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Erstes Kapitel.

Raban.

Die älteste und zunächst bedeutendste der deutschen Klosterschulen ist die von Fulda, an welcher derjenige Schüler Alcuins wirkte, der die Wissenschaft und die Lehrthätigkeit seines Meisters am erfolgreichsten überliefert und fortgesetzt hat; es ist der deutsche Hraban, der seinen Namen lateinisch Rabanus nannte. In ihm, dem ersten Praeceptor Germaniae, wie man ihn später wohl betitelt hat, zeigt sich sogleich die wissenschaftliche Universalität, die den deutschen Genius auszeichnet, sowie die grosse receptive Anlage desselben und der ausdauernde Fleiss des deutschen Gelehrten, welche beiden Eigenschaften jene Universalität ja zur Voraussetzung hat. Er hat den grössten Einfluss auf die Pflege der literarischen Bildung in Deutschland gehabt.

Raban Rabani Mauri Opera omnia iuxta, edit. Colvenerii anno 1617 Coloniae datam – – expurgatam etc. accur. Migne. Paris 1851–52. 6 Tom. ( Patrol. lat. Tom. 107–112). – – Kunstmann, Hrabanus Magnentius Maurus, eine histor. Monographie. Mainz 1841. – Böhmer, Regesten zur Geschichte der Mainzer Erzbischöfe bearbeitet von Will. Frankfurt 1877. 4° S. XIX ff. u. S. 64 ff. – Bach, Hrabanus Maurus der Schöpfer des deutschen Schulwesens. Progr. Fulda 1835. 4°. – Köhler, Hrabanus Maurus und die Schule zu Fulda. Leipz. Dissert. 1870. – Dümmler, N. A. S. 286 ff., wie es scheint von angesehenem Geschlechte, stammte aus Mainz, weshalb er sich wohl Magnentius So in der in Distichen verfassten Praefatio der Dichtung über das heil. Kreuz, wo sein voller Name durch Hervorhebung gewisser Buchstaben an bestimmten Stellen des Gedichts ausgedrückt ist, daher jeder Buchstabe gesichert; er lautet da: Magnentius Hrabanus Maurus. – Magnentius ist meines Erachtens von ahd. Magenze herzuleiten (keineswegs eine Corruption von Moguntinus), indem Raban vielleicht das lat. gn wie im Italienischen und Französischen aussprach, das g von Magenze aber wie j, und sich so die Schreibung mit gn erklärt. Die Annahme Kunstmanns S. 12 f., dass Raban aus der Familie des Kaisers Magnentius gewesen, erscheint mir wunderlich. – Dass Raban aber zu Mainz geboren, ergibt sich aus seinem von ihm selbst verfassten Epitaph. 121 beigenannt hat, und war dort gegen das Jahr 776 geboren. Als Knabe kam er in das Kloster Fulda unter Baugulf, der von 780–802 dort Abt war. Hier empfing er seine erste gelehrte Bildung, denn schon zu Sturms Zeit wurde dort die Wissenschaft gepflegt So wurde schon damals Eigil dem Kloster causa litterarum übergeben, wie sein Biograph Candidus erzählt (Vita Eig. c. 3). Vgl. auch oben S. 104., wenn auch die Gründung des Klosters keine solche Tendenz gehabt hatte. Schon 801 wurde Raban Diacon. Von dem Nachfolger Baugulfs Ratgar wurde er zugleich mit Hatto in Alcuins Schule nach Tours gesandt, in welcher er schon einmal früher gewesen sein muss. S. meine kleinen Beiträge zur karoling. Literatur 2, in den Sitzungsber. der k. sächs. Gesellsch. d. Wiss. 1878, S. 98 ff. u. vgl. oben S. 81 f. Dort hatte er zum Mitschüler auch den älteren Samuel, späteren Bischof von Worms., mit welchem er ebenso innig befreundet wurde, als mit Hatto, genannt Bonosus. Letzterer, der sich auch als Maler auszeichnete, wurde später Rabans Nachfolger als Abt von Fulda. Die Schule Alcuins wurde für Raban von der grössten Bedeutung. Ausser der Theologie d. i. der Bibelerklärung, studirte er bei ihm die »freien Künste«, und war wohl gerade deswegen besonders von Ratgar nach Tours gesandt, wie auch die alte Ueberlieferung, ein Katalog der Aebte von Fulda, ausdrücklich besagt. Tertius abbas Ratgar – – Hrabanum et Hatton Turonis direxit ad Albinum magistrum liberales discendi gratia artes. S. Schannat, Historia Fuldensis. Frankfurt 1729. Cod. probat. p. 1. Raban selbst erwähnt in seinem Werk De sancta cruce Und zwar in der Intercessio Albini (s. darüber weiter unten). Alcuin sagt dort zum heil. Martin von Raban:
        Hunc puerum docui divini famine verbi,
            Ethicae monitis et sophiae studiis.

Und später:
        Abbas namque suus, Fuldensis rector ovilis,
            Illum huc direxit ad tua tecta, pater,
        Quo mecum legeret metri scholasticus artem,
            Scripturam et sacram rite pararet ovans.
, einer Frucht dieser Studien, den von Alcuin empfangenen Unterricht in der Ethik, der 122 Sophia überhaupt und was von vorzüglichem Interesse ist, in der Metrik. Alcuin gewann ihn besonders lieb und gab ihm deshalb den Beinamen Maurus – den Raban als Schriftsteller auch ohne weiteren Zusatz geführt hat – nach einem Lieblingsschüler des heil. Benedict, von dem Gregor sagt Dialog. II, c. 3., dass er, durch gute Sitten ausgezeichnet, ein Gehülfe seines Magister zu sein begann. Vielleicht hat auch Alcuin ihm zugleich mit Samuel eine heute verlorene Schrift De benedictione patriarcharum gewidmet, wenn der Brief Alcuins, worin ihrer gedacht wird (bei Jaffé No. 291), an Raban gerichtet ist, was gar nicht unwahrscheinlich.

Nach der Rückkehr von Tours wurde Raban Lehrer in Fulda, in welchem Beruf Alcuin, mit dem er brieflich in Verbindung blieb, sein Vorbild war. Das Kloster besass bereits, namentlich durch verschiedene grössere Schenkungen, ansehnliche literarische Hülfsmittel, welche Raban noch wesentlich vermehrte; es hatte auch einen besonderen Bibliothekar. Unter dem Abte Ratgar, der mit der Zeit seiner Leidenschaft zu bauen alles aufopferte, und seine Mönche fast nur zu Maurern machte, musste auch die Schule leiden. Viel günstiger wurde jedenfalls die Lage derselben und ihres Magister, als nach Ratgars Entfernung 817 Eigil Abt wurde, der Biograph Sturms S. oben S. 104 ff., ein wahrhaft gebildeter Mann, mit dem Raban im freundschaftlichsten Verkehr stand, schon lange ihm vor vielen herzlich zugethan. Eigil liebte es, mit Raban auch eine gelehrte Unterhaltung zu führen. Um so weniger nimmt es uns Wunder, dass nach seinem Tode 822 Raban, der seit sechs Jahren Presbyter war, sein Nachfolger wurde.

Wenn er jetzt auch das eigentliche Magisterium nicht mehr behalten konnte, so wirkte er trotzdem noch als Lehrer fort; ja er hat gerade als Abt seine bedeutendsten Schüler, einen Lupus, einen Walahfrid und Otfrid, ausgebildet. Raban führte am liebsten das Leben eines Gelehrten. So widmete er auch 123 jetzt alle seine Mussestunden dem Unterricht und dem eigenen Studium. Wie sein Schüler Rudolf in der sogen. Vita des Raban berichtet, c. 5: Huic itaque monasterio quintus a beato Bonifatio praefuit in regimine Rabanus abbas – – Quotiescunque a curis saecularibus (quas, prout possibile erat, toto nisu declinabat) liber esse permittebatur, aut alios sacris litteris instruebat, aut in legendo vel dictando divinis scripturis semet ipsum pascebat. Auch an der Politik nahm er nicht gern Antheil, wie dies damals bei der höheren Geistlichkeit so gewöhnlich war, was er ausdrücklich tadelt. S. die Praefatio des Werkes De universo ad Haimonem. Freilich konnte er in seiner Stellung doch darum nicht der Parteinahme während der Bürgerkriege sich entziehen. So lange Ludwig der Fromme lebte, stand er auf seiner Seite, denn in den Conflicten desselben mit seinen Söhnen war für Rabans Parteistellung schon die Pflicht des kindlichen Gehorsams, die er nachdrucksvoll geltend machte, massgebend. Aber auch das legitime Princip der Reichseinheit wirkte wohl dabei mit. So blieb Raban auch nach Ludwig des Frommen Tode gut kaiserlich, und um so mehr, als er mit Lothar persönlich befreundet war. Aber nicht lange danach, im Frühjahr 842, entsagte Raban freiwillig der Abtswürde. Nicht bloss bewog ihn dazu, wie Dümmler sagt Gesch. d. ostfränk. Reichs I, S. 301, die auch beim Folgenden zu vergleichen ist., die Missstimmung über den seinen Wünschen entgegengesetzten Gang der politischen Ereignisse, das Unterliegen des Kaisers nämlich, sondern es bestimmte ihn gewiss auch der Wunsch, der seinen Neigungen so wenig zusagenden weltlich praktischen Thätigkeit, der Last der Administration eines so reichen und mächtigen Klosters sich zu entledigen Wie Lupus ep. 40 und Rudolf a. a. O. c. 50 annehmen; vgl. auch oben Anm. 1 die Parenthese., die zu vernachlässigen seine Gewissenhaftigkeit ihm nicht erlaubt hätte. Ueberdies folgte er bei seiner Abdankung nur dem Beispiel eines sehr tüchtigen Vorgängers, des gelehrten Baugulf.

Während Raban nun seinem Freunde Hatto die Abtswürde überliess, zog er sich selbst auf den Petersberg bei Fulda, wo er eine schöne Kirche gebaut hatte, zurück, um sich jetzt ganz seinen Studien und seiner Schriftstellerei zu widmen. Damals war es, wo er sein grosses encyclopädisches Werk De universo 124 verfasste. Mit Ludwig dem Deutschen, dessen politischer Gegner er als Abt gewesen, fand in Folge einer von dem Könige gesuchten Zusammenkunft eine volle Aussöhnung statt. Um so sicherer erhielt Raban nach seines Freundes Otgar Tod 847, vom Volk wie vom Klerus gewählt, den erzbischöflichen Stuhl von Mainz. Obgleich er wider seinen Wunsch dem gelehrten Stillleben entrissen wurde, so entfaltete er doch als Erzbischof eine bedeutende Wirksamkeit, welche durch das grosse Ansehn, das er als Gelehrter genoss, ihm nicht wenig erleichtert werden musste. Noch in demselben Jahre fand unter seinem Vorsitz eine Synode in Mainz statt, welche sich bemühte, die für Recht und Sitte so nachtheiligen Folgen der Bürgerkriege zu heilen. Näher berührt uns hier die im Jahre darauf ebendort in Verbindung mit einem Reichstag gehaltene Synode, denn auf ihr wurde unter dem entschiedenen Einfluss Rabans Gottschalk und die von ihm mit all der Hartnäckigkeit und Ueberzeugungstreue eines deutschen Gelehrten und Theologen verfochtene Augustinische Prädestinationslehre verurtheilt. Denn Gottschalk hatte in der That vollkommen Recht sie also zu bezeichnen, nur zog er streng und hart mindestens die Consequenzen der Lehre, welche eine systematische Entwickelung derselben verlangte, indem er eine doppelte Prädestination der Bösen wie der Guten behauptete. Raban vertrat dagegen die in der fränkischen Kirche herkömmliche Ansicht, welche die Augustinische Lehre modificirend abschwächte. Vgl. Weizsäcker, Das Dogma von der göttlichen Vorherbestimmung im neunten Jahrhundert in: Jahrbücher für deutsche Theologie, Bd. IV, Gotha 1859. S. 527 ff.

Raban war ein persönlicher Gegner Gottschalks, denn dieser war sein Schüler in dem Kloster Fulda gewesen, wo er, ein Sachse aus vornehmer Familie, als puer oblatus aufgenommen worden war. Gottschalk, dessen unruhiger und selbständiger Geist in dem fränkischen Kloster sich gefesselt fühlte, entfloh demselben, und verlangte auch von einer Synode zu Mainz 829 die Lösung seines Gelübdes, aber auf Rabans Appellation wurde die Entscheidung der Synode wieder aufgehoben und Gottschalk in das Kloster Orbais gewiesen. Nachdem dieser dort seine wissenschaftliche Ausbildung, 125 vornehmlich durch eignes Studium und vor allem der Werke Augustins vollendet, begab er sich später auf Reisen, namentlich nach Oberitalien, indem er, von einer glänzenden Beredsamkeit unterstützt, überall für seine Lehre Propaganda machte. Auf Anregung des Bischofs von Verona, Noting, schrieb deshalb schon 840 Raban gegen ihn, und als er auf einer zweiten Reise bei dem hochgebildeten Markgrafen Eberhard von Friaul eine gastliche Aufnahme gefunden, so trieb ihn 848 Raban durch einen Brief an denselben von diesem Hofe. Gottschalk blieb aber auf Rabans Angriffe auch nicht die Antwort schuldig, er klagte ihn des Semipelagianismus an und gab allen seinen Gegnern den Spottnamen »Rabanici«.

Das Verhältniss zwischen dem entflohenen Schüler und seinem alten Lehrer, welche beide dem Charakter, den geistigen Anlagen, ja der Abstammung nach nicht bloss von einander verschieden waren, sondern Gegensätze bildeten, war also ein sehr erbittertes geworden, als der eine vor dem Tribunal erschien, dem der andere präsidirte. Um so eher erfolgte Gottschalks Verurtheilung, obgleich keineswegs einstimmig: er wurde grausam gegeisselt, aus dem ostfränkischen Gebiet verbannt und zu weiterer Bestrafung dem Erzbischof Hincmar von Reims überwiesen. Um Raban aber gerecht zu sein, ist hinzuzufügen, dass das Motiv seiner Strenge insonderheit die grossen sittlichen Gefahren waren, welche die Lehre Gottschalks im Gefolge hatte, wenn sie, wie von diesem begeisterten Reiseprediger geschah, in dem grossen Publikum verbreitet wurde. Eben deshalb unterliess Raban auch später nicht, gegen Gottschalks Lehre und ihre Verbreitung aufzutreten, wobei er allerdings der Inhumanität gegen den Freidenker selbst sich schuldig machte. Sonst hat er gerade als Bischof durch seine Menschenfreundlichkeit, seine Unterstützung der Armen und Bedrückten sich ausgezeichnet. Während er also sein Hirtenamt gewissenhaft verwaltete, blieb er, ein wahres Muster deutschen Fleisses, auch als Schriftsteller bis zu seinem Tode mit altem Eifer thätig. Hochbejahrt starb er 856.

Raban ist für die allgemeine Literatur fast allein von indirecter Bedeutung, aber von einer grossen, natürlich vorzugsweise in Bezug auf Deutschland. Seine literarische Thätigkeit, die eine ausserordentlich grosse war, verfolgt mit seltener Ausnahme praktische Zwecke; meist aus seiner amtlichen 126 Thätigkeit als Lehrer, Seelsorger, Abt und Bischof erwachsen, dient sie dieser und hat vornehmlich das Ziel der intellectuellen und sittlichen Bildung zuerst des Klerus, dann auch des Volkes. Raban war, wie Alcuin, vor allem Lehrer, dies war sein eigentlicher Lebensberuf, und die Klosterschule hatte ja zunächst die Aufgabe den Klerus zu bilden. Die meisten seiner Werke haben dieselbe Absicht. Es lassen sich aber verschiedene Gruppen unter ihnen unterscheiden. Erstens solche Schriften, die dem Unterricht unmittelbar dienen, Compendien, ähnlich denen des Alcuin und offenbar nach deren Beispiel verfasst. Hierher gehören einmal ein paar grammatische Arbeiten: 1) ein von den Herausgebern Excerptio de arte grammatica Prisciani betiteltes Compendium, welches aber fast allein der Prosodie und in einem Anhang, einem zweiten Büchlein gleichsam Es beginnt dieser Anhang: Sane quia in superiore libello – – superest ut ipsius metri vim etc. Ed. Migne T. III p. 666., im Anschluss an andre alte Autoren den Metren und der Poetik gewidmet ist; vielleicht sollte es eine Ergänzung zu Alcuins Grammatik bilden, der ja die Metrik als besondere Disciplin betrachtete. S. oben S. 17. – Ueber dies Compendium Rabans s. Hertz in der Praef. seiner Ausg. des Priscian (Leipzig 1855) p. X, Anm. 36. Einige wenige selbständige Zusätze in Citaten aus christlichen Dichtern, namentlich Prudentius, finde ich. Diese Arbeit Rabans ist literargeschichtlich nicht bloss dadurch wichtig, dass sie, wie Bähr bemerkt Gesch. der röm. Literatur im karoling. Zeitalter S. 419., den Priscian in die deutschen Schulen einführte, sondern namentlich auch als Zeugniss für das besondere Interesse unseres Autors für die Metrik, die er, wie er sie bei Alcuin mit Eifer erlernt, sicher auch selbst unterrichtet hat, wohl mit Hülfe dieses »Auszugs«, und das ist im Hinblick auf die lateinische wie deutsche Poesie seiner Schüler von Bedeutung. 2) Der kleine Aufsatz, welchen man De inventione linguarum betitelt hat, dem aber vielmehr der Titel: De inventione litterarum d. h. der Buchstaben zu geben ist. Es werden hier nämlich die folgenden Alphabete aufgeführt, indem zugleich mit ein paar Zeilen ihrer Erfinder gedacht wird: das hebräische, griechische, lateinische, das scythische des Ethicus und das der Marcomannen oder Nordmannen, »von welchen die deutsch Redenden abstammen«, ein Alphabet, dessen sich 127 »die noch in heidnischen Riten Befangenen« zur Aufzeichnung ihrer Lieder und Zaubersprüche bedienen – es sind die Runen. Dann folgt noch eine Reihe lateinischer Abbreviaturen und Monogramme. Dieser Aufsatz war offenbar für den Unterricht bestimmt.

Auch eine Frucht seiner Lehrthätigkeit wie zugleich seines Interesses für die Muttersprache, sind Sammlungen deutscher Glossen, wie Walahfrid eine über die Theile des menschlichen Körpers nach Rabans Vortrag aufgezeichnet hat. So wird Raban auch eine Bearbeitung eines lateinisch-deutschen Glossars zur Bibel in einer Handschrift des neunten Jahrhunderts beigelegt. S. Die althochdeutschen Glossen gesammelt u. bearbeitet von Steinmeyer und Sievers. Bd. I. Berlin 1679, S. 3 ff. Sein deutsch-philologisches Interesse bekundet sich ferner recht auffallend in der etymologischen Erklärung von deutschen Personennamen an einer Stelle wo man es gar nicht erwarten sollte, nämlich in manchen seiner Gedichte, wo diese Erklärung mitunter sogar die Pointe bildet, indem dieselben an die Träger der Namen gerichtet sind. S. c. 13 Brunward und c. 26 Isanbert; s. ausserdem c. 5 Batorich und c. 17 Gerhoh; übrigens finden sich auch Erklärungen von Namen andrer Sprachen, wie c. 7 Praeclarus, c. 20 Samuel. Um ein Beispiel zu geben c. 26 v. 5 ff.:
        Cuncta quidem tibimet virtutum insignia condunt
            Nomen, quo clarus, dignus honore fias:
        Ferrum te fortem, clarum, virtute decorum,
            Signant – –
Auch in der Erneuerung des Gebots deutscher Predigt auf der ersten von Raban präsidirten Synode kann man ein Zeugniss seiner Liebe zur Muttersprache sehen, obgleich dabei auch das Pflichtgefühl des Oberhirten und der pädagogische Sinn des früheren Magister sicher mitgewirkt haben werden.

Auch unmittelbar für den Unterricht bestimmt erscheint das Buch De computo , obgleich es auf private Anregung eines wissensdurstigen Mönches Marcharius verfasst ist, welcher Raban nur gebeten hatte, ihm einige von andern aufgestellte Sätze dieser Wissenschaft zu corrigiren und dadurch klarer zu machen. Raban sagt im Prolog: Petebas ergo ut quibusdam de computo propositionibus earumque minus perfectis responsionibus, quas mihi protuleras nescio a quibus confectas, stylum adhiberem easque tibi lucidiores redderem. Aber der Computus war schon unter Karl dem 128 Grossen durch Synodalbeschluss zu einem obligaten Gegenstand der Schule des Klerus gemacht, und das Buch Rabans ist in der dialogischen Form der Alcuinschen Compendien verfasst, indem der Schüler frägt, der Lehrer antwortet. Wie der Eingang ausspricht, ist es für Schüler »reiferen Alters« bestimmt, und so redet denn auch der Magister den Discipulus mit Frater an. Doch finden sich hier zugleich auch die ersten Elemente behandelt. Das Buch ist, wie alle solche Rabans, eine Compilation, namentlich hat er aus dem Grund legenden Werke Beda's De temporum ratione mitunter selbst seitenlange Auszüge wörtlich aufgenommen, ausserdem sind Isidors Etymologien, Boëtius' Arithmetik, die auch citirt werden, u. a. benutzt; seinen eigenen Antheil beschränkt der Verfasser selbst im Prolog hauptsächlich auf die »Verdeutlichung«, wie er auch in der Anordnung des Stoffes mit einer gewissen Selbständigkeit verfährt. Indem er nun, wie er sagt, sich der Kürze befleissigt und bloss das Nothwendige geben will, also manches ferner liegende weglässt, hat er in der That ein Lehrbuch verfasst, nach dem leichter zu studiren war als nach Beda's Werk.

Im Anschluss an den Computus sei hier eines Martyroloyium gedacht, das Raban geschrieben auf den Wunsch des »Abtes« Ratleik, des früheren Notars des Einhard S. oben S. 100., der nach dessen Tode dem Kloster Seligenstadt vorstand; so ist dies Buch Rabans erst nach dem März 840 verfasst. Ratleik war, wie auch die Zuschrift von ihm zeigt, ein gelehrter Mann und schon seit 839 Kanzler Ludwigs des Deutschen. S. über ihn Dümmler a. a. O. S. 868 f. Später hat Raban auch noch dem Erzcapellan Grimald durch ein Gedicht in Distichen das Buch gewidmet. Dasselbe basirt auf dem Grund legenden Werke des Beda, aber in der Bearbeitung, die ihm von Florus zu Theil geworden S. Bd. I, S. 607 und vgl. weiter unten über Florus von Lyon., indem Raban nur Zusätze aus andern Quellen hinzugefügt und stilistisch manches geändert hat. Seine eigene Arbeit charakterisirt Raban selbst in der Zuschrift mit den Worten: feci quantum potui et singulis diebus nomina sanctorum, quae scripta sive notata ab antecessoribus in libellis reperi, ibidem inserui; et cuiuscunque sancti obitum sive martyrium, qualiter vitam finierint, legi, breviter, prout valui, notavi.

129 Eine zweite Gruppe bilden die Bibelcommentare Rabans; diese Gattung seiner Schriftstellerei, die er besonders emsig gepflegt hat, ist wenigstens aus dem Unterricht, seiner Lehrthätigkeit erwachsen, denn den ältesten dieser seiner Commentare, den zum Matthäus, hat er noch zu der Zeit, wo er Presbyter und Magister war, abgefasst auf den Wunsch der Mönche, die mit ihm das Evangelium lasen und bei diesem Evangelisten eine ebenso vollständige und genügende Erklärung als bei den andern vermissten. So erzählt uns Raban selbst in der Widmung an den Erzbischof von Mainz Heistulf. Dieser Commentar ist literargeschichtlich besonders wichtig, einmal wegen des Einflusses, den er auf die Dichtung Otfrids gehabt hat, dann als der erste des Raban, indem die Art seiner Abfassung für die der übrigen unsers Autors massgebend wurde. Ueber jene gibt die Widmung selbst schon den folgenden Aufschluss. Der Commentar soll das Studium der alten Erklärer ersetzen, zunächst den Unvermögenden, denen keine Bibliothek zu Gebote steht, oder die höchstens nur den einen oder andern Commentator besitzen. Zu dem Zweck gibt Raban, auch hier nur dem Beispiel seines Meisters Alcuin folgend S. oben S. 21., gleichsam eine Anthologie aus den Erklärungen der alten Commentatoren, indem er sie theils wörtlich, theils nur dem Sinn nach, also gekürzt, bei den einzelnen Stellen anführt; jedoch verschmäht er es auch nicht, wo es sich trifft, eigene Erklärungen hinzuzufügen – und diese finden sich gerade hier mehr als in den späteren Commentaren Rabans. Am Rande aber hat er die Autoren durch die Anfangsbuchstaben Wahrscheinlich aber nur bei den wörtlichen Excerpten, wie er dies in dem Commentar zu den Büchern der Könige gethan zu haben in der Vorrede desselben bemerkt., seine eigenen Erklärungen durch die des Namens Maurus allemal bezeichnet. – So hat also das Werk seiner Anlage nach eine ganz praktische Tendenz, wie es denn Raban selbst auch für mehr bequem als sehr nothwendig erklärt. (Opus) non quasi pernecessarium, cum multi scriptores me in illo vestigio praecesserint, sed quasi magis commodum, cum plurimorum sensus ac sententias in unum contraxerim. Praef. Er theilte den Commentar in acht Bücher, indem er, wie er sagt, wo 130 möglich, allemal mit einer Rede des Herrn abschloss. Totumque opus in libros octo distinxi, illud maxime observans ubicunque potui, ut ubi evangelista sermones Domini consummatos esse referebat, ibi librorum terminos constituerem. Praef. Was die Art der Erklärung aber betrifft, so herrscht auch hier, der Tradition gemäss, die allegorische Interpretation durchaus vor, sie ist dem Verfasser die Hauptsache (wie auch eine Stelle in der Widmung zeigt); doch werden hier immer noch mehr als in andern Commentaren des Raban auch andere Erklärungen, historische und sprachliche, gegeben, und auch auf die übrigen Evangelien und ihre Abweichungen Bezug genommen.

Als Raban bereits Abt geworden war, begann er gegen die Mitte der zwanziger Jahre auch die Erklärung des Alten Testaments in derselben Weise. Die Anregung dazu gab ihm der Bischof von Lisieux, Frechulf, der ihn um einen Commentar zum Pentateuch bat, da er an seinem Bischofssitz den grössten Mangel an Büchern litt, nicht einmal eine Bibel dort vorgefunden hatte. Der Commentar, wie er ihn wünschte, sollte ganz in derselben Art ausgeführt sein, wie der zum Matthäus. Den wohl Frechulf kannte, obgleich er ihn nicht nennt. Raban entsprach dieser Bitte, indem er nach und nach die fünf Bücher Mose commentirte. – Diese gelehrte Excerptenarbeit scheint Raban allmählich ein wahres Bedürfniss geworden zu sein, denn er hat im Laufe der Jahre noch eine grosse Zahl von Büchern des Alten Testamentes in der angezeigten anthologischen Weise commentirt. Von diesen Commentaren hat er mehrere dem Kaiser Lothar dedicirt, ein paar sogar auf dessen ausdrücklichen Wunsch verfasst; die zu den Büchern Judith und Esther widmete er der Kaiserin Judith, welche er den jüdischen Heldinnen vergleicht, die übrigens hier als der Typus der Kirche aufgefasst werden. Ludwig dem Deutschen aber widmete er die Commentare zu den Paralipomena und den Maccabäern, nachdem er den letzteren schon früher dem kaiserlichen Archidiaconus Gerold dedicirt hatte. Das erstere Werk soll dem König ein Wegweiser für die Leitung der Regierung sein. Raban sagt in der Widmung: – – cogitavi aliquod servitium, ut amantissimo decet domino, vobis exhibere, quod etiam vestrae nobilitatis in divinis legibus potuisset nostro labore aliquo modo florens exercere ingenium, divinaque sacrorum librorum testimonia rimando, regni gubernacula secundum Patrum praecedentium exempla legitime tenenda instruere. Die beiden 131 Commentare sind aber zugleich mit der für den Erzcapellan Hilduin verfassten Erklärung der Bücher der Könige insofern von allgemeinerem Interesse, als sie den Bereich der historischen Kenntnisse und Bildung Rabans, des ersten Gelehrten Deutschlands damals, uns zeigen. Bei diesen Commentaren hat er auch weltliche Historiker, namentlich Justin, benutzt, ja, was ihm besonders verdacht wurde, aber für seinen wissenschaftlichen Sinn gut zeugt, ausser Josephus auch einen modernen jüdischen Autor. Er hatte diesen zuerst in dem Commentar zu den Büchern der Könige citirt; trotz der Angriffe, die er deshalb erfuhr, zog er ihn doch, indem er sich um diese nichts kümmerte, in dem Commentar zu den Paralipomena an. In der Widmung des letzteren spricht er sich darüber aus. – Von neutestamentlichen Schriften hat Raban noch die Episteln des Paulus commentirt, ein sehr weitläufiges Werk, das aber reine Excerptenarbeit, und zum Theil selbst mit fremder Hülfe verfasst ist. Beigelegt wird ihm auch ein Commentar zum Johannes. Auch hat Raban auf den Wunsch Ludwig des Deutschen eine Erklärung der Cantica , die bei den Matutinen gesungen wurden, herausgegeben.

Drittens unterscheiden wir wissenschaftliche Werke Rabans, die zur weiteren Ausbildung des Klerikers und Gelehrten dienen sollen. Hierher gehört zunächst das von ihm noch als Magister verfasste und dem Erzbischof Heistulf gewidmete Werk: De clericorum institutione , welches aus mündlichen und schriftlichen Antworten Rabans auf Anfragen seiner Mönche, namentlich solcher, welche die Weihen erhalten hatten, hervorgegangen ist. Alles was zur Ausrüstung und Bildung des Geistlichen für den Kirchendienst nöthig ist, soll hier angezeigt und erklärt werden. Es sind drei Bücher. In den beiden ersten wird was das Verständniss des Kirchendienstes verlangt, behandelt, in dem einen die Kirchenverfassung, die Weihen, die Kleidung der Priester, die Taufe, die Messe, in dem andern die Officien der canonischen Stunden, Gebet, Beichte und Fasten, die Feste, der Kirchengesang, die Lectionen, das Glaubensbekenntniss und »als Gegensatz zu diesem« in kurzer Uebersicht die verschiedenen Häresien. Im dritten Buche aber lehrt der Verfasser, welche Bildung die Geistlichen haben 132 müssen. Nach ihm sollen die Fülle der Wissenschaft, die Rechtschaffenheit des Lebens und die Vollkommenheit der Gelehrsamkeit am meisten diejenigen besitzen, welche das Regiment in der Kirche führen. Die Weisheit und der gute Lebenswandel sind beide zugleich nöthig, jene erhellt diesen und dieser empfiehlt jene: beide sollen also in diesem Buche behandelt werden (c. 1). Sed quia utrumque necesse est, ut bonam vitam sapientia illustret, et sapientiam bona vita commendet, utrumque in hoc libro – – digeremus. Die Grundlage wie der Gipfel aller Weisheit ist aber auch Raban die Wissenschaft der heiligen Schrift, welche unmittelbar von Gott stammt, der die Quelle aller wahren Weisheit, auch der weltlichen, heidnischen ist (c. 2). Fundamentum autem, status et perfectio prudentiae scientia est sanctarum Scripturarum, quae ab illa incommutabili aeternaque sapientia profluens, quae ex ore Altissimi prodiit, primogenita scilicet ante omnem creaturam, Spiritus sancti distributionibus per vasa Scripturae lumen indeficiens, quasi per laternas, orbi lucet universo, ac si quid aliud est, quod sapientiae nomine rite censeri possit, ab uno ecclesiaeque sapientiae fonte derivatum, ad eius respectat originem. Dieser Satz wird dann noch weiter ausgeführt und so heisst es dann später: ac ideo ad unum terminum cuncta referenda sunt et quae in libris gentilium utilia, et quae in Scripturis sacris salubria inveniuntur – – So wird denn zuerst vom Studium der heil. Schrift gehandelt (c. 6 ff.), darauf von den Wissenschaften ( doctrinae ) der Heiden (c. 16 ff.). Der Verfasser spricht von ihnen zuerst im allgemeinen, indem er das, was in ihnen wie in den Einrichtungen der Menschen superstitiös ist, von dem Nichtsuperstitiösen unterscheidet, und allein jenes verwirft. Alles Historische wird schon an sich in Schutz genommen Aliud est enim facta narrare, aliud docere facienda l. III, c. 17., die Geschichte der Heiden dient selbst zur Erklärung der Bibel.

Mit cap. 18 geht Raban auf die Artes liberales über und beginnt mit der Grammatik, die er definirt als die scientia interpretandi poetas atque historicos et recte scribendi loquendique ratio . Der Metrik, »die durch die Grammatik gelehrt wird«, gedenkt er noch besonders als einer »edlen« Wissenschaft Metricam autem rationem – – non ignobile est scire. c. 18., freilich mit der falschen Motivirung, dass die Psalmen und Cantica des Alten Testaments in klassisch antiken Versmassen verfasst wären. Auch wären in denselben ausgezeichnete Werke von evangelischen Männern geschrieben, wie von 133 einem Iuvencus, Sedulius (welchen Raban auch in seinen Bibelcommentaren gern citirt), Arator, Alcimus (sc. Avitus), Clemens (sc. Prudentius), Paulinus und Fortunatus. »Wollen wir aber Gedichte und Bücher der Heiden wegen der Blüthe der Beredsamkeit lesen«, so soll mit ihnen nach dem Typus der von den Juden gefangenen Heidinnen verfahren werden, mit denen jene nach der Vorschrift Gottes (2. B. Mose) erst dann sich vermählen durften, wenn sie dieselben durch Abschneiden der Haare und Nägel gereinigt hatten. Dieser Gedanke ist dem Hieronymus entlehnt. S. Bd. I, S. 189. Raban fährt dann ihn erläuternd fort: Itaque et nos hoc facere solemus, hocque facere debemus, quando poetas gentiles legimus, quando in manus nostras libri veniunt sapientiae saecularis, si quid in eis utile reperimus, ad nostrum dogma convertimus, si quid vero superfluum de idolis, de amore, de cura saecularium rerum, haec radamus, his calvitium inducamus, haec in unguium more ferro acutissimo desecemus. c. 18. – Die Rhetorik wird wegen der Predigt empfohlen, die Dialektik besonders hochgerühmt, namentlich, nach Alcuins Vorgang De fide Trinit. (Praef). S. oben S. 21., als Waffe gegen die Sophismen der Häretiker, zugleich wird aber schon vor dem Missbrauch der Disputirkunst gewarnt. Vgl. Prantl, Gesch.. der Logik Bd. II, S. 19. Die Arithmetik empfiehlt Raban, schon weil ihr Studium von den sinnlichen Begierden abzieht, und sie die mystische Bedeutung der Zahlen in der heil. Schrift erklärt. In Betreff der Astronomie (c. 25) ist bemerkenswerth, dass er sie von der Astrologie unterscheidet, welche er in die naturalis und die superstitiosa eintheilt. Die erstere ist mit der Astronomie fast identisch nur scheint Raban darunter die rein praktische, welche die Feststellung des Kalenders zum Zweck hat, zu verstehen. Da Astronomia und Astrologia im Mittelalter promiscue gebraucht werden, so verdient die Stelle in der Hauptsache angeführt zu werden: Inter astronomiam autem et astrologiam aliquid differt, licet ad unam disciplinam ambae pertineant. Nam astronomia coeli conversionem, ortus, obitus motusque siderum continet, vel ex qua causa ita vocentur; astrologia vero partim naturalis, partim superstitiosa est. Naturalis dum exsequitur solis lunaeque cursus vel stellarum, certas temporum quaestiones. Nachdem er so von dem Nutzen der sieben freien Künste gehandelt hat, zeigt er noch (c. 26), dass auch die philosophischen Schriften der Heiden, namentlich der Platoniker, keineswegs 134 ganz zu verwerfen wären, vielmehr manche sehr nützliche moralische Vorschriften und selbst einiges wahre über die Verehrung eines Gottes enthielten. Im folgenden Kapitel spricht Raban von der Uebung der Tugenden, namentlich der vier cardinalen, und erörtert darauf (c. 28 ff.), wie der Geistliche lehren soll, und bei der Predigt vornehmlich das Verständniss des Volkes stets berücksichtigen, und daher dieselbe nicht wörtlich auswendig lernen soll (c. 30). Es wird dann noch von den verschiedenen Gattungen der Beredsamkeit gehandelt, und von der Verschiedenheit der Vermahnung, je nach dem Alter, Geschlecht und den Fehlern derjenigen, an welche sich die Rede richtet.

Auch dies Werk Rabans ist grösstentheils nur eine, öfters selbst wörtliche, Compilation aus verschiedenen Werken der Väter, wie Raban selbst in der Widmung bemerkt, vor allem hat er neben Cassiodors Institutionen Augustins Doctrina christiana und Gregors Cura pastoralis benutzt. So wenig originell also auch dies Werk ist, so wichtig erscheint es doch sowohl für die Erkenntniss des Höhepunkts der damaligen Bildung des Klerus, namentlich in Deutschland, als durch den Einfluss den es nicht bloss auf die unmittelbaren Schüler Rabans, sondern auch auf eine spätere Folgezeit gehabt hat. Verwandten Inhalts sind ein paar spätere, weit weniger bedeutende Schriften Rabans, mit deren Titelangabe wir uns hier begnügen: De sacris ordinibus, sacramentis divinis et vestimentis sacerdotalibus und De disciplina ecclesiastica libri tres .

Einen ähnlichen wissenschaftlichen Charakter hat ein weit grösseres Werk, welches Raban in seiner gelehrten Zurückgezogenheit nach Niederlegung der Abtwürde verfasste: es ist die 22 Bücher begreifende Encyclopädie: De universo , welche er zunächst einem früheren Studiengenossen Haimo, Bischof von Halberstadt, widmete. Es sollte das Werk, wie er an ihn schreibt, dem vielbeschäftigten Missionsbischof zur Recapitulation dienen, indem er hier kurz angeführt fände, was er in vielen Büchern früher zerstreut weitläufig gelesen. In der Weise der Alten, welche über die Naturen der Dinge und die Etymologien der Namen und Wörter schrieben, sei es verfasst, aber es habe nicht bloss diese Aufgabe, sondern es füge auch die mystische Bedeutung derselben Dinge hinzu, so dass Haimo 135 fortlaufend sowohl die historische als die mystische Erklärung der einzelnen darin fände. Vgl. damit die andere, an Ludwig den Deutschen gerichtete Widmung, worin Raban das Werk bezeichnet als de sermonum proprietate et mystica rerum significatione verfasst. Und hierin liegt allerdings hauptsächlich die Originalität dieses Werkes, das im Uebrigen zum grössten Theil aus Isidors Etymologien wörtlich abgeschrieben ist: es ist gleichsam eine für den christlichen Theologen zugerichtete Isidorische Encyclopädie. Dem entsprechend ist auch die Ordnung der Stoffe etwas geändert: während Isidor sein Werk mit den sieben freien Künsten beginnt, woran sich die Medicin, Jurisprudenz und Geschichtswissenschaft anschliessen, dann erst Bibel und Liturgie den Uebergang zu Gott selbst und der himmlischen Hierarchie (Buch VII) bilden S. Bd. I, S. 557 ff., so beginnt Raban vielmehr mit diesen, indem seine ersten fünf Bücher überhaupt der Religion und Kirche gewidmet sind, die weltlichen Wissenschaften dagegen ganz übergangen werden. Im übrigen folgt er zum grössten Theil der Anordnung Isidors Von dessen 11. Buche ab, mit welchem ja manche Handschriften einen zweiten Theil anheben (s. Bd. I, S. 558): nur werden von den vorausgehenden Büchern ein paar später, wenn auch nur theilweise, eingeschaltet, wie das neunte Isidors bis zum Anfang des fünften Kapitels als das sechzehnte; auch werden aus einem Buche des Isidor, wie dem vierzehnten, zwei von Raban gemacht, das zwölfte und dreizehnte (das letztere von c. 8 des vierzehnten des Isidor an), indem in diesem Falle von Raban auch viel hinzugefügt ist. – Um an ein paar Beispielen, die aufs Geradewohl genommen sind, das Verfahren des Raban bei der Bearbeitung des Isidorschen Werks zu zeigen, heisst es De univ. l. XVI, c. 4: Cives vocati, quod in unum coeuntes vivant, ut vita communis et ornatior fiat et tutior. Dies entspricht wörtlich l. IX, c. 4 §. 2 des Isidor; nun fährt Raban aber fort: Cives autem mystice in bonam partem ponuntur, ut est illud in Apostolo: Vos autem estis cives sanctorum et domestici Dei (Ephes. II.). Item in malam partem, quando ad Babyloniam spiritalem, hoc est, in partem diaboli deputantur. Oder etwas später in demselben Kapitel sagt Raban: Mercenarii sunt qui serviunt accepta mercede; iidem et barones Graeco nomine, quod sint fortes in laboribus, wörtlich aus Isidor l. l. §. 31; und Raban fährt fort: Mercenarii mystice illos significant qui serviunt Domino non pro amore divino tantum, sed pro temporali retributione, de quibus scriptum est in Evangelio – worauf wieder ein paar Bibelstellen folgen., aber sein Werk ist, um der von Hieronymus angenommenen Bücherzahl des Alten Testamentes 136 zk entsprechen S. Praef. ad Ludovicum regem., in 22 Bücher, statt gleich dem des Isidor in 20, eingetheilt. Dass die von Raban hinzugefügte mystische, d. h. allegorische Erklärung, mindestens im allgemeinen, auch nur eine entlehnte ist, ist schon bei ihrem traditionellen Charakter selbstverständlich; eine Hauptquelle ist aber auch hierbei Isidor und zwar durch sein Buch » Allegoriae quaedam sacrae scripturae« dem Raban gewesen. S. Bd. I, S. 563. Raban selbst wird auch ein Buch: Allegoriae in iniversam sacram scripturam beigelegt, worin nach alphabetischer Reihenfolge die allegorische Bedeutung einer grösseren Zahl von Substantiven gegeben wird.

So wenig eigenes auch Raban in diesem voluminösen Werke bietet – von dem er ein Exemplar auch König Ludwig auf dessen Wunsch widmete Auch in dieser Widmung gibt sich die geistliche Tendenz des Werkes kund, denn wie Raban dort sagt, soll das Werk dem Könige dienen: quatenus tuum bonum studium multis proveniat ad spiritalem profectum, et fiat tam tibi quam illis (seinen Unterthanen) spiritale exercitium atque coelestis gaudii incrementum. – so war es doch für die Conservirung und Fortpflanzung mancher Kenntnisse des Alterthums wichtig, da es durch seine besondere Anlage wie durch den Namen seines Verfassers dem Klerus jener Zeit mehr als Isidors Werk selbst sich empfehlen musste.

Zu dieser Gruppe der Rabanschen Werke ist auch die kurze Abhandlung De anima zu rechnen, welche dem sehr wissbegierigen König Lothar, also wohl Lothar II. gewidmet und damit vielleicht die letzte Schrift unseres Autors ist. Wenigstens aus seinem letzten Lebensjahre, wie Dümmler in der unten erwähnten Edition des Anhangs (S. 451) gezeigt hat. Sie ist auch fast allein ein Excerpt, und zwar hauptsächlich aus Cassiodors gleichnamigem Buche S. Bd. I, S. 487 ff., mit ein paar eigenen Zuthaten, wie Raban selbst in der Widmung besagt. Seltsamer Weise hat unser Autor einige Kapitel: De disciplina Romanue militiae »der sehr häufigen Einfälle der Barbaren wegen« angehängt, kurze Auszüge aus Vegetius' bekanntem Werke. Sie fehlten in der überlieferten Handschr. des Tractats, wurden aber in neuerer Zeit in einem Collectivcodex Triers wieder aufgefunden, und von Dümmler in der Zeitschr. f. deutsch. Alterth. N. F. Bd. III, S. 443 ff. herausgegeben.

137 Sind die bisher betrachteten Werke theils aus dem Unterricht direct erwachsen, theils aus gelehrten Studien, deren Motiv eigenes Bildungsstreben und Verbreitung der Bildung war, also Producte des Schulmeisters und Gelehrten, so gibt es dagegen eine andre Klasse von Schriften Rabans, die von jenen wesentlich verschieden, aus seinen amtlichen Stellungen als Abt oder als Bischof entsprungen sind: Schriften theologischer Publicistik gleichsam, so namentlich Gutachten über Fragen der kirchlichen Disciplin, durch Anfragen von Collegen oder durch bestimmte äussere Verhältnisse veranlasst, Schriften, die für die Kirchen- und Kulturgeschichte, mitunter selbst indirect für die politische von Bedeutung sind. Diese Schriften haben zum Theil die Form von Episteln, und Raban zeigt in ihnen öfters eine grössere Selbständigkeit des Gedankens und einen freieren, individuelleren Ausdruck als in den dickleibigen Compilationen. So behandelt er in zwei Schreiben (an Humbert, Bischof von Würzburg Quota generatione licitum sit connubium ., und an Hatto) De consanguineorum nuptiis et de magorum praestigiis falsisque divinationibus . die Frage: in welchem Grade der Verwandtschaft die Ehe erlaubt sei, indem er in dem zweiten zugleich eine ganz andre beantwortet, nämlich: was von denen zu halten wäre, die durch magische Künste und teuflische Zaubersprüche die Menschen, wie man sagt, zu täuschen und aus ihrem früheren Zustand herauszureissen vermögen. Alteram (quaestionem), quid de his sentiendum esset, qui magicis praestigiis sive incantationibus daemoniacis dicuntur homines fallere et a statu suo pristino evertere posse. Hier gedenkt der Verfasser nicht bloss der Bibelstellen, welche von Wahrsagern und Zaubern handeln, sondern er gibt auch eine Uebersicht der verschiedenen Arten derselben, welche das klassische Alterthum unterschied, eine Uebersicht die auf Varro zurückgeht, den Raban öfters citirt. Uebrigens verwirft Raban so wenig als die Väter, die Macht der Dämonen Indem er die Möglichkeit derselben in eigenthümlicher Weise erklärt: Quod vero non solum quaedam daemones futura praedicunt, verum etiam quaedam mira faciunt, pro ipsa utique sui corporis excellentia, cura non contemnatur a prudentibus: cum plerique iniqui ac perditi homines ita exerceant corpora sua, tantaque diversis artibus possint, ut ii qui haec nesciunt, nec aliquando viderunt, etiam narrata vix credant: quam multa funambuli caeterique theatri artifices, quam multa opifices maximeque mechanici miranda fecerunt. Num ideo meliores sunt bonis etc., über die er überhaupt 138 dieselben Ansichten als jene hegt. Die Schrift ist schon durch die Stellung der Frage selbst kulturgeschichtlich von Interesse. – So vertheidigte Raban in einer Flugschrift das in Westfrancien heftig angegriffene Institut der Chorbischöfe; so hat er in der Gottschalkschen Angelegenheit verschiedene Episteln (welche zugleich die Frage der Prädestination behandeln), wie an den Bischof Noting von Verona, den Markgrafen Eberhard, an Hincmar von Reims erlassen, die doch auch für die Oeffentlichkeit bestimmt waren.

Unter allen den Flugschriften Rabans sind aber zwei von allgemeinerem Interesse, indem sie zugleich ein lebendiger Ausdruck der Individualität unsers Autors sind, an dessen Darstellung hier auch das Gemüth keinen geringen Antheil hat: sie verdienen deshalb von uns eine grössere Berücksichtigung. Die eine ist die gegen Gottschalk gerichtete Schrift: De oblatione puerorum , durch welche Raban bei Ludwig dem Frommen gegen die Befreiung Gottschalks von seinem Mönchsgelübde durch die Mainzer Synode protestirte, und in der That die Aufhebung des Beschlusses derselben bewirkte. Raban sucht hier zunächst den Beweis zu liefern, dass nach den Zeugnissen der heil. Schrift und den Beispielen der Väter dem Christen es erlaubt sei, sein Kind Gott zu weihen ( consecrare). Dann bekämpft er den Einwand Gottschalks, dass, weil die Oblation eines Minderjährigen durch rechtskräftige ( idonei) Zeugen bestätigt werden müsse, nur Sachsen solche Zeugen hätten sein können, da es nach sächsischem Recht nicht erlaubt sei, dass ein Mann von einem andern Volke Zeugniss ablege, wo es sich um den Verlust der Freiheit eines Sachsen handle. Als wenn, fügt Raban hinzu, der Dienst Christi die Freiheit und den Adel des Geschlechts nähme! Indem nun aber Gottschalk in seinem Falle das Zeugniss von Franken verwarf, empört sich darob das Stammesgefühl Rabans, und nachdem er die Forderung des sächsischen Rechts vom biblischen Standpunkt bekämpft, ruft er erzürnt aus: wie lässt es sich hiernach bei Gott und den Menschen rechtfertigen, dass die, welche geringer an Tugend und Würde sind, die ihnen 139 überlegenen und höheren verachten, und als ob jeder Ehre unwürdig verwerfen, welchen sie doch sich unterwerfen mussten? Haec vero cum se ita habeant, quae ratio est secundum Deum aut secundum homines, ut qui inferiores sunt virtute et dignitate superiores sibi et eminentiores spernant, et quasi indignos omni honore respuentes abiiciant, quibus subiici oportebat? Wer in aller Welt weiss nicht, dass die Franken vor den Sachsen Christen geworden, diese mit den Waffen unterjochten und als ihre Herren zum Christenthum bekehrten? – So tritt hier der Stolz des Franken – der sein Volk dann auch mit den Persern und Römern, den Herrschern von Weltreichen, auf eine Linie stellt – dem ungebeugten Stolz des Sachsen entgegen; der Zorn macht Raban da wahrhaft beredt, und in seiner Sprache ist ein gewisser adliger Zug nicht zu verkennen. Nicht den Kleriker, sondern den fränkischen Edlen hören wir hier. – Raban sucht dann zweitens durch Bibelstellen zu erweisen, dass ein Gott geweihtes Gelübde nicht gebrochen werden dürfe, und zeigt endlich drittens, dass das Mönchsleben eine göttliche Institution sei.

Die andre bemerkenswerthe Flugschrift Rabans ist das Buch: De reverentia filiorum erga patres et subditorum erga reges , womit er für Ludwig den Frommen, nach dessen Gefangennahme und Entthronung i. J. 833, in die Schranken trat. Er schärft darin das Gebot Gottes die Eltern zu ehren durch Stellen des Alten und Neuen Testamentes ein, indem er zugleich auf den Segen hinweist, der sich an seine Erfüllung knüpft, und den Unsegen im andern Falle. Dann geht er auf die der königlichen Würde von den Unterthanen zu leistende Ehre über, und zeigt durch Aussprüche und Beispiele der Bibel, wie Gott die Widersetzlichkeit missfällt. Auch aus der weltlichen Geschichte der christlichen Zeit wird der Beweis geliefert, wie Gott die Tyrannen, die gegen den legitimen Herren sich erhoben, bestraft, an einem Maximus, Arbogastes und Eugenius – während dagegen Theodosius von Gott begünstigt ward. Auch zieme es den Söhnen als Erben nicht (c. 4), ihre Eltern aus Besitz und Würden zu verdrängen, wären doch Thronfolger, selbst wo sie Mitregenten waren, im alten Bunde wie in der christlichen Zeit ihren Vätern bis zu deren Tode unterthänig geblieben. – Hat sich bis hierhin 140 Raban gegen die Söhne gewandt, und ihr Verfahren, wenn auch indirect, verurtheilt, so spricht er im Folgenden direct für den Kaiser, indem er zunächst darlegt, dass der Richter, welcher Aufrührer bestrafe, kein Homicidium Dies Verbrechen wurde auf der Reichsversammlung zu Compiegne Ludwig Schuld gegeben, hauptsächlich im Hinblick auf den Tod seines Neffen Bernhard. begehe, und Könige deshalb aus solchem Grunde von Synoden und Bischöfen nicht verurtheilt worden wären (c. 8). Ferner: auf ein bloss allgemeines Schuldbekenntniss hin wäre niemand zu excommuniciren, hätten doch Heilige selbst ein solches abgelegt, auch David, der darum nicht sein Reich verloren: Gott verzeiht vielmehr dem reuigen Sünder (c. 11). Im letzten Kapitel redet Raban den Kaiser an, um ihn über die Vergangenheit zu trösten und zu bitten, sich nicht rächen zu wollen, sondern, wie Christus geboten, zu verzeihen und den reuigen Sohn – womit offenbar Lothar gemeint ist – wieder aufzunehmen.

Diese Schrift ehrt wahrhaft Raban, dessen Pietät und Rechtsgefühl in um so glänzenderem Lichte erscheinen durch den dunkeln Gegensatz des Benehmens seiner meisten Amtsbrüder. Sie erfreute den Kaiser so, dass dieser ihn zu einer andern Schrift aufforderte, einer Sammlung von Bibelsprüchen »über Tugenden und Laster« – wie auch der Titel lautet – mit besonderer Berücksichtigung der Pflichten der einzelnen Stände und Klassen der Gesellschaft.

Endlich haben wir unter Rabans Prosawerken noch seiner Predigten zu gedenken. Zwei Sammlungen hat er davon verfasst; die eine als Abt auf Wunsch des Erzbischofs Heistulf, welchem er sie allmählich zugehen liess, je nachdem ihm seine Musse erlaubt hatte eine Partie auszuarbeiten; ihn bat er später, wie die Widmung sagt, das Ganze zu ediren. Diese Predigten sollten »von allem was für das Volk nothwendig«, handeln, nämlich einmal von den Hauptfesten, dann von den verschiedenen Arten der Tugenden und Fehler. Sie gründen sich offenbar, mindestens zum Theil, auf Predigten, die Raban selbst gehalten. Daher auch ihre Kürze: die lateinische Rede wurde sicherlich von ihm ins deutsche übertragen Vgl. oben S. 127., und 141 manches zur Erklärung weiter ausgeführt, waren doch die Predigten für das Volk bestimmt. Und in der That haben viele auch einen populären Charakter, indem das dogmatische Moment zurück, das moralische in den Vordergrund tritt. Nur zum Theil sind sie original, manche sind mehr oder weniger Sermonen Leo's, Augustins, Alcuins u. a. entlehnt. Am originalsten und populärsten zugleich sind die kulturgeschichtlich bedeutenden, worin Raban die Unsitten seiner Landsleute, namentlich auch die Reste heidnisch-germanischen Aberglaubens bekämpft, die durch den Verkehr mit den noch heidnischen Bewohnern, wie er sagt, sich erhielten: so die Homilien 42 und 43. Die erstere hat die abergläubische Sitte zum Gegenstand, bei abnehmendem Monde Lärm zu machen, Pfeile in die Luft zu schiessen und Feuer hinauf zu schleudern, um dem Mond gegen Ungeheuer zu helfen, welche ihn verschlingen wollten. Vgl. Grimm, Deutsche Mythologie. 4. Ausg. S. 588 f. Auch noch andrer Unfug wurde deshalb getrieben. Raban beginnt recht volksmässig die Rede damit, dass er erzählt, wie er vor einigen Tagen ruhig Abends zu Hause sitzend, in seinen Meditationen plötzlich durch das Gelärm gestört worden sei; worauf er den Grund vernimmt, den er spottend erzählt. Aber er begnügt sich dann nicht das Unsinnige des Aberglaubens nachzuweisen, sondern er erklärt auch die Naturerscheinung. In der andern Homilie eifert er gegen die Befragung von Wahrsagern und Zeichendeutern, namentlich auch bei Krankheiten, und gegen mancherlei Aberglauben, vornehmlich beim Reisen, wie Beobachtung der Vögel und ihres Gesangs, des Tags der Abreise und Ankunft, des Niesens. Vgl. Grimm a. a. O. S. 944 ff., 953 f., 935. Gegen jede Besorgniss soll vielmehr das Schlagen des Kreuzes schützen. – Die Homilie 63 sei auch noch besonders hervorgehoben, da sie gegen Modelaster jener Zeit in Deutschland sich richtet, Fehler, die man für gering, oder für nichts achte, ja die so herrschten, dass man sie sogar als Tugenden ansehe. Es sind die Schwelgerei und die Trunksucht ( comessatio und ebrietas ), die bei den Vornehmen wie bei den Geringen sich fände, bei beiden Geschlechtern und in allen Ständen, den Klerus mit eingeschlossen. Die Schlemmer rühmt man selbst als freigebig, indem man die Enthaltsamen 142 tadelt. – Auch vor der Possenreisserei, dem übertriebenen lauten Lachen wird in manchen dieser Homilien das Volk gewarnt. So ermahnt Raban in Hom. 50 u. a. » auditum a scurrilitate avertere, risum excelsum et excussum non amare.« – – Als letzte von diesen Homilien (No. 70) findet sich ein Aufsatz über die Zurückführung des von Kosroë geraubten heil. Kreuzes nach Jerusalem durch Kaiser Heraklius, – ein im späteren Mittelalter, auch in den Nationalliteraturen, öfters behandelter Stoff; aber dieses Stück hat weder die Form der Homilie, noch den Stil des Raban. Da es von Massmann in seinem Eracles nicht erwähnt ist, so sei hier darauf aufmerksam gemacht.

Die zweite Sammlung enthält Homilien im engeren Sinne des Worts, Sermone, die sich an die sonn- und festtäglichen Lectionen der Bibel anschlossen und den betreffenden Text erklären; diese Sammlung wurde von Raban auf den Wunsch des Kaisers Lothar zunächst für diesen verfasst; aber von ihren drei Theilen hat sich nur einer erhalten.

Dies sind die Prosawerke Rabans, die von allgemeinem literarhistorischen Interesse sind Ich sehe hier daher von einigen andern, in denen zum Theil Raban sich selbst copirt, ganz ab; ihre Titel findet man bei Bähr a. a. O. namentlich S. 434 und 435. Das von Raban redigirte Poenitentiale ist wohl kirchenhistorisch wichtig, selbstverständlich aber kein literarisches Werk.. Raban hat aber auch Gedichte verfasst, so wenig poetische Begabung er besass; doch er war nicht umsonst in der Metrik bei Alcuin in die Schule gegangen, ein allerdings erst später, im dreissigsten Jahre von ihm vollendetes, aber gewiss in Tours bereits begonnenes Werk legt davon vor allem Zeugniss ab. Nach dem Beispiel seines Meisters Alcuin – der selbst hierin nur dem Vorgange eines Porphyrius und Fortunatus gefolgt war Vgl. oben S. 32; Porphyrius hat sich Raban auch direct zum Muster genommen, indem er in dem Prolog rücksichtlich der Abkürzungen, die er sich erlaubte, auf Porphyrius sich bezieht. – Vgl. über Fortunat Bd. I, S. 511. – Rabans Gedicht ist am besten edirt von Henze. Leipzig 1847. – verfasste er eine Bilderdichtung im grössten Massstab: De laudibus sanctae crucis , worin das Kreuz in 28 »Figuren« erscheint, die in Gedichten von Hexametern sich abgezeichnet finden, indem die durch die Linien der Zeichnung eingeschlossenen Buchstaben wieder zugleich Verse für sich, und auch andre als Hexameter So finden sich bei dem Bilde des Kaisers Ludwig (im Prooemium) in dem den Kopf umgebenden Kreis die beiden adonischen Verse: Tu Hludovicum – Christe corona; im Innern des Schildes 2 Distichen, in dem Kreuze, das Ludwig hält, asklepiadeische Verse u. s. w. bilden – eine ebenso ausserordentlich künstliche 143 und mühselige, als unpoetische Arbeit. Die Anregung zu dieser Dichtung hatte Raban sein Freund und Mitschüler bei Alcuin, der im Malen geschickte Hatto gegeben S. weiter unten., der gewiss die Zeichnungen lieferte, da ihn Raban in einem Schreiben an ihn, womit er die Zusendung des vollendeten Werkes begleitete, als seinen Mitarbeiter an demselben bezeichnet. S. das Schreiben bei Kunstmann, der es zuerst veröffentlichte, a. a. O. S. 169. Jedem Bildergedicht folgt eine Declaratio figurae in Prosa, die auch für das Verständniss der »Figur« bei der Künstlichkeit der ganzen Composition oft sehr wünschenswerth ist. Ja, wegen des in Folge der Figuren allerdings sehr »dunkeln Ausdrucks« der Gedichte, indem namentlich mit der Wortstellung in der willkürlichsten Weise umgesprungen wird, fügte Raban Wie er sagt, nach den Beispielen des Prosper und Sedulius. Vgl. Bd. I, S. 352 und 362 f. noch ein zweites Buch hinzu, das in verständliche Prosa die Gedichte umsetzt – der beste Beweis von der Werthlosigkeit solcher metrischen Künste, die freilich die Mitwelt und auch noch eine spätere Nachwelt höchlichst bewunderten Die Zeichnungen bieten indess manches kultur- und kunsthistorische Interesse, die erste Figur ist das Bild des Gekreuzigten selbst.. Dem ganzen Werk gehn drei Gedichte voraus, von denen aber zwei erst später von Raban hinzugefügt sind, das eine, in Distichen, ist an den Papst Gregor gerichtet bei Uebersendung eines Exemplars, das andre, ein Bildergedicht, dessen Haupttext in Hexametern, enthält die Widmung des ganzen Werks an Ludwig den Frommen, dessen Bild mit Krone, Kreuz und Schild selbst die Figur ist; das erste der Gedichte aber, Intercessio Albini pro Mauro betitelt, in Distichen, enthält die an den heil. Martin, den Schutzpatron des Klosters von Tours, gerichtete Bitte Alcuins, in dessen Namen es Raban gedichtet, das Werk seines Schülers gnädig aufzunehmen und für diesen Verzeihung von Gott zu erflehen. Dies Gedicht, welches das Verhältniss Rabans zu Alcuin überhaupt interessant beleuchtet, zeigt recht, 144 wie dies Werk selbst unter Alcuins Auspicien in Tours begonnen worden ist. Zugleich aber auch, dass es erst nach seinem Tode vollendet ward, was ja mit der Angabe der Intercessio selbst, dass Raban, nachdem er 6 Lustra vollendet, das Werk herausgegeben, vollkommen übereinstimmt. Dies hat Kunstmann S. 43 ganz übersehen. Sonst müsste man annehmen, Alcuin hätte selbst die Intercessio verfasst.

Die übrigen Gedichte Rabans sind zum grössten Theil mehr oder weniger Gelegenheitspoesie in Distichen, gleich der des Alcuin und Fortunat. Einmal Gedichte an Freunde oder Gönner, theils kurze von epigrammatischem, theils längere von epistolarischem Charakter. Einzelne sind auch, wie bei Fortunat, im Namen von andern verfasst. Z. B. c. V, im Namen Isanberts. Vgl. in Betreff des Vorgangs Fortunats Bd. I, S. 505 und 501. Zum Theil sind sie von Interesse durch die Personen, an die sie gerichtet, und als Quelle für die Lebensgeschichte Rabans, so c. XIV. an Ratgar, XV und XVI an Eigil, XIX an Samuel, oder auch in kulturgeschichtlicher Beziehung, wie XVII an den Bibliothekar Gerhoh, XXX an Bonosus (Hatto), worin das Schreiben mit dem Malen verglichen und jenem der Vorzug gegeben wird. Einzelne längere haben auch einen allgemeineren Inhalt. – Ferner hat auch Raban nicht wenige Inschriften, namentlich auf Altäre, sowie Epitaphien verfasst, die zum Theil bedeutenden Männern gewidmet sind, wie dem Kaiser Lothar, Alcuin, den Erzbischöfen Heistulf und Otgar, ferner Eigil, Einhard, Ratleik, Walahfrid, auch Raban selbst. – Sind auch die meisten dieser Gedichte blosse Versification, so finden sich doch in einzelnen, namentlich wo das Freundschaftsgefühl des Verfassers zum Ausdruck kommt, ansprechende Stellen. Wie in dem erwähnten Gedicht an den Jugendfreund Samuel, als er noch Presbyter war. An ihn sind eine ganze Anzahl Gedichte gerichtet. Unter den Epitaphien sind die auf Alcuin und Heistulf in formeller Beziehung hervorzuheben.

Zwei Gedichte Rabans verdienen noch besondere Erwähnung. Das eine, c. XXXII, in dreizeiligen Strophen In dem Metrum: – – – ᴗ ᴗ – – ᴗ ᴗ – ᴗ., aber unvollendet erhalten, schildert einem abwesenden »Bruder« die durch die Grausamkeit Ratgars herbeigeführte Secessio der Fuldaer Mönche mit lebhaften Farben; das andre, c. XXXI, ist ein 145 langes Gedicht von 100 sechszeiligen Strophen und zwar rythmischer iambischer Dimeter. Auf seine Form komme ich zurück. Was den Inhalt betrifft, so beginnt es mit einem Preis auf die Dreieinigkeit, deren wahres Wesen der Dichter verkündet, darauf singt er die Schöpfung der Engel, den Abfall des Lucifer, die Weltschöpfung, den Sündenfall, die Vertreibung aus dem Paradies, Abels Ermordung, die Sündfluth, dann den erneuten sittlichen Verfall, welcher die Sendung Christi zur Folge hat, dessen Leben und Wunder, Leiden, Höllenfahrt, Auferstehung, Himmelfahrt und endlich das jüngste Gericht, bei dessen Schilderung er länger verweilt; ein Gebet bildet den Beschluss. Ein darauf folgendes Distichon zeigt noch Raban als Verfasser an. Diese in volksthümlicher Form und einfachem Stile gehaltene Dichtung erinnert an einzelne spätere in der deutschen Nationalsprache selbst verfasste, als deren Vorläufer sie erscheint.

Raban hat auch Hymnen gedichtet, es werden nicht wenige ihm mindestens beigelegt, aber da es mir nicht möglich ist die in der That authentischen auszuscheiden, muss ich auf ein Urtheil hier verzichten. Sicherlich gehören ihm nur gar wenige von den ihm zugeschriebenen an. Dafür spricht auch dass Walahfrid in seinem Buche De exordiis etc. Rabans als Hymnendichter gar nicht erwähnt. (S. weiter unten.) Für die Aechtheit der Hymne De ascensione domini: Festum nunc celebre magnaque gaudia, bei Daniel, Thesaur. hymn. I, p. 217, könnte das auch sonst von Raban angewandte asklepiadeische Metrum sprechen.

 


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