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Achtes Kapitel.

Publicistik. Agobard.

Als ein Vorläufer jener theologisch-polemischen Literatur, die in Westfrancien seit dem Auftreten Gottschalks zu solcher 210 Blüthe gelangt, dass sie dort ganz in den Vordergrund tritt, erscheint daselbst ein Autor, dessen mannichfache schriftstellerische Thätigkeit mit wenigen Ausnahmen nur in Polemik bestand, die sich aber keineswegs bloss auf theologischem Gebiete bewegte; im Gegentheil, sie betrifft zum guten Theil Dinge von allgemeinem öffentlichen, ja Staatsinteresse. Und nicht wenige dieser Arbeiten, und darunter die anziehendsten, sind Flugschriften. Dieser erste moderne Publicist, wie man ihn nennen könnte, ist der Erzbischof von Lyon, Agobard. S. Agobardi, Lugdunensis episc, opera ed. St. Baluzius. 2 T. Paris. 1666. (Migne, Patrol. lat. T. 104.) – – Hundeshagen, Commentatio de Agobardi vita et scriptis. Pars I, Vita. Giessen 1831. (Diss.) – Blügel, De Agobardi archiepisc. Lugdun. vita et scriptis. Halle 1865. (Diss.). – Leist, Agobard von Lyon. Theil 1. Seine theolog. Schriften. Gymn.-Progr. von Stendal 1867. – Reuter a. a. O. S. 24 ff. Von Herkunft wahrscheinlich ein Franke, war er 792 nach Lyon gekommen, und hatte dort seine gelehrte, namentlich nicht geringe theologische Ausbildung erhalten, die er vor allem auch seinem Vorgänger auf dem erzbischöflichen Sitze, Leidrad, verdankte. Dieser gelehrte Geistliche, einst aus Baiern von Karl dem Grossen berufen, hat sich durch Gründung von Schulen und Bibliotheken zur Ausbildung des Klerus wie durch Restauration der Kirchen und Verbesserung des Gottesdienstes um seine Diöcese sehr verdient gemacht. In letzterer Beziehung folgte Agobard auch seinem Beispiel, indem er das Antiphonar der Kirche von allem unbiblischen reinigte. – Als Leidrad alt und krank nach Soissons in ein Kloster sich zurückzog, wurde Agobard, der ihm schon als Chorepiscopus zur Seite gestanden, sein Nachfolger und 816 Erzbischof. Ein Mann von seltenem Muthe und Unabhängigkeitssinne, welche in der Selbständigkeit des Urtheils eine sichere Stütze hatten, vertheidigte Agobard seine Kirche ebensowohl gegen die Eingriffe des Papstes wie weltlicher Gewalten. Auch mit der Feder wie in der Schrift De dispensatione ecclesiasticarum rerum gegen die Usurpation geistlicher Güter. Aber er nahm auch an den politischen Bewegungen jener stürmischen Zeit den grössten Antheil, indem er für Lothar, seinen Landesherrn, gegen Ludwig den Frommen, bei der Empörung der Söhne i. J. 833, auftrat, von den Bischöfen einer der energischsten Gegner des alten Kaisers: so wurde er denn auch 211 zwei Jahre später, als Ludwig wieder zur Macht gelangt war, seines Bisthums entsetzt; jedoch erhielt er es nach einiger Zeit, wahrscheinlich erst 839, wieder; er starb i. J. 840.

Den Muth, den Agobard handelnd im Leben bewährte, zeigt er auch als Schriftsteller. Er bekämpfte den Aberglauben und das Vorurtheil auf den verschiedensten Gebieten: in manchen seiner kulturgeschichtlich so interessanten Flugschriften erscheint die Publicistik bereits im Dienste der Aufklärung. Man hat, vielleicht mit einiger Uebertreibung, Agobard den hellsten Kopf seiner Zeit genannt; wenigstens hat ihn an Selbständigkeit des Urtheils und der freisten und kühnsten Aeusserung desselben niemand übertroffen, wenn auch dasselbe, wie man sehen wird, nicht überall das richtige, und seine Aeusserung mitunter eine bis zur Gehässigkeit leidenschaftliche war. Aber alles zusammengenommen bleibt dieser männliche streitbare Autor, der nach den verschiedensten Richtungen hin Front macht, eine merkwürdige, bedeutende Erscheinung.

Zuerst bekämpfte er den Aberglauben des Volkes überhaupt in seiner um 814 verfassten Schrift: Contra insulsam vulgi opinionem de grandine et tonitruis . Schon der Titel ist bezeichnend. »Fast alle Menschen in diesen Gegenden,« beginnt er, »Edle und Unedle, Städter und Landleute, Alte und Junge, glauben, dass Hagel und Donner durch das Belieben von Menschen gemacht werden können« – durch die Zaubereien von sogenannten Wettermachern nämlich. Daran reihte sich noch der Unsinn, dass man glaubte, es kämen aus einem Lande Magonia Leute in Luftschiffen, welche die durch den Hagel abgeschlagenen Früchte von den Wettermachern kauften und entführten. Cap. 2. – S. darüber Grimms Deutsche Mythologie. 4. Ausg. S. 530 ff., wo auch die Vermuthung, dass Magonia von Magus herzuleiten, ausgesprochen wird. Man behauptete sogar, solche Luftschiffer gefangen zu haben und wollte sie steinigen, wie dies Agobard selbst erlebte. – Diesen Aberglauben bekämpft aber Agobard hier nicht mit physikalischen Gründen – wie dies bei einer andern Gelegenheit Raban that – sondern mit religiösen, die allerdings dem Volke leichter zugänglich und bei ihm wirksamer sein mussten. Er verlangt von denen, welche den Unsinn behaupten, den Beweis für die Wahrheit aus der 212 heil. Schrift; können sie ihn nicht erbringen, was ausser Zweifel stehe, so machen sie sich einer schweren Lüge schuldig, indem sie Menschen ein Werk Gottes beilegen und es diesem absprechen. Dass es ein solches ist, beweist Agobard selbst dann aus Stellen der Bibel, namentlich des Alten Testaments, worin Gott sagt, dass er Hagel senden wolle, oder dies von ihm ausgesagt wird. Aber auch Vernunftgründe führt er ins Feld. Er zeigt, wie wenig bezeugt die vorgeblichen Thatsachen, wie unbedeutend die Menschen, denen man die Macht beigelegt; zugleich aber, zu welchen Betrügereien dieser Aberglauben ausgebeutet wurde: es fanden sich »erbärmliche Menschen«, welche behaupteten, vor solchem Unwetter schützen zu können und sich dafür mit einer Abgabe von Früchten bezahlen liessen. – – et in tantum malum istud iam adolevit, ut in plerisque locis sint homines miserrimi, qui dicant se non equidem nosse immittere tempestates, sed nosse tamen defendere a tempestate habitatores loci. His habent statutum quantum de frugibus suis donent, et appellant hoc canonicum. c. 15. Zum Schluss aber erzählt Agobard ein warnendes Beispiel, wohin solcher Aberglaube führen könne, zu einer Zeit, wo von den Christen so alberne Dinge geglaubt würden, wie sie niemand früher selbst den Heiden, die doch den Schöpfer von allem nicht kannten, einreden konnte. Eine Rinderpest nämlich, die einige Jahre früher (810) über ein grosses Gebiet in Italien sich ausdehnte, gab man bösen Menschen Schuld, welche ein tödtliches Pulver weit und breit ausgestreut haben sollten; sehr viele Leute wurden deshalb von der Menge getödtet, ja der unsinnige Glaube hatte mit der Zeit so um sich gegriffen, dass die Angeklagten selbst zuletzt eingestanden, die That vollbracht zu haben! Und doch hätte die einfache Ueberlegung, dass keine andern Thiere verendeten, und dass es unmöglich wäre, eine solche Masse Pulver zu beschaffen und über so weite Landstriche auszustreuen, die Unwahrheit sogleich zeigen müssen.

In einer andern, etwas grösseren Schrift wendet sich Agobard gegen den kirchlichen Aberglauben; es ist das Buch: Contra eorum susperstitionem qui picturis et imaginibus sanctorum adorationis obsequium deferendum putant . Unser Autor tritt hier in die von dem Orient dem Abendlande schon im 213 Beginne der Regierung Karls des Grossen überlieferte Streitfrage über die Bilderverehrung in der energischsten Weise im Geiste des grossen Kaisers ein S. oben S. 11 u. vgl. S. 14., nur dass er noch weiter als dieser geht, und die Bilderverehrung absolut verwirft, da er gegen die Verehrung der Heiligen und ihrer Gräber, wohinter die Bilderverehrer sich allemal zuletzt verschanzten, überhaupt sich erklärt. Non solum vero divinum deferre honorem quibus non licet, sed et ambitiose honorare sanctorum memorias ob captandam gloriam popularem reprehensibile est. c. 17 init. – Nec iterum ad sua latibula fraudulenta recurrat astutia, ut dicat se non imagines sanctorum adorare, sed sanctos. Clamat enim Deus: Gloriam meam alteri non dabo, nec laudem meam sculptilibus. c. 35 init. Agobard stützt sich zunächst, ausser auf die Bibel selbst, auf Aussprüche der Kirchenväter, namentlich des Augustin, dann aber verweist er zugleich auf den Gebrauch in der altchristlichen Kirche, indem er treffend bemerkt, wenn denen, welche damals den Kultus der Dämonen, d. i. den heidnischen, aufgegeben, die Bilder der Heiligen zu verehren befohlen worden wäre, so würden sie nicht sowohl die Götzen aufzugeben, als die Bilder zu wechseln geglaubt haben (c. 19 Ende). In der That war ja der Heiligenkultus nur an die Stelle des heidnischen Heroen, theilweise selbst Götterdienstes getreten. – Aber Agobard appellirt auch in dieser Schrift nicht selten zugleich an den einfachen gesunden Menschenverstand, zumal wo es sich um die Bilderverehrung in ihrer extremsten Gestalt, wie sie sich gerade beim Volke fand, handelt, die er mit Recht der Idololatrie und der Ketzerei der Anthropomorphiten an die Seite stellt. So wenig man von gemalten säenden oder weinlesenden Landleuten Haufen von Getreide oder Bächlein von Most zu erhalten hoffe, ebenso wenig dürfe man von den Bildern der Engel, Apostel, Märtyrer eine Hülfe erwarten. Und recht treffend bemerkt er: At quae huius erroris causa? Fides de corde ablata, tota fiducia in rebus visibilibus collocata. cap. 33.

Drittens aber trat Agobard auch dem Aberglauben im Staatswesen entgegen: er bekämpfte den gerichtlichen Zweikampf und die Gottesurtheile überhaupt; zunächst in seiner Diöcese, indem er an den Kaiser Ludwig die Schrift: Adversus legem Gundobaldi et impia certamina quae per eam geruntur richtete. In Lyon, das früher ja zum burgundischen 214 Reiche gehörte, war noch das burgundische Gesetzbuch des Königs Gundobald gültig, wonach nur Burgunder gegen Burgunder als Zeugen auftreten konnten; eine Folge davon war unter anderm die Anwendung des gerichtlichen Zweikampfs als Ersatz des Zeugenbeweises. Agobard eifert nun zuerst gegen die Verschiedenheit der Gesetze unter Christen als Brüdern in demselben Reiche und gegen jene burgundische Bestimmung insbesondere Welche sich übrigens auch bei den Sachsen fand. S. oben S. 138., deren »Absurdität« er nachweist. Nicht minder zeigt er den Unsinn des Zweikampfs als Gottesurtheil, da auch um der erbärmlichsten Dinge willen Schwache und Greise dazu genöthigt sind und für dergleichen sich die verwunden, welche sich wechselseitig lieben sollten. Und da glaubt man noch, dass mit dem Sieger, der seinen Bruder in die Tiefe des Elends stürzt, Gott sei. Dies ist der schlimmste Irrthum, die Umkehrung der Dinge, von Gott so unwürdiges zu vermeinen. – Und wie wenig der Sieger im Rechte sein müsse, zeigen ja die Märtyrer des christlichen Glaubens. Gott richtet aber erst am jüngsten Tage. Nicht darf der Gläubige von ihm annehmen, dass er in diesem Leben die Geheimnisse der Menschen ( occulta hominum ) durch heisses Wasser und Eisen enthülle, um wie viel weniger durch grausamen Zweikampf. – Keine auctoritas , keine ratio gestattet zu glauben, dass die Wahrheit sich zu offenbaren der Waffen bedürfe. – Zum Schluss gibt Agobard noch das Urtheil, das Avitus über diesen gerichtlichen Zweikampf gegen den König Gundobald selbst aussprach, indem er dem Bischof von Vienne bei dieser Gelegenheit auch als Autor hohes Lob spendet. Cap. 13. Agobard gedenkt hier andeutungsweise auch verschiedener Werke desselben. S. über Avitus Bd. I, S. 376 ff.

In einer andern Schrift, die sich offenbar sogleich an das grosse Publikum wendet Wie der predigtartige Eingang zeigt: In nomine Domini Dei et Salvatoris nostri Jesu Christi – worauf eine lange Bibelstelle folgt., behandelt Agobard denselben Gegenstand; sie enthält eine Sammlung von Aussprüchen der Bibel – daher De divinis sententiis betitelt –, welche die Unchristlichkeit des Zweikampfs als Gottesurtheil beweisen sollen. Auch hier werden die andern Gottesurtheile in die Verurtheilung mit einbegriffen, und ausser den schon oben erwähnten 215 auch das des Kreuzes genannt. Neque sanctus et innocens vir David persecutori Saul diceret: si Deus te incitat contra me, odoretur sacrificium etc. Sed potius diceret: Mitte unum de tuis qui congrediatur mecum singulari certamine, et probet me reum tibi esse, si occiderit; aut certe: iube ferrum vel aquas calefieri, quas manibus illaesus attrectem, aut: constitue cruces, ad quas stans immobilis perseverem. c. 1 Ende. Hätte Gott dergleichen gestattet, so hätte er nicht Richter einzusetzen verordnet, noch Beweis durch Zeugen und Eid.

Merkwürdig ist nun, dass ein so aufgeklärter Mann durch seine Feindseligkeit gegen die Juden, welche mehrere von seinen Flugschriften hervorgerufen hat, sich auszeichnet, und, wie sich eben aus denselben ergibt, zu einer Zeit, wo gerade im südlichen Frankreich beim Volke eine auffallende Toleranz ihnen gegenüber herrschte, und noch mehr in den höchsten Regionen des Staates. S. die weiter unten behandelte Schrift De insolentia Judaeorum , und die Ep. ad Nibridium; u. vgl. im Folgenden überhaupt: Stobbe, die Juden in Deutschland während des Mittelalters. Braunschweig 1866. Ludwig der Fromme begünstigte sie, und zwar aus Ehrfurcht vor den Patriarchen, wie wenigstens die Juden selbst behaupteten; seine Umgebung mag auch ihrem Gelde zugänglich gewesen sein. Andrerseits sprach aber auch in dem Streite, welchen Agobard mit den Juden führte, Recht und Billigkeit für sie. Man machte nämlich unter den heidnischen Sklaven der Juden christliche Propaganda, und wenn sie sich bekehrt, so glaubten sie sich berechtigt, offenbar gemäss den ihnen gemachten Versprechungen, ihren Herren zu entlaufen. Aus diesem Grunde war eine Taufe derselben gegen den Willen der Herren, früheren Concilbeschlüssen entsprechend, herkömmlich nicht erlaubt.

Die älteste Schrift Agobards gegen die Juden, wahrscheinlich v. J. 822 Indem ich hier Simsons Untersuchung: »Zur Chronologie der Schriften des Erzbischofs Agobard von Lyon wider die Juden« folge. S. Jahrb. d. fränk. Reichs unter Ludwig d. Fr. Bd. I, S. 393 ff., die an die Proceres palatii gerichtete Consultatio et supplicatio de baptismo Judaicorum mancipiorum fragt nun in dieser Sache die Rathgeber des Kaisers, Adalhard, Wala und Helisachar, um Rath, indem Agobard die Ansicht begründet, die Taufe solcher Sklaven dürfe nicht verboten werden; auch die Freilassung in Folge derselben nimmt er 216 als selbstverständlich an, nur soll den Juden der Preis der Sklaven bezahlt werden. Dies hätte er ihnen aber vergeblich angeboten. Man sieht schon hieraus, wie aus dem Eingange des Schreibens, dass Agobard in der Sache bereits eigenmächtig verfahren und die Juden bei Hofe sich mit Hoffnung auf Erfolg beschwert hatten. Dieser blieb in der That nicht aus; ein kaiserlicher Erlass verbot jene Taufe. Hiergegen wendet sich nun Agobard in einem neuen Schreiben an die Proceres (Hilduin und Wala): Contra praeceptum impium de baptismo Judaicorum mancipiorum; aber ohne das erwünschte Resultat, vielmehr da Agobard in seiner Verfolgung nicht nachliess, so mussten schliesslich sogar besondere Königsboten gegen ihn und für die Juden einschreiten.

Nunmehr appellirte er an den Kaiser selbst in der Beschwerdeschrift De insolentia Judaeorum . An die Sendung der Missi anknüpfend, gibt Agobard hier als Grund, warum er von den »Gönnern der Juden« zu leiden habe, an: weil er den Christen gepredigt, sie sollten keine christlichen Sklaven Juden verkaufen, und den Juden nicht erlauben, sie nach Spanien auszuführen, oder als Diener zu haben, ferner, dass christliche Frauen mit ihnen nicht den Sabbat feierten, und dass sie für die Juden an Sonntagen nicht arbeiteten, noch an Fasttagen mit ihnen speisten, dass kein Christ von ihnen Wein oder Fleisch kaufe – weil die Juden das unkoscher befundene, was sie Christenvieh nannten, zu verkaufen pflegten. Darüber sucht sich Agobard hier zu rechtfertigen, denn er hatte durch solche Predigten offenbar sich in Widerspruch mit vom Kaiser den Juden ertheilten Schutzbriefen gesetzt Wie sich noch welche erhalten haben. S. Simson a. a. O. S. 395., und war also noch weiter gegen die Juden vorgegangen. Da die Juden Christus verfluchen, sagt er, sollen die Christen keine solche Gemeinschaft mit ihnen haben; übrigens sollen sie aber den Juden nicht schaden. Auf den ersten Grund des Streites kommt hier aber Agobard nicht zurück. – Zugleich mit diesem Schreiben ging an Ludwig eine Schrift ab, die von Agobard im Verein mit zwei andern Bischöfen verfasst und De Judaicis superstitionibus betitelt worden ist. Sie ergänzt das Schreiben, indem sie zur Unterstützung desselben »aus dem Leben der Kirchenväter und ihren Beschlüssen, sowie 217 aus der Bibel einiges« mittheilen will Scribimus tantum pauca de exemplis et statutis Patrum ac deinde de Actis apostolicis sive de Evangeliis et Veteris Testamenti scripturis – – ; aber sie beschränkt sich nicht auf die betreffenden Punkte der Beschwerdeschrift, sondern soll überhaupt zeigen, wie verabscheuungswürdig die Juden sind, zu welchem Zwecke denn auch ihrer verschiedenen Superstitionen gedacht wird (c. 10). Bei der Gelegenheit wird auch eine Lebensgeschichte Christi, wie sie die Juden erzählten, mitgetheilt, die nicht ohne Interesse ist. Christi Leib soll danach durch eine Ueberschwemmung, da er neben einem Aquäduct bestattet, fortgetragen und auf Pilatus' Befehl 12 Monate, doch vergeblich, gesucht worden sein, worauf derselbe dann Christi Auferstehung proclamirt und seine Anbetung den Juden befohlen habe.

Endlich hat Agobard diese Angelegenheit noch einmal in einer Epistel an den greisen Bischof von Narbonne, Nibridius, behandelt De cavendo convictu et societate Judaeorum ., indem er seine pastorale Thätigkeit, die Christen vom Umgange mit den Juden abzuhalten, sowie den Widerstand, den er bei den kaiserlichen Beamten darin fand, darlegt und den hoch angesehenen Nibridius um seinen Beistand bittet. Dieser soll gleich ihm vorgehen und hierzu auch die benachbarten Bischöfe auffordern. Hier gibt Agobard seinem Groll gegen die Juden den freisten und leidenschaftlichsten Ausdruck, indem er die gegen die Heiden gerichteten zornigen Stellen des Alten Testaments nunmehr auf sie selbst anwendet; andrerseits offenbart gerade diese Epistel, bis zu welchem für jene Zeit erstaunlichen Grade die Toleranz des Volkes gegen die Juden in Agobards Diöcese ging dum se (Judaei) patriarcharum progeniem, iustorum genus, prophetarum sobolem superbo ore proloquuntur – – Unde et in tantum erroris pelagus nonnulli ex vulgaribus ac rusticis abducuntur, ut hunc solum Dei populum, apud hos piae religionis observantiam, ac multo certiorem, quam nostra sit, fidem et seducto suspicentur animo, et ore impio inter pares et consimiles fateantur. , so dass seine Befürchtung, es möchten Uebertritte zum Judenthum erfolgen, während es durch alle Humanität und Wohlwollen nicht möglich wäre, Juden für das Christenthum zu gewinnen, nicht ungerechtfertigt erscheint.

Am glänzendsten zeigt sich unser Autor als politischer Pamphletist. Wir besitzen von ihm drei Broschüren, die sich 218 auf die wichtigsten Tagesereignisse seiner Zeit beziehen. Die eine ist ein Schreiben an den Kaiser Ludwig, das, sein Thema zu bezeichnen, der erste Herausgeber wenig genau De divisione imperii inter filios Ludovici betitelt hat. Es ist i. J. 830 verfasst und wirft Ludwig vor, den Bürgerkrieg durch seine Sinnesänderung veranlasst zu haben. Durch Gottes Erleuchtung habe er Lothar zum Mitkaiser einst gewählt (817) – denn bei der Wahl war jene durch Fasten und Messopfer erfleht worden – und nun ohne Gott ihn (829) verstossen, als wenn er ohne Gott selbst einen besseren Rath gefunden. Namentlich wird der Missbrauch, der mit dem Eide durch solchen Wechsel der Politik getrieben werde, und der Ludwig selbst in der öffentlichen Meinung herabsetze, gerügt. In dieser Schrift, die den Kaiser offenbar zur innern Umkehr bewegen soll, denn die Gefahr seiner Seele ist es, welche Agobard zum Schreiben bewog, tritt unser Autor entschieden für die Einheit des Reichs in die Schranken, gleich den meisten Mitgliedern der hohen Geistlichkeit. Das Schreiben ist uns aber meines Erachtens sicher nicht vollständig erhalten. Es fehlt ihm jeder Schluss.

Bedeutender sind die beiden andern Schriften, die man merkwürdiger Weise bis auf Simsons gründliche Untersuchung als eine betrachtet und Liber apologeticus pro filiis Ludovici betitelt hat. Es bilden aber, wie Simson ganz richtig nachgewiesen »Ueber den sogen. Liber apolog. des Erzbischofs Agobard v. Lyon« a. a. O. I, S. 397 ff. Simsons Beweis wird noch unterstützt durch den Schluss des sechsten Kapitels: Amen, amen et hymnum Deo., die ersten sechs Kapitel eine besondere Schrift, die so recht den Charakter des Pamphlets hat und stilistisch wohl das bedeutendste ist, was Agobard geschrieben. Wie schon der Eingang zeigt, ist die Schrift an alle Welt gerichtet; sie beginnt gleich einer politischen Predigt Mit einem Audite begannen ja die Predigten, wie sie mit einem Amen endeten (s. die vorausgehende Anm.).: Audite haec, omnes gentes, audiat terra et plenitudo eius a solis ortu usque ad occasum, ab aquilone ad mare. Wie sicher statt et mari zu lesen ist. Die Schrift ist im Frühjahre 833 verfasst, als Kaiser Ludwig gegen die empörten Söhne den Heerbann aufbot, also am Vorabend des neuen 219 Bürgerkriegs. Sie soll das Verfahren der Söhne rechtfertigen, und dem Blutvergiessen vorbeugen. Aber sie wird zur heftigsten Anklageschrift und athmet vielmehr Krieg als Frieden. Die Anklage richtet sich aber vornehmlich gegen des Kaisers Gemalin, Judith: ihr wird alles Unheil Schuld gegeben. Die Söhne sind im vollen Rechte, heisst es im Eingange, wenn sie den väterlichen Palast von Schmutz und Intriguen reinigen wollen, und das Reich von Tumult und Unruhen. Alles ging gut, so lange der Kaiser noch männlich kräftig war; danach aber begann der Kaiserin ausschweifendes Leben, anfangs nur wenigen, dann mehreren, zuletzt aller Welt bekannt. Die sittliche Entrüstung der Söhne darüber rief die erste Empörung hervor, Judith musste ins Kloster wandern. Aber in Folge der Nachgiebigkeit der Söhne und durch die Macht ihrer Reize kehrte die Kaiserin in den Palast zurück und gelangte wieder zur Herrschaft, indem sie des Gemals Sinn änderte. – Hiernach (c. 3) kommt Agobard wieder auf den mit dem politischen Eide getriebenen Missbrauch. Und wohin ist man nun gelangt? Statt dass durch Krieg gegen barbarische Nationen das christliche Reich ausgedehnt werde, drängt sich dasselbe vielmehr in seiner Mitte zusammen zum Bürgerkriege Cum enim deberent exercitus mitti adversus exteras gentes et ipse imperator adversus barbaras nationcs dimicare, ut eas fidei subiugaret ad dilatandum terminum regni fidelium – – nunc e contrario omne regnum cum extremitatibus suis conglobatur in unum in medio sui, diversa tamen intentione, dum alii parantur ad intestina viscera disrumpenda, alii ad pacandam, si fieri potest, iniustissimam discordiam – – ; und statt der Unterwerfung und Bekehrung von Barbaren, werden die christlichen Unterthanen in die Barbarei gestürzt. (Ecclesia) orat ut christianissimo imperatori barbari subiciantur, non ut subiecti conturbentur et barbarizentur. Das Wortspiel lässt sich in der Uebersetzung nur andeuten. In seiner Verblendung liebt Ludwig die ihn hassen, und hasst die ihn lieben. Sagt man doch, dass einige seiner Umgebung die Vernichtung der Söhne anstreben, um dann an den Kaiser selbst Hand anzulegen und das Reich unter sich zu theilen. Nur Gott kann helfen, sonst wird das Reich die Beute äusserer Feinde oder vieler Tyrannen. – Man sagt auch, dass die Kaiserin mit kindischen Spielereien sich die Zeit vertreibe, woran sogar Priester theilnehmen; man sagt wohl, sie sei 220 keine Intrigantin, sondern anmuthig und lieblich; darauf antwortet die Bibel: trügerisch ist die Anmuth, eitel die Schönheit, nur das gottesfürchtige Weib ist zu loben. – Schliesslich fordert dann Agobard alle die Gott fürchten, ihn, den Herrscher und das Reich lieben, auf, mit allem Bemühen dahin zu streben, die alten Wunden verharrschen zu machen, ohne Krieg, ohne Blutvergiessen.

Die andre Schrift, welche die noch übrigen sieben Kapitel des Liber apologeticus bilden Ob sie darin vollständig erhalten, ist allerdings sehr fraglich, ja wenig wahrscheinlich. Bei der Zusammenschweissung dieser Schrift mit der vorausgehenden wird mindestens der Anfang weggelassen sein. Sonderbar dass diese Schrift, welche den Verrath auf dem »Lügenfelde« rechtfertigt, hier mit einer Erörterung über die Lüge beginnt, indem der Verf. sagt, dass dieselbe nicht bloss in Worten ( dictis), sondern auch in Handlungen ( factis) bestehe, und der letzteren soll sich offenbar der Kaiser schuldig gemacht haben! Klingt dies nicht als wie eine an diejenigen gerichtete Antwort, welche dasselbe den Söhnen vorgeworfen hatten?, ist nach dem für Ludwig unglücklichen Ausgange des Feldzugs v. J. 833 verfasst, er wird hier nur » quondam imperator« genannt. Oder auch domnus dudum imperator, wie im vorletzten Kapitel. Die Schrift soll die von ihm verlangte Kirchenbusse rechtfertigen, insbesondere auch bei ihm selbst. Judith ist freilich die »Ursache alles Uebels«, wie durch eine kurze Geschichte der Unruhen gezeigt wird, aber Ludwig ist damit so wenig entschuldigt, wie der durch sein Weib verführte Achab der Bibel; wie dieser Busse thun musste, so er, damit ihm wenigstens die Erhöhung im ewigen Leben zu Theil werde. Die exaltatio aeternae vitae im Gegensatz zu der » exaltatio temporalis vitae«, die nicht mehr für ihn passe. – Diese zweite Schrift unterscheidet sich auch stilistisch von der ersten, indem sie mit weit weniger Feuer verfasst ist. –

Nicht bloss auf dem Felde der allgemeinen Literatur, in Schriften, die sich an das grosse Publikum wandten, sondern auch auf rein theologischem und kirchlichem Gebiete hat sich dieser streitbare Autor fast nur als Polemiker gezeigt. So bekämpfte er in einem Ludwig dem Frommen gewidmeten Buche den Adoptianismus des Bischofs Felix von Urgel noch nach dem Tode des letzteren, da ein von diesem in Lyon, wo er 818 starb, hinterlassener Zettel, der in Fragen 221 und Antworten seine Lehre behandelte, zur Genüge zeigte, dass er trotz aller Widerrufe unbekehrt geblieben. S. über den Liber adversus Felicem Leist a. a. O. S. 3 ff. So verfasste Agobard eine Streitschrift gegen Fredegis, den Schüler und Nachfolger Alcuins in Tours, die freilich nur die vertheidigende Erwiderung eines Angriffs desselben ist. Hier handhabt im Eingange unser Autor die Ironie in pikantester Weise. Was öfter missverstanden ist, so von Ahner, Fredegis von Tours. Leipzig 1878. S. 13. So lautet der Anfang: Dudum modestiae vestrae benignitas adversum nos peccatis nostris exigentibus mota talibus nos invectionibus perculit, quae lenitatis ac sinceritatis vestrae modum excedere viderentur etc. Und wenn es dann später heisst: Et idcirco, sapientissime vir, si dignatur admittere magnitudo vestra etc., so ist auch das sapientissime ironisch gesagt. Bei diesem Streite handelt es sich namentlich um die Frage der Inspiration: und da zeigt sich denn wieder der verständige klare Blick Agobards, indem er sich gegen die herkömmliche grobe Auffassung, die selbst Fredegis vertrat, erklärt und behauptet, dass nicht die Worte und der Stil, sondern der Inhalt und die Beweisführung von dem heiligen Geiste den Aposteln wie Propheten inspirirt worden sei. S. Leist S. 21 ff., Reuter S. 36 ff. – Ein andrer seiner Gegner war Amalarius Dieser Amalarius, der auch den Beinamen Symposius führt, ist nicht zu verwechseln mit dem Amalarius Fortunatus, Bischof von Trier (809– 814), welcher 813 als Gesandter nach Constantinopel geschickt, über diese Reise einen Bericht in 80 Hexametern verfasst hat. Dies Odoporicum, am besten edirt in Jaffé's Monum. Carolina p. 426 ff., ist literarisch zu unbedeutend um hier weiter berücksichtigt zu werden. Vgl. Dümmler, N. A. S. 139., der als Presbyter von Metz vier Bücher: De ecclesiastico officio um 820 verfasst hatte, worin er alle Einrichtungen und Gebräuche des Kultus allegorisch zu erklären sucht; dieser, der sich also speciell mit der Liturgie beschäftigte und eine Uebereinstimmung in den Antiphonarien, wohl auf Grund des römischen, anstrebte Vgl. Simson I, S. 294 f., trat der einseitigen Reform Agobards entgegen: wider ihn ist dessen kurze heftige Flugschrift: De divina psalmodia gerichtet. Die Rechtfertigung seines Verfahrens, die Agobard in dem kleinen Buche: 222 De correctione Antiphonarii gibt Es kann bei diesem wie bei der vorerwähnten Schrift wohl sehr bezweifelt werden, dass sie uns vollständig erhalten sind; beiden fehlt auch ein Schlusswort., steht aber wohl mit jenem Angriffe in keinem Bezug. Dagegen bekämpfte Agobard In dem Liber contra libros quattuor Amalarii abbatis. auch das zuerst erwähnte Hauptwerk des Amalar, indem er ihm selbst Irrlehren nachwies. Diese Gegnerschaft war offenbar zugleich eine persönliche, indem Amalar während der Entsetzung Agobards der Kirche von Lyon vorgesetzt war; seine Irrlehren verdammte aber auch die Synode von Quiercy 838.

Unter den wenigen nicht polemischen Schriften Agobards sei hier noch kurz erwähnt der Anfang einer Sammlung von Bibelstellen über die Furcht und die Hoffnung, welche den Sinn der Menschen zu lenken haben, und ein beredter Sermo über die Wahrheit des Glaubens. Die Klarheit und Präcision des Ausdrucks Agobards zeigt sich auch hier im besten Lichte. S. über beide Schriften Leist S. 16 ff. – Ueber die ihm beigelegten Gedichte Dümmler, N. A. S. 263 f.

 


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