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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Weltchronik: Frechulf, Ado.

Auch die Weltchronik fand in diesem Zeitraum eine, und sogar doppelte Bearbeitung: einmal von Frechulf Freculfi, episcopi Lixoviensis, Chronicorum Tomi II. Coloniae 1530. In: Biblioth. patrum u. in Migne's Patrol. lat. T. 106. – – Grunauer, De fontibus Historiae Frechulfi. Dissert. Zürich 1864. (Gibt zugleich Ergänzungen des ersten Buchs aus dem S. Galler Cod.) – Histoire littér. de la France T. V, p. 77 ff. – Wattenbach, Deutschl. Geschichtsq. 4. Aufl. S. 177 ff., dem Bischof von Lisieux, der, wie wir sahen, Raban zur Abfassung seines Commentars zum Pentateuch aufgefordert hatte. Er war ein Schüler des Presbyter Helisachar, des einflussreichen Kanzlers Ludwigs des Frommen. Dank seiner Gelehrsamkeit und der Gunst dieses Fürsten, dem er auf das treueste anhing, wurde er um 824 in der Angelegenheit der Bilderverehrung an den Papst nach Rom gesandt. Bald danach mag er sein Werk in Angriff genommen haben, das er vor 830 beendete. Das letztere ergibt sich aus der Widmung des zweiten Theils, nicht bloss weil er hier Judith felicissima nennt, sondern viel sicherer noch aus dem Prädicat invictus, das er dort dem Kaiser Ludwig gibt: das war nach 830 auch einem Schmeichler nicht mehr möglich zu sagen. Dass er das Werk erst nach der italienischen Reise begonnen, ist wahrscheinlich, weil ihm auf dieser wohl, wie auch Wattenbach meint, die Gelegenheit geboten ward, dem Büchermangel abzuhelfen, über den er gegen Raban – mindestens nach 822, in welchem Jahre Raban Abt wurde – klagt. Vgl. oben S. 130. Die 381 Aufforderung zu demselben war ihm von Helisachar gekommen, der »unersättlich in seiner Liebe zur Weisheit« war. Frechulf, dessen Namen noch manche Synodalverhandlungen zeigen, lebte bis um die Mitte des Jahrhunderts.

Sein Werk besteht aus zwei Theilen, die selbständig edirt sind. Der erste ist dem Helisachar gewidmet und behandelt die Weltgeschichte bis zu Christi Geburt, und nur so weit hatte der Kanzler das Werk verlangt, wie die Widmung besagt; der zweite Theil führt dasselbe bis zum Tode Gregors des Grossen, indem jedoch am Schluss noch anhangsweise berichtet wird, wie Bonifaz (IV.) das Pantheon vom Kaiser Phocas erhielt. Frechulf sagt selbst gegen Ende des letzten Kapitels: Igitur a nativitate Domini Jesu Christi ob amorem dominae meae Augustae Judith aggressus sum opus quod usque ad Gregorii, eximii doctoris, obitum perduxi. De gestis etiam Bonifatii papae quaedam deinceps praelibando perstrinxi – – Er identificirt aber da Bonifaz IV. mit Bonifaz III., indem er von demselben Papst zugleich noch berichtet, dass Phocas den römischen Bischofssitz als omnium ecclesiarum caput anerkannt habe; Bonifaz III. hatte dies, aber auch nicht als Papst, sondern als Gesandter Gregors durchgesetzt. Dieser Theil ist aber der Kaiserin Judith, welche der Verfasser mit galantem Lob überschüttet, gewidmet; er soll zur Unterweisung ihres Sohnes Karl dienen. Der erste Theil begreift sieben, der zweite fünf Bücher; jedes Buch aber wieder eine grössere Zahl Kapitel. Wie sich schon hieraus ergibt, ist diese Weltchronik eine Weltgeschichte in zusammenhängender Erzählung.

Die Gliederung des Stoffes ist die folgende, zunächst des ersten Theils. Wie Orosius, und mit der aus ihm wörtlich entlehnten Motivirung, beginnt Frechulf seine Geschichte, statt mit Ninus, wie Eusebius, vielmehr mit Adam und führt sie im ersten Buche bis Abraham, von dem indessen hier schon ausführlich gehandelt wird. Das zweite Buch beginnt mit Ninus, bei dem und dessen Nachfolgern Abrahams von neuem gedacht wird, und geht bis auf David, insbesondere die 382 Vorbereitungen zum Bau des Tempels von Jerusalem. Von hier an erstreckt sich das dritte Buch bis zur zweiten Wiederherstellung desselben unter Darius. Das vierte reicht bis auf die vollständige Unterwerfung Italiens unter Rom nach dem Tode des Pyrrhus; das fünfte bis zur Verwüstung des Tempels durch Antiochus und den Untergang des macedonischen und carthagischen Reiches; das sechste geht bis auf Pompeius, das siebente endlich bis zu Christi Geburt.

Wie sich unschwer erkennen lässt, geht diese Gliederung des Stoffes in der Hauptsache theils auf das in der Civitas dei aufgestellte System der Weltalter S. Bd. I, S. 224 ff., theils auf das der Weltreiche Dass sich dessen Frechulf bewusst ist, zeigt recht der Schluss des fünften Buchs: Nunc vero ubi contaminationem atque vastationem templi ostendimus, duoque regna potentissima, Macedonicum scilicet atque Carthaginiense defecisse, finem etiam huius voluminis imponere decrevimus., die Eintheilung des Werks des Orosius S. Bd. I, S. 326 ff., zurück: das erste Buch soll nämlich die zwei ersten Weltalter umfassen, nur geht der Verfasser hier, indem er in der Weise der Civitas dei da weniger erzählt, als vielmehr einzelne Fragen, wozu der biblische Text auffordert, behandelt, schon auf Abraham ein, obgleich er das zweite Buch von dessen Geburt an rechnet; dieses entspricht dem dritten Weltalter; das dritte Buch ist durch den Verfasser ganz selbständig abgegrenzt, das vierte dagegen geht bis zum Anfang des vierten Buchs des Orosius, indem das letztere in seiner Ausdehnung ganz dem fünften des Frechulf entspricht: mit dem Kriege Roms gegen Pyrrhus beginnend, endigt es auch mit der Zerstörung Carthago's; dasselbe Verhältniss ist bei den beiden folgenden Büchern: das sechste des Frechulf ist in seiner Begrenzung dem fünften des Orosius gleich, nur dass im letzten Kapitel noch der Anfang des folgenden Buchs des Orosius behandelt wird, letzteres geht dann auch bis auf Augustus und Christi Geburt.

Bei der Eintheilung des zweiten Theils ist Frechulf dagegen selbständig verfahren, da hier weder das System der Weltalter noch Orosius den Weg weisen konnte, weil ja der ganze Theil wie einem Weltalter, so auch nur einem Buche des Orosius entspricht. Das erste Buch geht hier bis zur 383 Zerstörung von Jerusalem, das zweite bis auf Caracalla und die unter ihm und seinem Vater eingetretene Verfolgung der Christen, das dritte von Elagabal bis auf Constantin den Grossen und die Schliessung der heidnischen Tempel durch ihn, das vierte von dessen Söhnen bis auf Theodosius den Grossen und die Zerstörung der Götter und ihrer Tempel, das fünfte endlich von Arcadius und Honorius bis auf Gregor, die Invasion der Langobarden und den Uebertritt Reccareds zum Katholicismus. Es ist offenbar, dass diese Eintheilung des zweiten Theils durch die Geschichte der christlichen Kirche bedingt worden ist, und so vom Standpunkt jener Zeit betrachtet, sogleich (vom zweiten Buche abgesehen) vollständig motivirt erscheint. Dies gilt auch von dem Schlusse des Werks: durch Gregor den Grossen ist die römische Kirche erst unabhängig von Byzanz geworden, und bald darauf, wie der Autor noch hinzufügt, selbst vom Kaiser als das Haupt aller Kirchen anerkannt. Dazu kommt, nach der Widmung des zweiten Theils wenigstens, auch noch ein verwandtes weltliches Motiv des Abschlusses, worauf Wattenbach mit Recht hingewiesen, das Ende der römischen – jetzt nur noch byzantinischen – Kaiserherrschaft im Abendland, da ihre Gewalten, wie Frechulf sagt Die Stelle der Widmung lautet: Igitur ab Octaviano Augusto et Domini nativitate Salvatoris nostri aggressus sum scribendo opus, quod peregi usque ad regna Francorum et Langobardorum, deficientibus Romanorum imperatoribus seu iudicibus ab Italia et Gallia, Gotorum quoque regibus, qui successerant, ab iis etiam depulsis., in Gallien wie Italien verschwinden.

Die Anlage des ganzen Werkes aber zeigt schon, wie auch in dieser Universalgeschichte die doppelte Strömung fortdauernd sich kundgibt, eine geistliche und eine weltliche, die Geschichte der Kirche und des auserwählten Volkes und die der irdischen Weltreiche neben einander geht. Augustins Civitas dei und Orosius' Geschichte, die diese ergänzen sollte, sind die Werke, welche auf die Anlage und Ausführung dieser Weltchronik den grössten Einfluss gehabt haben. Ihrem Inhalt nach ist sie aber eine wörtliche Compilation aus den verschiedensten Büchern, eine wahre Mosaikarbeit, indem in demselben Kapitel aus drei, vier, ja noch mehr Büchern die einzelnen Sätze entlehnt sein können Wie dies Grunauer durch das ganze Werk hin nachgewiesen hat., hier und da mit geringer 384 Veränderung Dass aber auch mitunter bedeutungsvolle Abänderungen sich finden können, worauf eine erneute Untersuchung des Werks ihr Augenmerk zu richten hätte, mag ein Beispiel lehren. Cap. 4 des 1. Buchs des 2. Theils, welches Kapitel von Octavian handelt, ist zuerst aus Orosius, dann aus Aurel. Victor entlehnt, darauf folgt eine kleine Stelle unbekannter Herkunft, dann wieder eine Stelle aus Aurel. Victor Epit. c. 1 Ende, welche lautet: Imperavit annos quinquaginta et sex etc., qui certe numquam aut reipublicae ad se potentiam traxisset, aut tamdiu ea potiretur, nisi magnis naturae et studiorum bonis abundasset. An die Stelle der durch cursiven Druck hervorgehobenen Worte hat aber Frechulf gesetzt: nisi procausa nativitatis Domini hoc fieret., wobei es denn auch wohl geschieht, dass dasselbe an anderer Stelle noch einmal erzählt wird. Die Hauptquellen Frechulfs sind ausser den beiden schon genannten Werken Eusebius-Hieronymus' Weltchronik, Eusebius' Kirchengeschichte mit der Fortsetzung des Rufin, die Historia tripartita, Isidors und Beda's Weltchroniken, Josephus' und Jordanis' Werke, Aurelius Victor, Florus, die Historia miscella und Hieronymus' De viris illustribus, welches Werk zum grössten Theil excerpirt ist, indem der Verfasser also, was Anerkennung verdient, der christlichen Literatur eine besondere Berücksichtigung schenkt. Ein Hauptmangel besteht darin, dass chronologische Angaben bei den einzelnen Begebenheiten in der Regel ganz fehlen, nur Berechnungen von Zeiträumen am Ende der Bücher sich finden, sowie die Zahl der Regierungsjahre der Könige. Nur durch ganz allgemeine Zeitbestimmungen, wie Quo tempore, tunc, interea und dergleichen, oder auch durch ein blosses igitur – das unserm nun entspricht – werden gewöhnlich die einzelnen Erzählungen lose mit einander verbunden.

 

Den formalen Charakter der Weltchronik bewahrt reiner das andre Werk, das auch weit weniger originell in der Anlage wie umfangreich ist. Es hat den auch sonst literarisch bemerkenswerthen Erzbischof von Vienne, Ado S. Adonis opera ad fidem editionum Rosweidi, Mabillonii etc. recognita et expressa, accur. Migne. (Patrol. lat. T. 123). – Auszüge der Chronik und von 814 an vollständig in: Monum. German. histor., Scriptor. Tom. II, p. 315 ff. ed. Pertz. (Praef.) – – Histoire littér. de la France T. V, p. 461 ff. Wattenbach a. a. O. S. 179. zum Verfasser. Dieser, einer alten edlen Familie Westfranciens entsprossen, war in dem durch seine humanistischen Studien, wie wir sahen, 385 sich auszeichnenden Kloster Ferrières erzogen und dort Mönch geworden. Er wirkte dann eine Zeitlang in Prüm, welches Kloster unter Marcward mit Ferrières in nahen Beziehungen stand, und besuchte danach Italien, wo er in Rom fünf Jahre verweilte. Auf dieser Reise hat er namentlich das Material zu seinem Martyrologium gesammelt. Nach der Heimath zurückgekehrt, erhielt er eine Pfarrstelle in Lyon. Seine Tüchtigkeit und Gelehrsamkeit, welche letztere er auch durch die Abfassung seines Martyrologium jener Zeit bewies, empfahlen ihn dann i. J. 860 für den erledigten wichtigen erzbischöflichen Sitz von Vienne. Hochangesehen wirkte er hier bis zu seinem Tode 874.

Seiner, nach den sechs Weltaltern eingetheilten Chronik liegt das Werk Beda's unmittelbar zu Grunde, das er, so weit es reicht, nur ergänzt oder modificirt, indem er hierzu namentlich aus Isidors Chronik und Orosius, dann auch aus den Gesta regum Francorum S. Bd. I, S. 573. das Material entlehnt und meist wörtlich einverleibt; dann als Beda's Werk aufhört, nimmt er seinen Stoff aus Kloster- und Reichsannalen vornehmlich, bis er zur Gegenwart gelangt, die aber gar dürftig behandelt ist; denn er hat seine Chronik bis zum Ende der sechziger Jahre des neunten Jahrhunderts fortgeführt. Sie erhält später von andern ein paar unbedeutende Fortsetzungen. Auch wo ihn Beda verlässt, behält er als Leitfaden die Reihenfolge der Kaiser bei, nur dass er mit Karl dem Grossen vom Orient zum Occident hinüberspringt. In dem letzten Weltalter sind einige Vienne betreffende Nachrichten von Werth. So wenig originell hiernach das Werk in stofflicher wie formeller Beziehung erscheint, so hat es doch eine bisher gar nicht beachtete Eigenthümlichkeit, auf die doch der Verfasser selbst im Eingange hinzeigt. Darauf geht meines Erachtens die Stelle: Quaedam etiam ex divinis libris ad eruditionem legentium, ubi opportunum duximus, subnotantes, ut ex brevi lector plura colligere possit. Jedem der vier ersten Weltalter nämlich ist eine allegorische Deutung der wichtigsten biblischen Handlungen und Persönlichkeiten, welche letztere als Typen, vorzugsweise von Christus, aufgewiesen werden, hinzugefügt, eine »Präfiguration«, die aber »unbeschadet der historischen Wahrheit«, wie der Verfasser sagt, statthat.

386 Das Martyrologium Ado's, ein weit umfangreicheres Werk als die älteren, wurde, wie er in der Vorrede bemerkt, auf Bitten frommer Männer von ihm unternommen, und zwar in der doppelten Absicht, erstens die Tage, welche Florus leer gelassen, auszufüllen und zweitens von den gefeierten Heiligen genauere Nachricht zu geben, und so werden denn, namentlich in der zweiten Hälfte, die Passionen recht ausführlich mitgetheilt, dank den Codices, die der Verfasser in Italien gesammelt. Er hat sich aber mit diesen Erweiterungen des Beda-Florusschen Werkes nicht begnügt, sondern seinem Martyrologium noch zwei besondere Stücke einleitungsweise vorausgeschickt: einmal ein sehr altes aus Rom stammendes Martyrologium, das er in Ravenna abgeschrieben, um durch dessen Autorität die früher öfters unrichtig gegebenen Daten der Festtage sicher festzustellen, dann ein Büchlein über die Feste der Apostel und ihrer Schüler und einiger auserwählten Märtyrer sowie der h. Jungfrau, welches nicht die Zeitordnung beobachtet, mit der h. Jungfrau endet und mit den Hauptaposteln Petrus und Paulus beginnt.

Das Martyrologium Ado's wurde aber bald in den Hintergrund gedrängt durch ein anderes, das mit seiner Benutzung noch vor der Mitte der siebziger Jahre Denn Karl der Kahle wird von dem Verfasser bloss als König bezeichnet. verfasst war, eine noch grössere Vollständigkeit in den Namen der Heiligen zeigte, und andrerseits die Weitläufigkeit ausführlicher Märtyrergeschichten vermied; so war es für den kirchlichen Gebrauch zugleich praktischer angelegt. Es ist dies das Martyrologium jenes Mönchs von St. Germain in Paris, Usuardus, dessen wir früher bei der Translation des Georgius und Aurelius gedachten. S. oben S. 355 f. Das Martyrologium findet sich auch bei Migne, Patrol. lat. T. 123, p. 453 ff u. T. 124, » ex recensione Sollertii et ad edition. Benedictin. collatum.« Seine Arbeit, zu welcher ihn laut der Vorrede Karl der Kahle aufgefordert, wurde allmählich in den Kirchen des ganzen Abendlandes eingeführt und von Rom selbst adoptirt, so dass sie, wenn sie auch Zusätze von andern erfuhr, das Grundbuch für alle Zukunft wurde.

Ado aber hat als Erzbischof im Interesse seiner Kirche noch die Passio des Bischofs von Vienne, Desiderius – die 387 er als Gegner der Brunhilde erlitt – auf Grund der Acta desselben, und das Leben des heil. Theuderius, der bei Vienne im sechsten Jahrhundert Klöster gründete, verfasst.

 


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