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Drittes Kapitel.

Gottschalk.

Ein andrer, schon genannter, berühmter Schüler Rabans, Gottschalk Migne, Patrologia latina Tom. 121, p. 345 ff. – Cellot, Historia Gotteschalci praedestiniani. Paris 1655. (Append.) – Dümmler, Gesch. des ostfränk. Reichs Bd. I, S. 311 ff. u. 384 ff. – Dümmler, N. A. S. 320. verdient hier als Dichter Erwähnung, und ist in dieser Rücksicht sogar besonders merkwürdig, so gering auch die Zahl der unter seinem Namen erhaltenen Gedichte ist. Der wichtigsten Momente seines Lebens bis zu seiner Verurtheilung auf der Synode zu Mainz 848 haben wir schon oben gedacht S. Seite 124 f., und auf die Geschichte seiner Prädestinationslehre kommen wir bei der Literatur, die sie hervorrief, soweit dieselbe in den Kreis unserer Betrachtung gehört, weiter unten wiederholt zurück. Seine eigene Lage wurde durch seine in Mainz beschlossene Auslieferung an den Erzbischof von Reims nicht gebessert. Der Groll des mächtigsten Kirchenfürsten Deutschlands ging auf den Westfranciens über, Hincmar verfolgte den unbeugsamen Mönch ebenso grausam als Raban. Auf der Synode von Quierzy im folgenden Jahre 849 wurde Gottschalks Lehre von neuem verdammt und er selbst, nachdem er fast zu Tode gepeitscht worden, zur ewigen Einsperrung in dem Reimser Kloster Hautviller verurtheilt. Nachdem ihm dann im Anfang noch das Schreiben gestattet und so der Verkehr mit der Aussenwelt ermöglicht war, wurde ihm nach einigen Jahren auch diese Freiheit entzogen, die er freilich benutzt hatte, um seinen erzbischöflichen Verfolger persönlich zu kränken. Gegen Ende des sechsten Jahrzehnts starb Gottschalk, bis zum Tode seinen Meinungen treu, unversöhnt mit der Kirche.

Was sich von prosaischen Werken desselben erhalten hat, ist ohne literarische Bedeutung, wie er denn auch nur 167 zkm Zweck seiner Vertheidigung es geschrieben hat. So haben wir zwei Confessionen, von denen die längere durch Stellen aus der Bibel und den Kirchenvätern seine in der Kürze dargelegte Prädestinationslehre begründen soll. Dann besitzen wir noch wenige Fragmente aus der auf der Mainzer Synode Raban übergebenen Vertheidigungsschrift, die von Hincmar in seinem Werk über die Prädestination angeführt sind. Capp. 5, 21, 24, 27, 29. Zur Verbreitung seiner Lehre bediente sich Gottschalk vornehmlich der mündlichen Rede.

Seine wenigen Gedichte sind dagegen literarhistorisch wichtig. Einmal eine poetische Epistel an Gottschalks Freund, den Corbier Mönch Ratramnus, die inhaltlich wie formell von besonderem Interesse ist, und um so mehr als ihre Authentie nicht zu bezweifeln. Ebenso wie bei der an Gottschalk gerichteten Epistel Walahfrids Canisius a. a. O. pag. 254 f. Migne, Walahfr. Opp. II, pag. 1115 f.: Gottschalk wird hier mit seinem Beinamen Fulgentius genannt, den er wohl nach dem Vertheidiger des Augustinismus, dem Bischof von Ruspe führte. geht dem in Hexametern verfassten Schreiben ein in lyrischem Metrum gedichtetes Vorwort voraus, worin die Muse – bei Gottschalk Clio, bei Walahfrid Calliope – aufgefordert wird, dem Freund den poetischen Brief zu überbringen. So beginnt Walahfrids Gedicht: Velox, Calliope, viam frequenta und das des Gottschalk: Age, quaeso, perge, Clio. Das Metrum sind bei Gottschalk anacreontische Ionica a minori, bei Walahfrid dagegen phaläcische Verse. Die Verse Gottschalks aber sind in verschiedener Weise durchweg gereimt. Um davon Beispiele zu geben, v. 21 ff. (Cellot p. 415):
        Tenearis ac decora,
        Videas sodalis ora,
        Bis enim venis ab illo
        Speciosa iam magistro,
        Adimens fel, imprimens mel.
Hiermit in Uebereinstimmung sind die Hexameter des Briefes selbst leoninische, mit die ältesten überhaupt, die mit Bewusstsein in einem grösseren Gedichte vollständig durchgeführt sind. Um dieselbe Zeit etwa ist die Widmung eines prachtvollen Evangelienbuchs, welches ein Mönch von Hautviller geschrieben, an Ebbo, den Erzbischof von Reims, auch in leoninischen Hexametern verfasst; sie beginnt:
Ebo, Remense decus, praesul pastorque coruscus,
Celsa et clara farus, sanctis per saecula carus,
Ordinis omnis honos pariterque piissimus heros.

Man sieht hier schon die verschiedenen Arten des Reims der Hexameter neben dem eigentlichen leoninischen sporadisch sich einfinden. Das Gedicht, das vor der Absetzung Ebbo's 839, aber nicht lange vorher geschrieben, weil das Werk ihm nicht übergeben ist, ist herausgegeben von Paulin Paris in den Comptes rendus der Académie des inscript. et belles-lettres Sér. IV, T. 6 Paris 1879, p. 98 f. – S. darüber auch Dümmler, N. A. S. 269.

Der Brief ist ein Antwortschreiben. Gottschalk dankt 168 zknächst dem Freunde für dessen »Metra«, womit er ihn unerwartet beglückt, indem er sie in poetisch überschwänglichen Ausdrücken rühmt. Sein krankes Gemüth habe in ihnen Trost gefunden. Möchte der Freund doch auch in Prosa ihm geschrieben haben – offenbar über Gottschalks Lehre ausführlicher. Er selbst könne dies nicht, ihm fehle die Zeit, da der Abt ihm bald das, bald jenes auferlege, auch fehle ihm die wissenschaftliche Bildung, habe er doch kaum ein Jahr die höhere Schule besucht Namque magisterio vix uno subditus anno. und auch hernach keinen Führer gehabt. Um eine klare Auslegung der Meinung ( sententia) Augustins habe er die zahlreichen Gelehrten seines Landes, und selbst solche des Auslandes brieflich gebeten, dreien von ihnen, dem Marcward, Jonas und Lupus, aber auch »den eigentlichen Sinn« (der Meinung) mitgetheilt: niemand habe ihm aber ausser einem geantwortet, der als ein Schlauer mit keiner Partei es verderben wolle. Aus dieser Stelle namentlich ergibt sich, dass das Gedicht in Orbais verfasst ist. Denn Gottschalk begann erst der Prädestinationslehre Augustins zu huldigen, darum fragte er um Rath. Ferner befand er sich, wie die oben auch angezogene Stelle: » ut saltem hinc fingere ternas Litterulas liceat, quoniam imperium Patris instat Ad patrandum aliquid, cum hoc, tum protinus illud« zeigt, in einem Kloster. Und endlich kann die andre oben wiedergegebenen Stelle: » Denique sunt multi, Domino donante, magistri Hac regione siti, ingenio locuplete beati, Unde palatina plerique morantur in aula« damals wohl nur auf Westfrancien bezogen werden. Man könnte hiernach selbst glauben, dass Gottschalk erst nach d. J. 840, d. h. nach dem Antritt der Regierung Karls des Kahlen seine Lehre ausgebildet oder doch mitgetheilt habe, wenn er sie auch schon längere Zeit bei sich herumgetragen. – Der Schluss der Epistel fehlt. In den letzten Versen wird noch des Unterschieds der Electi und Reprobi gedacht.

169 Zwar ist der Stil öfters hölzern bis zur Unklarheit: trotzdem zeigt aber das Gedicht nicht bloss, dass sein Verfasser auch die Schule der poetischen Kunst durchgemacht, sondern an einzelnen Stellen selbst, dass es dieser tief innerlichen, leidenschaftlichen Natur nicht an dichterischer Empfindung fehlen konnte.

Letzteres bezeugen noch mehr zwei rythmische Gedichte, die unter Gottschalks Namen in einer Handschrift des zehnten Jahrhunderts sich gefunden haben. In: Du Méril, Poésies populaires latines antérieures au XII. siècle. Paris 1843. p. 177 ff. u. 253 ff. In dem einen ( O Deus miseri ) bittet der Dichter Gott, sich seines elenden Knechts zu erbarmen, indem er ein Schuldbekenntniss ablegt, alle Heiligen, insonderheit Maria, Michael, Petrus, die Märtyrer, Patriarchen und Propheten, die frommen Jungfrauen sowie die Bekenner zur Unterstützung seiner Bitte anruft. Es ist ein langes Gedicht von zwanzig Strophen zu sieben Kurzzeilen, die sämmtlich auf einander reimen. Das andre Lied ( O quid iubes, pusiole ) von zehn Strophen zu sechs Kurzzeilen hat einen profaneren Charakter; es ist an einen jungen Schüler, wie es scheint von vornehmem Stande, gerichtet, der den Dichter auffordert »ein süsses Lied zu singen.« Dieser lehnt es zunächst ab, da ihm, der so fern von der Heimath, eher Weinen und Klagen zieme, und dem Schüler, mit ihm darin einzustimmen: war doch auch den Juden in Babylon zu singen verboten. Aber da der junge Freund auf seinem Wunsch besteht, so besingt der Dichter den dreieinigen Gott, dem er sein Heimweh klagt; denn er verweilt schon zwei Jahr auf einer Insel im Meer. Auch dies Gedicht ist ganz durchgereimt. Indem ich auf die Vers- und Reimform weiter unten bei einer allgemeinen Betrachtung der rythmischen Gedichte zurückkomme, sei hier nur bemerkt, dass die Vorliebe für den Reim und die Art seiner Anwendung in diesen Liedern Gottschalks sich ebenso wie in dem lyrischen Metrum seiner oben betrachteten Epistel findet; und dies spricht für ihre Authentie, der auch der Inhalt keineswegs widerstreitet. Dass Gottschalk lange auf Reisen, namentlich in Italien und Friaul sich befand, ist oben S. 125 bemerkt. So kann man bei dem zweiten Liede mit Du Méril an einen Aufenthalt auf einer Insel des adriatischen Meeres denken. 170

 


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