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Zwanzigstes Kapitel.

Weltliche Biographien: Vitae Ludovici.

Die rein weltliche, politische Biographie ist in dieser Periode durch zwei Lebensbeschreibungen Ludwigs des Frommen vertreten, beide Vita Ludovici imperatoris betitelt. Die ältere ist noch bei Lebzeiten Ludwigs geschrieben: sie reicht nur bis zum Jahre 835 und ist, wie es scheint, 837 beendet. Ihr Verfasser ist Thegan, Chorbischof von Trier Monum. German. histor., Script. T. II p. 585 ff. ed. Pertz (Praef.) – Simson, Ueber Thegan den Geschichtschreiber Ludwigs des Frommen. In Forsch. zur Deutsch. Gesch. X, S. 325 ff. – Foss, Ludwig der Fromme vor seiner Thronbesteigung (Progr. des Friedr.-Wilh.-Gymn. in Berlin 1858).. Der Name 359 ist vielleicht eine verkürzte Form von Theganbert. Thegan stammte aus einer vornehmen fränkischen Familie und war sich seines Adels wohl bewusst. Wie der mit ihm befreundete Walahfrid, welcher das Werk zuerst, und zwar nach Ludwigs Tode herausgab, in seiner Vorrede mittheilt, hatte Thegan zwar eine grosse Belesenheit, war aber kein Literat, kein Gelehrter; dafür war er durch seine praktische Berufsthätigkeit als Prediger und Seelsorger zu sehr in Anspruch genommen. Novimus et nos virum multa lectione instructum, sed praedicationis et correctionis studiis occupatum. – Wenn in dem an Thegan gerichteten Jugendgedicht Walahfrid der Carmina desselben gedenkt und ihn als strengen Kritiker der eignen Verse fürchtet, so erklärt sich dies aus dem Respect, den dem jungen Mönche der angesehene Bischof einflössen musste. Damit entschuldigt Walahfrid den »etwas ungebildeten Ausdruck« ( quantulacunque rusticitas ), womit höflich die grosse grammatische Fehlerhaftigkeit angedeutet wird. – Diese Biographie ist nicht, wie die Einhards, ein Suetonisches Kunstwerk, sondern, wie schon ihr Herausgeber bemerkt, nach Art der Annalen ( in morem annalium ) verfasst, oder genauer gesagt, als Chronik, d. h. mehr oder weniger in einem Zuge geschrieben, wenn auch wohl auf Grund jährlicher Aufzeichnungen; daher sind denn auch die letzten Jahre so viel ausführlicher behandelt. Thegan gibt also eigentlich eine annalistische Geschichte, mit biographischer Zuthat, von dem »Kaiser« Ludwig.

Die sieben ersten, zum Theil recht kleinen Kapitel bilden die Einleitung; in denselben wird von der Abkunft Ludwigs von väterlicher und mütterlicher Seite, von seiner Jugend, seiner Vermählung und seinen Kindern, dem Tode seiner Brüder, der ihm den Weg zum Kaiserthum bahnte, in Kürze, dann ausführlicher von seiner Ernennung zum Mitregenten und Krönung, sowie von Karls des Grossen Tode gehandelt. – Vom achten Kapitel an folgt nun des Kaisers Geschichte chronologisch, meist auch mit annalistischer Kürze erzählt. Doch finden sich auch ausführlichere Partien, ja Abschweifungen: so wird nach der Consecration Ludwigs durch Papst Stephan (i. J. 816) ein Charakterbild des frommen Kaisers in einem längern Kapitel (19) gegeben; es ist recht bezeichnend für Thegan, dass es an dieser Stelle geschieht, als wenn durch die päpstliche Consecration Ludwig erst voller Kaiser geworden wäre. In diesem Kapitel ist die Vita Caroli Einhards 360 sein Vorbild gewesen. An die Charakteristik Ludwigs, und zwar an die Bemerkung, dass derselbe seinen Räthen mehr als nöthig vertraute, wird aber im folgenden Kapitel (20) eine noch ausführlichere Digression geknüpft, in welcher der Verfasser seinen Zorn über die schädliche Beförderung von Leuten niedriger Geburt, namentlich geborenen Leibeigenen, zu hohen Kirchenämtern auslässt. Ihr Uebermuth, ihr Nepotismus gegen ihre gemeine Verwandtschaft, der sie die geistliche Laufbahn eröffneten, wird mit scharfen Worten verurtheilt, so dass unsern Autor der Zorn hier selbst beredt macht. Da heisst es: Postquam illi tales culmen regiminis arripiunt, numquam sunt antea tam mansueti et sic domestici, ut non statim incipiant esse iracundi, rixosi, maliloqui, obstinati, iniuriosi et minas omnibus subiectis promittentes, et per huiuscemodi negotia cupiunt ab omnibus timeri ac laudari. Turpissimam cognationem eorum a iugo debitae (!) servitutis nituntur eripere et libertatem inponi. Tunc aliquos eorum liberalibus studiis instruunt, alios nobilibus feminis coniungunt, et propinquas eorum filios nobilium in coniugium compellunt accipere. – – Propinqui vero superdictorum, postquam aliquid intellegunt, senes nobiles derident atque despiciunt, sunt elati, instabiles, incontinentes, inpudici, inverecundi – – Ein interessantes Sittenbild! Ebenderselbe macht sich in einer andern ausführlichen Abschweifung Luft bei Gelegenheit der Absetzung Ludwigs in Compiegne im 44. Kapitel, worin Thegan den Erzbischof von Reims, Ebbo aufs heftigste angreift, der unter den hohen Prälaten am beleidigendsten gegen den Kaiser aufgetreten war: und dieser »unverschämte und grausamste« war von Geburt nur ein Leibeigener. Ist es nur das adlige Standesbewusstsein des Thegan, das sich hier so empört, sowie seine eifrige Treue gegen den Kaiser, mit der Walahfrid diese zornigen Ergüsse entschuldigt In cuius quibusdam sententiis quod effusior et ardentior in loquendo videatur, ut vir nobilis et acris animi, quod de indignitate vilium personarum dolor suggessit, tacere non potuit. Praeterea nimius amor iustitiae et executoris eius, christianissimi imperatoris, zeli naturalis exaggeravit dolorem. Praef.; oder hatte er von Ebbo und seines Gleichen auch persönliche Kränkungen und Zurücksetzung erfahren, zumal der erstere auch ein Gegner des damals in Westfrancien so bestrittenen Chorepiscopats war? Vgl. Simson S. 346.

Diese Digressionen sind die ausführlichsten Kapitel im 361 ganzen Buche; sonst gibt unser Verfasser fast immer statt einer lebendigen Erzählung nur einen trockenen und kurzen Bericht, der bis zum Jahre 833 auch sehr dürftig ist: erst von diesem und namentlich dem folgenden Jahre wird ausführlicher gehandelt. Indem er dann am Ende seines Berichts vom Jahre 835 den Segen des Himmels auf Ludwig erfleht, schliesst er mit einem Amen sein Werk, das auch durch manche lange Bibelcitate, bei Gelegenheit seiner subjectiven Auslassungen, den theologischen Autor nicht verläugnet.

In einer Handschrift findet sich noch ein kleiner Anhang über die zwei folgenden Jahre, der aber nicht in Walahfrids Ausgabe war, ganz in demselben Geist und Stil als das Buch des Thegan, schwerlich aber von ihm selber.

Obgleich kein officieller Geschichtschreiber, ist Thegan doch weit entfernt von Unparteilichkeit, wozu schon die Heftigkeit seiner Natur, sein zelus naturalis , wie Walahfrid sich ausdrückt S. oben Seite 360 Anm. 2., ihn unfähig machte, zumal in einer von solcher Parteileidenschaft beherrschten Zeit. Hand in Hand mit seiner Sympathie für den alten Kaiser geht seine Antipathie gegen Lothar, während er dagegen Ludwig den Deutschen sehr begünstigt, ja ihn rein zu waschen sucht. S. Simson S. 341 ff. Derselbe meint sogar, Thegan hätte deshalb über d. J. 837 seine Geschichte gar nicht fortsetzen können. Allerdings handelte aber Ludwig in der That auch besser gegen seinen Vater als Lothar. – Bei alledem ist Thegans Werk durch das selbständig gesammelte Material als historische Quelle wichtig.

 

Die andre Vita Ludwigs des Frommen Ed. Pertz: Monum. German. historica, Scriptores T. II, p. 604 ff. – – Simson Jahrb. Bd. II, S. 294 ff. Excurs II: Ueber die Vita Hludovici des Astronomus. – Meyer v. Knonau, Ueber Nithards vier Bücher Geschichten S. 129 ff. (Excurs III. Ueber die Zerrüttung der Chronologie in den letzten Theilen des Astronomus. Exc. IV. Die Umarbeitung des dritten Theils der fränk. Königsannalen durch Astron. Exc. V. Vergleichung der Parallelstellen des Nithard und Astron. mit den der fränk. Königsann. u. des Astron.) ist ein weit grösseres Werk, da sie nicht nur auf das ganze Leben Ludwigs gleichmässig sich erstreckt – nicht bloss den »Kaiser« zu ihrem Helden macht, sondern auch in der Darstellung 362 weit ausführlicher ist. Den Verfasser, dessen Namen unbekannt geblieben, hat man den Astronomen genannt, weil er, wie er in dem Werke selbst sagt, als der Astronomie kundig galt, und den Kaiser, der sich für dieselbe besonders interessirte, darin berieth. In Bezug auf die Erscheinung eines Kometen i. J. 838 heisst es c. 58: Quod cum imperator talium studiosissimus, primum ubi constitit, conspexisset, antequam quieti membra committeret, accitum quendam (idem me qui haec scripsi et qui huius rei scientiam haberi credebar) percontari studuit, quid super hoc mihi videretur. Er war ein Gelehrter von mannichfachen Kenntnissen, selbst von medicinischen, nach seinem Werke zu urtheilen, das uns über ihn den einzigen Aufschluss bietet. Dem geistlichen Stande gehörte er offenbar an, ja es zeichnet ihn eine ultramontane Gesinnung aus, indem er dem Papstthum besondere Verehrung darbringt. Ausser dem von Simson S. 296 Angeführten beachte man auch solche Stellen wie den Eingang des c. 4. Er scheint im Dienste des Kaisers, wenigstens seit 829 gewesen zu sein – wenn er sich wohl auch nicht ständig am Hofe aufhielt – denn er berichtet nach eigener Aussage S. die Anm. der folgenden Seite. auch als Augenzeuge von dem, was sich dort begab. Aus einer nahen persönlichen Beziehung zu dem Kaiser, die auch durch Thatsachen in seinem Werke bezeugt wird S. schon oben Anm. 1., erklärt sich auch allein die blinde Parteilichkeit für ihn, das ihm gezollte übertriebene, oft durchaus unmotivirte Lob, welches schon den Zeitgenossen wie Ironie klingen musste. So wenn er bei dem Tode Karls des Grossen sagt: At vero in eius successore veridica probata est scriptura, quae in talibus tribulantium consolans animos dicit: »Mortuus est vir iustus et quasi non est mortuus; similem enim sibi reliquit nlium haeredem.« c. 20. Das Werk ist aber ein paar Jahre nach Ludwigs Tod abgefasst, so dass man deshalb den Verfasser kaum einen Schmeichler nennen kann: er müsste denn bei Karl dem Kahlen und der Kaiserin-Wittwe sich damit haben empfehlen wollen.

Schon in der Vorrede gibt der Verfasser seine begeisterte Verehrung für den Kaiser kund. Der Nutzen, den die Geschichte in dem Berichte der Thaten der Fürsten, die als Vorbild wie als Warnung dienen können, bietet, treibt ihn an, die Handlungen und das Leben des Gott lieben ( Deo amabilis ) und 363 orthodoxen Kaisers Ludwig aufzuzeichnen. Dieser Stoff sei aber ein so grosser, dass ihm selbst das Genie grosser Männer erliegen müsse. Denn Ludwig besass alle vier Cardinaltugenden, und in solchem Grade, dass man nicht wusste, welche man in ihm am meisten bewundern sollte; nur einen Fehler hatte er, den zu grosser Milde.

Das Werk, welches von der Geburt Ludwigs bis zu seinem Tode reicht, ist eine biographische Chronik, die, weil der Held ein Herrscher, zugleich zur Geschichte seiner Regierung wird. Drei Theile lassen sich in dem Werke unterscheiden, von denen der erste bis 814, zur Kaiserherrschaft Ludwigs geht. In ihm wird seine Jugend, seine Regierung in Aquitanien behandelt, welches Land ja Ludwig schon bei der Geburt zum Königreich bestimmt wurde. Hier werden namentlich auch die Verhältnisse des Frankenreichs zu Spanien, die Kämpfe mit den Mauren, aber auch mit den Basken, zum Theil selbst im einzelnen geschildert: diese Partie ist als historische Quelle von besonderem Werthe, nicht minder aber für die Karlsage wichtig, wie denn auch hier der Niederlage von Ronceval (c. 2) gedacht wird, aber auch manches andre, was mittelbar mit ihr zusammenhängt, sich erwähnt findet. In diesem ersten Theile folgt aber der Verfasser, wie er im Vorwort bemerkt, dem Berichte ( relatio ) des sehr edlen und frommen Mönches Adhemar, der gleichalterig mit Ludwig und mit ihm auferzogen war. Porro quae scripsi usque ad tempora imperii Adhemari nobilissimi et devotissimi monachi relatione addidici, qui ei coaevus et connutritus est; posteriora autem, quia ego rebus interfui palatinis, quae vidi et comperire potui, stilo contradidi. Es scheint mir sicher, dass diese relatio eine schriftliche, ein Buch war, welchem der Astronom ebenso treu gefolgt ist, als danach den Reichsannalen; das Buch behandelte aber wohl die Geschichte Aquitaniens, und auch vor Ludwigs Zeit: dies alles schliesse ich aus dem Anfange des Werks des Astronomen, der sonst unerklärlich wäre. Er macht ganz den Eindruck eines Ausschnitts aus einem Buche, nur dass der erste Satz, von dem Astronomen selbst davor geschrieben, eine Art von Eingang bilden soll. Die Vita beginnt nämlich mit der Erzählung von der Unterdrückung eines Aufstands in Aquitanien i. J. 769, also neun Jahre vor Ludwigs Geburt; dieser Erzählung ist aber ein Satz allgemeiner Phrasen über Karl den Grossen vorausgesandt. – So erklärt es sich auch, dass, wie der Uebersetzer des Astronomen, Jasmund, schon richtig bemerkt, (Einleitung S. VI), in diesem Theil Erzählung und Sprache am besten sind: es kommt dies eben auf Rechnung des Adhemar. Hier ist, dank der Vorlage, die Darstellung am besten, 364 durch lebendige Anschaulichkeit oft wahrhaft anziehend, namentlich in der Schilderung der Kriegszüge in Spanien, auf welchen der Mönch Ludwig wohl begleitete. Jedesfalls ruht seine Erzählung auf dem Berichte von Augenzeugen. – Der zweite Theil des Werks erstreckt sich bis zum Jahre 829. Hier folgt unser Autor den Reichsannalen, obgleich er auch noch andre Nachrichten, namentlich über kirchliche Dinge, bringt, und noch andre Quellen, wie Nithard, benutzt hat. – In dem dritten Theile endlich, der bis 840 geht, berichtet der Verfasser aus eigener Kunde oder selbst als Augenzeuge Auf diesen Theil allein kann der in der vorausgehenden Anmerkung citirte zweite Satz: posteriora etc. sich ganz beziehen. Wenn der Autor der für den zweiten Theil benutzten Reichsannalen unter seinen Quellen nicht gedenkt, so geschah dies wohl, weil er sie als allgemein bekannt annahm und die volle Ausnutzung einer solchen officiellen Quelle als selbstverständlich betrachtete. – (Girgensohn nimmt allerdings auch für den dritten Theil eine Benutzung der Fortsetzung der Reichsannalen – der sogen. Bertinianischen – an, in Forschungen zur deutsch. Gesch. X, S. 653 ff., was Simson aber verwirft a. a. O. S. 298, Anm. 5.), und so hat dieser Theil als Geschichtsquelle wieder besondern Werth, der freilich hier, wie auch sonst, durch eine verwirrte Chronologie eingeschränkt wird. – Wie es scheint, ist das Werk uns nicht unversehrt überliefert, indem ein grosser Theil der Geschichte des Jahres 824 ausgefallen ist. S. Simson S. 300.

Was die Diction betrifft, so beeifert sich der Verfasser, obgleich er in der Vorrede sich entschuldigt, dass das Werk in einem stilus minus doctus geschrieben sei, doch nicht selten gerade einer gelehrten Ausdrucksweise, aber indem er dann wieder von seinem Kothurn auf den platten Boden herabsinkt, macht sie recht den Eindruck des Gemachten, Gesuchten und Schwülstigen: das Ungleichmässige, Bunte der Ausdrucksweise ruht zum Theil auch darin, wie er seine eigne Rede mit der seiner Vorlagen mischt und diese mit hochtrabenden Phrasen auszuschmücken sucht. Man sehe z. B., wie er Ende c. 4 in einem ganz trockenen Bericht den Beginn des Herbstes anzeigt: Mansit ergo (Ludovicus) cum patre, inde usque ad Herisburc vadens, usquequo sol ab alto dedinans axe ardorem aestivum autumnali cumdescensione temperaret! Vgl. damit die im zweiten Theile c. 26 sich findende Umschreibung des hieme transacta der Reichsannalen, auf welche Meyer v. Knonau aufmerksam macht S. 134. 365

 


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