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Fünftes Kapitel.

Ermenrich von Ellwangen.

Mehr als ein hervorragender Vertreter der Gelehrsamkeit, wie sie in solchen Pflanzstätten derselben wie Fulda und Reichenau gepflegt wurde, denn als Autor verdient hier ein Schüler Walahfrids genannt zu werden, der auch in Fulda und St. Gallen studirt hat, und der besonderen Leitung eines alten Lehrers Walahfrids, des Erzcapellan Grimald Vielleicht war Ermenrich eine Zeitlang Mitglied der königl. Capelle, wie Dümmler und Wattenbach vermuthen. sich erfreute: Ermenrich von Ellwangen Ermenrici Vita S. Solae in Canisii lectiones antiquae (s. oben S. 145 Anm. 2) T. II, pars 2, p. 161. – Vita S. Hariolfi in: Monum. Germaniae histor. ed. Pertz, Scriptores T. X, p. 11 ff. – Ermenrici Epistola ad Grimoldum Archicapellanum ex cod. Galli etc. ed. Dümmler. Halle 1873. (Vgl. St. Gallische Denkmale aus der karoling. Zeit, herausgeg. von Dümmler. In den Mittheilungen der antiquar. Gesellsch. in Zürich. Bd. XII. Hft. 6.) – – Dümmler, Ueber Ermenrich von Ellwangen und seine Schriften. In: Forschungen zur Deutschen Geschichte. Bd. XIII. S. 473 ff. (Nachtrag Bd. XIV, S. 405 f.) – Wattenbach, Deutschl. Geschichtsq. Bd. I, S. 229 ff. Dümmler, N. A. S. 321 f., so genannt von dem Kloster, dem er angehörte. Ueber sein Leben geben uns nur seine Schriften zerstreute Nachrichten. Die älteste ist ein Leben des h.  Sualo Vgl. Rettberg, Kirchengesch. v. Deutschland, Bd. II, S. 360 f., des Gründers von Solenhofen an der Altmühl, dessen Namen man latinisirend Solus nannte. Nicht bloss Ermenrich, wie Dümmler und Wattenbach sagen, auch Gundram nennt ihn so, und die Form Solenhofen spricht auch dafür. Ermenrich verfasste diese Vita auf den Wunsch des ihm nahe befreundeten Neffen Rabans, Gundram (welcher jener zu Fulda gehörigen Cella vorstand), nachdem er sich der Erlaubniss Rabans versichert. Hiervon macht uns eine Correspondenz der beiden Freunde, die als Vorwort der Vita vorausgeht, Mittheilung. In Gundrams Brief wird Ermenrich auch die stilistische Beihülfe des gelehrten Fulder Rudolf, seines Lehrers in der Beredsamkeit » Oratoris tui«? – In einem Schreiben an ihn, das auch um die Beihülfe bittet, nennt ihn Ermenrich seinen didascalus ., zugesagt. An diesen ist denn auch ein Prolog des Autors in adonischen Versen gerichtet. Die Vita 180 selbst, zu welcher Gundram und auch noch am Leben befindliche Augenzeugen, wie ein Diener des Heiligen, das Material lieferten, ist kurz und unbedeutend. Sualo war einer der Angelsachsen, die Bonifaz nach Deutschland folgten; von ihm zum Presbyter geweiht, zog er, wie manche andre, doch das Einsiedlerleben vor. Als der Ruf seiner Heiligkeit sich verbreitete, erhielt er den Ort seiner Ansiedlung, der nach ihm benannt wurde, von Karl dem Grossen geschenkt. Er wirkte übrigens als Missionar in seiner Umgebung, wobei ihn zwei Landsleute unterstützten. Seine Besitzung vermachte er dem Kloster Fulda. Die obligaten Wundergeschichten, Heilungen von Blinden und Taubstummen, sind ohne Interesse, dagegen bemerkenswerth, dass eine davon durch »dort (wohl in der Kirche) hängende Bilder« schon zu Ermenrichs Zeit verewigt war. – – Et continuo cecidit coram populo et sanatus est homo. Quod quidem tabulae pictoriae ibidem pendentes testantur. c. 8. – Ein acrostichischer Hymnus auf den Heiligen in eigenthümlichen Versen ist von dem Autor beigefügt. Er ist in der Form des 2. Asclepiadeum, mit einem eigenthümlichen Schlussvers, aber in rythmischen Versen, denn es ist nicht nur die Quantität vernachlässigt, sondern auch der Hiatus zugelassen, während der Wortaccent herrscht. So auffallend dies bei einem Autor wie Ermenrich sein kann, ist ihm doch der Hymnus nicht abzusprechen, da derselbe durchaus das Gepräge seiner Ausdrucksweise (auch die Einmischung griechischer Worte) hat, und Ermenrich eines der Gedichte der weiter unten betrachteten Epistel auch in fast ganz gleichen asklepiadeischen, allerdings quantitativen, Versen geschrieben hat. – Diese Vita ist noch vor 842 verfasst, zu einer Zeit wo der Autor noch Diacon war.

Eine der Zeit nach folgende kleine Schrift, welche Ermenrich schon als Presbyter in Ellwangen verfasst und einem andern seiner Lehrer, Gozbald, der damals Bischof von Würzburg war, gewidmet hat, hat zunächst das Leben des Gründers von Ellwangen, eines Verwandten des Gozbald, zum Gegenstand. Es ist Hariolf, später Bischof von Langres, in welcher Würde er seinem Bruder Erlolf folgte. Hariolf, ein vornehmer Laie am Hofe Pippins, war – so wird hier erzählt – auf der Jagd nach einem Elch in jene Gegend geführt; dort übernachtend, hört er im Schlaf wiederholt das Läuten von Glocken. Hierin glaubt er eine Weisung des Himmels zu 181 sehen; und von seinem geistlichen Bruder berathen, wird er Mönch und gründet in jenem Thale ein Kloster. Er wurde später von Karl dem Grossen sehr hoch gehalten. Von seinen Wundern wird namentlich erzählt, dass einer der Seinigen Namens Grimald des Nachts aus dem Munde des betenden Hariolf ein Feuer wie eine Fackel zum Himmel aufsteigen sah – eine Sage deshalb erwähnenswerth, weil gleiches auch von Helden der weltlichen Dichtung im Mittelalter sich erwähnt findet, wennschon anders motivirt. Wie z. B. von Havelok dem Dänen, dessen königliche Abstammung sich dadurch kundgibt. Von dem eben genannten Grimald wird dann noch ebenso ausführlich gehandelt, der in ganz gleicher Weise wie sein Abt zum Mönch bekehrt sein sollte! Auch er hört läuten, hat dann aber noch eine Engelserscheinung. – Diese Vita Hariolfi , die ein einfacher, natürlicher Ausdruck vor den andern auszeichnet, ist durch ihre Einkleidung besonders bemerkenswerth: sie ist nämlich in dialogischer Form verfasst, indem Ermenrich sich mit einem älteren Mönch, Mahtolf, als dessen » alumnus« er sich bezeichnet, unterhält, der wie ein Lehrer auf seine Fragen, als die des Schülers, antworten soll. So ist es also die Form der Alcuinschen Unterrichtsmethode, die Ermenrich von Fulda her bekannt war. Aber es war ihm auch ein unmittelbares Beispiel für eine solche Einkleidung in den berühmten Dialogen des Sulpicius Severus über das Leben des h. Martin gegeben, hinter denen freilich seine mitunter gar hölzerne Ausführung weit zurücksteht. Wenn in der Epist. ad Grimaldum p. 35 Ermenrich auf Boëtius' Consolatio philosophiae als sein Vorbild in dieser Beziehung wirklich hindeutet, wie Dümmler annimmt, so ist dies eine nachträgliche gelehrte Dickethuerei.

Wichtiger als diese beiden Heiligenleben ist eine dritte, spätere, Mitte des Jahrhunderts verfasste Schrift, eine Epistel an den Erzcapellan Ludwigs des Deutschen Grimald, welche von der umfangreichen gelehrten Bildung des Autors, der so vieler berühmten Lehrer Schüler sich nennt, ein merkwürdiges Zeugniss ablegt, das also von nicht geringem kulturgeschichtlichen Interesse ist. Die Epistel ist, wie der Verfasser selbst sagt, zu Ehren Grimalds geschrieben, indem sie über die verschiedensten Gebiete des Wissens sich verbreitend, mit allen 182 möglichen gelehrten Citaten gespickt, dadurch die Universalität der Erudition des Adressaten Hinc sane omnes, qui hanc epistolam lecturi sunt, rogo ne perturbentur nec felletenus irascantur, quod a deo tibi datae sapientiae tanta ascribimus. Si enim universalem prudentiam tuam tam in dominicis quam etiam in publicis functionibus pensare voluissent – – non haberent in hac sceda quid mirarentur. Malui tamen hanc epistolam inter primas vel secundam fore ad honorem tuum scriptam. pag. 31., aber noch mehr offenbar die des Schreibers selbst vor der Welt glänzen lassen will. So erklärt sich der bunte Inhalt, der aus allen verschiedenen Wissenschaften, welche die Schule lehrte, einzelne, zum Theil, wie bei der Grammatik oder Dogmatik, schwierigere Fragen behandelt, gleichsam als Schmeckebisschen, die zum weiteren Studium anreizen sollen Quapropter et si non omnia, tamen gustum ex aliquantis necessariis porrigo illis, qui nesciunt, vel qui ad legendum tardi sunt. p. 29., aber zugleich geeignet erscheinen das Erstaunen über die Gelahrtheit des Autors und des Adressaten zu erregen, den er als seinen Lehrer verehrt. Dabei taumelt der Verfasser, wie ein Trunkener, wie er selbst einmal sagt Videsne, pater, quod quasi ebrius, via coepta relicta, in alias partes etiam devolvor tangendo quaedam ex his et ad intelligendum exponendo. p. 23., von einem Gegenstand zum andern.

Nach einer schwülstigen Lobpreisung Grimalds und König Ludwig des Deutschen hebt Ermenrich mit dem Fundamentalsatz der christlichen Moral: Liebe Gott und deinen Nächsten, an, dem er die Freundschaft Grimalds verdanke. Durch diese beiden »Federn (Schwingen) der Liebe« erhebe sich die Seele »auf der Quadriga der vier Haupttugenden« zum Himmel. Diese Allegorien sind besonders beachtenswerth, weil sich ganz ähnliche in der späteren mittelalterlichen Literatur in didactischen Dichtungen wiederfinden, so die pennae dilectionis in dem Roman des Eles des Raoul de Houdenc (vgl. auch Bd. I S. 236, Anm. 3), und die Fahrt der Seele auf der Quadriga in dem Anticlaudianus des Alanus ab Insulis. Dieser Satz führt nun alsbald den Verfasser zu der Frage, was denn die Seele im Unterschiede vom Geiste sei. Und hier werden nun Excerpte aus Schriften Alcuins ( De arte rhetor. und De anima) an einander gereiht, ohne dass indessen, wie auch an andern Stellen, der Autor genannt wird. Bei Grimald selbst konnte wohl Ermenrich allerdings die Kenntniss desselben voraussetzen. Dann kommt er, an den obigen Satz 183 weiter anknüpfend, auf die Liebe, und insonderheit auf die auch der Feinde zu reden. Die erwähnte Quadriga aber, deren Räder die vier Evangelien bilden S. p. 6., deren Wagenlenker die Weisheit ( sophia ) selbst ist S. p. 7., führt unsers Verfassers Rede auf die Philosophie, »die Mutter aller Tugenden«, und mit ihr zu ihren einzelnen Theilen, den Wissenschaften, die durch ein Excerpt aus Alcuin kurz definirt werden. Nachdem dann ein Stückchen aus der Rhetorik des letzteren noch mitgetheilt, geht der Verfasser (S. 8) zur Grammatik über, um hier einzelne intricatere Fragen der Betonung, Quantität und Aussprache weitläufig zu behandeln, wobei denn ein halbes Dutzend lateinischer Grammatiker und Metriker als Autoritäten angeführt werden. So ausser Alcuins, Priscians und Donats Werken Consentius, Sextus Pompeius, Servius Honoratus, Beda. Diese Partie, die den Hauptinhalt bildet, bezeugt wenigstens, in welcher eingehenden und ausführlichen Weise die grammatischen Studien schon damals von einzelnen betrieben wurden. – Indem der Verfasser darauf zu seinem Hauptsatz von der christlichen Liebe zurückkehrt (S. 23 f.), gibt er dann noch eine Probe seiner Bibelexegese, die natürlich die mystisch-allegorische ist, und – nach einem philosophischen Abstecher über die Natur der Seele – als Gegenstück etwas von der antiken Mythologie auf Grundlage des Virgil und seiner Commentatoren zum besten (S. 29 ff.), wobei er es indessen gerathen findet, seinem Abscheu vor dem Heidenthum einen sehr affectirten kräftigen Ausdruck zu geben. Linquamus, pater, iam linquamus Maronem cum Sinonte suo mendacissimum et in Stige, pessima palude, cum Apolline et Musis suis sepultum etc. Der Verfasser plaudert dann von der Unterwelt, den Parcen, Furien und endet seine Diatribe: Caelestis rex maledicat talia figmenta. Et quid haec eadem nominare valeo? nisi supra conpositorum equorum, qui redam tuam trahunt, stercora decidentia. – – Et quia, prout nosti, sicut stercus parat agrum ad proferendum satius frumentum, ita dicta paganorum poetarum, licet foeda sint, quia non sunt vera, multum tamen adiuvant ad percipiendum divinum eloquium. p. 31. – Uebrigens weiss er, dass Virgil in den Eklogen Theokrit, in den Georgica Hesiod und in der Aeneis Homer nachgeahmt habe. ibid.

Zum Schluss (S. 31 ff.) beschäftigt er sich allein mit Grimald und dem von ihm regierten St. Gallen, zu dessen Ruhme 184 er eine von Walahfrid beabsichtigte poetische Bearbeitung des Lebens seines heiligen Gründers, wozu er aufgefordert war, ausführen will, obgleich sich mittlerweile auch Concurrenten dafür eingestellt hatten. Den Anfang dieses Werkes, dem er ein prosaisches Vorwort über die alte Heimath des Heiligen vorausschickt, worin ihre Vorzüge allegorisch gedeutet werden, gibt Ermenrich in 114 zum Theil sehr holprigen Hexametern im Anhang. Hier besingt er das neue Vaterland des Begleiters des Columban, indem er dessen beide Hauptströme, die Donau und den Rhein in ihrem Laufe schildert. Auch andre Gedichte theils zum Lobe Grimalds, theils zum Preise der Dreieinigkeit (zum Theil mit der Spielerei des Acrostichon) sind von ihm beigefügt, wie denn auch über die letztere als Beispiel seiner dogmatischen Bildung eine kleine Abhandlung nicht fehlt.

Dieses wunderliche Specimen eruditionis, das in kleinem Rahmen ein Bild der damaligen Klosterstudien Deutschlands bietet, in welchen sich ganz verschiedene Kulturelemente durchkreuzen, hat noch einen besondern Zug, der bereits in der ersten Schrift Ermenrichs sich findet: eine gewisse, wenn auch noch so beschränkte und oberflächliche Kenntniss des Griechischen gibt sich nicht bloss in einzelnen Wörtern kund, die wie falsche Brillanten in die ohnehin gezierte Diction eingefügt sind, sondern auch in ganzen, offenbar entlehnten, griechischen Versen. So griechische Hexameter in dem ersten Gedicht, p. 36, v. 31, 33, 35, mit welchen lateinische Pentameter zu Distichen verbunden sind; so in dem dritten p. 41, v. 20 ff. Pentameter und Hexameter, ja im zweiten Pentameter werden lateinische Worte mit den griechischen gemischt: Orgia da nobis panta kalon domine. – Was die Einmischung griechischer Worte in lateinischen Text betrifft, so findet sich dieselbe auch in dem weiter unten angegebenen Codex von St. Riquier, s. Dümmler, N. A. S. 521. Der Verfasser scheut sich überhaupt nicht, fremdes Gut in Prosa wie in Poesie sich anzueignen, wie er denn in den wenigen Gedichten nicht bloss u. a. Auson und Priscian (dessen Periegesis), sondern auch Theodulf und den karolingischen Naso geplündert hat. Man sieht auch an Ermenrich wieder, wie verschieden blosse Gelehrsamkeit und wahre Bildung sind. Der ersteren scheint Ermenrich aber doch seine Erhebung zum Bischof von Passau verdankt zu haben im Jahr 865; als solcher starb er neun Jahre später. 185

 


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