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Siebentes Kapitel.

Volksmässige weltliche Dichtung. – Paulin von Aquileja.

Neben der Kunstpoesie des Zeitalters Karls des Grossen, die in Hinsicht der Form ihren Höhepunkt wohl in Theodulfs Werken zeigt, findet sich aber auch eine volksmässige weltliche Dichtung in rythmischen Versen, wie wir auch schon zu bemerken Gelegenheit hatten. Und die grossen Thaten jener Zeit erfüllen auch sie mit dem epischen Geist und lassen so eine volksmässige lyrisch-epische, wie episch-lyrische Dichtung entstehen. Freilich sind uns aus der Zeit Karls nur wenige Beispiele erhalten, von denen drei merkwürdiger Weise in mehr oder weniger naher Beziehung zu dem Avarenkrieg stehen. Ausser ihnen ist nur noch ein rythmisches Gedicht aus dieser Zeit zu erwähnen: ein Lob der Stadt Verona, verfasst während der Regierung König Pippins von Italien (781–810), die es in der vorletzten Strophe rühmt. Es ist in rythmischen trochäischen Tetrametern geschrieben, aber ohne allen poetischen Werth. Nachdem das Aeussere der Stadt beschrieben, deren merkwürdige Bauten sie dem heidnischen Alterthum verdanke, wird ihrer Christianisirung, ihrer Bischöfe und der Reliquien gedacht, die ihr einen besonders hohen Werth verleihen. (S. Dümmler N. A. S. 148.) Es schliesst sich das Gedicht an ein ähnliches auf Mailand abgefasstes, von gleichem Versmass, an, das zwischen 721 u. 736 geschrieben ist (s. Dümmler N. A. S. 153). Beide gedruckt bei Muratori, Script. rer. it. II, 2. Das älteste ist ein Gedicht Zuerst herausgegeben von Pertz im Anhang von Einhard: Vita Karoli magni in usum scholarum. 2. Ausg. Hannover 1845. auf den Sieg Pippins, des Sohnes Karls, über die Avaren i. J. 796, oder genauer gesagt auf die vollständige Unterwerfung derselben, ein Triumph- und Danklied, das mit einem Gloria für Gott den Vater und den Sohn schliesst. Denn dieser Sieg wird als ein Sieg über das Heidenthum gefeiert, über die Feinde der christlichen Kirche, als welche die Avaren gleich im Eingang geschildert werden. Diese Kirchenräuber und Schänder, diese Zerstörer der Gottestempel und Klöster werden mit Hülfe des heiligen Petrus, des Fürsten der Apostel, den Gott selbst dem Heere zum Begleiter gesandt, von Pippin, »dem katholischen König«, besiegt und unterworfen. Durch die göttliche Gnade ist es, wie der Dichter sagt, geschehen. So hat das Gedicht ein geistliches Kolorit und ist 87 offenbar von einem Geistlichen, der vielleicht den Kriegszug mitgemacht, bald nach dem Ereigniss verfasst worden, obschon nicht unmittelbar, da auch der Bekehrung der Besiegten schon gedacht wird. Avares quos convertisti ultimis temporibus v. 6. Die Darstellung erhält durch eingeflochtene Reden eine dramatische Lebendigkeit, welche die Aehnlichkeit dieses in rythmischen trochäischen Tetrametern verfassten Gedichtes mit den späteren Romanzen wesentlich erhöht. Den volksthümlichen Charakter zeigt auch die Sprache in phonologischer wie in syntaktischer Beziehung. So Verschleifung der Vocale und Krasis (so Dei bald zweisilbig bald einsilbig), so andrerseits de an der Stelle des Genetivs: vestem de ara, so adpropinquat occupare u. s. w.

Das zweite dieser Gedichte, das nicht lange nach dem ersten, und zwar in rythmischen iambischen Trimetern verfasst ist In: Catalogus codicum mss. bibliothecae Bernensis cur. Sinner, Bern 1760. T. I, p. 146 ff. (mit erklärenden Noten). – Du Méril, Poésies populaires latines antérieures au 12. siècle. Paris 1843, p. 241 ff. – *Pertz' Schulausg. der Vita Karoli Einhards, im Anhang, s. S. 86 Anm. 2., ist ein Klagelied auf den Tod des Helden, den man als den eigentlichen Besieger der Avaren zu betrachten hat, des Markgrafen von Friaul Erich, eines der tüchtigsten Feldherren Karls überhaupt, dessen Verlust denselben aufs schwerste traf. Nicht bloss beweist dies der » tristis nuntius de Geroldi et Erici interitu« in den Königsannalen (799), sondern viel mehr noch das lange Trostschreiben, das Alcuin deshalb an Karl zu richten sich veranlasst sah. S. Alcuini Epp. ed. Jaffé No. 124 (p. 501). Er fiel 799 in Dalmatien durch einen Hinterhalt der Einwohner. Dieser tief empfundene Planctus , wohl der erste seiner Art, der sich erhalten, ist trotz mancher Mängel und Härten des Ausdrucks das Werk eines wahren poetischen Gemüths. Der Dichter beginnt, indem er die neun Flüsse des Gebietes des Markgrafen auffordert ihn zu beweinen, und die neun Hauptorte ihn zu beklagen, vor allen aber seine Vaterstadt, die ihren »berühmten Bürger« verloren, Strassburg, welche er aus Liebe zu dem holden Freund mit ihrem alten süss tönenden Namen » urbs Argentea« nennt. Nun folgt das Lob des Helden, der freigebig gegen die Kirche, ein Vater der Armen, ein Trost der Wittwen war, sanft und doch ein gewaltiger Kriegsmann, den Priestern theuer und von feinem Geiste. Dann 88 werden seine Thaten kurz aufgezählt. Hierauf aber spricht der Dichter seinen Fluch über die Gegend aus, wo Erich getödtet wurde: kein Thau, kein Regen soll sie benetzen, keine Blume noch Frucht soll sie erzeugen.         Ulmus nec vitem gemmato cum pampino
        Sustentet, uvas nec in ramis pendeat,
        Frondeat ficus sicco semper stipite,
        Ferat nec rubus malagranis punica,
        Promat irsutus nec globus castaneas.
Nun schildert er seinen Heldentod und welchen gewaltigen Eindruck die Trauerkunde in seiner Hauptstadt hervorrief, wie Väter, Mütter und Kinder, wie Herren und Knechte, Laien und Priester laut weinten und klagten. Mit einem Gebet an Gott, dem Helden die Freuden des Paradieses zu gewähren, schliesst das Gedicht, das überall in der Ausführung ergreifend, in der That als das Werk eines Freundes sich kundgibt.

Das dritte Gedicht, in rythmischen iambischen Trimetern In: Catalogus codicum philologicor. latinor. bibliothecae palatinae Vindobonensis digessit St. Endlicher. Wien 1836. pag. 298 f. – Du Méril, Poés. popul. (s. S. 87, Anm. 3) pag. 234 ff., hat nur eine entfernte Beziehung zu den Avaren, den »Hunnen« jener Zeit, indem es ein Klagelied auf die Zerstörung des alten Aquileja durch Attila ist. Der Dichter stellt den Untergang der Stadt als ein Gericht Gottes hin, das sie, die prächtige, reiche und üppige, durch ihren Hochmuth herausgefordert. Er schildert dann, wie der grausame Attila sie erobert und bis auf den Grund zerstört, wie die Einwohner von den Flammen und dem Schwert hingerafft und die von diesen verschonten in die Gefangenschaft geschleppt werden, wie die Wuth der Heiden die heiligen Schriften verbrannte und die geweihten Gefässe raubte. Nun liegt die stolze da verachtet, unnütz, in Trümmern, nie mehr wiederherzustellen; die einst eine Stadt der Könige war, jetzt eine Höhle für Arme; in den Ruinen ihrer Kirchen suchen Füchse und Schlangen eine Zuflucht, und selbst die Ruhe der Gräber bleibt nicht verschont, da ihr Marmor abgebrochen wird, um verkauft zu werden. Ein Gebet an Christus, solches Unheil von seinen Dienern abzuwenden, schliesst das Gedicht, das durch Energie des Ausdrucks und Lebendigkeit der Schilderung dem vorher erwähnten sich würdig zur Seite stellt. Beide Gedichte werden, und wie sich zeigen wird, 89 wohl nicht mit Unrecht demselben Autor beigelegt, der auch einer der gebildetsten Männer der Zeit Karls und ein Freund Alcuins war, Paulinus von Aquileja.

Paulinus S. Paulini patriarchae Aquileiensis opera, ex editis ineditisque primum collegit, notis et dissertationibus illustravit J. Fr. Madrisius. Venetiis 1137. fol. – – Büidinger, Oesterreichische Geschichte bis zum Ausgang des 13. Jahrh. Bd. I. Leipzig 1858. S. 141–147. – Dümmler N. A. S. 113 ff., aus Friaul gebürtig, war einer der Gelehrten, die sich am frühsten der Gunst Karls erfreuten; als »Magister der grammatischen Wissenschaft« hatte er dem Könige solche Dienste geleistet, dass dieser 776 nach der Unterdrückung des Aufstandes der Langobarden in Friaul ihn mit mehreren Rebellengütern beschenkte, später aber sogar zum Patriarchen von Aquileja machte. Nach Jaffé, Monum. Alcuin. p. 162, erst 787. Wie er dem König treu verbunden blieb – offenbar eine wesentliche Stütze der fränkischen Herrschaft in jenem Hauptsitze der alten Langobardenmacht – so trat er auch zu dem ersten geistlichen Berather desselben, Alcuin in nahe freundschaftliche Beziehung. Alcuin achtete ihn zugleich sehr hoch, nicht bloss wegen seiner angesehenen kirchlichen Würde, sondern nicht minder wegen seiner theologischen Gelehrsamkeit und formalen Bildung. Wie die an ihn gerichteten Briefe und Gedichte Alcuins bezeugen. Auf seine Anregung S. Alcuins Ep. 94 ed. l. und Karls Aufforderung verfasste Paulin sein bedeutendstes theologisches Werk, die 3 Bücher gegen Felix, den spanischen Häretiker. An den wichtigsten Synoden des fränkischen Reichs unter Karl nahm er hervorragenden Antheil. Am einflussreichsten aber war wohl seine Wirksamkeit bei der Christianisirung des eroberten Avarenlandes, wofür er Hand in Hand mit seinem und Alcuins gemeinschaftlichen Freunde, dem Erzbischof von Salzburg, Arno thätig war. Auf Alcuins Anregung gab er ein ausführliches Votum über die Art, wie die Bekehrung und Taufe auszuführen sei, ab. In Monum. Alcuin. p. 311 ff., u. vgl. Alcuins Epp. 56 u. 67. Er schliesst sich darin den für jene Zeit durchaus humanen und verständigen Grundsätzen seines Freundes Alcuin an.

Schon durch ihre Stellung mussten der höchste geistliche und der höchste weltliche Würdenträger Friauls sich nahe 90 kommen, zumal beide in der Liebe und Treue zum König sich gleichstanden und der tapfere Markgraf oder, wie er gewöhnlich betitelt wird, Herzog S. über diesen Titel Erichs Büdinger S. 142, Anm. 3. Erich viel Sinn für geistliche Bildung hatte. Für diesen Freund schrieb Paulin den Liber exhortationis auf dessen Bitte, zu welcher derselbe wie es scheint durch Alcuin veranlasst worden war. S. Alcuins Ep. 55 an Erich. Dies ist das einzige von Paulins prosaischen Werken, welches in den Kreis unserer Darstellung fällt, aber es erfüllt keineswegs die Erwartungen, die man von ihm hegen mag, schon weil es zum Theil eine blosse Compilation, namentlich aus dem Werk des Pomerius über das beschauliche Leben ist. Capp. 10–20. – Capp. 20–45 finden sich, nach einer Anmerkung Madrisi's p. 30, in einer Admonitio ad filium spiritualem wieder, welche als Uebersetzung eines Werkes Basilius' des Grossen angesehen wurde, von dem das Original aber nicht existirt. Madrisi hält mit andern Gelehrten die Schrift für keine Uebersetzung, sondern für ein Plagiat aus Paulins Buch. Es ist dies »Buch der Ermahnung« eine Sammlung von einzelnen Vorschriften für ein tugendhaftes christliches Leben, die in lose oder auch gar nicht verbundenen Kapiteln behandelt, zu einem wenig geordneten Ganzen vereint sind. Das Laienthum des zu Ermahnenden wird allerdings, seine besondere Lebensstellung aber wenig berücksichtigt. Hauptsächlich nur in der Wahl der Räthe cap. 6, wo vor Schmeichlern gewarnt wird; auf Erichs militärische Stellung könnte c. 20 gehn; was von den Untergebenen c. 29 gesagt wird, bezieht sich nur auf die des Hauses. So steht das Buch gegen das viel praktischer angelegte des Alcuin an den Grafen Wido zurück. Zu rühmen ist vornehmlich der Stil, der klare, einfache, nirgends überladene Ausdruck: in dieser Beziehung unterscheidet sich das Buch sehr vortheilhaft von andern Paulins, namentlich auch von seinen Büchern gegen Felix, worin die » flores dictionum«, welche selbst Alcuin imponirten S. Alcuins Epp. ed. 1. p. 562., in einer oft ganz widerwärtigen Häufung sich finden. Da will der alte Grammatiker seine rhetorischen Künste zeigen; trotzdem lässt dieser blumige Stil in seinen Bildern eine gewisse poetische Anlage erkennen. Und so besitzen wir denn auch von Paulin ein Gedicht De regula fidei in 152 Hexametern, worin der Verfasser 91 seinen Glauben an die Dreieinigkeit und die Fleischwerdung Christi bekennt. Daran schliesst sich eine Schilderung der Blumenfluren des Paradieses, in welche Petrus die Lämmer einlässt, und eine Verdammung der Hauptketzer, deren Reihe Cerinthus beginnt und Sabellius beendet. Ein Gedicht ohne poetischen Werth, aber sicher, schon durch seinen Stil, authentisch, wofür auch seine Ueberlieferung spricht. Im Anschluss an die Schrift gegen Felix. S. Dümmler a. a. O. S. 114. Das letztere lässt sich von mehreren Paulin beigelegten Hymnen nicht behaupten Alcuin dankt für ihm zugesandte » Carmina sacra« des Paulin in einem Gedicht an denselben, No. 239 bei Froben. Dass Paulin als Hymnendichter bekannt war, zeigt Walahfrid De exord. et increm. rer. eccles. c. 24.; nur eine rythmische Hymne über die Geburt Christi, welche im selben Versmass als das Gedicht auf die Zerstörung von Aquileja verfasst ist, scheint ihm sicher anzugehören, wie sie denn auch in der Handschrift mit seinem Namen bezeichnet ist. Dieses 156 Verse lange Gedicht hat einen lyrisch-epischen Charakter, indem es auch die auf die Geburt folgenden biblischen Begebenheiten bis zum bethlemitischen Kindermord erzählt. So erinnert es auch im Stil an das Gedicht auf Aquileja, das selbst auch einem Paulinus, wenn auch Diaconus, in der Handschrift zugeschrieben wird. Um so eher dürfen wir hiernach das Gedicht auf Erichs Tod als ein Werk des Paulin betrachten, als welches selbst der Schreiber einer Handschrift es bezeichnet. S. Dümmler S. 115. Dass nur ein Gelehrter diese Gedichte verfasst haben kann, bekundet Inhalt und Darstellung, wie denn bei dem letzt erwähnten gleich im Beginn eine Reminiscenz aus Virgil sich findet. Andrerseits musste gerade Paulin solche rythmische Gedichte zu verfassen geneigt sein, da er trotz seines früheren Magisterberufs selbst in Betreff der quantitativen Verse vor der Prosodie keinen besonderen Respect zeigt. Dies gibt er offen zu erkennen in einem in scherzhaftem Tone gehaltenen Nachwort an den Leser seines Carmen De regula fidei . Diese Entschuldigung, die ein Anderer damals nicht für nöthig gehalten, ist indess als solche für den früheren Magister bezeichnend. – Paulin starb 802. 92

 


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