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Fünfzehntes Kapitel.

Eklogen und Elegien: Agius, Ildericus, Bertharius.

Noch ist aus dem Ende dieses Zeitalters einiger Gedichte zu gedenken, wovon eins wohl auch Westfrancien angehört. Da Galatea zum Gesange auffordert, könnte man auch glauben, dass das Gedicht in Corvey entstanden sei, doch spricht die Auffindung der einzigen Handschrift in Corbie, sowie wohl auch das Corvey gezollte Lob für das Mutterkloster. Das Gedicht ist allerdings in einem sehr verwahrlosten Text überliefert; aber auch, wenn es in gereinigter Gestalt vorläge, würde ich es doch mit den Herausgebern und mit den Verfassern der Hist. littér. des Radbert für unwürdig halten, gegen dessen Autorschaft auch sonst manches spricht. Die Anknüpfung an die Vita Adalhardi in der Handschrift ist ja eine ganz äusserliche, sie geschieht einfach durch ein Sequitur . Es ist eine im Anschluss an die Vita Adalhardi des Radbert 293 in einer aus Corbie stammenden Handschrift des zehnten Jahrhunderts sich findende Ecloga duarum sanctimonialium Mabillon, Acta S. S. ord. Bened. Saec. IV, Pars 1, p. 321 ff. – – Dümmler, N. A. S. 303 f. in Hexametern – ein amöbäischer Klage und Lobgesang auf Adalhard, ausgeführt, wie der Dichter annimmt, bei seiner Bestattung von der älteren und jüngeren Corbeia, von denen die erstere, seine Gemalin nach dem Bilde der Vermählung Christi mit der Kirche, hier Philis heisst, wegen ihrer Liebe zur Caritas, die andre, seine Tochter, Galatea, wegen der Weisse ihres Angesichts. So wird uns in ein paar einleitenden Prosazeilen mitgetheilt. Galatea beginnt, indem sie die Männer, alle die Erwachsenen auffordert, mit ihr den Vater zu beklagen, ihn soll die romanische Volkssprache und die lateinische feiern, ja der Sachse soll auch seinen Klageruf erheben.         Rustica concelebret romana latinaque lingua,
        Saxo quin pariter plangens pro carmine dicat.

» Quin« lese ich mit Diez, der sich über diese Stelle in seinen Altroman. Sprachdenkmalen, Bonn 1846, S. 78 Anm. verbreitet. Die Handschrift hat qui .
Zu Adalhards Exequien sollen die Priester sein Lob singen, und das Volk andrerseits Gottes Erbarmen für ihn erflehen, seine Aufnahme in das Paradies. Philis antwortet: Wer mag nicht beklagen, dass »ein über die Sterne Erhabener« zu Asche werde, vom harten Marmor bedeckt, dass des Kaiserhauses Spross, von dem der Ruf der Tugenden überall durch den Erdkreis fliegt, den Würmern eine Speise. – Und Philis fordert darauf auch die Männer, Knaben und Mädchen zum Klagen und Weinen auf. Galatea bittet dann die »ältere Corbeia« den Greis zu bestatten, und gedenkt hier ihrer Gründung durch ihn, der ein heiliges Kloster dort baute, wo früher dem Teufel geopfert ward. Philis aber preist die jüngere Corbeia ob des glänzenden Aufschwungs, den sie schon 294 genommen, dessen sie sich stolz rühmen dürfe. (Diese Stelle weist wohl auf die Zeit der Abfassung hin Indem also die Abfassung längere Zeit nach Adalhards Tod und der von Radbert verfassten Vita erfolgte.) Mit solchen Reden verbinden sich dann weitere Klagen beider, die wenig neues bieten. Sie wünschen schliesslich in den seligen Gefilden mit dem geliebten »Senior Menalcas« vereint zu werden.

Dümmler hat schon nachgewiesen, wie ausser andern Reminiscenzen, namentlich aus dem Trostgedichte Fortunats an Chilperich und Fredegunde Vgl. Bd. I, S. 502., solche vornehmlich aus Virgils Eklogen sich finden, was sich ja von vornherein schon erwarten liess; wir können aber weiter gehen und bemerken, dass die Idee des Gedichtes selbst und seine Anlage der fünften Ekloge des Virgil entlehnt ist. Dort wird von zwei Hirten Menalcas und Mopsus unter dem Namen des Schäfers Daphnis der zum Gott erhobene Julius Caesar besungen, indem der erstere den Tod desselben beklagt, der andre Hirt über seine Vergötterung frohlockt; beides geschieht ja ebenso auch in unserm Gedichte in Betreff des Adalhard, dem hier der Name Menalcas beigelegt ist. Auch der Name Philis ist dort entlehnt, da Vers 10 bei Virgil einer Phyllis gedacht wird; aber der letztere Name erscheint hier wohl absichtlich verändert, um ihn mit φιλειν in Bezug zu bringen, denn es heisst ja in dem kurzen Vorwort: porro aliam propter amorem caritatis Philidis nomine. Es ist daher auch Philis im Texte beizubehalten und nicht in Phyllis zu ändern.

 

Einige Verwandtschaft mit diesem Gedichte hat eine auch in Dialogform verfasste Elegie auf den Tod einer Aebtissin, welche ganz in das Ende dieser Periode fallend 875, oder nicht lange danach gedichtet ist. Sie ist auch im Anschluss an eine Vita der Heiligen in Prosa aufbewahrt, welche hier denselben Verfasser hat, und um dieselbe Zeit geschrieben ist. Es ist die Vita Hathumodae von deren Bruder Agius. In: Monumenta Germaniae histor. ed. Pertz Script. T. IV, p. 165 ff. (Praef.). – – Dümmler, N. A. S. 527. Beide waren Kinder des berühmten Grafen Liudolf, des Ahnherrn 295 der deutschen Könige der sächsischen Dynastie. Vgl. über ihn Dümmler, Gesch. d. ostfränk. Reichs I, S. 349 ff. Derselbe zeichnete sich nicht bloss durch seine kriegerischen und staatsmännischen Eigenschaften, sondern auch durch seine Frömmigkeit aus, in der seine Gemalin mit ihm wetteiferte. Ihrem Beispiele folgten die Kinder; und so weihten sich fünf Töchter und ein Sohn dem asketischen Leben. Der letztere verdankt wohl seinen Namen, der dann zuerst Beiname war, seiner frühen ernsten religiösen Gesinnung, oder war er ein puer oblatus, dem dieser Name in der Taufe selbst gegeben ward? Er wurde Mönch, wahrscheinlich in dem Kloster Lammspringe. Die Schwester Hathumod, im Kloster Herford, nachdem sie den Schleier genommen, erzogen, wurde in noch sehr jungen Jahren zur Aebtissin eines von Liudolf neu gegründeten Klosters gemacht, das zuerst von ihm in Brunshausen errichtet, dann sehr bald nach Gandersheim verlegt wurde. Dort starb Hathumod an einer Epidemie 874 im 34. Jahre. In der Elegie heisst es v. 350 f. Hathumod habe dasselbe Alter als Christus gehabt:
        Annorum siquidem triginta trium memoratur,
        Quem simul annorum ipsa tulit numerum
.
In der Vita dagegen wird c. 29 gesagt: Omnos anni vitae eius fuerunt triginta quatuor. Da ist wohl das nicht vollendete Jahr mitgerechnet.
Agius, der ihr besonders nahe stand, war an das Krankenlager geeilt und bei ihrem Tode zugegen; ihren Verdiensten zum Denkmal, und ihr und dem Kloster zum Danke verfasste er für dasselbe die Vita, um den Nonnen ein Bild der Verstorbenen zu zeichnen, die sie im Leben so sehr vermissten.

Die Lebensgeschichte ist eine sehr einfache, wie sich dies bei diesem schon so früh dem Kloster übergebenen Mädchen kaum anders erwarten lässt, aber in ihrer Darstellung spiegelt sich in jedem Zuge die treue zärtliche Liebe des Bruders ab, die dem Ausdrucke einen individuellen Reiz verleiht. Er gedenkt zuerst ihrer vornehmen Herkunft von väterlicher wie mütterlicher Seite; sie wurde »die süsseste Frucht guter aus gutem Samen entsprossener Bäume«. Schon als Kind verschmähte sie Schmuck und Putz, dagegen lernte sie um so eifriger aus eigenem Antriebe. Ihr Aufenthalt in Herford war die glücklichste Zeit ihres Lebens. Als Aebtissin wirkte sie durch ihr Beispiel ebenso viel als durch ihre Lehren: denn 296 »sie that selbst, was sie lehrte, und was sie lehrte, that sie« (c. 7). Ausführlicher erzählt der Verfasser von ihrer Krankheit – die um so gefährlicher wurde, je eifriger sie, so lange sie sich aufrecht erhalten konnte, die früher erkrankten Nonnen gepflegt – von den Träumen und Visionen, die sie – im Fieber – hatte, von der sorgsamen ängstlichen Pflege der Mutter und leiblichen Schwestern, schliesslich von ihrem frommen Ende. In dieser Darstellung finden sich manche durch liebevolles Eingehen in das Detail anziehende Schilderungen. S. z. B. c. 21.

Dieselbe innige Liebe zu der Schwester bildet nun auch den Grundton der Elegie, deren Inhalt in der Hauptsache auf einem Gespräche ruht, das der Dichter kurz nach dem Tode der Heiligen mit den Nonnen, sie zu trösten, führte und das sie aufgezeichnet wünschten. So ist die Elegie selbst in der Form eines Dialogs verfasst. Agius beginnt, indem er die Nonnen auffordert, nicht zu sehr dem Schmerze sich hinzugeben, so gerechtfertigt er auch sei. Sie antworten, dass er nur den Verdiensten der Seligen entspreche, mit der sie ein Herz und eine Seele waren. Agius läugnet die Gerechtigkeit ihres Schmerzes nicht: wie viel habe er ja selbst in ihr verloren! – Ihrer geschwisterlichen Liebe gibt er hier einen einfach schönen und wahren Ausdruck: Leid und Freud theilte Hathumod mit ihm, mit ihr konnte er wie mit sich selbst reden. Der Gedanke allein, dass sie jetzt ein besseres Leben führt, vermag einen Trost zu bieten. – Trotzdem aber können die Nonnen, wie sie antworten, ihre Thränen nicht stillen, weil sie unendliche Sehnsucht nach ihr, die sie mit den Augen des Leibes nicht mehr sehen können, erfülle. Agius wendet darauf ein, dass Hathumod selbst durch die Klagen der Nonnen bekümmert werde. So geht das Gespräch fort, das manche schöne Stellen zarter Empfindung im einzelnen bietet S. z. v. 75 ff., wo Agius redet:
        Vos melius nostis, quanto me semper amore,
            Quantis incolumis foverit officiis.
        Vos nostis, quanta iam languida sedulitate
            Qua anxietate meam gestierit faciem,
        Quo desiderio susceperit advenientem,
            Et quam mirandis mulserit obsequiis,
        Qualiter alloquio fuerit dignata supremo,
            Assidue nomen ingeminando meum.
, bis 297 endlich (v. 467) die Schwestern ihre Thränen trocknen, indem sie einsehen, dass sie sich selbst nur beweinen, über sie, die Selige, aber freuen müssen, die den Hafen erreichte. Sie preisen ihr glückliches Loos. Sie bitten Hathumod, sie möge sie wenigstens im Traume besuchen. Dann empfehlen sie sich dem Bruder, der sie auch ferner lieben und belehren möge. Agius antwortet verbindlich Die Stelle, welche beginnt:
        Gratum valde mihi hoc est quod dicitis, immo
            Istud nunc ipse debueram petere
  v. 527 f.
zeigt recht, welche feine Lebensart in diesen Kreisen sich damals schon fand.
, aber anknüpfend an eine Bemerkung der Nonnen (v. 493 ff.), dass Hathumod jetzt den verstorbenen Familiengliedern, namentlich dem Vater, auch helfen könne, da man deren Loos doch nicht wisse, erwiedert er, sie brauchten darum keine Sorge zu haben, und gedenkt hier der frommen Handlungen und Gesinnungen des Vaters, durch die er etwaige Flecken seines weltlichen Lebens getilgt habe. Aber er rühmt auch dieses mit begeisterten Worten. V. 617 f.:
        Summus erat, quia nempe sui generis simul omnes
            Vicit virtute, vicit honore quoque.
Der theuern Schwester aber wird er immer gedenken: ihr liebes Bild wird nie aus seinem Herzen weichen, weder im Wachen, noch im Schlafe. So oft er die Augen schliesst, steht es vor ihm. So ist sie ihm auch sieben Tage nach der Bestattung im Traume erschienen, und hat Gerberg, die Schwester und Schülerin, als ihre Nachfolgerin angedeutet. Er beglückwünscht dann diese als solche, indem er sie lobt, und fordert die Nonnen auf, ihr zu gehorchen.

Hiermit schliesst diese Dichtung, welche 359 Distichen umfasst; sie erscheint recht als ein Erzeugniss des innigen deutschen Gemüthes und als ein treuer Ausdruck seines herzlichen Familienlebens. Mit diesem Reize warmer Empfindung verbindet sich eine leichte gewandte Darstellung und ein fliessender Vers, die keine schulmässigen Exercitien, vielmehr, trotz mancher Incorrectheiten, ein Werk wahrer Bildung sind. So zeigt die Dichtung einen individuellen Charakter, der zugleich eine nationale Färbung hat. Merkwürdig ist, dass auch dieser Dichter wie der Verfasser der vorher erwähnten Ekloge das Trostgedicht Fortunats an Chilperich benutzt hat (vgl. namentlich v. 237 mit Fort. v. 19, und v. 292 mit Fort. v. 34), wie Dümmler S. 527 nachgewiesen hat.

298 Derselben poetischen Form, einem Wechselgesange in Distichen, begegnen wir noch in dem Gedichte eines Italieners, das uns die Chronik von Salerno aufbewahrt hat. Es ist dies ein in der Zeit Kaiser Ludwigs II. (843– 875) lebender Gelehrter Benevents, Ildericus Chronicon Salernitanum c. 122 in: Monum. Germaniae histor. ed. Pertz, Script. T. III. 1839, p. 534. – – Dümmler, N. A. S. 527., welcher der ausgezeichnetste der Weisen jener Stadt von der Chronik genannt wird, ein Mann, nicht bloss in den liberalen Wissenschaften vorzüglich unterrichtet, sondern auch von grosser Rechtschaffenheit, so dass die Tradition ihn sogar mit einem Wunder begnadigt werden lässt. Dümmler vermuthet in ihm wohl mit Recht den Verfasser einer von Keil De grammaticis lat. p. 23 erwähnten Grammatik.

Das in der Ausführung unbedeutende Gedicht ist ein Wechsellobgesang der Engel und des Poeten zu Ehren Gott-Christus, welcher zum Schluss angefleht wird, den Menschen gnädig zu sein, sie vor dem Teufel zu schützen und zu dem Himmel zu geleiten. Es sind 22 Distichen.

 

Ein anderes Gedicht in Distichen von einem Italiener gehört wohl auch noch dieser Periode an. Es ist verfasst von Bertharius In: Pia quaedam poemata ed. Prosper Martinengius Rom 1590. – *Mabillon, Acta S. S. ord. Bened. T. I, p. 29 ff. – – Dümmler, N. A. S. 539., Abt von Montecasino (856–883), dessen gelehrte Bildung besonders gerühmt wird. Das Gedicht, zum Preise des heil. Benedict geschrieben, gedenkt auf Grund des Werks des Gregor in der Kürze der Wunder des Heiligen, doch ist die Darstellung etwas ausführlicher, als in Paulus Diaconus' reciproken Distichen S. oben S. 55., und so an sich schon verständlich. Paulus' Gedicht ist nicht benutzt. Bertharius hat auch drei Wunder seiner Zeit, Heilungen an dem Grabe des Heiligen, hinzugefügt; am Schlusse, wo er den Schutzpatron anruft und die Heerde seiner Diener vor dem Wolf, dem Feinde, zu schirmen bittet, nennt er sich selbst, und diese Bitte lässt erkennen, dass er als Abt das Gedicht verfasst hat. 299 Die Klarheit und verhältnissmässige Correctheit des Ausdrucks und Verses bekunden, dass die grammatischen Studien in Italien, wenigstens in solchen Klöstern wie Montecasino, noch immer wohl gepflegt wurden, wenn auch nur so wenige Gedichte aus diesem damals jedesfalls literarisch recht unproductiven Lande uns überliefert sind.

 


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