Alexander Dumas
Die Gräfin Charny
Alexander Dumas

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Neununddreißigstes Kapitel

Die erste Amtshandlung der neuen Versammlung war die Absendung einer Deputation in die Tuilerien. Dieser Akt wurde mit einer Taktlosigkeit erwidert.

Die Deputierten wurden von einem Minister empfangen.

»Meine Herren,« sagte er, »der König kann Sie in diesem Augenblicke nicht empfangen. Kommen Sie um drei Uhr wieder.«

Die Deputierten entfernten sich.

»Schon wieder da?« fragten die übrigen Mitglieder, als die Deputierten wieder im Sitzungssaal erschienen.

Einer der Abgesandten ergriff das Wort: »Der König ist jetzt nicht zu sprechen; wir haben drei Stunden Zeit.«

»Nun, wir wollen diese drei Stunden benützen«, sagte der lahme Couthon. »Ich schlage vor, den Titel Majestät abzuschaffen.«

Lauter, einstimmiger Beifall nahm diesen Antrag auf; der Titel Majestät wurde durch Akklamation abgeschafft.

»Wie soll die vollziehende Gewalt genannt werden?« fragte eine Stimme.

»König der Franzosen,« antwortete eine andere Stimme; »es ist ein schöner Titel, und Monsieur Capet kann sich wohl damit begnügen.«

Alle Blicke richteten sich auf den Deputierten, der den König von Frankreich »Monsieur Capet« genannt hatte.

Man sah einen Mann von athletischem Körperbau, in der Kleidung eines Landmannes mit einer großen Narbe an der linken Schläfe. Es war Billot.

»Gut, er mag König der Franzosen heißen«, lautete der fast einstimmige Ruf.

»Ich bitte ums Wort«, sagte Couthon. »Wir haben noch eine Stunde Zeit, ich schlage vor, dem Könige statt des Thrones einen einfachen Sessel hinzustellen.«

Der Redner wurde durch rauschenden Beifall unterbrochen.

»Nur Geduld,« sagte er, »ich bin noch nicht fertig. Ich schlage vor, daß der Sessel des Königs zur Linken des Präsidenten stehe.«

»Aber«, entgegnete eine Stimme, »das heißt nicht nur den Thron abschaffen, sondern auch den König unterordnen.«

Diesem Antrage folgte ein furchtbares Getümmel; aber er ging durch.

»Es ist gut,« sagte Couthon, »die drei Stunden sind verflossen. Ich danke dem Könige der Franzosen für die Muße, die er uns geschenkt; wir haben unsere Zeit nicht mit Warten verloren.«

Die Deputation begab sich wieder in die Tuilerien.

Dieses Mal wurde sie vom Könige empfangen, aber sehr kurz abgefertigt.

»Meine Herren,« sagte Ludwig XVI., »ich kann mich erst in drei Tagen in die Nationalversammlung begeben.«

Dann kehrte er ihnen den Rücken zu.

Am 4. Oktober ließ der König sagen, er sei leidend und werde erst am 7. in der Sitzung erscheinen.

Ungeachtet der Abwesenheit des Königs wurde am 4. die Verfassung von 1791, das wichtigste Werk der letzten Nationalversammlung, in die neue Deputiertenkammer gebracht.

Der für die königliche Sitzung bestimmte Tag kam, es war der 7. Oktober. Der König erschien.

Der Empfang, der ihm in der neuen Deputiertenkammer zuteil wurde, übertraf alle Erwartung. Die Deputierten riefen: »Es lebe der König!«

Gleich darauf aber riefen die Royalisten von den Tribünen: »Es lebe Seine Majestät!«

Ein lautes Murren ließ sich in den Bänken der Volksvertreter hören.

»Es ist gut, meine Herren,« rief Couthon hinauf; »morgen werden Sie an die Reihe kommen.«

Der König gab durch einen Wink zu verstehen, daß er sprechen wollte.

Die von Duport-Dutertre verfaßte Rede, die der König ablas, war ein Meisterstück und machte einen großen Eindruck auf die Versammlung. Sie handelte von der Notwendigkeit, die Ordnung zu wahren und das Wohl des Vaterlandes im Auge zu behalten.

Der König hatte in seiner Rede gesagt, er fühle das Bedürfnis, von Ihnen geliebt zu werden.

»Wir auch, Sire,« sagte der Präsident, »fühlen das Bedürfnis von Ihnen geliebt zu werden.«

Diese Worte wurden von der ganzen Versammlung mit lautem Beifall aufgenommen.

Der König erklärte in seiner Rede, daß er die Revolution für beendet halte.

Im selben Augenblick glaubte es die ganze Versammlung.

Wäre Ludwig der XVI. nur nicht der freiwillige König des Klerus und der unfreiwillige König der Emigranten gewesen!

In der folgenden Nacht schrieb der König an alle auswärtigen Mächte, um ihnen die Annahme der Verfassung von 1791 anzuzeigen.

Die neue Nationalversammlung arbeitete hauptsächlich gegen die Emigranten und den Klerus.

Isnard, ein Südländer, heftig, jähzornig, gewaltig in Rede und Tat, sagte:

»Ich frage die Versammlung, ich frage ganz Frankreich, ganz Europa, ob jemand aufrichtig und mit gutem Gewissen behaupten will, daß die ausgewanderten Prinzen nicht gegen das Vaterland arbeiten . . . Ich frage ferner, ob in dieser Versammlung jemand zu behaupten wagt, daß nicht jeder, der das tut, so schnell wie möglich angeklagt, verfolgt und bestraft werden muß . . . Wer dieser Ansicht ist, stehe auf! . . . Man hat behauptet, Schonung sei die Pflicht der Kraft; ich aber sage Ihnen, wir dürfen nicht ruhen und nicht rasten; wenn die Nation einen Augenblick einschlummert, so wird sie in Fesseln wieder erwachen. Es ist das unverzeihlichste Verbrechen, die Menschen wieder zu Sklaven machen zu wollen; hätten die Menschen das Feuer des Himmels in ihrer Gewalt, so müßte man jeden, der einen Angriff gegen die Freiheit macht, damit vernichten!«

Es war das erstemal, daß man solche Worte hörte. Diese unbändige, gewaltige Beredsamkeit riß alles mit sich fort.

In derselben Sitzung wurde beschlossen: »Der französische Prinz Ludwig Stanislaus Xaver soll seine Ansprüche auf die Regentschaft verlieren, wenn er binnen zwei Monaten nicht zurückkommt.«

Am 8. November wurde beschlossen: »Alle Ausgewanderten, die am 1. Januar nicht wieder nach Frankreich zurückgekehrt sind, werden als Verschwörer gegen die Sicherheit des Vaterlandes betrachtet und zum Tode verurteilt.«

Am 29. November kam die Reihe an die Priester. Die Versammlung faßte folgenden Beschluß: »Der Bürgereid muß binnen acht Tagen geleistet werden. Wer ihn verweigert, macht sich des Aufruhrs verdächtig und wird unter die Aufsicht der Behörden gestellt.«

Aber am 19. Dezember erschien der König in der Deputiertenkammer, um den gegen die Geistlichkeit gefaßten Beschluß durch sein Veto kraftlos zu machen.

Ministerpräsident war damals Narbonne, er hielt sich aber nur drei Monate. Eine Rede Vergniauds versetzte seinem Ministerium den Todesstoß. Dieser Vergniaud führte aus:

»Die Tribüne der Gegenrevolution ist bereits errichtet. Auf ihr geht man damit um, uns Österreichs Händen auszuliefern . . . Der Tag ist gekommen, wo wir dieser Vermessenheit ein Ziel setzen und die Anschläge der Verschwörer vernichten können. In früheren Zeiten sind im Namen des Despotismus aus diesem Palast oft Schrecken und Entsetzen hervorgegangen; heute mögen Schrecken und Entsetzen im Namen des Gesetzes wieder einziehen!«

Gilbert hatte schon vor einiger Zeit in den Tuilerien Dumouriez als den geeignetsten Nachfolger Narbonnes bezeichnet, und tatsächlich erschien bald ein kleiner Mann in Feldmarschallsuniform in den Gemächern des Königs.

»Herr Dumouriez?« sagte dieser.

»Ja, Sire«, antwortete er.

»Herr von Narbonne hat Sie kommen lassen?«

»Ja, Sire, um mir anzuzeigen, daß ich der Ostarmee zugeteilt sei.«

»Sie sind aber noch nicht fort?«

»Ich nahm den mir übertragenen Posten an; allein ich machte Herrn von Narbonne darauf aufmerksam, daß ein allgemeiner Krieg bevorstehe.«

»Und um dem Könige und dem Vaterlande wirksamere Dienste zu leisten, haben Sie die Stelle eines provisorischen Ministers für auswärtige Angelegenheiten abgelehnt?«

»Sire, ich bin ein Soldat und kein Diplomat.«

»Man hat mir versichert, Sie wären beides«, erwiderte der König. »Und auf diese Versicherung hin habe ich Ihnen die Ministerstelle wiederholt anbieten lassen. Warum lehnen Sie diese ab?«

»Majestät, entweder bin ich etwas wert oder nicht. Bin ich nichts wert, so bitte ich Eure Majestät, mich in meiner Dunkelheit zu belassen; bin ich etwas wert, so machen Sie aus mir keinen Eintagsminister; unsere Angelegenheiten stehen im Auslande zu sehr im Mißkredit, als daß die Höfe mit einem provisorischen Minister unterhandeln könnten. Noch mehr: man würde glauben, Sie wollten von Ihrem alten Ministerium nicht lassen und warteten nur eine günstigere Gelegenheit ab, dasselbe wieder ans Staatsruder zu setzen.«

»Halten Sie es denn für unmöglich, wenn es meine Absicht wäre?«

»Meiner Meinung nach ist es Zeit, daß Eure Majestät ein für allemal mit der Vergangenheit brechen.«

»Warum raten Sie mir nicht lieber sogleich die rote Mütze aufzusetzen?«

»Warum nicht, Sire,« antwortete Dumouriez, »wenn etwas damit zu erreichen wäre.«

Der König sah den Mann, der ihm diese Antwort gab, an, dann fuhr er fort:

»Ich bin nicht mehr gegen Sie eingenommen. Herr Dumouriez, Sie sind mein Minister.«

»Sire, einige Erklärungen dürften hier am Platze sein.«

»Reden Sie, ich höre.«

»Sire, ein Minister hat jetzt eine ganz andere Stellung als vormals. Sobald ich ins Ministerium eintrete, höre ich zwar nicht auf, der treue Diener Eurer Majestät zu sein, aber ich werde der Mann der Nation. Erwarten Sie daher von heute an nicht mehr die Sprache, an welche meine Vorgänger Sie gewöhnt haben; ich werde nur im Geiste der Freiheit und der Verfassung reden können. Meine Amtsgeschäfte werden mir nicht Zeit lassen, Ihnen den Hof zu machen; ich werde nur mit Eurer Majestät oder mit dem Staatsrate arbeiten, und diese Arbeit wird ein Kampf sein.«

»Warum denn ein Kampf?«

»Fast Ihr ganzes diplomatisches Korps ist gegen Revolutionäre; ich werde Eurer Majestät zur Ernennung neuer Gesandten raten; ich werde über die Wahl derselben andere Ansichten haben und Personen vorschlagen, die Eurer Majestät nicht einmal dem Namen nach bekannt sind oder sich Ihrer Gunst nicht erfreuen. Wenn Einsprüche Eurer Majestät begründet sind, so werde ich gehorchen; werden die Wahlen hingegen von Ihren Umgebungen getroffen und sind sie geeignet, Eure Majestät zu kompromittieren, so werde ich bitten, mir einen Nachfolger zu geben . . . Sire, denken Sie an die furchtbaren Gefahren, die Ihren Thron umlauern.«

»Erlauben Sie, daß ich Sie unterbreche. An diese Gefahren habe ich längst gedacht.«

Dann hob der König die Hand zu dem Porträt Karls I. auf und setzte, sich die Stirn mit dem Taschentuch abwischend, hinzu:

»Vielleicht wird das Blutgerüst von Whitehall auf dem Grèveplatz errichtet werden.«

»Sire,« sagte Dumouriez, »habe ich mich, trotz der Erklärungen, die ich Eurer Majestät zu geben die Ehre hatte, noch als Minister der auswärtigen Angelegenheiten zu betrachten?«

»Ja, Herr Dumouriez.«

»Dann werde ich in die erste Sitzung vier Depeschen mitbringen, die weder im Inhalte noch in der Form den Depeschen meiner Vorgänger gleichen werden; sie sollen den Verhältnissen angemessen sein. Wenn die erste Arbeit den Beifall Eurer Majestät hat, so werde ich fortfahren; wenn nicht, Sire, so werde ich jeden Augenblick zur Abreise bereit sein, um dem Vaterlande und meinem Könige an der Grenze zu dienen.«

Er verneigte sich, um sich zu entfernen.

»Warten Sie,« sagte der König; »über einen Punkt sind wir einig, es bleiben noch sechs andere zu erledigen.«

»Meine Kollegen . . .«

»Ja, wählen Sie Ihr Ministerium.«

»Eure Majestät bürden mir eine schwere Verantwortung auf.«

»Ich glaube dadurch Ihren Wünschen zuvorzukommen.«

»Sire,« sagte Dumouriez, »außer Lacoste kenne ich in Paris niemanden, den ich für die Marine empfehlen könnte.«

»Ist er nicht Kriegskommissar?«

»Ja, Sire; er hat seine Entlassung genommen, um nicht zur Teilnahme an einer Ungerechtigkeit genötigt zu sein.«

»Das ist eine gute Empfehlung . . . und die übrigen?«

»Ich werde mich mit Brissot, Condorcet, Pétion, Gensonné beraten.«

»Also mit der ganzen Gironde?« so hieß die neue, immer noch gemäßigte Revolutionspartei, so benannt, weil ihre Hauptführer aus dem Departement der Gironde stammten.

»Ja, Sire.«

»Nun, versuchen Sie es mit der Gironde; wir wollen heute abend eine außerordentliche Sitzung halten, an der Sie, Degrave und Gerville teilnehmen werden.«

»Aber Duport-Dutertre?«

»Er hat seine Entlassung genommen.«

»Ich werde Eurer Majestät zu Befehl stehen.«

Dumouriez verneigte sich, um sich zu beurlauben.

»Nein,« sagte der König, »warten Sie einen Augenblick.«

Die Königin Marie Antoinette erschien mit Madame Elisabeth.

»Madame,« sagte der König, »dies ist Herr Dumouriez, der uns gute Dienste verspricht. Wir werden uns heute abend mit ihm über die Ernennung eines neuen Ministeriums beraten.«

»Herr Dumouriez,« sagte sie, »kennen Sie den Doktor Gilbert?«

»Nein, Eure Majestät«, antwortete der General.

»Dann machen Sie seine Bekanntschaft.«

»Darf ich fragen, aus welchem Grunde Eure Majestät ihn mir empfehlen?«

»Weil er ein trefflicher Prophet ist . . . Vor drei Monaten prophezeite er mir, Sie würden der Nachfolger des Herrn von Narbonne werden.«

 


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