Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Buch.
Die lateinische Literatur im Zeitalter Karls des Grossen.

Einleitung.

3 Ein neuer Aufschwung, ja eine Wiederherstellung der Weltliteratur beginnt mit und durch Karl den Grossen. Am Ende der vorigen Periode fanden wir eine literarische Kultur im Abendlande nur noch im Norden und Südosten, in Britannien und Italien, aber wirklich productiv bei den Angelsachsen allein, welche die Bildungsmittel der Italiener wie der Iren sich angeeignet, um sie schöpferisch zu verwerthen. Das Herz des Abendlandes, das Frankenreich, das grösste und mächtigste der neuen Reiche, welches die christliche Bildung mit dem Schwert gegen den anstürmenden Islam geschirmt hatte, war seit den Tagen des Fortunatus aller literarischen Kultur entfremdet. Karl führt sie dorthin zurück, ja er macht es zum Hauptsitze derselben, und selbst für das ganze Mittelalter, indem er von hier aus das neue germanisch-romanische Weltreich gründete. Mit der Herstellung desselben geht die Restauration der Weltliteratur Hand in Hand. Dieselben historischen Momente erscheinen bei der einen wie bei der andern wirksam: die nahe Beziehung des Pippinschen Königshauses zu den Angelsachsen und die Eroberung des langobardischen Reiches. Die Christianisirung von Deutschland durch Bonifatius und seine Schüler und Schülerinnen war die erste Voraussetzung des neuen Weltreichs, dessen Schwerpunkt im Germanenthum ruhte, und zugleich die erste Bedingung der literarischen Kultur diesseits des Rheines, welche selbst bereits von jenen angelsächsischen Missionen hier angepflanzt ward. Von nicht geringerer Bedeutung aber war 4 für das neue Imperium der Zukunft die Einfügung der deutschen Kirche durch Bonifatius in den Organismus der allgemeinen katholischen, wodurch zugleich die Beziehungen der Arnulfingen zu dem Papstthum wesentlich verstärkt wurden. Ein Angelsachse ist es auch, der, von Karl dem Grossen berufen, dessen Hof zum Mittelpunkt der Gelehrsamkeit und zur Wiege einer neuen literarischen Bewegung im Abendlande macht: der Schüler Egberts, eines Schülers von Beda, Alcuin; in ihm reicht diese Literaturperiode der vorausgehenden die Hand. Der Monachus Sangallensis macht lib. I, cap. 2 Alcuin geradezu zum Schüler des Beda.

Alcuin aber wurde erst fünf Jahre nach der vollen Unterwerfung der Langobarden, in Italien selbst von Karl berufen (781). Wie die Eroberung des Langobardenreichs wahrhaft den Grund zu dem neuen Imperium legte, da sie die thatsächliche Herrschaft über Rom zur Folge hatte, so hat sie auch erst das Bildungsbedürfniss, das die ächt germanische, universell angelegte Natur Karls erfüllte und durch das ganze Leben beseelte, ihm zum vollen Bewusstsein gebracht. Die feine Civilisation der langobardischen Grossen (wesentlich eine Frucht der in jenem Lande conservirten grammatischen Schulen), die nahen Beziehungen zu der Curie, die Begegnung mit angesehenen Gelehrten, Italienern wie Fremden, der gewaltige Eindruck der Denkmäler der antiken Architektur und Skulptur – all das musste in Italien dahin wirken, Karl die grossen Lücken seiner eigenen Bildung und den geringen Stand der seines Volkes erkennen zu lassen. Und indem die Verhältnisse von selbst in dem »Könige Germaniens, Galliens und Italiens«, wie Alcuin einmal in einem Briefe v. J. 796 Alcuini Epistolae in: Monumenta Alcuiniana a Ph. Jaffeo praeparata ediderunt Wattenbach et Duemmler. Berlin 1873. Ep. 67 (p. 307). Karl anredet, das wenn auch anfangs nur dunkle Streben nach der Wiederherstellung des abendländischen Kaiserthums erwecken mussten, musste auch der Wunsch Karls, sich in den Vollbesitz der überlieferten christlich-römischen Bildung zu setzen, immer mehr sich steigern, wie andrerseits wieder die Aneignung dieser Bildung erst jenes Streben zu einem bewussten machte und ihm eine ideale Weihe gab. So konnte erst die Civitas dei Augustins, 5 seine spätere Lieblingslectüre, Karl die christliche Bedeutung des Imperium vollkommen erschliessen.

Karl begnügte sich aber nicht mit der Berufung des ausgezeichneten angelsächsischen Lehrers, welcher in Begleitung von drei Schülern als seinen Gehülfen, Wizo, Fridugis und Sigulf, 782 an Karls Hofe erschien; er zog zugleich auch ein paar Gelehrte Italiens an denselben, den schon bejahrten Grammatiker Petrus von Pisa und den Langobarden Paulus, den Diacon. Alcuin und Petrus wurden Karls eigene Lehrer, namentlich der erstere, den er auch als seinen Magister κατ' ἐξοχὴν bezeichnet, während des andern Unterricht, der specifisch italienischen Bildung entsprechend, sich nur auf die Grammatik beschränkte. Alcuin ward zugleich Vorstand der Hofschule, die er durchaus restaurirte, im Geist und nach dem Vorbild des angelsächsischen Schulwesens. Die Angelsachsen aber verstanden sich auch auf den Laienunterricht und selbst in den höchsten Kreisen: ihre bedeutendsten Lehrmeister waren ja selbst aus den vornehmsten Ständen hervorgegangen, ein Aldhelm wie Egbert waren von königlichem Geschlechte. Je ärger nun die Verwahrlosung der Studien an dem fränkischen Hofe gewesen war – vermochten doch die Pippiniden nicht mehr, wie selbst noch die letzten Merowinger, ihren Namen zu schreiben –, desto grösser und allgemeiner war jetzt dort die Lernbegierde: auch die Frauen nahmen an dem Unterrichte Theil, die Töchter Karls, seine Schwester, seine Base, indem auch hierin das Vorbild der Angelsachsen wirksam gewesen sein mag. S. Bd. I, S. 587 u. 615.

Nur um so leichter wurde das literarische Interesse hier aus der Schule in die Gesellschaft übertragen. Und so bildete sich allmählich ein engerer der Wissenschaft ergebner Hofkreis, den man mit einer Akademie verglichen und also benannt hat. Alcuin selbst nennt einmal Karls gelehrten Hofstaat academici . Ep. 241 (p. 77b): – – evangelicas quaestiones achademicis vestris a nobis enucleandas inquiritis. Die von dem gleichen Streben nach weiterer geistiger Ausbildung beseelten Schüler und Freunde Alcuins traten durch dieses in einen vertraulicheren Verkehr, der sie über die Schranken des Standes und Lebensberufs hinwegsehen liess, indem sie sich gegenseitig mit besonderen Beinamen nannten als Merkmal und 6 Zeugniss jenes gemeinsamen Strebens, das ein Band von freundschaftlichem Charakter werden musste; so schieden sie zugleich sich von den Uneingeweihten. Alcuin, der offenbar diese Sitte dort eingeführt, welche auch nur eine Ueberlieferung der Angelsachsen war So gibt schon Aldhelm seinem Schüler, dem König Alfred von Northumbrien den Namen Acircius in dem ihm gewidmeten Werke. S. Bd. I, S. 590., gibt selbst die »Familiarität« als den Grund derselben an. Ep. 199 (p. 686): Saepe familiaritas nominis immutationem solet facere: sicut ipse Dominus Simonem mutavit in Petrum, et filios Zebedei filios nominavit tonitrui. Quod et iam antiquis vel his novellis diebus probare poteris. Für den Charakter der neuen literarischen Bewegung, die von diesen Männern ausgeht, ist aber die Wahl der Namen höchst bezeichnend, sie sind nämlich ebensowohl dem klassischen Alterthum als der Bibel, namentlich dem alten Testament, entlehnt: wie Alcuin nach Horaz Flaccus, so heisst Karl selbst nach dem königlichen Sänger und Krieger des alten Bundes David, wie Karls Schwiegersohn Angilbert Homer, so Einhard Beseleel nach dem kunstreichen Ausschmücker der Stiftshütte, so führen andre die Namen Naso und Aaron; selbst den Eclogen Virgils sind solche Beinamen, und nicht selten, entnommen, wie Menalcas, Thyrsis, Damoetas. Andre sind allerdings, wie bei den späteren Humanisten, nichts weiter als lateinische Uebertragungen, so wenn Wizo Candidus, Arno Aquila genannt wird. Aber auch Frauen dieses Kreises führen solche vertrauliche Namen, wie Karls Schwester, die Aebtissin Gisela, die Alcuin wegen ihrer Hochschätzung der Bücher rühmt, Lucia, und Gundrad, die gelehrte Base des Kaisers, Eulalia, sowie seine Tochter Rotrude Columba heissen. Man ersieht hieraus schon den ganz gesellschaftlichen Charakter dieser Sitte. Eine sorgfältige Zusammenstellung aller der Namen s. in Dümmlers Artikel: Alcuin, in der Allgem. Deutschen Biographie Bd. I, S. 345.

Dieser engere wissenschaftlich gebildete Hofkreis Karls schmückte und hob die Unterhaltung durch Kunst und Wissenschaft: so wurden bei und nach der Tafel Räthsel aufgegeben, musicirt, Gedichte vorgelesen und recensirt, aber auch speculative Fragen behandelt und Kapitel der Civitas dei , dieses so tief und vielseitig anregenden Werkes, vorgetragen. Karl war überall der belebende Mittelpunkt, da seine Wünsche ja massgebend waren, Alcuin aber auch hier seine rechte Hand; in 7 diesem Hofkreis war in der That wieder eine »Gesellschaft« geschaffen, in welcher die Wissenschaft, in so beschränktem Masse dies auch der Fall sein mochte, in allgemeine humane Bildung umgesetzt erscheint. – Aber die sogenannte Akademie bedeutete doch noch mehr für den König. So sehr auch Karl durch den Unterricht des Petrus wie des Alcuin seine Kenntnisse vermehrt hatte, sein Wissensdurst war hierdurch nur verstärkt worden; er bedurfte gleichsam eines gelehrten Hofstaats, um auf alle seine wissbegierigen Fragen, welche die verschiedensten Wissenschaften, wie Theologie, Grammatik und Astronomie, betrafen, alsbald eingehende und ausführliche Antwort zu erhalten – ein Bedürfniss das sich noch mehr geltend machte, als Alcuin den Hof verlassen hatte und nach Tours übergesiedelt war. Dieselben Gelehrten haben denn auch, und vornehmlich die jüngeren, die wissenschaftliche Correspondenz des Königs, namentlich mit seinem ›Magister‹, nach seinen Angaben oder Dictaten geführt. S. Alc. Ep. 112 (p. 459): Vestra – so schreibt Alcuin an Karl – vero auctoritas palatinos erudiat pueros, ut elegantissime proferant, quicquid vestri sensus lucidissima dictaverit eloquentia, ut ubique regalis nominis carta decurrens regalis sapientiae nobilitatem ostendat.

Die Literatur aber, die aus diesem gelehrten Hofkreise Karls hervorgeht, reiht sich, so eigenartig sie auch zum Theil ist, doch an die lateinische der Angelsachsen sowie an die Dichtung des letzten Poeten von Bedeutung im Frankenreiche, des merowingischen Hofdichters Fortunatus an, welcher zugleich die Schulpoesie seiner Heimath Italien vertritt, so also gleichsam als Vorfahr des Petrus von Pisa und des Paulus Diaconus erscheint. Wie die angelsächsische Literatur und die Dichtung des Fortunatus, geht die karolingische Literatur, ganz im Gegensatz zu der älteren christlich-lateinischen, nicht von der Kirche, sondern von der Schule aus; wenn auch diese Schule noch eng mit der Kirche verknüpft war, doch ein sehr wesentlicher Unterschied! So werden auch die klassisch-lateinischen Autoren und namentlich die Dichter, vor allen Virgil und Ovid, ihre Vorbilder, zunächst in formeller Beziehung, aber indem die gelehrte Bildung hier zuerst im Mittelalter in epochemachender Weise auf den Boden der Gesellschaft tritt, auch in Bezug auf den Inhalt. In dieser Rücksicht wirkt zugleich auf das bedeutendste der Gedanke der Wiederherstellung des 8 abendländischen Imperium ein: man sieht in Karl einen zweiten Augustus. Und so entsteht eine weltliche, auch von Laien gepflegte Dichtung wieder, so zeigen sich bereits die Anfänge einer Hofpoesie und einer nationalen Epik, die auch der politischen Tendenzen nicht ermangeln. Dies wird die folgende Darstellung der Literatur im einzelnen veranschaulichen.

Ging nun die Initiative zu der Erneuerung der literarischen Kultur im Frankenreiche – die, gleichwie dieses zum Weltreich, zur Erneuerung der Weltliteratur wurde – von Karl dem Grossen aus, so sorgte er nicht minder auch für die Verbreitung derselben, indem er zunächst bemüht war die Bildung der Geistlichen, der Lehrer des Volkes, dann durch Errichtung und Verbesserung der Schulen dieses selbst zu heben. Hierzu trieb Karl schon sein eignes Bildungsbedürfniss, noch mehr dann das lebhafteste Gefühl von der Verpflichtung des christlichen Herrschers, die Bürger seines Reichs für den Gottesstaat zu erziehen, eine Verpflichtung, die sich ihm um so mehr aufdrängte, je souveräner er gleich einem andern Constantin über die Kirche gebot und je mehr er zum Imperator, zum Weltherrscher sich berufen fühlte. Jene Fürsorge Karls bekundete sich in verschiedenen Verordnungen.

So richtete Karl im Jahre 787 ein Rundschreiben Monumenta Germaniae histor. Leges I, p. 52. – Monum. Carolina ed. Jaffé. Berlin 1867. p. 343. an alle Bischöfe und Klöster, worin er sie auf das eindringlichste ermahnt, die studia litterarum zu pflegen, indem er dem rechten Leben das rechte Reden als Gott gleich wohlgefällig zur Seite stellt qualiter, sicut regularis norma honestatem morum, ita quoque docendi et discendi instantia ordinet et ornet seriem verborum, ut qui Deo placere appetunt recte vivendo, ei etiam placere non neglegant recte loquendo. , und darauf hinweist, dass erst diese Studien die Befähigung verliehen, in den tiefern Sinn der Bibel einzudringen. Er wünscht die Geistlichen ebenso gelehrt als fromm, dann würden sie erst die Religion würdig vertreten. Diese Encyclica hatte eine bestimmte Veranlassung, es waren die vielen fehlerhaften Schreiben, die von Klöstern an den König in den letzten Jahren gerichtet waren. In einer andern Encyclica Monum. Germ. hist. l. l. p. 44. S. über die Zeit des Erlasses Dahn (Paulus Diaconus I, S. 52 ff.), der ihn nicht mit Unrecht erst nach 786 setzt. an den Klerus 9 erklärt er, seinen Dank für die ihm im Kriege wie im Frieden bewährte göttliche Gnade durch eine Besserung des Zustandes der Kirchen bezeigen zu wollen, und zwar indem er die vergessene Werkstätte der Wissenschaft wiederherstelle und durch sein eignes Beispiel zum Studium der freien Künste auffordere. So habe er schon früher den durch die Unwissenheit der Schreiber entstellten Bibeltext bessern lassen. Jetzt aber habe er nach dem Beispiel seines Vaters, der die Kirchen mit dem römischen Gesange geschmückt, für eine andre Verbesserung des Kultus Sorge getragen, indem er durch Paulus Diaconus aus den Werken der katholischen Väter eine Blumenlese von Homilien habe ausziehen lassen, um an der Stelle der bisher beim Abendgottesdienst gebrauchten Lectionen, welche durch eine Unzahl von Sprachfehlern entstellt wären, zu dienen. In dem berühmten Capitulare vom Jahr 789 verlangt Karl die Verbindung von Schulen mit allen Episcopalkirchen und Klöstern, wo nicht bloss Kinder von Leibeigenen (aus welchen der Klerus sich gewöhnlich ergänzte), sondern auch von Freien, Edlen ( ingenui) unterrichtet werden sollen, und zwar in den Psalmen, Noten, Gesang, Computus und Grammatik, und er dringt darauf, dass die geistlichen Bücher wohl emendirt sind. Evangelium, Psalterium und Missale sollen deshalb nur Erwachsene abschreiben und mit aller Sorgfalt. Monum. Germ. hist. l. l. p. 65, Cap. No. 71. – Auf die Anwendung der ganz ausser Gebrauch gekommenen Interpunction drang Alcuin bei dem Kaiser in dem oben S. 7 Anm. 1 citirten Briefe: Punctorum vere distinctiones vel subdistinctiones licet ornatum faciant pulcherrimum in sententiis, tamen usus illorum propter rusticitatem pene recessit a scriptoribus. Sed sicut totius sapientiae decus et salutaris eruditionis ornatus per vestrae nobilitatis industriam renovari incipit, ita et horum usus in manibus scribentium redintegrandus esse optime videtur. Sind auch diese Schulen zunächst zur Ausbildung des Klerus bestimmt gewesen, wie auch in dem Capitulare ausdrücklich angezeigt wird A. a. O.: Et ut scolae legentium puerorum fiant – sonst auch scholae lectorum genannt, im Gegensatz zu der Sängerschule, s. z. B. Monum. Carolina ed. Jaffé, p. 421., so sollten sie doch darauf sich nicht beschränken: wird doch in einem späteren Capitulare von 802 geradezu gefordert, dass ein jeder seinen Sohn zur Erlernung des Lesens in die Schule schicke und ihn bis zur Vollendung des Unterrichts dort verweilen lasse. Ut unusquisque filium suum litteras ad discendum mittat et ibi cum omni sollecitudine permaneat usque dum bene instructus perveniat. Monum. Germ. hist. l. l. p. 107. – Auch die 10 Pflege des von Pippin eingeführten römischen Kirchengesangs wird in dem erstgenannten Capitulare den Geistlichen von neuem in Erinnerung gebracht. l. l. p. 66, No. 79. Karl liess sich auch zu diesem Zweck zwei Singlehrer vom Papste senden. – Am wirksamsten aber war für die Verbreitung der wissenschaftlichen Bildung die Uebertragung der angesehensten Bisthümer und Abteien an die in der Hofschule und in der durch Alcuin gegründeten Musterklosterschule von Tours gebildeten Monachus Sangallensis, lib. I, cap. 9 init. oder von auswärts berufenen ausgezeichneten Gelehrten. Auf die Laien aber musste das Beispiel des Kaisers, auf das er selbst auch hinzuweisen pflegte, von dem grössten Einfluss sein.

Und in der That durfte Karl auf sein Beispiel sich berufen. Ihm hatten die unermüdlich betriebenen Studien, das stetig fortdauernde universelle Interesse an der Wissenschaft die Frucht wahrer Bildung gezeitigt. Mit Recht erhoben die Zeitgenossen seine Weisheit. Ihm hat Gott, meint Alcuin, auch schon um die Weisheit zu zieren, die Kaiserkrone gegeben. Ep. 241 (p. 775). Die Forderung Plato's dass die Philosophen herrschen sollen, sieht er durch ihn erfüllt. Ep. 170 (p. 613). Alcuin selbst aber, und dies ist dessen grösstes Verdienst, hat Karl die Wege der Wissenschaft geführt und ihm das Ziel stets vor Augen gehalten. Nichts ist zum Regieren nothwendiger als die Weisheit: wie oft spricht er dies direct und indirect in seinen Briefen an Karl aus. Vgl. Ep. 78 (p. 347). – Die Aufklärung Karls, die er namentlich auch seinem Sinn für Mathematik und Astronomie verdankte, gibt sich auch in seiner gesetzgeberischen Thätigkeit kund. So bekämpft er in dem zuerst erwähnten Capitulare mancherlei Aberglauben des Volkes, der nur zu oft von den Geistlichen unterstützt, ja gepflegt wurde, wie das Taufen der Glocken, den Hagelschutz durch an Ruthen aufgehängte Papiere, die wohl Beschwörungsformeln enthielten, das Befragen der Bibel durch Aufschlagen aufs Geradewohl um die Zukunft zu erfahren, sowie andre Weissagungen. Karls religiöse Aufklärung zeigt sich aber vornehmlich in der Stellung, 11 welche er zu dem von Byzanz angefachten Bilderstreite einnahm. Nicht allein in der Verwerfung einer jeglichen Adoration der heiligen Bilder, sondern mehr noch in der rationellen Begründung dieses Beschlusses der Frankfurter Synode, der nur der Ausdruck der Willensmeinung Karls war, offenbart sich recht seine gesunde, durch die romanische Bildung nur geläuterte germanische Natur. Von der romanischen Bigotterie war ihm nichts eigen. Das beweisen auch recht manche Anekdoten der Folgezeit, die von Geistlichen erzählt des grossen Kaisers Frömmigkeit verdächtigen. Auch ein Zeugniss seiner allgemeinen Bildung, das ihn über seine Zeit erhebt, ist das nationale Interesse, das er nach Einhard an der Sprache und Poesie seines Volkes nahm, jene grammatisch behandelt, diese gesammelt und aufgezeichnet zu sehn. Reuter, Geschichte der religiösen Aufklärung im Mittelalter. Bd. I. Berlin 1875. – Rettberg, Kirchengeschichte Deutschlands. Göttingen 1846–48. 2 Bde. – Lorentz, Karls des grossen Privat- und Hofleben. In: Raumers histor. Taschenbuch Bd. III. 1832. – Phillips, Karl der Grosse im Kreise der Gelehrten. In: Almanach der kais. Akademie der Wissensch. in Wien 1856. – Oebeke, De academia Caroli Magni. Gymn. Progr. von Achen 1847. – Büdinger, Von den Anfängen des Schulzwangs. Festrede. Zürich 1865. – Ebert, Die literarische Bewegung zur Zeit Karls des Grossen. In: Deutsche Rundschau, Bd. XI. 1877. 12

 


 << zurück weiter >>