Alexander Dumas
Die Gräfin Charny
Alexander Dumas

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Vierundfünfzigstes Kapitel

Am Morgen desselben Tages, wo sich dies im Temple zutrug, kam ein Mann mit einer roten Jakobinermütze und auf eine Krücke gestützt in das Ministerium des Innern.

»Ich wünsche den Minister zu sprechen.« (Seit vierzehn Tagen war der Titel »Monsieur« abgeschafft.)

»Mein Freund, Sie müssen wissen, daß man den Minister nicht so ohne weiteres sprechen kann«, sagte der Türsteher.

Ich will Anzeige von einer Verschwörung machen; ich bin Nicolas Claude Gamain, der vormalige Schlossermeister Ludwig Capets.

Es heißt ja, daß dem Spitzbuben der Prozeß gemacht werden soll . . . Was ich zu sagen habe, wird für die Nation vielleicht nicht unwesentlich sein.«

Diese Worte schienen großen Eindruck auf den Türsteher zu machen, und er meldete dem Minister den Schlossermeister Nicolas Claude Gamain.

Der Minister Roland sah Gamain vom Kopf bis zu den Füßen an.

»Setzen Sie sich, Citoyen«, sagte er; »Sie scheinen leidend.«

»Jawohl, ich bin leidend,« erwiderte Gamain, indem er sich auf einen Stuhl niederließ, »seit mich die Österreicherin vergiftet hat.«

Bei diesen Worten konnte der Minister seinen tiefen Abscheu nicht verbergen, und er wechselte einen vielsagenden Blick mit seiner Frau, die an allen politischen Fragen tätigen Anteil nahm.

»Und Sie sind gekommen, um Anzeige von dieser Vergiftung zu machen.«

»Ja, und ich habe noch etwas anderes anzuzeigen.«

»Können Sie Ihre Aussagen beweisen?«

»Kommen Sie nur mit mir in die Tuilerien, ich werde Ihnen den eisernen Schrank zeigen, wo Capet seinen Schatz versteckt hielt.«

Roland trat auf seine Frau zu und sah sie fragend an.

»Es ist etwas Wahres daran,« sagte sie; »der Name dieses Mannes fällt mir jetzt ein . . . er ist der Schlossermeister des Königs.«

Roland zog die Glocke. Der Türsteher erschien.

»Ist ein bespannter Wagen im Hofe?« fragte der Minister.

»Ja.«

»Lassen Sie ihn vorfahren.«

»Kommen Sie, Freund«, sagte der Minister zu dem Meister Gamain.

Gamain hinkte zum Zimmer hinaus.

»Ich sagte dir ja,« murrte er, »daß ich dir's heimzahlen würde!«

Was meinte der Elende? Was wollte er heimzahlen? All das Gute, was der König ihm getan hatte!

Der eiserne Schrank, den Meister Gamain angezeigt und geöffnet hatte, enthielt zum größten Leidwesen des Ministers Roland und seiner Frau nichts gegen Dumouriez und Danton. Einen großen Teil seiner Papiere hatte der König vor seiner Verhaftung der Madame Campan übergeben, und die vorgefundenen Schriften kompromittierten hauptsächlich Ludwig XVI. und den Klerus; sie zeigten den kleinlichen, beschränkten, undankbaren Geist des Königs, der nur die haßte, die alles aufgeboten hatten, ihn zu retten: Necker, Lafayette und Mirabeau. Auch gegen die Girondisten fand sich nichts vor.

Der Konvent bewilligte dem Meister Gamain für seine schöne Handlung eine jährliche Pension von zwölfhundert Limes. Der schändliche Angeber starb übrigens bald nachher unter furchtbaren Qualen. Die Strafe des Himmels traf ihn weit härter, als wenn er sein Leben unter der Guillotine, zu der er seinem königlichen Lehrling mit verholfen, geendet hätte.

Die Verhandlungen zu dem Prozeß des Königs begannen am 13. November.

Saint-Just, ein vierundzwanzigjähriger Fanatiker, bestieg die Rednerbühne und sprach ohne jede Hast eine ganze Stunde lang. Er verlangte den Tod, und nur den Tod, kein gerichtliches Verfahren, keine Verhandlungen, kein Urteil. »Der König muß sterben,« sagte der Unhold mit dem blassen, kränklichen Mädchengesicht; »denn es gibt keine Gesetze mehr, er selbst hat sie vernichtet. Er ist unser Feind; wenn man ihn vor Gericht stellen wollte, müßte man ihn zuerst wieder zum Bürger machen, denn nur Bürger, aber keine Feinde stellt man vor Gericht. Er ist ein überführter, auf blutigen Taten ertappter Verbrecher . . .«

So sprach er immerfort, ohne sich zu ereifern, ohne die mindeste Aufregung merken zu lassen, mit abgemessenen, einstudierten Gebärden und pomphafter Betonung, und am Ende jedes Satzes wiederholten sich die Schreckensworte: »Er muß sterben!«, die auf die Zuhörer einen unheimlichen, grauenvollen Eindruck machten.

Der Fanatiker erreichte seinen Zweck: das ganze Richterkollegium wurde von Grauen ergriffen; selbst Robespierre erschrak, daß sein Zögling sich so weit über die äußersten republikanischen Vorposten hinauswagte, um die blutige Fahne der Revolution aufzupflanzen. Der Prozeß war von jener Stunde an nicht nur beschlossen, sondern Ludwig XVI. verurteilt. Wer einen Versuch gemacht hätte, den König zu retten, würde sich dem Tode geweiht haben. Danton faßte zwar den Entschluß, aber er hatte nicht den Mut, ihn auszuführen; er hatte genug Patriotismus gehabt, um eine große Blutschuld auf sich zu nehmen, aber er besaß nicht genug Kaltblütigkeit, um sich Verräter nennen zu lassen.

Am 7. Dezember kam ein Munizipalbeamter an der Spitze einer Gemeindedeputation in den Temple; er las den Gefangenen eine Verordnung vor, nach der ihnen Messer, Scheren und überhaupt alle scharfen Instrumente wegzunehmen waren.

Unterdessen erhielt der Kammerdiener Cléry einen Besuch von seiner Frau, die eine Freundin mitbrachte. Cléry wurde wie gewöhnlich in die Kanzlei gerufen; seine Frau sprach in lautem Tone über ihre häuslichen Angelegenheiten; aber während Madame Cléry laut sprach, sagte ihre Freundin leise:

»Nächsten Dienstag wird der König in den Konvent geführt; der Prozeß beginnt. Der König kann sich einen Rechtsbeistand nehmen. All dies ist ganz gewiß.«

Der König hatte dem Kammerdiener verboten, ihm etwas zu verbergen. Der treue Diener entschloß sich daher, ihm die traurige Kunde mitzuteilen. Abends beim Auskleiden erzählte er ihm, was er gehört hatte, und setzte hinzu, daß der Gemeinderat beabsichtige, ihn während der ganzen Dauer des Prozesses von seiner Familie getrennt zu halten.

Ludwig XVI. hatte daher vier Tage Zeit, um sich mit der Königin zu besprechen und irgendein Verständigungsmittel zu verabreden. Cléry war erbötig, alles zu wagen, um den Gefangenen behilflich zu sein.

Am andern Morgen begab sich der König mit seinem Sohne zur Königin, um zu frühstücken; er dankte Cléry noch einmal für seine Dienste und sagte: »Ziehen Sie auch fernerhin Erkundigungen ein; suchen Sie zu erfahren, was man mit mir machen will. Fürchten Sie nicht, mich zu betrüben. Ich habe mit meiner Familie verabredet, nicht merken zu lassen, daß ich etwas erfahren habe, um Sie nicht in Gefahr zu bringen.«

Aber je näher die Eröffnung des Prozesses kam, desto argwöhnischer wurden die Hüter. Cléry konnte den Gefangenen daher nur die Nachrichten überbringen, die in seiner Zeitung standen. In dieser Zeitung, die man ihm bewilligt hatte, stand das Dekret, laut welchem der König am 11. Dezember vor den Schranken des Konvents erscheinen sollte.

Am 11. Dezember um fünf Uhr wurde in allen Straßen von Paris Generalmarsch geschlagen. Die Tore des Temple taten sich auf, und man ließ Kavallerie und Geschütze einrücken. Die königliche Familie stellte sich, als ob ihr die Ursache dieses ungewöhnlichen Getümmels nicht bekannt gewesen wäre, und fragte die diensttuenden Kommissare, was es zu bedeuten habe. Diese verweigerten jede Antwort.

Um neun Uhr kam der König mit dem Dauphin zum Frühstück in die Wohnung der Prinzessinnen.

Noch eine Stunde des Zusammenseins, jedoch nur unter den Augen der Hüter, war ihnen vergönnt; nach einer Stunde mußte man sich trennen, ohne den überwältigenden Gefühlen freien Lauf lassen zu können, denn man durfte ja nicht merken lassen, daß man von der bevorstehenden harten Maßregel Kenntnis hatte.

Der junge Prinz wußte nichts; man hatte ihn mit der traurigen Nachricht verschont; er hing mit der größten Zärtlichkeit an seinem Vater, der wieder jung geworden war, um mit ihm zu spielen, und sich wieder zum Schüler gemacht hatte, um sein Lehrer zu sein.

Um elf Uhr erschienen zwei Munizipalbeamte und sagten Seiner Majestät, sie wollten den jungen Ludwig abholen und zu seiner Mutter führen. Der König küßte seinen Sohn und beauftragte Cléry, ihn zu seiner Mutter zu führen.

Cléry gehorchte und kam bald zurück.

»Wo haben Sie meinen Sohn gelassen?« fragte Ludwig XVI.

»In den Armen der Königin«, antwortete Cléry.

Einer der Kommissare erschien.

»Mein Herr,« sagte er, »der Citoyen Chambon, Bürgermeister von Paris – der Nachfolger Pétions – ist in der Kanzlei und wird sogleich hier erscheinen.«

Der Bürgermeister kam erst um ein Uhr in Begleitung des neuen Gemeindeprokurators Chaumette, des Aktuars Coulombeau und einiger Munizipalbeamter. Auch Santerre erschien mit seinen Adjutanten.

Der König stand auf.

»Was wollen Sie von mir?« fragte er den Bürgermeister.

»Ich habe den Auftrag, Sie abzuholen,« antwortete Chambon; »das betreffende Dekret der Kommission wird Ihnen der Aktuar vorlesen.«

Der Aktuar rollte ein Papier auseinander und las:

»Dekret der Nationalkommission, die befiehlt, daß Louis Capet . . .«

Bei diesen Worten unterbrach ihn der König: »Capet ist nicht mein Name; so hieß einer meiner Ahnherren.«

Als der Aktuar weiterlesen wollte, setzte er hinzu:

»Ersparen Sie sich die Mühe, ich habe das Dekret in einer Zeitung gelesen. – Ich hätte gewünscht,« sagte er zu den Kommissaren, »in den zwei Stunden, die ich gewartet habe, wenigstens meinen Sohn bei mir zu behalten . . . Ich werde Ihnen folgen, nicht um dem Konvent zu gehorchen, sondern weil meine Feinde die Gewalt in Händen haben.«

»Dann kommen Sie«, sagte Chambon.

»Lassen Sie mir nur Zeit, einen Überrock über meinen Frack zu ziehen . . . Cléry, meinen Überrock!«

Der Kammerdiener reichte ihm den verlangten Überrock, der von nußbrauner Farbe war.

Der Bürgermeister ging voran, der König folgte ihm.

Er sah sich noch einmal nach dem Turm um und stieg in den Wagen. – Es regnete.

Auf der Terrasse stieg Ludwig XVI. aus. Santerre legte ihm die Hand auf die Schulter und führte ihn vor die Schranken, auf denselben Platz, wo er die Verfassung beschworen hatte.

Alle Abgeordneten blieben sitzen, als der König eintrat. Ein einziger stand auf und verneigte sich, als Ludwig XVI. an ihm vorüberging.

Der König sah sich erstaunt um und erkannte den Doktor Gilbert.

»Guten Morgen, Herr Gilbert«, sagte er. »Sie kennen Herrn Gilbert?« fragte er Santerre, »er war vormals mein Arzt . . . Nicht wahr? Sie werden ihm nicht zürnen, daß er mich gegrüßt hat?«

Das Verhör begann.

Hier, vor der Öffentlichkeit, begann der Nimbus, der den stillen Dulder umgeben hatte, zu verschwinden. Der König beantwortete die an ihn gerichteten Fragen, aber er antwortete zögernd, ausweichend, leugnend, mit absichtlichen Zweideutigkeiten. – Die Öffentlichkeit tat ihm großen Schaden.

Das Verhör dauerte bis fünf Uhr. Dann wurde der König in den Konferenzsaal geführt, wo ihn sein Wagen erwartete.

Der Bürgermeister trat auf ihn zu.

»Haben Sie Hunger?« fragte er ihn; »wünschen Sie etwas zu essen?«

»Ich danke Ihnen«, antwortete der König mit einer ablehnenden Handbewegung.

Man begab sich in den Hof hinunter. – Als der König erschien, ertönte von allen Seiten der Schlußvers der Marseillaise.

Ludwig XVI. war etwas betroffen und bestieg den Wagen.

Chaumette schwieg und lehnte sich in eine Ecke des Wagens zurück.

»Was fehlt Ihnen?« fragte der König nach einer Weile; »Sie sehen blaß aus.«

»Es ist wahr,« antwortete der Prokurator, »ich fühle mich nicht wohl.«

»Vielleicht können Sie das Schaukeln des Wagens nicht vertragen?« fragte Ludwig XVI.

»Es ist möglich.«

»Haben Sie Seereisen gemacht?«

»Ich habe den Krieg unter Lamotte-Piquet mitgemacht.«

»Lamotte-Piquet war ein tapferer Mann.«

Das Gespräch stockte wieder. – Woran der König wohl dachte? An seine schöne »Marion«, die in Indien siegreich gekämpft hatte? An den Hafen von Cherbourg, der dem Ozean abgewonnen war? An die Freudenschüsse, mit denen er in den Tagen seines Glückes begrüßt worden war?

Jene glückliche Zeit lag weit hinter dem unglücklichen Ludwig XVI. Jetzt saß er in einem schlechten Wagen, der im Schritt durch die sich herandrängende neugierige Pöbelmasse fuhr; er blinzelte, weil seine Augen das helle Tageslicht nicht mehr vertrugen; sein dünner blonder Bart war mehrere Tage nicht geschnitten; seine Wangen hingen schlaff herab – kurz, wer hätte in dem Manne mit dem grauen Frack und dem nußbraunen Überrock den einst so mächtigen König erkannt!

Als der König im Temple ankam, war sein erstes Verlangen, zu seiner Familie geführt zu werden.

Man antwortete ihm, es sei über diesen Punkt kein Befehl erteilt worden.

Ludwig XVI. sah wohl ein, daß ihm jeder Verkehr mit andern Menschen untersagt war.

»Setzen Sie wenigstens die Königin von meiner Rückkehr in Kenntnis«, sagte er.

Dann setzte er sich und las, ohne sich um die ihn umgebenden vier Kommissare zu kümmern.

Der König hatte noch eine Hoffnung, nämlich, daß seine Familie zum Souper zu ihm kommen werde. Aber er wartete vergebens, niemand erschien.

»Aber mein Sohn wird wenigstens die Nacht bei mir zubringen?« fragte der König; »seine Sachen sind ja hier.«

Diese Frage wurde ebensowenig beantwortet wie die andern.

»Nun, dann will ich zu Bett gehen«, sagte Ludwig XVI.

Am andern Morgen richtete die Königin zum erstenmal eine Bitte an ihre Hüter. Sie verlangte zweierlei: den König zu sehen, und Zeitungen zu erhalten, um von dem Gange des Prozesses unterrichtet zu sein.

Diese beiden Begehren wurden vor den Gemeinderat gebracht. Das eine Begehren, das sich auf die Zeitungen bezog, wurde rundweg abgeschlagen; das andere wurde halb bewilligt.

Die Königin konnte ihren Gemahl nicht mehr sehen; aber die Kinder durften ihren Vater sehen, unter der Bedingung, daß sie von Mutter und Tante getrennt wurden.

Man setzte den König von diesem Ultimatum in Kenntnis.

Ludwig XVI. sann einen Augenblick nach, dann sagte er mit der ruhigen Ergebung, die ihm so leicht wurde:

»Nein, ich will auf diese Freude verzichten, wie sehr ich mich auch nach meinen Kindern sehne.«

Man mußte nun auf ein Mittel sinnen, trotz der strengen Haft miteinander zu verkehren. Der treue Cléry übernahm es wieder, mit Hilfe eines Dieners der Prinzessinnen, namens Turgy, diesen Verkehr zu vermitteln.

Das Gespräch zwischen den beiden Dienern beschränkte sich meist auf folgende Worte:

»Der König befindet sich wohl.«

»Die Königin, die Prinzessin und die Kinder befinden sich wohl.«

Eines Tages jedoch steckte Turgy dem Kammerdiener des Königs ein kleines Billett zu.

»Madame Elisabeth hat es mir in ihrer Serviette gereicht«, sagte er.

Cléry begab sich eilends zum König, um ihm das Billett zu übergeben. Es war mit Stecknadelstichen punktiert; denn die Prinzessinnen hatten schon seit langer Zeit keine Schreibmaterialien mehr.

Das Billett enthielt folgende Worte:

»Wir befinden uns wohl, Bruder; schreiben Sie uns auch.«

Der König antwortete auf die gleiche Weise, denn seit der Eröffnung des Prozesses hatte man ihm Federn, Tinte und Papier wiedergegeben.

Dann übergab er den Brief unversiegelt seinem Kammerdiener.

Zehn Minuten nachher hatte Turgy die Antwort.

An demselben Tage ging Turgy an dem Zimmer Clérys vorüber und warf durch die angelehnte Tür einen Knäuel Zwirn hinein. Dieser Knäuel enthielt ein zweites Billett der Prinzessin Elisabeth. Es war ein verabredetes Mittel.

Cléry wickelte den Zwirn um ein Billett des Königs und legte den Knäuel in den Porzellanschrank. Turgy nahm ihn heraus und legte die Antworten an denselben Ort. Aber so oft als ihm sein Kammerdiener einen neuen Beweis von Treue oder Gewandtheit gab, schüttelte der König den Kopf und sagte:

»Nehmt euch in acht, Freunde, ihr bringt euch in Gefahr . . .«

Das Mittel war in der Tat zu gewagt; Cléry sann auf ein anderes.

Die Kommissare pflegten dem König die Wachskerzen in Paketen zu bringen. Cléry bewahrte den Bindfaden sorgfältig auf, und als er eine hinlängliche Menge hatte, zeigte er dem König an, daß er ein Mittel habe, seine Korrespondenz lebhafter zu machen.

Er übermittelte der Prinzessin Elisabeth den Bindfaden; die Prinzessin, die über ihm schlief und deren Fenster gerade über einem zu Clérys Fenster führenden kleinen Korridor war, konnte in der Nacht ihre Briefe an den Bindfaden hängen und auf demselben Wege die Briefe des Königs erhalten. Überdies konnte man an diesem Bindfaden Federn, Papier und Tinte befestigen, so daß die Prinzessinnen nicht nötig hatten, ihre Billetts mit Nadeln zu punktieren.

Die Gefangenen konnten daher täglich miteinander korrespondieren.

Die Lage des Königs hatte sich übrigens, seitdem er vor dem Konvent erschienen war, verschlimmert. Man hatte allgemein geglaubt, Ludwig XVI. werde nach dem Beispiel Karls I. dem Konvent jede Antwort verweigern, – oder stolz und würdevoll antworten, nicht wie ein Angeklagter, der vor Gericht steht, sondern wie ein Ritter, der die Herausforderung annimmt und den Handschuh aufhebt.

Unglücklicherweise war Ludwig XVI. nicht königlich genug, um einen dieser Wege einzuschlagen. Er antwortete schüchtern, zögernd, verkehrt, und als er endlich merkte, daß er sich mehr und mehr verwickelte, verlangte er einen Rechtsbeistand.

Am 14. Dezember zeigte man dem König an, daß er die Erlaubnis habe, mit seinen Verteidigern zu verkehren, und daß Malesherbes ihn an demselben Tage besuchen werde.

Als er den einfachen und in seiner Einfachheit so ehrwürdigen Greis von vierundsiebzig Jahren eintreten sah, vermochte er seine überwallenden Gefühle nicht zu unterdrücken; er brach in Tränen aus und ging mit ausgebreiteten Armen auf seinen Verteidiger zu.

»Lieber Herr von Malesherbes,« sagte der König, »kommen Sie in meine Arme! Ich weiß, was ich zu erwarten habe; ich bin auf den Tod vorbereitet. Sie werden finden, daß ich vollkommen ruhig bin.«

Am 16. Dezember wurde eine Deputation gemeldet, die aus vier Konventmitgliedern bestand.

Sie überbrachte dem König die Anklageakte und die auf den Prozeß bezüglichen Beweisstücke, mit deren Protokollierung der ganze Tag verging. Jedes Dokument wurde von dem Sekretär vorgelesen, und nach jeder Ablesung sagte Valazé:

»Haben Sie Kenntnis davon?«

Der König antwortete ja oder nein.

Einige Tage später kamen dieselben Kommissare wieder und lasen einundfünfzig neue Aktenstücke vor, die der König unterzeichnete wie die vorigen.

Im ganzen hundertachtundfünfzig Dokumente, von denen er Abschriften erhielt.

Am 26. Dezember sollte der König zum zweiten Male vor den Schranken des Konvents erscheinen. Sein blonder, dünner, häßlicher Bart war gewachsen. Ludwig XVI. verlangte seine Rasiermesser. Sie wurden ihm zurückgegeben unter der Bedingung, daß er sich nur in Gegenwart von vier Kommissaren rasieren sollte.

Am 25. Dezember um elf Uhr begann der König sein Testament zu schreiben. Er schloß: »Ich bin bereit, vor Gott zu erscheinen und schließe mit der feierlichen Erklärung, daß ich mir keines der Verbrechen, deren man mich beschuldigt, zum Vorwurf mache.«

Wie konnte Ludwig XVI., der alle seine Eide brach und mit Zurücklassung einer Verwahrung gegen dieselben ins Ausland fliehen wollte, – wie konnte Ludwig XVI., nachdem er die Pläne Lafayettes und Mirabeaus einer sorgfältigen Prüfung unterzogen und den Feind herbeigerufen hatte, – wie konnte er sagen, daß er sich keines der Verbrechen, deren man ihn beschuldigt, zum Vorwurf mache?

Nur weil er sich auf den Standpunkt des absoluten Königtums stellte!

 


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