilung von Actenstücken, aber auch durch eine häufigere und eingehendere Inbetrachtnahme der andern karolingischen Reiche, Lotharingiens namentlich, ist der dargebotene Stoff ein so reicher, und hat zugleich dieser Theil der Bertinianischen Annalen unter allen den Jahrbüchern jener Zeit den universellsten Charakter. Dieser entspricht fürwahr der Stellung, welche Westfrancien damals, dank der Initiative seines ehrgeizigen Königs, unter den schon angezeigten günstigeren Verhältnissen in dem Kreise der karolingischen Reiche einnahm. So hätte man damals wohl denken können, dass 368 die Kaiserkrone, die Karl der Kahle in der That sich eroberte, auch für die Zukunft diesem Reiche vorbehalten wäre.

 

In Ostfrancien erhielten die Reichsannalen eine Fortsetzung in den Annales Fuldenses Ed. Pertz in: Monum. German. histor. l. l. p. 337 ff. (Praef.) – – Die Jahrbücher von Fulda und Xanten. Nach der Ausg. der Monum. Germ. übers. von Rehdantz. Berlin 1852. (Geschichtschr. d. deutsch. Vorz. IX. Jahrh. 9. Bd.) (Einleitung.) – Wattenbach a. a. O. S. 183 ff.: es ist bezeichnend, dass dies an dem Hauptsitze der wissenschaftlichen Bildung Deutschlands damals geschah. Diese Fuldaer Annalen sind bis zum Jahre 838 von einem sonst nicht weiter bekannten Mönche, Enhard, verfasst; er schliesst seine eigenen kargen Aufzeichnungen an eine Compilation von Auszügen aus den älteren Reichsannalen, den kleinen Lorscher und den des Klosters Sithiu (St. Bertin), vermehrt durch einige Zusätze. S. Simson, Ueber die Annales Enhardi Fuldenses und Annales Sithuenses. Jena 1863. – Waitz nimmt das entgegengesetzte Verhältniss der beiden Annalen an. S. Forschungen zur deutsch. Gesch. Bd. 18, S. 354 ff.

An diese literarisch werthlose Arbeit Enhards schliesst sich nun vom Jahre 838 an die weit bedeutendere Fortsetzung Rudolfs, des schon von uns behandelten Schülers Rabans S. oben S. 332 f., welche bis zum Jahre 863 reicht. Dieselbe ist, wenn nicht im Auftrage Ludwigs des Deutschen, wie Wattenbach annimmt, doch ganz in seinem Sinne verfasst Die Begünstigung Ludwigs des Deutschen zeigt Rudolf sogleich im Eingang beim J. 839, indem er den Rückzug desselben vor dem Heere seines Vaters aus kindlichem Pflichtgefühl erklärt., wie sie denn ganz speciell seiner Regierungsgeschichte gewidmet ist: bezeichnend ist dafür, dass auch in den ersten drei Jahren, wo noch Ludwig der Fromme herrschte, der König Ludwig schon durchaus in dem Vordergrunde der Erzählung steht. Eine Berücksichtigung des eigenen Klosters zeigt Rudolf ebenso wenig, als Enhard in seiner Fortsetzung; ja er gedenkt nicht einmal der Resignation Rabans als Abt, während er von ihm später und als Erzbischof gelegentlich selbst rein persönliches berichtet. So i. J. 844 die Uebersendung des Buchs De s. cruce an den Papst; so i. J. 850 die Speisung der Armen auf Rabans Gut, Winkel. Auch die andern karolingischen Reiche werden, wo 369 nicht Deutschland zu ihnen in eine unmittelbare, meist feindselige Beziehung tritt, sehr wenig in Betracht gezogen; dasselbe gilt in noch höherem Grade von den allgemeinen kirchlichen Interessen, so wird der Schicksale Gottschalks und seiner Lehre in Westfrancien gar nicht gedacht. Aus alle dem erklärt sich leicht, dass diese Jahrbücher weit kürzer als die Hincmars sind. – Dass Rudolf dem Hofe nahe gestanden hat, ergibt sich mit Sicherheit aus seinem Werke; es ist sogar nicht unwahrscheinlich, dass er zu den Rathgebern Ludwigs gehörte. Hierfür scheint die Stelle namentlich zu sprechen, worin weitläufig die Bedenken und Erwägungen Ludwigs erörtert werden, welche i. J. 858 seinem Entschluss Karl den Kahlen zu entsetzen vorausgingen, da heisst es denn schliesslich: quod longe aliter esse quam se vulgi fert opinio, cuncti consiliorum regis conscii veraci sermone testantur. l. l. p. 371, Zeile 34 f. Noch ist bemerkenswerth, dass unter allen Orten Mainz, auch in rein localer Rücksicht, in seinen Annalen bei weitem am meisten genannt wird, der Art, dass man, auch bei Berücksichtigung des freundschaftlichen Verkehrs Rudolfs mit Raban, doch an einen zeitweiligen längeren Aufenthalt desselben dort denken könnte. Stilistisch erheben sich diese Jahrbücher über alle andern jener Zeit – wieder ein Zeugniss der erfolgreichen Pflege der klassischen Studien in Deutschland.

Eine weitere Fortsetzung bis zum Jahre 882 erhielten die Fuldaer Annalen in unserer Periode noch von einem unbekannten Kleriker, der jedenfalls ein Franke, wahrscheinlich wohl auch ein Fuldaer Mönch war, so wenig auch von ihm dieses Klosters gedacht wird. Er erzählt zum Theil weit ausführlicher als sein Vorgänger, obzwar nicht in ganz ebenso gutem Latein, und berücksichtigt auch etwas mehr das karolingische Ausland. Seine Erzählung hat aber weit weniger den Charakter ruhiger Objectivität. Namentlich mag er nirgends seinen Hass gegen Karl den Kahlen verbergen: nicht bloss, dass er seine Habsucht und Feigheit offen brandmarkt So sagt er von ihm 875: est enim lepore timidior; und 877: Quod cum Karolus comperisset, illico iuxta consuetudinem suam fugam iniit., er betitelt ihn auch sonst öfters »Tyrann Galliens« statt König, namentlich nachdem er der Kaiserkrone sich bemächtigt, was besonders den Zorn unsers Autors erregt zu haben scheint.

370 Eine gewisse Verwandtschaft mit der Annalistik zeigt eine pragmatische Geschichte der Gegenwart, wie sie in dem Werke eines Laien, der an den von ihm erzählten Begebenheiten einen thatkräftigen Antheil genommen, schon damals uns entgegentritt – ein Werk, das ohne Frage den Höhepunkt der Historiographie in dieser Periode bezeichnet. Es sind die Libri quattuor historiarum des Nithard. Nithardi historiarum libri IV ed. Pertz in: Monum. German. histor., Script. Tom. II, p. 649 ff. – * In usum scholar. Ed. altera. Hannover 1870. Meyer von Knonau, Ueber Nithards vier Bücher Geschichten. Leipzig 1866. 4°. – Pätz, De vita et fide Nithardi. Haller Dissert. 1865. – Kuntzemüller, Nithard und sein Geschichtswerk. Jen. Dissert. Guben 1873. – Wattenbach, Deutschl. Geschichtsq. 4. Aufl. I, S. 171 ff.

Nithard, wie er in seinem Werke selbst sagt Ende des 5. Kap. des 4. Buchs., ein Sohn des Angilbert und der Tochter Karls des Grossen, Bertha, war, wie sein Vater, Laienabt Ganz dem entsprechend heisst es in Hariulfs Chronic. Centulense, lib. III am Schlusse des Angilbert gewidmeten cap. 7: post eius sanctum transitum filius eius Nithardus, quem de regis filia Berta susceperat, Centulensibus iure Abbaticio praelatus; und wenn der Verfasser dann fortfährt: paucisque diebus in regimine expletis, interemptus praelio, so wird meines Erachtens damit gesagt, dass Nithard nur kurze Zeit die Abtei selbst leitete, nachdem er nicht lange vor seinem Tode dorthin sich zurückgezogen und in den geistlichen Stand selbst eingetreten war: so besagt ja auch die Grabschrift: Nomen rectoris qui modico tenuit, und wieder das Chronic. Centul. l. III, c. 5: Is ipse Nithardus, domni Angilberti filius, coenobio huic praefuisse asseveratur post decessum patris, quique cum paucissimis diebus ministrasset, bello interfectus, iuxta patrem sepulturam meruit. Die nach Angilberts Tod bis auf den Eintritt Nithards in das Kloster in der Chronik als Aebte Bezeichneten haben nur das geistliche Regiment geführt. von St. Riquier, das ihm wohl als Erbgut zugefallen. Seinem Neffen Karl dem Kahlen diente er als Soldat und Diplomat in hervorragender Weise, und hing ihm aufs treueste an, wie er ihm denn offenbar persönlich sehr zugethan war: vergeblich suchte ihn Kaiser Lothar auf seine Seite zu ziehen. Bei Fontanetum hat er zum Siege Karls als geschickter und tapferer Führer wesentlich beigetragen; andrerseits gehörte er auch zu denen, welche 842 mit der Theilung des Reichs Lothars von Karl bevollmächtigt wurden. Dass der Sohn eines Angilbert, auch ohne zum Geistlichen 371 bestimmt zu sein, eine wissenschaftliche Ausbildung erhalten, versteht sich von selbst.

So erklärt es sich wohl, dass Karl ihn berufen glaubte, die Begebenheiten seiner Zeit der Nachwelt zu tiberliefern, und ihm hierzu mitten in dem Bürgerkriege im Mai d. J. 841 den Auftrag gab, wie uns Nithard in dem an Karl gerichteten Vorwort des ersten Buches mittheilt. Der Auftrag war schön, meint Nithard, wenn nur auch die Musse zur Ausführung einer so bedeutenden Arbeit gegeben wäre: er nimmt deshalb die Nachsicht des Königs und der Leser überhaupt in Anspruch. Indessen vollendete unser Autor die beiden ersten Bücher schon im Herbst desselben Jahres, denen er dann die zwei anderen allmählich folgen liess bis zum Frühjahre 843, wo er die Arbeit abbrach. Die eigenthümliche Bedeutung des Werks lässt schon das erste Buch erkennen, das als historische Einleitung einen Ueberblick über die Geschichte Ludwigs des Frommen gibt, und zwar zu dem Zwecke, dass der wahre Sachverhalt der Streitigkeiten Karls (mit Lothar) jedem Leser leichter offenbar werde und derselbe erfahre, weshalb nach dem Tode des Vaters Lothar seinen Bruder zu verfolgen beschloss. So beginnt Nithard sogleich mit der Motivirung der Ereignisse, welche er erzählen will. Der Rückblick ist klar, in prägnanter Kürze gegeben und durchaus in den Grenzen der ausgesprochenen Absicht, indem vornehmlich der Reichstheilungen und ihrer Folgen gedacht wird, in welchen unser Autor mit Recht die Anfänge der Streitigkeiten seiner Zeit sieht. Vom zweiten Buch an beginnt Nithard ihre Geschichte, indem er nunmehr darstellen will, wie er in der Vorrede dieses Buches sagt, mit welcher Tüchtigkeit und Geschicklichkeit Lothar die Verfolgung seines Bruders Karl ausgeführt habe. Er erzählt hier aus dem Gedächtniss Prout memoria viresque suppleverint. Praef. libri II. die Ereignisse von dem Tode Kaiser Ludwigs bis zur Schlacht von Fontanetum (Juni 841).

Mit dieser Schlacht, die wie ein Zweikampf als ein Gottesurtheil aufgefasst wurde, sollte eigentlich der Streit für immer entschieden sein; aber es war nur das erste Certamen , mit dessen Ende, wie Nithard sagt, er sein zweites Buch schliesst. Gern hätte er damit seine Arbeit ganz geendet, wie er im Eingange des dritten bemerkt, denn, schäme er sich schon, 372 wenn er etwas schlimmes von seinem Volke höre, so müsse ihn noch mehr verdriessen es zu berichten; nur damit nicht ein andrer die Ereignisse anders als sie sich begeben, zu erzählen sich herausnehme, habe er sich bequemt, von dem, bei welchem er selbst dabei war, ein drittes Buch hinzuzufügen. Und so erzählt er denn hier den zweiten Feldzug Karls gegen Lothar, welcher nach dem durch den Strassburger Vertrag neu besiegelten Bündniss Karls mit Ludwig Hier, c. 5, theilt denn Nithard bekanntlich die Eide in romanischer und deutscher Sprache mit, mit welchen die Könige und ihre Völker das Bündniss beschworen. vor den alliirten Heeren nach dem Süden bis zur Rhone entweicht (März 842). Von diesem Buche an folgte der Autor gewiss mit der Feder den Ereignissen, und so finden sich denn hier mehrere kleinere oder grössere Episoden, die mit der Haupthandlung in einer nur geringen Verbindung stehen; unter ihnen ist (c. 6) von besonderem Interesse die Schilderung des Zusammenlebens der verbündeten Könige in Worms und der Kampfspiele ihrer aus den verschiedensten Nationen aufgebotenen Truppen – so werden hier Sachsen, Basken, Austrasier und Britten genannt.

In dem letzten Buche, welches die Zeit bis zum Frühjahre 843, also ein Jahr umfasst, und namentlich also die Verhandlungen begreift, welche dem Vertrage von Verdun vorausgingen, nimmt Nithards Werk, zumal gegen Ende, immer mehr den Jahrbuchscharakter an, indem Notizen von Begebenheiten eingeschaltet werden, die gar keinen Bezug zu dem Bürgerkriege haben und auch an sich von keiner Wichtigkeit sind, wie eine Plünderung der Normannen (c. 3), die Translation Angilberts (c. 5), die Eroberung von Benevent durch die Mauren (c. 6) u. dgl. Auch mancherlei Naturereignisse finden sich hier aufgezeichnet. Ja mit einer Betrachtung, welche dieselben veranlassen, schliesst der Verfasser das Buch. Der harte Winter, der tief in den März hineinreicht, den Früchten wie dem Vieh verderblich, erscheint ihm als eine Strafe des Himmels für den Egoismus der Menschen, die das öffentliche Wohl um ihres Eigennutzes willen vernachlässigen, so dass überall Zwiespalt und Streit sich zeigt. Wie ganz anders war alles zu Karls des Grossen Zeiten, wo Friede und Eintracht herrschte, und auch die Natur ihren reichen Segen spendete!

373 Diese traurige Schlussbetrachtung entspricht ganz dem Vorwort dieses Buches, wo Nithard nicht allein den Wunsch wiederholt, die Arbeit aufzugeben, sondern auch den andern ausdrückt, sich vom öffentlichen Leben ganz zurückzuziehen. Aber weil er, noch auf stürmischem Meere herumgetrieben, nicht wisse, in welchen Hafen er getragen werde, so stehe nichts im Wege, wenn er etwas Musse finde, das Werk fortzusetzen. »So will ich denn,« schliesst er dort, »mit einem vierten Buche mich beschäftigen, und wenn ich sonst in Zukunft nichts werde nützen können, wenigstens hierin den Nebel des Irrthums den Nachkommen durch meine Arbeit zerstreuen.« Ergo huic rerum operi quarto assistam, et si in ceteris rebus futuris prodesse nequivero, saltem in his erroris nubeculam proprio labore posteris detergam.

Aus diesem Vorwort des letzten Buches, das vor der Abfassung desselben geschrieben ist, geht hervor, dass Nithard seiner Theilnahme an den Staatsangelegenheiten müde war, wohl auch deshalb, weil der König auf seinen Rath weniger hörte Darauf scheint mir die in der vorigen Anmerk. citirte Stelle si in ceteris etc. hinzudeuten; wie dies schon Pätz annahm l. l. p. 7.; den Hafen fand er, vielleicht noch vor Beendigung des Buchs, in seinem Kloster, wo er, wie ich glaube S. oben S. 370 Anm. 3., jetzt wirklich geistlicher Abt wurde; und bald danach, vor dem Sommer des Jahres 844, fiel er, noch einmal zum Schwerte greifend So besagt auch das Epitaphium; dasselbe findet sich auch bei Wattenbach S. 174., vielleicht bei einem Angriffe der Normannen auf das Kloster.

Die Bedeutung seines Werks liegt in der Pragmatik, der Schwerpunkt in dem ersten Buche: es ist seiner Anlage nach die erste politische Geschichte, und dieser Anlage entsprechen auch die beiden ersten Bücher, während die andern, im Laufe der Begebenheiten aufgeschrieben, bei dem Mangel historischer Perspective in eine annalistische Darstellung mehr und mehr sich verlieren. Nithard nimmt einen Parteistandpunkt ein, wie jeder politische Historiker der »Gegenwart«; wie dies an und für sich selbstverständlich, so gibt dies auch Nithard offen zu erkennen. Nur in so weit aber erscheint in dem grössten Theile des Werks die Darstellung eine subjective, – vom Memoirenstil hat sie da nichts – natürlich von den 374 Prologen abgesehen; diese aber, wie der Schluss, erwecken die lebendigste Theilnahme an dem Autor, und erhöhen dadurch das allgemeine menschliche Interesse an den von ihm erzählten Begebenheiten. Auch in dem Stile besitzt das Werk einen Reiz, denn er hat einen sehr individuellen Charakter; es ist unschwer zu erkennen, dass ein zwar literarisch gebildeter, aber ganz und gar nicht gelehrter Soldat und Staatsmann die Feder führt: er fasst sich kurz, er liebt keine langen Perioden; viele und schöne Worte machen zu wollen, fällt ihm nicht ein, und dies um so weniger, als sein Wortschatz ein dürftiger ist; wie oft kehren dieselben Worte und Wendungen wieder! Auch vergreift er sich in den Ausdrücken und wird selbst zuweilen durch Incorrectheit dunkel.

 


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