Alexander Dumas
Die Gräfin Charny
Alexander Dumas

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Achtundzwanzigstes Kapitel

Der Herzog von Choiseul war mit dem Friseur Leonard bis Pont-de-Sommevelle gekommen. Hier wollte es das Verhängnis, daß die Bauern eines unweit gelegenen Landgutes die Bezahlung der Abgaben verweigerten. Man hatte ihnen mit Exekution gedroht; aber die Verbrüderung hatte ihre Früchte getragen, und die Bauern der umliegenden Dörfer hatten den gutsherrlichen Bauern für den Fall, daß die Drohungen zur Tat würden, Hilfe zugesagt. Als die Bauern Husaren einrücken sahen, glaubten sie, sie kämen in feindlicher Absicht. Es wurden daher von Pont-de-Sommevelle sogleich Eilboten in die benachbarten Dörfer geschickt, und gegen drei Uhr ertönte in der ganzen Umgegend die Sturmglocke. Sobald der Herzog von Choiseul dies hörte, begab er sich in die Stadt zurück; er fand seinen Unterleutenant Boudet sehr unruhig.

Die Husaren, die man damals unter allen Truppenkorps ganz besonders verabscheute, wurden von den Bauern unaufhörlich geneckt und mit Spottliedern verhöhnt. Überdies begannen andere, besser Unterrichtete, einander zuzuflüstern, die Husaren wollten den König und die Königin erwarten.

Um die allgemeine Aufregung zu beschwichtigen, erklärte Choiseul, er habe mit seinen Husaren keineswegs die Absicht, gegen die Bauern einzuschreiten, sondern er sei gekommen, um einen Schatz zu eskortieren, den der Kriegsminister an die Armee sende.

Aber das doppelsinnige Wort »Schatz«, welches die Aufregung auf einem Punkte beschwichtigte, bestätigte den Argwohn auf dem andern. Der König und die Königin sind ja auch ein Schatz, und eben diesen erwartet zweifellos der Herzog von Choiseul.

Nach einer Viertelstunde sieht er sich mit seinen vierzig Husaren dergestalt bedrängt und umzingelt, daß er die Unmöglichkeit einsieht, sich länger zu halten und die königliche Familie zu beschützen.

Der Postmeister steht mitten unter den fünf- bis sechshundert Neugierigen, die durch ein Wort, einen Wink zu Feinden gemacht werden können. Der Herzog redet ihn an:

»Wissen Sie nicht, ob in diesen Tagen Geldsendungen nach Metz gemacht worden sind?«

»Jawohl,« antwortete der Postmeister, »erst heute morgen sind mit dem Postwagen hunderttausend Taler dahin abgegangen.«

»Wirklich?« erwiderte der Herzog, den dieser glückliche Zufall ganz überraschte.

»Parbleu!« sagte ein Gendarm; »ich muß es wohl wissen, denn ich und Robin waren zum Eskortieren kommandiert.«

»Wenn das der Fall ist,« sagte Choiseul, »so wird der Minister diese Art Übermittlung vorgezogen haben, und da unsere Anwesenheit hier ganz zwecklos geworden ist, so glaube ich, daß wir uns zurückziehen können . . . Aufsitzen!« rief er den Husaren zu.

Die kleine Reiterschar verließ Pont-de-Sommevelle in dem Augenblick, als die Turmuhr eben halb sechs schlug.

Zweihundert Schritte von dem Städtchen lenkte der Herzog von Choiseul mit seinen Husaren in einen Seitenweg ein, um Saint-Menehould, wo eine große Aufregung herrschen sollte, zu umgehen.

In demselben Augenblicke kam Isidor von Charny vor dem Posthause an. Er hatte zwei Stunden gebraucht, um mit seinem schlechten Postgaul die letzten vier Meilen zurückzulegen. Während ein frisches Pferd für ihn gesattelt wurde, erkundigte er sich, ob man keine Husaren im Orte gesehen, und erfuhr, daß ein Detachement im Schritt fortgeritten sei. Isidor bestellte die Pferde und sprengte auf seinem frischen Pferde davon, um den Herzog von Choiseul einzuholen und aufzuhalten.

Der Herzog aber hatte, wie wir gesehen, die Landstraße verlassen und gerade in dem Augenblick, als der Vicomte von Charny auf der Post ankam, den Seitenweg eingeschlagen; der Vicomte von Charny holte ihn daher nicht ein.

Zehn Minuten nach der Abreise Isidors von Charny kam der Wagen des Königs an.

Der Herzog von Choiseul hatte recht gehabt; die Straße war frei geworden, die Volksmenge hatte sich verlaufen.

Der Graf von Charny, der die erste Truppenabteilung zu Pont-de-Sommevelle zu finden hoffte, galoppierte neben dem Wagen her.

Aber man fand weder die Husaren noch den Herzog von Choiseul. Der König, der die Sache bedenklich fand, steckte den Kopf zum Wagen hinaus.

»Um Gottes willen, Sire,« sagte Charny, »zeigen Sie sich nicht! Ich will mich erkundigen.«

Fünf Minuten nachher trat er wieder an den Wagen; er hatte den Sachverhalt erfahren und meldete ihn dem Könige.

Der König sah wohl ein, daß sich der Herzog von Choiseul zurückgezogen hatte, um ihm den Weg frei zu machen. Die Hauptsache war, so schnell wie möglich nach Saint-Menehould zu kommen; denn dorthin hatte sich der Herzog zurückgezogen, um seine Husaren mit den dort liegenden Dragonern zu vereinigen.

Als der Wagen zur Abfahrt bereit war, ritt Charny heran und fragte die Königin:

»Was befehlen Eure Majestät? Soll ich, vorausreiten, oder soll ich in einiger Entfernung folgen?«

»Verlassen Sie mich nicht«, sagte Marie Antoinette.

Inzwischen setzte Isidor von Charny in größter Eile seinen Weg fort. Zu seinem Erstaunen war die Landstraße, die man in ihrer schnurgeraden Richtung wohl eine Meile weit übersehen konnte, ganz verödet und menschenleer.

Zu Saint-Menehould fand er die Nationalgarde in den Straßen aufgestellt. Es waren die ersten Bürgersoldaten, die er auf der Reise sah.

Die ganze Stadt schien in Bewegung; Isidor hörte sogar die Trommel rühren. Ohne sich durch den Tumult irre machen zu lassen, sprengte er durch die Straßen in der Richtung zum Posthause.

Auf dem Marktplätze bemerkte er ein Dutzend Dragoner mit Lagermützen. An einem offenen Fenster stand der Marquis von Dandoins, ebenfalls mit der Lagermütze und einer Reitpeitsche in der Hand.

Isidor ritt vorbei, ohne sich umzusehen. Er meinte, der Marquis würde ihn erkennen und bedürfe daher keiner weiteren Andeutung.

Ein junger Mann von achtundzwanzig Jahren, der an seinem Tituskopf und Backenbart als Amtsrat zu erkennen war, stand in der Tür des Posthauses.

Isidor suchte jemand, an den er sich wenden könnte.

»Was wünschen Sie, mein Herr?« fragte ihn der junge Mann.

»Ich wünsche den Postmeister zu sprechen«, erwiderte der Vicomte von Charny.

»Der Postmeister ist für den Augenblick abwesend; aber ich bin sein Sohn, Jean Baptiste Drouet . . . wenn ich ihn vertreten kann, so reden Sie.«

»Ich brauche für zwei Wagen, die bald hier eintreffen werden, sechs Postpferde.«

Drouet nickte, ging in den Hof und rief:

»Sechs Pferde für zwei Wagen und einen Klepper für den Kurier!«

In diesem Augenblicke kam der Marquis von Dandoins.

»Mein Herr,« sagte er hastig zu dem Vicomte, »Sie bestellen Pferde für den König, nicht wahr?«

»Ja, und ich sehe zu meinem Erstaunen Sie und Ihre Dragoner in Lagermützen.«

»Wir haben keine Nachricht erhalten«, erwiderte der Marquis. »Überdies hat die hiesige Bevölkerung eine sehr drohende Haltung angenommen; man sucht meine Leute abtrünnig zu machen . . . was ist zu tun?«

»Was zu tun ist?« sagte der Vicomte etwas ungeduldig. »Sie haben den mit jeder Minute zu erwartenden Wagen des Königs zu überwachen, sich nach den Umständen zu richten und eine halbe Stunde nach der königlichen Familie diesen Ort zu verlassen, um ihr den Rücken zu decken. – Doch still! Wir werden belauscht . . . vielleicht hat man uns schon gehört . . . Gehen Sie zu Ihrer Eskadron, und bieten Sie alles auf, um strenge Mannszucht zu halten.«

In demselben Augenblicke fährt der Wagen des Königs über den Marktplatz und hält vor dem Posthause.

Sogleich versammelt sich eine Schar von Neugierigen.

Isidor, der eben sein Pferd besteigen will, steht neben Drouet. Dieser schaut mit gespannter Aufmerksamkeit in den Wagen; er ist im vorigen Jahre auf dem Verbrüderungsfeste gewesen; er hat den König gesehen, er glaubt ihn zu erkennen. Er zieht einen Geldschein aus der Tasche, vergleicht das Porträt mit dem Original und jeder Zweifel schwindet.

Isidor, der inzwischen sein Pferd bestiegen hat, reitet auf die andere Seite des Wagens; sein Bruder steht am Kutschenschlage, auf den sich die Königin mit dem Ellbogen stützt.

»Der König ist erkannt«, sagte Isidor zu dem Grafen. »Nur geschwind fort, es ist kein Augenblick zu verlieren! . . . Und laß den Schwarzbärtigen, der an der Tür steht, nicht aus den Augen; er hat den König erkannt; er heißt Jean Baptiste Drouet.«

»Gut,« sagte Olivier, »ich werde ihn beobachten . . . Jetzt reite fort!«

Isidor sprengt im Galopp davon, um zu Clermont die Pferde zu bestellen.

Kaum ist er am Ende der Stadt, so fahren die Postillions, durch das Versprechen guter Trinkgelder angespornt, im starken Trabe davon.

Der Graf hat Drouet scharf beobachtet. Drouet ist nicht von der Stelle gegangen; er hat nur leise mit einem Stallknecht gesprochen.

Charny ging auf ihn zu.

»Ist kein Pferd für mich bestellt?«

»Allerdings«, antwortete Drouet; »aber es sind keine Pferde mehr da.«

»Es wird ja im Hofe ein Pferd gesattelt!«

»Das ist mein Pferd!«

»Können Sie mir's nicht überlassen? Ich zahle, was Sie verlangen.«

»Unmöglich; es ist schon spät, und ich habe ein Geschäft, das sich nicht aufschieben läßt.«

Dringendes Bitten würde Verdacht erregt haben, und mit Gewalt konnte Charny das Pferd nicht nehmen.

»Graf,« sagte der Marquis Dandoins, »ich gebe Ihnen eines von meinen Pferden.«

»Ich nehme es mit Freuden an . . . Die Rettung des Königs hängt jetzt von dem kleinsten Zufall ab; je besser das Pferd, desto wahrscheinlicher das Gelingen!«

Beide begaben sich, nachdem Charny einem Unteroffizier den Auftrag gegeben, Drouet genau zu beobachten, in das Quartier Dandoins.

Zum Unglück ist das Quartier des Marquis fünfhundert Schritte von dem Marktplatz entfernt. Bis die Pferde gesattelt sind, geht wenigstens eine Viertelstunde verloren. Wir sagen: die Pferde, denn Dandoins will ebenfalls aufsitzen und mit seinen Leuten dem Wagen des Königs folgen.

Plötzlich glaubt Charny einen lauten Tumult zu hören und mitten in dem wüsten Lärm die Worte: »Der König! . . . Die Königin!« zu unterscheiden.

Er eilt zum Hause hinaus und bittet den Marquis, ihm sein Pferd auf den Marktplatz zu schicken.

Der Lärm hat sich mit Blitzesschnelle durch die ganze Stadt verbreitet. Kaum haben Dandoins und Charny den Platz verlassen, so ruft Drouet, der nur diesen Augenblick erwartet zu haben scheint, den Umstehenden zu:

»In dem Reisewagen, der soeben abgefahren ist, sitzt der König mit der Königin und seiner Familie.«

Dann schwingt er sich aufs Pferd und jagt davon. – Mehrere Freunde suchen ihn zurückzuhalten. Wohin reitet er? Was hat er im Sinne?

Er antwortet ihnen leise:

»Der Oberst war mit seinen Dragonern da . . . Es war nicht möglich, den König anzuhalten: es wäre ein Handgemenge entstanden, das sehr übel für uns hätte ablaufen können! Was ich hier nicht getan habe, werde ich in Clermont tun . . . Haltet die Dragoner auf, das ist alles, was ihr zu tun habt.«

Der Bürgermeister erscheint in Begleitung der Gemeinderäte und fordert die Dragoner auf, sich in die Kaserne zu begeben, da es acht Uhr ist.

Charny hat alles gehört; der König ist erkannt; Drouet ist fort! Er stampft vor Ungeduld mit dem Fuße.

In diesem Augenblicke kommt der Marquis von Dandoins.

»Die Pferde? Die Pferde?« ruft ihm Charny entgegen.

»Sie kommen schon«, antwortete der Marquis.

»Haben Sie Pistolen in meine Sattelhalfter stecken lassen?«

»Ja.«

»Gut! Jetzt hängt alles von der Schnelligkeit Ihres Pferdes ab . . . Ich muß einen Menschen einholen, der schon eine Viertelstunde voraus ist, und ihn niederschießen.«

»Wie? ihn niederschießen?«

»Ja, wenn ich sein Leben schone, ist alles verloren.«

In diesem Augenblicke kommt der Reitknecht mit den beiden Pferden. Charny besteigt das eine, reißt dem Diener die Zügel aus der Hand und jagt in gestrecktem Galopp davon, ohne die Worte zu beachten, die ihm der Marquis Dandoins nachruft.

Diese letzten Worte, die ungehört verhallen, sind indes von Wichtigkeit; denn der Marquis hat ihm nachgerufen:

»Sie haben mein Pferd genommen . . . die Pistolen in den Halftern sind nicht geladen!«

Dandoins begibt sich wieder zu seinen Dragonern und läßt zum Aufsitzen blasen. Aber als die Soldaten ausrücken wollen, sind die Straßen so mit Menschen angefüllt, daß die Pferde keinen Schritt vorwärts können.

Ein Zusammenstoß konnte für den König nur verderblich werden. Der Marquis von Dandoins beginnt zu parlamentieren; er befragt die angesehensten Einwohner, was der Aufruhr bedeutet. Er will nur Zeit gewinnen; denn unterdessen kann der König nach Clermont kommen, und dort findet er den Grafen Damas mit hundertvierzig Dragonern.

Um halb zehn Uhr kommt der Wagen des Königs in Clermont an. Isidor von Charny ist nur einige hundert Schritte voraus, so schnell haben die Postillions gefahren.

Vor der Stadt erwartet Damas den Wagen des Königs; er ist durch Leonard von allem in Kenntnis gesetzt worden; er kennt die Livree des Kuriers und ruft Isidor an.

»Sind Sie der Kurier des Königs?«

»Sind Sie der Graf Charles von Damas?« fragt Isidor von Charny, ohne die Frage zu beantworten.

»Ja, der bin ich.«

»Ich bin der Kurier des Königs. Ziehen Sie Ihre Dragoner zusammen und eskortieren Sie den Wagen Seiner Majestät.«

»Ich muß Ihnen gestehen, daß ich für meine Dragoner nicht bürge, wenn sie den König erkennen . . . Ich kann Ihnen nur versprechen, die Landstraße zu besetzen, sobald der Wagen vorbei ist.«

»Tun Sie, was Sie können, Herr Graf«, sagte Isidor von Charny. »Da kommt der König.«

Isidor kann nicht länger verweilen, er muß fort und frische Pferde bestellen. Fünf Minuten nachher steigt er vor dem Posthause ab.

Fast zugleich mit ihm kommt der Graf von Damas mit fünf bis sechs Dragonern an. Dann fährt der Wagen des Königs vor.

Der Graf von Damas hielt neben dem Wagen.

»Sind Sie da, Graf Damas?« fragte der König.

»Ja. Sire.«

»Warum sind denn Ihre Dragoner nicht unter den Waffen?«

»Sire, Eure Majestät haben sich um fünf Stunden verspätet; meine Eskadron war seit vier Uhr nachmittags im Sattel; ich suchte die Sache so lange als möglich hinzuziehen, aber die Stadt begann unruhig zu werden; sogar meine Dragoner ließen bedenkliche Mutmaßungen laut werden. Übrigens sehen Eure Majestät, daß alles sehr gut geht, der Weg ist frei.«

»Es freut mich, Graf«, erwiderte der König. »Sobald ich fort bin, lassen Sie zum Aufsitzen blasen und folgen dem Wagen in der Entfernung von einer Viertelmeile.«

»Sire,« sagte die Königin, »wollen Sie hören, was Herr Isidor von Charny sagt?«

»Was sagt er denn?« fragte der König etwas ungeduldig.

»Er sagt, der Sohn des Postmeisters zu Saint-Menehould habe Sie erkannt; sein Bruder, den er gewarnt hat, ist zurückgeblieben, und wahrscheinlich ereignet sich in diesem Augenblicke etwas Bedeutendes, da der Graf von Charny nicht kommt.«

»Wenn wir erkannt sind,« erwiderte der König, »so haben wir um so mehr Ursache, uns zu beeilen.«

Isidors Pferd war bereit; er schwingt sich in den Sattel und ruft den Postillions zu:

»Nach Varennes!«

Der Wagen des Königs bewegte sich auf der Landstraße zwischen Clermont und Varennes. Am äußersten Ende von Varennes sollten die Pferde gewechselt werden; um dahin zu kommen, mußte man über die mit einem Turm besetzte Brücke zur Stadt wieder hinausfahren. Das Haus, wo die Pferde gewechselt werden sollten, wurde von dem jungen Grafen Bouillé und Herrn von Raigecourt bewacht. Herrn von Rohrig, einen jungen Offizier von achtzehn Jahren, hatte man nicht in das Vertrauen gezogen, und er glaubte dahin beordert zu sein, um einen für die Armee bestimmten Geldtransport zu eskortieren.

Dem Plane nach sollte der Graf von Charny den Wagen des Königs durch das Straßenlabyrinth führen. Charny war vierzehn Tage in Varennes geblieben; er hatte alles genau beobachtet; jedes Gäßchen, jedes Hindernis war ihm bekannt. Aber zum Unglück ist Charny nicht da. Seine Abwesenheit läßt sich nur durch ein Unglück erklären: wie würde er sonst an diesem gefährlichsten Punkte der ganzen Reise gefehlt haben?

Der König selbst wird unruhig; da er sich auf Charny verlassen, hat er nicht einmal den Plan der Stadt mitgebracht.

Die Nacht ist dunkel; in einer solchen Nacht kann man sich sogar an bekannten Orten verirren, geschweige in den engen, krummen Straßen einer fremden Stadt.

Isidor von Charny war von seinem Bruder angewiesen worden, vor der Stadt anzuhalten. Dort wollte ihn der Graf ablösen und den Reisenden den Weg zeigen. Aber Isidor wurde durch das Ausbleiben seines Bruders ebenfalls mit der lebhaftesten Besorgnis erfüllt. Seine einzige Hoffnung war, daß Bouillé und Raigecourt in ihrer Ungeduld dem Könige entgegengeritten wären und diesseits Varennes warteten. Sie waren seit zwei bis drei Tagen in der Stadt, und konnten daher leicht als Führer dienen.

Als Isidor daher an den Fuß des Hügels von Varennes kam und nur einzelne Lichter in der Stadt bemerkte, hielt er sein Pferd an und sah sich unschlüssig im Dunkeln um. Er konnte nichts sehen.

Nach fünf Minuten hatte ihn der Wagen des Königs eingeholt.

Der König und die Königin lehnten sich zum Wagen hinaus, und beide fragten zugleich:

»Haben Sie den Grafen von Charny nicht gesehen?«

»Sire, antwortete Isidor, »ich habe ihn nicht gesehen, und da er nicht hier ist, so muß ihm bei der Verfolgung des elenden Drouet ein Unglück widerfahren sein.«

Die Königin seufzte tief. Der König wandte sich zu den beiden Leibgardisten, die abgestiegen waren, und fragte:

»Kennen Sie die Stadt, meine Herren?«

Keiner kannte sie; »Sire,« sagte Isidor, »es scheint alles ruhig . . . Geruhen Eure Majestät hier zehn Minuten zu warten; ich will in die Stadt reiten und über den Grafen von Bouillé und Herrn von Raigecourt, oder doch wenigstens über den Ort, wo der Herzog von Choiseul die frischen Pferde bereithält, etwas zu erfahren suchen.

Mit verhängtem Zügel sprengte Isidor der unteren Stadt zu und verschwand bald hinter den ersten Häusern.

 


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