Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel.

Paulus Diaconus.

Die Emancipation der Literatur von der geistlichen Herrschaft, wodurch ganz wesentlich ihr neuer Aufschwung bedingt ward, tritt uns aber an Karls Hofe gleichzeitig noch von einer anderen Seite entgegen, die auch von der Schule, aber nicht von der der Angelsachsen, sondern von der der Italiener ausgeht; dennoch ist auch ihr Hauptrepräsentant seiner Abstammung nach ein Germane. Es ist der berühmte Geschichtschreiber der Langobarden, Paulus, nach seinem Stande gewöhnlich Paulus Diaconus Pauli historia Langobardorum in: Monumenta Germ. hist. Script rerum langobard. et italic. Saec. VI–IX. 4. (Praef.) (auch in usum scholar.) Hannover 1878. – Historia romana in: Monum. Germ. hist. Auctor. antiquissimor. Tom. II: Eutropi breviarium cum version. graecis et Pauli Landolfique addidamentis rec. et annot. H. Droysen. Berlin 1879. (Praef.) – Gesta episcoporum Mettensium in: Mon. Germ. hist. Script. T. II. p. 260. – Vita S. Gregorii M. in: Mabillon, Acta S. S. ord. Bened. Saec. I.Homiliae in: Martène et Durand, Veterum scriptor. collectio Tom. IX. u. in: Tosti, Storia di Monte Casino. – Gedichte, einzeln edirt, s. weiter unten. – – Bethmann, Paulus Diaconus' Leben u. Schriften, und Die Geschichtschreibung der Langobarden, beides in Pertz' Archiv der Gesellsch. für ältere deutsche Geschichtskunde Bd. X. Hannover 1851. – Dahn, Paulus Diaconus. I. Abtheilung. Leipzig 1876. – Hartel, Eutropius und Paulus Diac. in: Sitzungsber. der phil.-hist. Cl. der Wiener Akad. Bd. LXXI. 1872. – Bauch, Ueber die Historia romana des Paul. Diac, eine Quellenuntersuchung. Göttingen 1873 (Dissert.). – Droysen, Die Zusammensetzung der Historia rom. des Paul. Diac. in: Forschungen zur deutschen Geschichte Bd. XV. – Jacobi, Die Quellen der Langobardengeschichte des Paul. Diac. Halle 1877. – Mommsen, Die Quellen der Langobardengeschichte des Paul. Diac. im Neuen Archiv der Gesellsch. f. ältere Geschichtskunde Bd. V, S. 51 ff. – Dümmler, N. A. S. 102 ff. genannt. Derselbe war, ein 37 Sohn des Warnefrid, im dritten Decennium des 8. Jahrhunderts geboren, also jedenfalls etwas älter als Alcuin. Er stammte aus Friaul und von edlem langobardischem Geschlechte. Dem gemäss wurde er auch am königlichen Hofe zu Pavia erzogen. Flavianus war sein Hauptlehrer. Wie seine Werke zeigen, war seine Ausbildung eine für jene Zeit vortreffliche, namentlich erlernte er auch die griechische Sprache. Paulus, der wohl schon unter König Ratchis (744–49) und durch den Einfluss desselben Das scheint wohl angezeigt durch die Verse der auf Paulus verfassten Grabschrift:
        Omnia sophiae carpisti culmina sacrae,
        Rege monente pio Ratchis, penetrare decenter.
– welcher selbst vom Thron in das Kloster sich zurückzog – den Laienstand mit dem geistlichen vertauscht hatte, trat zu dem Königshaus des Desiderius (756–774) in nahe Beziehung; namentlich wurde er der Lehrer der Tochter desselben, Adelperga, der Gemalin des Herzogs von Benevent, Arichis, dem er eine gleiche Anhänglichkeit widmete, vielleicht um so mehr als dessen Geschlecht auch aus Friaul stammte. An ihrem Hofe fand er, zumal nach dem Untergang des Reichs von Pavia, eine zweite Heimath, indem er diesem hochgebildeten Fürstenpaar auch mit seiner literarischen Thätigkeit diente. Trotzdem zog er sich, vielleicht in Folge jenes dem Patrioten so schmerzlichen Ereignisses Wie dies Dahn S. 23 annimmt., in das berühmte Kloster von Montecasino zurück. Aber ein besonderer Anlass rief ihn noch einmal und auf mehrere Jahre in die Welt wieder und brachte ihn zugleich in die nahe Beziehung zu Karl dem Grossen. An einem Aufstand gegen die Franken in Friaul im Jahr 776 hatte sich, wie es scheint, auch der Bruder des Paulus, Arichis betheiligt; er war wenigstens von ihnen gefangen fortgeführt und sein und der ganzen Familie Vermögen confiscirt worden Ohne Frage der angestammte Grundbesitz. Denn dass nicht bloss von dem Vermögen des Arichis die Rede sein kann, wie man ganz allgemein annimmt, zeigt offenbar die Art, wie sich Paulus in der poetischen Supplik ausdrückt:
        Coniunx est fratris rebus exclusa paternis,
        Iamque sumus servis rusticitate pares,
        Nobilitas periit miseris, accessit egestas.
. Als nun Karl bei seiner Rückkehr nach 38 Italien im Jahre 781 sich gegen die Langobarden gnädig gezeigt hatte, so wagte es Paulus im folgenden Jahre, den König um Freilassung seines Bruders, sowie um Restitution des Vermögens der Familie zu bitten, in einer Supplik, die in Form einer Elegie verfasst war. Karl erfüllte zwar die Bitte, wenigstens was die Freilassung betrifft, nicht alsbald, aber er fesselte Paulus an seinen Hof, so dass dieser dort von 782 an die folgenden Jahre bis spätestens 786 verweilte 787 befand sich Paulus sicher in Italien wieder (s. Dahn S. 55); im November 786 aber zog schon Karl der Grosse selbst dorthin. S. Abel, Jahrbücher des frank. Reichs unter Karl d. Gr. Berlin 1866. I, S. 461., auch noch für andere gefangene Landsleute sich verwendend. Nicht bloss wirkte er als Hofdichter dort zur ästhetischen Unterhaltung Karls in Gemeinschaft mit dem anderen Italiener, Petrus von Pisa, sondern er war auch sonst als Schriftsteller für den König thätig, wenn er auch die schon erwähnte Homiliensammlung erst in seinem Kloster vollendet hat. S. oben S. 9. Zugleich wirkte er als Lehrer im Griechischen am Hofe, namentlich unterrichtete er darin die Geistlichen, welche die 781 mit dem byzantinischen Kronprinzen verlobte Tochter Karls Rotrude später nach Konstantinopel begleiten sollten. – Aber Paulus sehnte sich stets nach der beschaulichen Ruhe seiner Klosterzelle zurück, immer schweiften seine Gedanken dorthin: und so finden wir ihn denn im Jahre 787 wieder in Montecasino, wo er hochangesehen war wegen seiner Frömmigkeit, Liebenswürdigkeit und Gelehrsamkeit, welche letztere auch manche ausgezeichnete Schüler dort bildete. S. Bethmann S. 270 f. – Von ihr legt recht Zeugniss ab der Auszug des Festus, der jetzt Paulus Diaconus gewiss mit Recht zugeschrieben wird. S. darüber Mommsen a. a. O. S. 55. Seine literarische Thätigkeit, in der er nicht ermüdete, widmete er jetzt zum Theil dem Kloster selbst, indem er eine Erläuterung der Regel des h. Benedict, sowie Homilien verfasste; zugleich aber schrieb er jetzt dort sein berühmtestes Werk, die Geschichte seines Volkes; inmitten dieser Arbeit überraschte den Hochbetagten der Tod, wahrscheinlich noch in den letzten Jahren des achten Jahrhunderts.

Die Werke des Paulus lassen sich in drei Klassen theilen: 1) historische, 2) praktisch-theologische, 3) poetische. Am wichtigsten ist die erste, die auch das älteste der Prosawerke 39 des Paulus in sich schliesst. Es ist dies die durch Paulus' Beziehungen zu dem Hofe von Benevent veranlasste, noch vor seiner Reise nach Frankreich, etwa um 770 S. Dahn a. a. O. S. 15. verfasste Bearbeitung, d. h. Erweiterung und Fortsetzung des Eutrop, welche den Titel Historia romana führt. Sie ist seiner Schülerin Adelperga gewidmet, ja für sie verfasst. Wie das Widmungsschreiben besagt, liebte die Herzogin nicht bloss der Philosophen goldene Worte und der Dichtung Perlen ihrem Gedächtniss einzuprägen, sondern auch die Geschichte, und zwar sowohl die weltliche als die des Reiches Gottes, eifrig zu studiren. Paulus hatte ihr deshalb den Eutrop zur Lectüre gegeben. Cum ad imitationem excellentissimi comparis, qui nostra aetate solus paene principum sapientiae palmam tenet, ipsa quoque subtili ingenio et sagacissimo studio prudentium arcana rimeris, ita ut philosophorum aurata eloquia poetarumque gemmea dicta tibi in promptu sint, historiis etiam seu commentis tam divinis inhaereas quam mundanis, ipse qui elegantiae tuae studiis semper fautor extiti, legendam tibi Eutropii historiam tripudians obtuli. Diese Stelle beleuchtet zugleich recht das Verhältniss des Paulus zu dem herzoglichen Ehepaar. Dieser aber befriedigte sie nicht, sowohl wegen seiner übertriebenen Kürze, als weil der Heide der Geschichte der christlichen Religion und Kirche gar nicht gedachte. Adelperga hatte deshalb Paulus aufgefordert, diese Mängel zu ergänzen. Derselbe entsprach nun nicht bloss diesem Wunsche, sondern setzte auch das Werk, das bekanntlich nur bis Valens reicht, bis auf die Zeiten des Justinian – und zwar bis kurz vor dem Einfall der Langobarden in Italien fort, indem er den zehn Büchern des Eutrop noch sechs neue hinzufügte. Für die Erweiterung des Eutropischen Textes, dem Paulus auch eine kurze Vorgeschichte Italiens (vor Roms Gründung) vorausschickt, hat derselbe, was die profane Geschichte betrifft, namentlich Hieronymus und Orosius, dann auch die Origo gentis romanae Die nach Mommsen (im Hermes Bd. XII) in einer vollständigeren Gestalt ihm vorlag. – S. über die Quellen und ihre Behandlung des Paulus Droysens Schrift und das Prooemium seiner Ausg. p. XXXVIII ff., Aurelius Victor und Jordanis' Weltchronik, was die sacrale Geschichte aber anlangt, die übrigens hier nur sehr wenig bedacht wird, die beiden erst genannten benutzt. Die Zusätze, bald längere, bald kürzere, sind möglichst wörtliche 40 Excerpte Nur der weitläufigere Orosius wurde wesentlich gekürzt., bei deren Einschaltung so wenig als nur möglich die Erzählung des Eutrop berührt wird, so dass nicht einmal persönliche Bemerkungen dieses Autors von Paulus geändert wurden; die Verknüpfung geschieht deshalb in ganz äusserlicher Weise durch ein igitur, siquidem, circa haec tempora u. dergl. Dagegen hat Paulus in sprachlicher Beziehung einzelnes geändert, indem er ungewöhnlichere Formen und Constructionen corrigirte. Die Fortsetzung des Eutrop aber, die sechs letzten von Paulus selbst verfassten Bücher, ist auch bloss eine Compilation, zunächst (bis ins dreizehnte Buch) noch aus denselben Hauptquellen, indem von ihnen Orosius den Leitfaden liefert; dann, als diese versiegen, ausser aus Jordanis' Werken, deren Benutzung jetzt ganz in den Vordergrund tritt, vornehmlich aus Prospers und Beda's Weltchroniken, wozu noch einige andere weniger benutzte, zum Theil selbst noch unbekannte Vorlagen kommen. Paulus scheint in der Regel eine Zeitlang allemal einer Hauptquelle gefolgt zu sein, zwischen deren Excerpte er dann die anderen einschaltete. Leider ist er bei seiner compilirenden Arbeit nicht mit der nöthigen Sorgfalt und Treue verfahren, was namentlich auch von der Chronologie gilt.

Die Historia romana wurde später von einem Andern noch um ein Buch vermehrt, welches ein Auszug aus der Langobardengeschichte des Paulus ist, indem sein Verfasser wohl das von Paulus in der Widmung gegebene Versprechen, das Werk bis auf seine Zeit fortzuführen, erfüllen wollte. S. Bethmann S. 310. – Dies Buch findet sich im Appendix der Ausg. von Droysen p. 396 ff. Eine andre Fortsetzung, die zugleich eine Bearbeitung in derselben Art ist als sie Eutrop durch Paulus erfahren Indem sich der Bearbeiter auch fast derselben Quellen als Paulus bediente. S. d. Ausg. von Droysen p. LXV., fand das Werk Ende des folgenden, oder Anfang des zehnten Jahrhunderts durch einen gewissen Landolfus Sagax. Dieses Werk, welches man später Historia miscella betitelt hat, führt die Geschichte bis zum J. 813 fort, namentlich auf Grund der 872 verfassten Kirchengeschichte des Anastasius. Die Historia romana wie ihre Fortsetzung genossen im Mittelalter grosses Ansehen und ausserordentliche Verbreitung.

41 Während seines Aufenthaltes im Frankenreich, wahrscheinlich im J. 784 S. Pertz, Praef., verfasste Paulus, auf den Wunsch des Bischofs von Metz, Angilram nach dem Muster der Gesta pontificum Romanorum die Gesta episcoporum Mettensium , eine kurze Geschichte der Bischöfe von Metz, von dem ersten Verkünder des Evangeliums dort, dem heil. Clemens, welchen Petrus selbst noch gesandt haben sollte, bis auf Angilram. Diese Geschichte gibt aber zu einem guten Theil nichts weiter als ein Verzeichniss von Namen, denen kurze Notizen aus der Tradition beigefügt sind; nur ein paar Bischöfe sind auf Grund schriftlicher Quellen ausführlicher behandelt, wie Auctor zur Zeit Attila's nach Gregor von Tours und Fredegar, und der Stammvater der Arnulfingen. Aus seinem Leben erzählt Paulus zwar nur die bekannte Anekdote von dem Ring Vgl. Bd. I, S. 579, Anm. 3., welche er von Karl dem Grossen selbst gehört hatte, und die Sage von dem Segen, welchen Arnulf seinem jüngeren Sohn ertheilte, aber er gedenkt dann auch der Nachkommen des letzteren, bis auf Karl selbst und seine Familie, indem er in einer kurzen Charakteristik derselben zeigt, wie sich an ihnen jener Segen erfüllte. Die Grösse Karls erkennt Paulus da mit beredten Worten an De quo viro nescias, utrum virtutem in eo bellicam, an sapientiae claritatem omniumque liberalium artium magis admireris peritiam. l. l. p. 265., wie er zugleich seine Milde gegen die Langobarden rühmt. Hier hat denn auch Paulus die Epitaphien eingeschaltet, die er auf Befehl Karls auf die Mitglieder seiner Familie, welche im Oratorium Arnulfs in Metz bestattet worden, verfasst hat: es sind zwei Schwestern Karls, seine zweite Gemalin Hildegarde und zwei Töchter derselben. Am Schluss wird noch des unmittelbaren Vorgängers Angilrams, Chrodegang, ausführlicher gedacht, von dem hier unter anderm gerühmt wird, dass er ebenso beredt in der Muttersprache als im Lateinischen gewesen sei. Fuit autem – – eloquio facundissimus, tam patrio quamque etiam latino sermone imbutus. l. l. p. 267.

Dem Gegenstand nach etwas verwandt ist eine andre kleine kirchengeschichtliche Schrift des Paulus, die zu Rom und wohl 42 bald nach seiner Rückkehr aus dem Frankenreiche verfasst ist S. Dahn S. 56 f.: das Leben Gregors des Grossen, das Paulus selbst in seiner Langobardengeschichte anführt. Es ist aber fast ganz eine blosse Compilation aus dem langen, diesem Papst gewidmeten Abschnitte der Kirchengeschichte Beda's S. Bd. I, S. 597. und den Werken Gregors selbst. Und Paulus zeigt in der Behandlung seines Gegenstandes keinen Blick für das geschichtlich Bedeutende, denn gerade die wichtigsten Seiten der Thätigkeit dieses grossen Papstes werden von ihm nicht einmal berührt, seine politische Wirksamkeit, welche die Unabhängigkeit Roms von Byzanz begründete, wie seine Reform der Liturgie; es wird gleichsam bloss sein Privatleben gegeben: nur ist bemerkenswerth, dass Paulus nicht der Wunder Gregors gedenkt Denn, wie Bethmann nachgewiesen S. 305, ist der sie behandelnde Abschnitt der Ausgaben wie der meisten Handschriften eine Interpolation, die mit der oben gegebenen Erklärung des Paulus in vollem Widerspruche steht., ja sogar keine solchen von ihm annimmt, indem er sagt, Gregor hätte wohl Wunder thun können, es aber nicht gewollt. Iam vero utrum aliquibus vir iste tanti meriti miraculis claruerit, superfluo quaeritur, quod luce clarius constat quod is qui virtutum signa suis meritis valuit aliis quoque Christo largiente acquirere, si exegisset opportunitas, facilius poterat haec etiam ipse promereri.

Weit bedeutender und wichtiger als diese früheren historischen Schriften, ja die wahre Grundlage des Ruhms unsers Autors ist seine Historia Langobardorum , von der er sechs Bücher in Montecasino nach seiner Rückkehr vollendete. Denn das Werk ist, wie eine Stelle im letzten Kapitel zeigt, wo er etwas später Geschehenes an seinem Orte erzählen zu wollen bemerkt, nicht beendet, wie denn auch Vorrede sowohl als Schluss fehlen – ein Schluss nämlich für das Ganze, denn das sechste Buch ist offenbar beendet, indem dasselbe mit dem Tode Liutprands, eines der bedeutendsten Könige, (744) einen passenden Abschluss findet. Auch die nicht verbesserten Sprachfehler legen für die Nichtvollendung des Ganzen Zeugniss ab. S. Waitz, Praef. p. 27.

Die Vertheilung des Stoffs auf die sechs Bücher ist die folgende. Das erste umfasst die Geschichte der Langobarden 43 vor ihrem Einfall in Italien, indem hier zunächst von ihren ältesten Sitzen in Skandinavien, dann von ihrem Auszug von dort, ihren Wanderungen und Kämpfen bis auf die Zerstörung des Gepidenreichs durch Alboin gehandelt wird; ausserdem sind noch vor dem letzten (27.) Kapitel zwei aus dem Gebiet der allgemeinen Geschichte eingeschaltet, das eine (c. 26) offenbar aus persönlichem Interesse des Autors: es ist nämlich dem heil. Benedict gewidmet, der »in jenen Tagen durch seine Tugenden glänzte«, und der Gründung des Klosters Montecasino durch ihn; zwei Gedichte des Paulus, die seine Wunder besingen, werden hier mitgetheilt. In dem andern Kapitel (25) aber wird vornehmlich des Kaisers Justinian gedacht, der sowohl wegen der durch Belisar, namentlich auch über germanische Völker, erfochtenen Siege, wie als Gesetzgeber gepriesen wird. – Das zweite Buch wird eingeleitet durch die Darlegung der früheren Beziehungen des Narses zu den Langobarden, welche seine Foederati im Krieg mit den Gothen waren, die Eroberung Italiens durch ihn und die von ihm an Alboin ergangene Einladung, sich dieses Landes zu bemächtigen (c. 5). Hierauf wird denn die Einnahme Oberitaliens durch Alboin und die Geschichte seiner Regierung sowie seines ersten Nachfolgers dort, Cleph erzählt. Noch wird im letzten Kapitel des zehnjährigen Interregnums gedacht, das nach dem Tode des Cleph eintrat. Auch in diesem Buche finden sich ein paar Episoden, eine längere c. 15–24, worin eine kurze Beschreibung der Provinzen Italiens gegeben wird S. über dies Verzeichniss der italischen Provinzen und seine Quelle Mommsen S 84 ff., und eine kürzere c. 13, die dem Dichter Fortunatus gewidmet ist. – Den Inhalt des dritten Buches bildet die Geschichte des Interregnums und der Regierung des Authari, des Sohnes Clephs: die Beziehungen zu dem Frankenreiche wie Byzanz, meist freilich feindlicher Natur, führen hier auch zu einer weiteren Berücksichtigung dieser Reiche, die mehrfach aber einen rein episodischen Charakter hat. – Das vierte Buch behandelt die Regierung einer ganzen Anzahl von Königen, die sich zum Theil rasch folgten, von Agilulf an, welchen Authari's Wittwe, Theudelinde, wie schon das letzte Kapitel des vorigen Buchs berichtet, sich zum Gemal erkiest, bis auf die Söhne Ariperts, 44 Perctarit und Godepert, deren Zwietracht das Reich von Pavia in die Hände des Herzogs von Benevent Grimuald bringt, wie noch am Schlusse erzählt wird. Neben einigen Mittheilungen aus der allgemeinen Geschichte findet sich hier auch eine interessante Abschweifung rein persönlicher Natur über das Geschlecht und namentlich den Urgrossvater des Autors, Leupichis, der allein von seiner Familie aus der Gefangenschaft der Avaren entflieht und unter grossen Gefahren nach Italien zurückkehrt (c. 37). – Das fünfte Buch hebt mit der Regierung Grimualds an; nach seinem Tode gewinnt Perctarit wieder den Thron, und ihm folgt sein Sohn Cunincpert; die Geschichte des letzteren wird aber hier nur bis zu seinem Siege über den Usurpator Alahis erzählt. Der Schluss derselben wird im Anfang des letzten Buches gegeben, welches dann vornehmlich die Geschichte des Aripert, eines Enkels des Godepert, und die des Liutprand zum Gegenstand hat, mit dessen Ende das ganze Werk schliesst.

Diese Disposition des Stoffes ist mit Ueberlegung und Verständniss gemacht, sie ist weder eine willkürliche, noch durch Aeusserlichkeiten bestimmte; vielmehr sind es mehr oder weniger Epoche machende Ereignisse, welche die Einschnitte bilden, so zwischen dem ersten und zweiten Buch der Einfall in Italien, zwischen dem zweiten und dritten das Interregnum, zwischen dem dritten und vierten der Tod des Königs Authari – das Erlöschen der Dynastie des Cleph, zwischen dem vierten und fünften der Uebergang des Thrones an den Herzog von Benevent, der also die ganze langobardische Macht im Süd wie im Nord vereinigt. Dass endlich mit Liutprand ein Buch (das letzte) schliesst, ist auch durch die Bedeutung dieses Königs vollkommen gerechtfertigt. Fraglich kann nur sein, weshalb der Sieg des Cunincpert über Alahis Epoche macht, das fünfte Buch beendend: ich vermuthe, dass Alahis, der als Verächter der Geistlichkeit von Paulus mit den schwärzesten Farben geschildert wird, der letzte der arianischen Könige war. Der Klerus – und nach der Art, wie er von Paulus gerühmt wird, kann es nur der orthodoxe sein – nimmt in jenem Kriege auf das thätigste für Cunincpert Partei Paulus selbst äussert sich allerdings über die Confession des Alahis nicht, aber dies geschieht überhaupt, irr' ich nicht, nur einmal bei einem Könige in seinem Buche, bei dem Gesetzgeber Rothari (l. IV, c. 42); wohl aber spricht für meine Annahme die ausserordentliche, bei Paulus ganz ungewöhnliche Gehässigkeit, womit Alahis von ihm behandelt wird, vielleicht auch allein schon der Ausdruck filius iniquitatis (l. V, c. 36 init.), ein Ausdruck der genau so auf Arius selbst angewandt sich findet. Weniger als die 45 Composition des Ganzen ist die Ordnung des Stoffes innerhalb der einzelnen Bücher zu rühmen; der Faden der Erzählung wird nicht selten, wie angedeutet, durch Einschaltungen von Anekdoten, Sagen, geographischen Excursen oder Mittheilungen aus der allgemeinen Geschichte unterbrochen, welche letzteren allerdings nur die Völker betreffen, die mit Italien zu der Zeit gerade in Beziehung stehen, denn die Langobardengeschichte erweitert sich dem Paulus zu einer Geschichte von Italien, schon indem er den Sitz des Papstthums, Rom, besonders berücksichtigt Darum ist man aber noch nicht berechtigt, die Langobardengeschichte des Paulus als eine Fortsetzung der Historia romana zu betrachten, wie Mommsen thut S. 77, und von einer »Geschichte Italiens (des Paulus) von der Gründung Roms bis zum Beginne der Karolinger Zeit« zu reden (S. 53), »deren erste sechszehn Bücher als Historia rom. , die letzten sechs als Hist. Langob. betitelt waren«, schon aus dem einen sehr einfachen Grunde, weil die Historia romana nicht eine Geschichte Italiens, sondern des römischen Reichs ist. Ausserdem ist die Langobardengeschichte von einem ganz andern Standpunkt geschrieben, und wie die von mir dargelegte Composition zeigt, die Eintheilung des Stoffes nicht durch das Schicksal Italiens, sondern durch das des Langobardenreichs bestimmt. Die Chronologie, worin Beda sein Führer ist, bildet offenbar allein das leitende Princip bei der Anordnung und Einreihung der Ereignisse, Paulus nimmt es aber leider auch in diesem Werke mit ihr sehr wenig genau, wie er denn auch mit sehr seltenen Ausnahmen nur ganz unbestimmte Zeitangaben macht, wie »um diese Zeit«, »nach einigen Jahren« und dergl. Die oft so lose und geringe Verbindung der einzelnen Abschnitte seiner Erzählung erklärt sich aber aus der Art seiner Arbeit. Auch dies Werk des Paulus ist eine Compilation aus sehr verschiedenen Büchern, die er mitunter wörtlich ausgezogen hat; mit diesen Auszügen hat er aber auch der mündlichen Tradition entlehnte Mittheilungen verbunden, und sie geben gerade zugleich mit dem aus heute verlorenen Werken Geschöpften seinem Buche den stofflichen Werth. Zu den letztern gehört eine seiner bedeutendsten Vorlagen, eine kurz gefasste kleine Langobardengeschichte, welche 46 Secundus von Trient, wie uns dies Paulus selbst mittheilt – – qui usque ad sua tempora succinctam de Langobardorum gestis conposuit historiolam. l. IV, c. 40. Hiernach kann das Buch nur ein sehr kleines gewesen sein, was wohl bei der Frage zu berücksichtigen ist, wie viel Paulus dem Secundus entlehnt haben kann. Jacobi scheint dem nicht Rechnung getragen zu haben; Mommsen ebenso wenig, indem er (S. 74) es für evident erklärt, dass die Origo gent. Langob. (von der sogar eine weit ausführlichere Recension Paulus vorgelegen haben soll) nichts sei als ein mit einer kurzen Fortsetzung versehener Auszug aus der Schrift des Secundus! – Es konnte kein Auszug aus einer succincta historiola das Buch sein, aus welchem Paulus nach Mommsen so viel geschöpft haben soll., bis auf seine Zeit verfasste; er starb 612. Wichtiger war für ihn noch eine andere, uns noch erhaltene langobardische Quelle aus dem Ende des siebenten Jahrhunderts, die kleine Schrift über die Herkunft des Langobarden-Volkes ( Origo gentis Langobardorum ), welche dem Edict Rothari's später vorgesetzt wurde Abgedruckt in der oben citirten Ausg. der Scriptores rer. Langobard. p. 1 ff Nach Mommsen S. 58 ff. hat, wie schon bemerkt, Paulus diese Schrift in einer ausführlicheren Gestalt vorgelegen.: es ist ein ganz kurzer Leitfaden der langobardischen Geschichte bis auf diesen König, und gerade als solchen hat Paulus auch das Büchlein zugleich benutzt, so dass es ihm doppelten Dienst leistete. Als Stoffquelle aber hat es ihm namentlich auch interessante Sagen geliefert. Von fremden Historikern hat Paulus vorzugsweise Gregor von Tours, Beda und die Gesta pontificum Romanorum benutzt, ferner in zweiter Reihe besonders die Schriften Gregors des Grossen und des Isidor S. darüber ausser Jacobi Waitz Praef. p. 26 und vgl. Mommsen S. 77 ff, der als eine Hauptquelle des Paulus »verlorene im byzantinischen Italien verfasste Annalen« annimmt, aus der Isidor und Beda selbst auch geschöpft hätten..

Auch eine strenge Ausscheidung des geschichtlich Bedeutenden darf man von diesem Werke ebenso wenig erwarten, als eine kritische Untersuchung der historischen Wahrheit, von der sich nur schwache Anfänge finden, so viel Wahrheitsliebe der Verfasser offenbar auch besitzt: und dennoch zeigt sich in diesem Werk ein Fortschritt der Historiographie dem verwandten des Gregor von Tours gegenüber Vgl. Bd. I, S. 544. in der Einschränkung des kirchlichen und geistlichen Elements, welches hier 47 keineswegs mehr dominirt, noch der Exponent der Geschichte ist, und zwar zum Theil gewiss in Folge des Arianismus der Langobarden, die an der Geschichte der katholischen Kirche lange Zeit nur einen negativen Antheil haben. An die Stelle der Herrschaft des kirchlichen Interesses tritt die des patriotischen, wie schon in der Gothengeschichte des Cassiodor-Jordanis, obwohl es sich da mit einem rein politischen mischt An Jordanis erinnert Paulus auch in der Anlage seines Werkes insofern als jener wie dieser mit der Darlegung der ältesten Sitze seines Volks, die auch in Skandinavien, beginnt, ganz im Gegensatz zu Gregor, der sein Werk vielmehr mit der Schöpfung anhebt. Dem Paulus wies aber da schon die Origo den Weg.. Nicht als Kleriker hat Paulus seine Geschichte geschrieben, wenn ihm auch Rom mehr als das Germanenthum zu gelten scheint; vielmehr, obgleich er ein guter Katholik ist und in abgeschiedener Klosterzelle schreibt, liebt er es doch, im Gegensatz zu Gregor, statt der Wunder der Heiligen die sagenhaften Thaten und Missethaten seiner Nationalhelden zu erzählen; und diese Erzählungen, welche ohne allen rhetorischen Aufputz oder moralische Salbung, schlicht und treuherzig berichten und oft durch eine reiche Ausführung im einzelnen aufs lebendigste veranschaulichen, bilden den grössten Reiz seiner ächt germanischen Nationalgeschichte. In diesem poetischen und zugleich volksthümlichen Sinn für die Sagen und Mythen der Vorzeit seines Stammes zeigt sich die weder durch seine romanische Bildung, noch durch seinen geistlichen Stand zerstörte germanische Natur unsers Autors aufs beste. – Welchen Beifall das Werk im Mittelalter fand, beweisen schon mehr als fünfzehn Auszüge und zehn Fortsetzungen desselben.

Von den theologischen Arbeiten des Paulus ist die mehrfach erwähnte Homiliensammlung nicht bloss für ihre Zeit eine dem Zweck entsprechende, geschickt gemachte Anthologie gewesen, wie die lang dauernde Anerkennung zeigt, die sie fand Sie blieb zehn Jahrhunderte im Gebrauch der katholischen Kirche. Dahn S. 52.; die Erklärung der Regel des h. Benedict liegt ausser dem Kreis unserer Darstellung, so dass wir auch von der Frage, ob sie uns in einer Handschrift von Montecasino erhalten S. darüber Bethmann S. 299 und Dahn S. 62., hier absehen können; hier interessiren 48 uns nur die Homilien, die unter Paulus' Namen eben dort sich gefunden haben; es sind vier, von denen aber nur eine von Bedeutung ist. Sie knüpft an den Bibeltext über Martha und Maria an, indem sie in jener das thätige, in dieser das contemplative Leben dargestellt sieht und nun sich über beide verbreitet. Die Art, wie hier die goldene Mittelstrasse empfohlen wird, das eine Leben mit dem andern zu verbinden, ist sehr bezeichnend für den Charakter unseres Autors, der, obgleich Mönch, vielmehr als ein Mann der Praxis, denn der Speculation sich bekundet und dabei eine milde tolerante Natur war.

Die Gedichte des Paulus, die uns erhalten sind – und es sind immerhin deren noch mehr als bei manchen andern Autoren jener Zeit – sind auch grossentheils Gelegenheitspoesien, wie die Gedichte des Alcuin, aber zum Theil von eigenthümlicher Art. Ich meine damit die an Karls Hofe entstandenen, von dem König selbst direct oder indirect veranlassten Gedichte, die uns recht in das auf wissenschaftlichem Grund erwachsene ästhetische Leben und Treiben dieses Hofes einführen, dem die Dichtung schon zur Unterhaltung und zum Schmucke diente. Es sind Antworten auf Gedichte und poetische Episteln des Petrus von Pisa, welche derselbe zum Theil direct im Namen Karls an Paulus gerichtet hat. Als Einleitung zu dieser poetischen Correspondenz erscheint gleichsam jene oben erwähnte Elegie von vierzehn Distichen Verba tui famuli etc. in Waitz' Praef. p. 15., worin Paulus in warmen rührenden Worten Karl um Freilassung des schon sechs Jahre gefangenen Bruders bittet, indem er in wenigen einfachen, aber ächt poetischen Zügen die Noth der Familie desselben schildert, die einst wohlhabend und angesehen, jetzt ihr Brod auf den Strassen betteln muss. Z. B.
        Illius in patria coniux miseranda per omnes
        Mendicat plateas ore tremente cibos.
Wohl noch der ersten Zeit seines Aufenthaltes an Karls Hofe gehört ein poetisches Duett des Paulus mit Petrus Bei Waitz l. l. p. 17 ff. Nos dicamus Christo etc. und Sensi cuius verba. in dem bekannten trochäischen Hymnenversmass an, das aber hier durchaus rythmisch und nicht quantitativ ausgeführt ist – ich komme 49 auf die Form weiter unten, im folgenden Buche, bei einer zusammenfassenden Betrachtung der rythmischen Verse dieses und des folgenden Zeitalters genauer zurück. Hier schreibt Petrus im Namen Karls: derselbe danke dem Himmel, der ihm in Paulus den gelehrtesten der Dichter sandte, welcher durch seine Kenntniss verschiedener Sprachen glänze, der ein Homer im Griechischen, ein Virgil im Lateinischen, im Hebräischen ein Philo sei. Als Dichter vergleicht ihn Karl noch mit Horaz und Tibull. Er hofft, dass Paulus im Felde seiner Liebe Wurzel gefasst habe, und sein Herz sich nicht mehr nach den alten Schlupfwinkeln ( latibula) sehne. Er sagt ihm grossen Dank besonders für den Unterricht, den er – ein früher von Karl nicht gehoffter Ruhm! – im Griechischen vielen         Credimus post Graecam, multis quam ostendis, regulam
Dies multis ist, was nicht überall geschehen, wohl zu beachten; ebenso auch die folgende, oben angedeutete Stelle:
        Qui cupis Graeco susceptos erudire tramite:
        Quam non ante sperabamus, nunc surrexit gloria.

Hieraus ergibt sich, dass Paulus zuerst zu dem Studium des Griechischen, das besonders hochgeschätzt ward, am Hofe Karls und zwar in weiteren Kreisen anregte.
ertheile, und namentlich den Klerikern, welche seine Tochter nach Byzanz begleiten sollten. S. oben S. 38. Er hofft sogar, dass Paulus auch im Hebräischen die Gelehrten unterrichten werde. – Paulus lehnt in seiner Antwort das – allerdings scherzhaft übertriebene – Lob, welches er nur für »Ironie« nehmen könne, in humoristischer Weise nicht minder übertreibend ab: er will verderben, wenn er wünsche jenen alten Heiden, mit denen er verglichen ward, ähnlich zu sein, die er selbst lieber mit Hunden vergliche; griechisch und hebräisch versteht er nicht, bis auf ein paar Silben, die er in der Schule eingeheimst, und wenn jene Kleriker nicht mehr griechisch in Byzanz hervorbringen können, als sie von ihm gelernt, so werden sie dort als stumme Statuen verspottet werden. Indess, um zu zeigen, dass er der Sprachen nicht ganz unkundig, theilt er am Schlusse ein griechisches Epigramm in lateinischer Uebersetzung mit. (Das Epigramm war wohl zugleich im Original beigefügt.) Der scherzhafte Ton des Gedichts stimmt gut zu dem populären Versmaass.

50 Ein andres Beispiel dieser poetischen Correspondenz des Paulus mit dem König, das sich erhalten, ist aus späterer Zeit. Karl, der auch hier durch das Organ seines Grammatikers spricht, bezieht sich in seiner Epistel (25 Hexameter) Paulo sub umbroso etc. S. Gedichte aus dem Hofkreise Karls d. Gr. herausgeg. v. Dümmler in: Ztschr. f. deutsch. Alterth. Bd. XII, S. 452. auf ein an ihn gerichtetes (nicht mehr erhaltenes) Gedicht des Paulus, worin dieser frohlocke, von ihm zu Ehren angenommen worden zu sein, und Christus und Gott durch erhabene Gesänge feiere, weil sie ihn nach der Finsterniss das Licht schauen liessen. Paulus bete darin für den König; er sage, es wäre für ihn (Paulus) der Sorge genug gewesen, jetzt liege der hässliche Kummer hinter ihm. – Auch ich kann, wie schon Bethmann (S. 262), nur annehmen, dass das von Karl angezogene Gedicht des Paulus eine Danksagung für die endliche Gewährung seiner Bitte, die Freilassung des Bruders und die Rückgabe des Vermögens der Familie, enthielt. – Aber, fährt der König in seiner poetischen Epistel fort, Paulus sei ihm noch die Antwort auf dreierlei schuldig geblieben: ob er lieber wolle mit Ketten belastet sein, oder in einem furchtbaren Kerker liegen, oder vor das Angesicht des wilden Dänenkönigs Sigfrid treten, um ihn zu taufen. – Wahrscheinlich hatte Karl im Scherz bei der Begnadigung Paulus die Wahl zwischen diesen drei Bussen gelassen. Nicht sowohl als Stellvertreter des Bruders, glaub' ich, als vielmehr der Familie sollte er die Busse leisten. – Am Schluss des Gedichts fügt Karl aber auch noch ein Räthsel zur Lösung bei.

Paulus antwortet auf diese Epistel mit siebenundzwanzig Distichen Sic ego suscepi etc. a. a. O. S. 452 ff., worin er auf den Scherz des Königs eingehend, mit Humor und wahrhaft fein erwidert: »Gefängniss und Banden sind unnöthig, gefesselt bin ich schon durch meines Königs und Herren Liebe«; Paulus liebt ihn so heiss, wie Petrus Christus, nachdem dieser ihm nach der Verläugnung seine Schuld erlassen. Das grimmige Angesicht des Sigfrid aber zu sehen, verspreche kaum einigen Nutzen, sie würden sich ja nicht verstehen. Ja man würde ihn, den Paulus – in seiner Mönchstracht – für einen Affen oder ein Borstenthier halten und sein – kahles – Haupt verspotten. Sigfrid aber, den 51 Paulus mit einem struppigen Bocke vergleicht, werde nicht wagen, nur mit dem kleinen Finger ihn zu berühren, so fürchte er Karls Namen und Waffen. Er werde noch entweder freiwillig sich Karl unterwerfen, oder mit gebundenen Händen vor ihm erscheinen, ohne dass Thonar und Wodan ihm helfen könnten. – Zum Schluss gibt Paulus eine Auflösung des Räthsels, die, wenn sie nicht die rechte, woran er selbst zweifelt, doch eine für den König schmeichelhafte war.

Petrus correspondirte aber auch im eigenen Namen mit Paulus, wenn auch vielleicht selbst hierbei zugleich im Auftrag des Königs, so sendet er in einem Gedichte ( Lumine purpureo etc. 45 Hexam.) A. a. O. S. 454. dem Paulus ein Räthsel, das während der Mittagszeit, die der Dichter im Eingang, an Virgils Eklogen erinnernd, schildert, ein schöner junger Mann ( iuvenis), den er höchlichst rühmt, der alle an Geist und höchstem Namen übertrifft, ihm selbst aufgegeben. War dieser Iuvenis nicht Karl selbst, wie Dahn vermuthet S. 43; wenn man aber zu dem Iuvenis noch den Vers: de cuius niveo florebat barbula mento in Betracht zieht, so möchte man doch eher an einen kaum zum Jüngling Herangereiften denken, der den Namen Karl führte. Karls gleichnamiger Sohn lässt sich freilich, weil noch zu jung, nicht annehmen., so kam er doch gewiss in seinem Auftrag. Da die Lösung des Räthsels Petrus Kräfte übersteige, sendet er es dem ›büchergewaltigen‹ Bruder, nur solle er ihn nicht deshalb noch mehr verspotten, vielmehr, wenn er dazu geneigt, eines Dactylus gedenken. So folgt hiermit ein zweites Räthsel. Letzteres löst Paulus in dem kleinen Gedicht in Distichen: Iam puto etc. A. a. O. S. 455 f. – der Dactylus ist desine –; das andre Räthsel aber, das dem Petrus zu schwer war, in einem längeren Gedicht von 47 Hexametern ( Candide lumbifido) In: Lebeuf, Dissertations sur l'histoire de Paris I, p. 411. Bei Dahn S. 86., in welchem er am Schlusse selbst seinem Landsmann ein Räthsel aufgibt. So haben wir also auf die eine Epistel des Petrus zwei Antworten des Paulus. Ein andres Gedicht des letzteren ( Cinthius occiduas etc., 24 Hexam.) Dümmler a. a. O. S. 456., das auch auf jene Epistel Bezug nimmt, weist auf andre poetische 52 Wettkämpfe satirischer Art zwischen beiden, offenbar nahe befreundeten Gelehrten hin, Wettkämpfe, die sie zur ästhetischen Unterhaltung des Königs ausführten. Es ist, wie man sieht, eine Poesie des Hofs, der Gesellschaft.

Neben solchen Dichtungen hat Paulus bei seinem Aufenthalte in Francien auch Epitaphien in Versen verfasst, die sich zum Theil weit über andre jener Zeit, auch die des Alcuin, erheben; so hat er eins für das Grab des Fortunat bei seinem Besuche desselben auf den Wunsch des Abtes von St. Hilaire gedichtet Von Paulus selbst in seiner Hist. Langob. l. II, c. 13 mitgetheilt., und wie oben ( S. 41) bemerkt, eine Anzahl für Gräber der königlichen Familie in Metz. Unter diesen Epitaphien findet sich ein vortreffliches, es ist das schöne Lobgedicht von 18 Distichen auf die Königin Hildegard. Nach ihrem Stamme rühmt hier Paulus zuerst die Anmuth ihrer zarten blühenden Schönheit, der Lilien mit Rosen gemischt kaum gleichkamen; übertroffen aber wurde diese noch von den Vorzügen des Herzens und Geistes, ihrer Sanftmuth und Klugheit, ihrem Fleiss und Frohsinn; aber, ruft der Dichter aus, was ist weiter zu sagen nöthig, da es kein grösseres Lob für dich gibt, als einem so grossen Manne gefallen zu haben! Sie theilte seinen weltbeherrschenden Scepter, und so beweinen sie denn alle Nationen; die starken Herzen der Männer sind zu Thränen gerührt, die zwischen den Schilden und Schwertern herabfallen. – Man sieht, das Gedicht ist alsbald nach dem Tode Hildegardens verfasst. Die Königin hatte offenbar auch das Herz unsers Paulus gewonnen.

Wie viel er als Dichter zu leisten vermochte, wo sein Gemüth tief ergriffen war, zeigt noch ein andres Epitaphium, das er später in Italien seinem Freund und Gönner, dem Herzog Arichis gewidmet hat. An der Verfasserschaft des Paulus ist um so weniger zu zweifeln, als dies Epitaph an das der Hildegard gewidmete erinnert, so findet sich hier namentlich der » Romuleusque Tibris« am Ende eines Distichon wie dort. – Das Gedicht ist überliefert durch das Chronicon Salernitanum I, 20; auch bei Dahn S. 95. – Ein historisch interessantes, ästhetisch nicht unbedeutendes Epitaph auf Adelperga's Mutter, die Königin Ansa wird auch Paulus nicht ohne Grund beigelegt. S. dasselbe bei Waitz, Script. rer. lang. p. 191 und vgl. darüber Dahn S. 67 f. Dies Gedicht hat einen noch elegischeren Charakter durch die innige Theilnahme an dem Schmerze 53 der Wittwe, der Paulus hier einen rührenden Ausdruck gibt. Von Arichis rühmt er vor allem die gelehrte Bildung und die Bauten, namentlich die hohen Mauern, womit er das Vaterland schmückte: sie würden sein Lob verewigen.         Ornasti patriam doctrinis, moenibus altis:
            Hinc in perpetuum laus tua semper erit.

Und einige Verse danach:
        Nec minus excelsis nuperque condite muris
            Structorem, orbe, tuum, clare Salerne, gemis.
Eben dieselben gaben ihm auch schon bei Lebzeiten des Herzogs die Veranlassung zu einem Gedicht (von 32 Hexam.), worin er Arichis auch zugleich in der andern Beziehung rühmt. Das Gedicht beginnt:
        Aemula Romuleis consurgunt moenia templis,
        Ampla procul fessis visenda per aequora nautis

da heisst es denn auch von Arichis v. 15 ff.:
        Omnia componens quem sic sapientia compsit,
        Redderet ut variis satis artibus esse potentem,
        Quo merito Latiae dicatur gloria gentis,
        Bardorum et culmen – –

( Bardorum für Langobardorum). – Das Gedicht ist zuerst herausgegeben von Dümmler in der Zeitschr. f. deutsch. Alterth. N. F. IX, S. 471. Die Uebereinstimmung im Inhalt wie im Ausdruck mit dem vorher erwähnten lässt nicht daran zweifeln, dass beide Gedichte denselben Verfasser haben.
– Aber auch der »frommen Adelperga« hat Paulus' Muse gedient. Dies bezeugt wenigstens ein Gedicht, das älteste Werk überhaupt, das sich von ihm erhalten ( A principio etc.), welches in mancher Beziehung recht bemerkenswerth ist. Wie wir aus ihm selbst erfahren, ist es im J. 763 verfasst; es gibt nämlich die Hauptepochen der Weltchronologie – zum Theil in eigenthümlicher Art Diese Epochen sind: 1) von Anfang der Welt bis zur Sündfluth 2242 Jahre, 2) von da bis Abraham 942, 3) bis zur Gesetzgebung Mosis 505, 4) bis zur Weihe des Tempels durch Salomo 480, 5) bis zur babylonischen Gefangenschaft 512, 6) bis zur Geburt Christi 518, 7) bis auf des Dichters Zeit 763. Von diesen sieben Epochen entsprechen 1 und 2 den beiden ersten Weltaltern, ebenso 6 und 7 den beiden letzten; dagegen geht das dritte Weltalter bis auf David, so dass es noch etwas mehr als die 3. und 4. Epoche umfasste; das vierte Weltalter erstreckt sich dann auch bis zur babylonischen Gefangenschaft. Vgl. Bd. I, S. 224 ff. – Das Gedicht findet sich bei Waitz, Praef. p. 13 f. und bei Dahn S. 76. – wie zum Auswendiglernen für den Unterricht und in dem oben erwähnten, auch später noch von Paulus angewandten populären Versmass des rythmischen trochäischen Tetrameter, 54 von dem hier zwölf dreizeilige Strophen das Acrostichon » Adelperga pia« bilden. So beurkundet das Gedicht auch die Stellung, welche Paulus als Lehrer zu der Herzogin einnahm.

Noch ein elegisches Gedicht von Bedeutung wird dem Paulus nicht mit Unrecht beigelegt, ein Lobgedicht auf den Comersee in 15 reciproken Distichen. Ordiar unde tuas etc. Herausgeg. von Dümmler, Zeitschr. f. deutsch. Alterth. XII, p. 451 und in H. Müller's Symbolae ad emendand. script. lat. Berlin 1876. Hier begegnen wir einmal, was selten im älteren Mittelalter, einem Landschaftsgemälde, indem der Dichter den ewigen Frühling, den grünen Rasen, und die das Ufer umsäumenden »lachenden Gärten« mit ihren Oelbäumen, Granaten, Myrthen, Pfirsichen und Citronen rühmt. Der Schluss hat einen etwas geistlichen predigerhaften, obschon damit nicht unpoetischen Anstrich, wenn der Dichter den See ermahnt, sich vor dem Verbrechen zu hüten, in seinen zitternden Wellen die Nachen mit Menschen zu verschlingen, um so sein Lob sich zu erhalten.

Sehr wahrscheinlich hat Paulus auch drei Fabeln verfasst, die in einem Collectivcodex mitten unter authentischen Gedichten desselben überliefert worden sind. Sie sind für die Geschichte der Thierfabel höchst merkwürdig, und zeigen im Verein mit der von Alcuin uns erhaltenen Fabel S. oben S. 32., wie auch diese Dichtungsart an dem ästhetischen Hofe Karls gepflegt wurde, denn eine von den dreien des Paulus scheint direct an Karl adressirt zu sein. Es ist die von uns zuletzt aufgeführte: sie schliesst:
        Servulus ecce tuus depromit hos tibi versus,
            Fabula quid possit ista, require valens.

Es wird hierdurch meines Erachtens die Autorschaft des Paulus unterstützt.
In ihnen bekundet sich auch das anmuthige Erzählungstalent unseres Autors zugleich mit dem humoristisch-ironischen Zuge, der ihm eigenthümlich. In der That sind diese drei in Distichen verfassten Fabeln, zumal für jene Zeit, in der Ausführung vortrefflich. In der einen, De vitulo et ciconia Herausgegeben zugleich mit der folgenden von Müllenhoff in der Zeitschr. f. deutsch. Alterth. N. F. I, S. 319 f., brüllt das hungrige Kälbchen und der Storch sagt ihm zum Trost, dass er selbst schon seit drei Jahren 55 entwöhnt sei. »Deine Beine zeigen es auch, womit du dich genährt«: erhält er zur zornigen Antwort. In der zweiten Fabel treten das Podagra und der Floh auf. Beide machten schlechte Geschäfte, als das erstere den Armen, der Floh den Reichen heimsuchte; sie vertauschen die Rollen und so ist ihnen beiden geholfen. Die dritte behandelt die Heilung des kranken Löwen. Der Schluss (von v. 41 an) wurde zuerst publicirt, von Dümmler in der Zeitschr. f. deutsch. Alterth. XII, S. 459 nach der St. Galler Handschr. des 10. Jahrh., wo der Anfang fehlt (aus ihr sind auch die beiden andern Fabeln edirt); die Ergänzung lieferte Weiland in derselben Zeitschr. N. F. II, S. 497 f. auf Grund einer Fuldaer Handschr. des 15. Jahrh., die offenbar auf den St. Galler Codex zurückgeht, wenn auch vielleicht nicht unmittelbar. – S. über diese Fabel Müllenhoff, Zeitschr. f. d. A. N. F. VI, S. 3. Originell ist hier im Unterschied von der äsopischen Fabel, dass der Bär der Ankläger des Fuchses ist und sein Fell lassen muss an der Stelle des Wolfes und der witzige Zug, dass der Fuchs vor dem Könige mit vielem zerrissenen Schuhwerk auf dem Rücken erscheint, zum Zeugniss, wie viel und wie weit er gelaufen um den Arzt aufzufinden, der dem Könige helfen kann und das Bärenfell als Arznei verordnet.

Die geistliche Poesie des Paulus tritt hinter seiner weltlichen entschieden zurück. Die uns bekannte und erhaltene ist vornehmlich seinem heil. Benedict gewidmet. Es sind einmal zwei Gedichte auf ihn, die Paulus selbst in seiner Langobardengeschichte (l. I, c. 26) mittheilt. Das eine ist eine Elegie von 66 reciproken Distichen, in welcher auf Grund der Dialoge Gregors S. Bd. I, S. 521. eine panegyrische Verherrlichung des Lebens und der Wunder des Heiligen gegeben wird, indem in der Regel einem jeden der letzteren, wie Paulus selbst auch anzeigt, ein Distichon gewidmet ist. Nur findet sich daneben auch eine Erwähnung anderer Thatsachen aus Benedicts Leben, s. z. B. v. 13 ff.: die Schilderung seines Einsiedlerlebens. So sind die Wunder nur angedeutet, und das Gedicht setzt ihre Kenntniss voraus, da es ohne dieselbe oft gar nicht zu verstehen ist. Vielleicht hatte das Gedicht den Zweck, die Reihenfolge der Wunder dem Gedächtniss einzuprägen. Dasselbe gilt auch von dem andern Gedicht, einer für den Festtag des Heiligen verfassten Hymne in iambischen Dimetern, in der auch 56 seine Wunder den Inhalt bilden. Mit einiger Wahrscheinlichkeit ist Paulus auch als Verfasser eines Gedichts auf die Schwester des h. Benedict, die h. Scholastica In: Mabillon, Acta S. S. ord. S. Bened. Saec. I, p. 42.– Dümmler vermuthet als Verfasser den Alberich von Montecasino (Ende des 11. Jahrh.), s. N. A. IV, S. 103. zu betrachten, welche ein Nonnenkloster in der Nähe von Montecasino gegründet hatte. Dies Gedicht, ganz in demselben Metrum als die erwähnte Elegie auf den heil. Benedict, bildet zu dieser ein Pendant gleichsam. Es ist für das Fest der Heiligen geschrieben, und erzählt hauptsächlich das Wunder, dass bei einem Besuche ihres Bruders am Tage vor ihrem Tod Gott auf das Gebet der Heiligen ein Unwetter sendet, um Benedict die Nacht bei ihr bleiben zu lassen, was er selbst ihren Bitten verweigert hatte. Dies Gedicht (40 recipr. Distichen), das in der Schilderung der geschwisterlichen Liebe der beiden Heiligen einen eigenthümlichen Reiz besitzt, ist, zumal bei seinem klaren gewandten Ausdruck, viel ansprechender als sein Seitenstück. Beigelegt wird dem Paulus u. a. noch (zuerst im 12. Jahrh.) die berühmte Hymne auf Johannes den Täufer in sapphischen Strophen, von welchen die erste in den Anfangssilben der ersten sechs Halbverse ut, re, mi, fa, sol, la dem Guido von Arezzo die Namen seiner Noten lieferte. S. die Hymne bei Daniel, Thesaur. hymnolog. I, p. 208 und Dahn a. a. O. S. 98. Ferner werden ihm noch in neuerer Zeit zugeschrieben 62 Hexameter (bei Meurisse, Hist. de Metz), worin eine Liste der Bischöfe von Metz bis auf Angilram, der zu des Verfassers Zeit »die Heerde weidete«, gegeben wird. Der Verf. würzt die trockene Aufzählung durch eine Spielerei mit der Etymologie der Namen, z. B. Sambatus octavus bene mystica Sabbata servat. Das Gedicht, dessen Handschrift noch aus der Zeit Karls d. Gr. sein soll, ist allerdings höchst wahrscheinlich auf Grund der Schrift des Paulus verfasst, aber sicherlich nicht von ihm. Eher könnte noch der Hymnus auf Johannes ihn zum Verfasser haben.

 


 << zurück weiter >>